Sonntag, 15. November 2009
Haben die nichts Besseres zu tun?
Was soll eigentlich dieser Bohei um den Tod von Robert Enke, der Dimensionen erreicht, die das Begräbnis von Willy Brandt wie eine bedeutungslose Marginalie erscheinen lassen? Ich muss ja gestehen, dass ich von der Existenz Enkes erst durch dessen Tod erfahren habe - aber wenn das Maßstäbe setzen sollte, müsste ja, wenn nun z.B. Kahn oder Rehagel stürbe einwöchige Staatstrauer angeordnet werden. Da beharre ich dann aber darauf, zu meinen Ehren eine Pyramide zu bekommen;-)

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Eigendynamik vs. Medienhysterie
Ab einem bestimmten Punkt gewinnt eine durch die Medien ausgelöste bzw. verstärkte Hysterie eine bemerkenswerte Eigendynamik.

In Paris brechen wilde Randale aus, weil sich eine Internetfirma nicht mehr traut, Geld aus dem Fenster (eines Flugzeugs) zu werfen. Der in Divisionsstärke zusammengelaufene, äußerst enttäuschte Pöbel beharrt auf sein Recht, dass aus dem Himmel Geldscheine auf ihn regnen.

In Deutschland wird binnen weniger Tage aus einem zuvor nur mäßig bekannten Sportler ein Nationalidol und Popstar, dessen Tod von den Massen betrauert wird, wie kein anderer Mensch zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Torwart Enke wuchs auf eine magische Weise zu einem unversalen Stellvertreter.

Unklar ist: Stellvertreter für was?

Ähem, mich würde ja auch sehr interessieren, wie "Liberale mit dem Gemüt eines FLeischerhundes" darauf reagieren.

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Ich frage mich aber auch,
was das über uns aussagt, dass uns der Name Enke bis zur Meldung seines Todes gar nichts sagte (ok, dass Sepp Maier nicht mehr im Kasten steht, hatte ich irgendwann sogar mitgekriegt). Sind wir wirklich so weit von dem entfernt, was die Massen bewegt?

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Och, ich kannte den Namen Enke schon - aber er war für mich nur "irgendein Nationaltorhüter des DFB". Einen sonderlich vorbildlichen oder sonstwie bemerkenswerten Menschen habe ich, mangels Interesse, bis dahin nicht bemerkt.

Aber ich vermute, das geht sogar denen so, die heute in Zigtaustendstärke in Hannover trauern gehen. Vielleicht kann man es als eine Demonstration des Mitgefühls sehen - und das wäre ja keine Spur unsympathisch.

Wobei ich mich frage, was genau das für Leute sind, die sich von diesen Vorgängen so stark angesprochen fühlen, dass sie mittrauern. Ich vermute mal, dass Lady Shalimar* da eine Idee hat.

* Lady Shalimar: Das ist die designierte Leiterin des Umerziehungslagers für politisch gescheiterte Rechtslibertäre (UpgR).

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mark, Sind wir wirklich so weit von dem entfernt, was die Massen bewegt?

oder von dem, mit dem die massen bewegt werden.


dahinter steckt immer ein kluger kopf:

"Unter zurückhaltendem Applaus der bis dahin rund 40.000 Zuschauern in der Hannoveraner Arena verharrten zunächst die Enke-Freunde Ballack und Mertesacker vor dem im Mittelkreis aufgebahrten Sarg und gedachten ihres langjährigen Teamkollegen."

so die faz.


aber es geht noch besser:

"Spielt Deutschland in Enke-Trikots?"

möchte bild gerne wissen. the show must go on.


schon schlimm.

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mir fiel bis vor kurzem bei dem Namen Enke eher jenes ein: http://de.wikipedia.org/wiki/Enckescher_Komet

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Ja, vielleicht
hat das Ableben der Prinzessin von Wales für einen tiefgreifenden Wandel in der öffentlichen Trauerkultur gesorgt. Man nimmt das nicht mehr nur erschüttert zur Kenntnis, man verleiht dem öffentlich Ausdruck. Ist mir per se auch nicht unsympathisch, aber ich stelle halt fest, dass mich die inhärenten Unverhältnismäßigkeiten solcher Promi-Betrauerungs-Exzesse irgendwie befremden.

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ich wage zu sagen
dass hinter der geschichte in ihrer ganzen tragik eine marketingmaschine angeworfen wurde, natürlich hat es niemand ausgesprochen, pietätvoll wurde von einer trauerveranstaltung geredet, aber gemeint war: merchandising, imagebildung für hannover 96. übertüncht wurden rücksichtslodigkeit und brutalität dieses geschäfts.

a propos: ex-bayern- und ex-köln-torhüter stefan wessels ist arbeitslos. den könnte man im rahmen einer arbeitslosen-charity als neuen torsteher verpflichten...

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Ich habe mich schon gewaltig über Enkes Tod erschrocken. Schliesslich gehört der Mann ja zu jenen, deren Arbeit ich alle Tage wieder in der Glotze verfolge. Sowas schafft doch eine, wenn auch sehr einseitige, Bindung. Wenn man sich Nullkommanull für Fussi interessiert und infolge dessen die Geschehnisse um Enke in den letzten Jahre nicht mitbekam, mag einem das seltsam vorkommen – geschenkt. Aber so finde ich das völlig nachvollziehbar.
Wenngleich ich natürlich die mediale Aufarbeitung auch in weiten Teilen daneben finde und dieses (zweifellos identitätsstiftende) Massenevent auch kritisch beäuge.
Wenn aber dabei rauskommt, dass in der Gesellschaft jetzt anders über seelische Erkrankungen gedacht und geredet wird, dann bin ich nicht unzufrieden.

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"...pietätvoll wurde von einer trauerveranstaltung geredet, aber gemeint war: merchandising, imagebildung für hannover 96."

hm, soweit ich informiert bin, wurden gleich am mittwoch alle enke-artikel vom verein aus dem angebot genommen - und gerade bei 96 selbst (obgleich mir als verein herzlich egal) finde ich bei vielen angestellten incl. spieler die betroffenheit nicht geheuchelt, sondern sehr nachvollziehbar.

@dean: "stellvertreter für was?"

nicht so schwer zu beantworten, würde ich meinen:

- diana spencer: mit essstörungen, möglichem selbstverletzenden verhalten sowie borderline-verdacht eine perfekt-unglückliche prinzessin als tragisches vorbild für viele junge frauen und mädchen (die damals auch, wenn ich mich recht erinnere, einen großteil der trauergemeinde ausgemacht haben.

- michael jackson: vom vater schwer misshandelt mit allen bekannten folgen für sein leben

- nun robert enke, depressiv und vom tod einer tochter gezeichnet.

ich halte die öffentlichen reaktionen zu einem großen teil für wiedererkennungseffekte von - jeweils vielleicht nur bruchteilen - der eigenen geschichte bei vielen trauernden,die derart - mit hilfe von öffentlichen projektionsfiguren, die "stars" nun immer auch sind - eben diese eigenen geschichten versuchen, am fremden leben zu bearbeiten. wenn auch "nur" in einer symbolhaften form.

und speziell bei enke könnte ein weiterer aspekt eine rolle spielen:

"...und enke hat mittels seiner angst vor dem "rauskicken" aus seinen lebensbereichen, wenn er (nach seinem eindruck) schwäche zeigen sollte, nur etwas deutlich gemacht, was allen möglichen lohnarbeitenden, aber auch erwerbslosen menschen mehr und mehr übel vertraut ist."

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@"Wenn aber dabei rauskommt, dass in der Gesellschaft jetzt anders über seelische Erkrankungen gedacht und geredet wird, dann bin ich nicht unzufrieden." ----- Ganz recht, den Aspekt sollte man nicht vernachlässigen. Ich muss auch sagen, dass ich die Trauerfeier im Stadion zumindest in Teilen durchaus ergreifend fand, und der Rede von Zwanziger konnte man sogar kritische Momente entnehmen, die sich gegen ein unbedingtes Leistungsdenken richteten. Es ist halt die Frage, ob er als oberster Funktionär einer Leistungsdrillmaschinerie der richtige Mann für solche Worte ist, aber letztendlich ist Enke am Leistungsprinzip des Turbokapitalismus zerbrochen. Ein depressiver Nationalspieler in Dauerangst, das Sorgerecht für sein Adoptivkind entzogen zu bekommen, wenn das Ausmaß seiner Depression bekannt würde, das ist ja ein ganzes Bündel am Nichtfertigwerden von Leistungsansprüchen in einer Gesellschaft, die Nichtleistenkönnen nicht verzeiht.


Und angesichts der Tatsache, dass da Muttis um die 50, die von Enke noch nie etwas gehört haben, zu Tausenden Enke-T-Shirts sich anziehen läst dann auch die Frage aufkommen, was für ein Massenbedürfnis sich dahinter versteckt. Die Suche nach Werten, nach Emotionalität, nach Spiritualität, nach Humanität, nach etwas, das nicht da ist und ganz dringend gesucht wird?

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Mir war Enke durchaus ein Begriff, ich wußte auch das er im Tierschutz aktiv ist. (wobei so ein Fall immer tragisch ist, völlig wurscht was für ein Mensch das war). Sein Tod, seine bekannt gewordene Vorgeschichte haben mich schon schockiert. Auch das dies zeigmal vorkommt, nur das bei anderen Menschen die Öffentlichkeit nicht soviel Kenntnis davon erlangt.
Es zeigt ja, dass in dieser Gesellschaft Menschlichkeit durchaus vorhanden ist.
Ich halte allerdings auch die mediale Dauerpräsenz für völlig unangemessen. Auch das jetzt so getan wird, als wäre hier der Leistungssport eine Ausnahme. Das man funktionieren muß, ist aber in fast allen Jobs gang und gäbe.

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Du musst übrigens noch in meine Linkleiste, by the way!

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Ich denke auch, dass ein großer Teil der Resonanz mit der zunehmenden Verbreitung seelischer Erkrankungen erklärt werden kann. [Bitte Studien dazu selbst googeln].

Da gibt es sicher eine enorme Dunkelziffer, weil diese Art von "Einschränkung" bei uns arg stigmatisiert ist.

Übrigens auch ein Punkt, an dem sich Liberale und Libertäre der Ausprägung "Friß-oder-stirb" ernsthaft fragen sollten, ob ihr Denken nicht die Forderung nach einem neuen Menschen impliziert.

Einem Menschen, der selbst unter den Bedingungen einer zunehmend absolut gesetzten Marktlogik "funktioniert".

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Grüße an Tsathoggua;-)

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Traditionell werden gegen gesellschaftliche Alternativen gerichtete Denkverbote mit dem Argument versehen, dazu bräuchte man einen neuen Menschen. Alpenfoen hat diesen Scheinwerfer umgedreht. Sehr fein!

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Das hatte übrigens Momorules bei dem, was er seinerzeit über den Ritalin-Missbrauch zur Leistungssteigerung und -Anpassung gebloggt hatte ebenso getan wie Detlef Hartmann mit seinem Zwang zum sich selbst im Sinne der McKinsey-Berater neu zu erfinden (die zogen da sozusagen sogar am gleichen Strang, ohne es zu merken).


Aber das, was Alpenfön hier so kurz und knackig aufs Tapet bringt ist wirklich super!

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@Che

Gruß zurück!

@noergler und Che

Freut mich, dass ihr mit meinen nüchternen Gedanken etwas anfangen konntet. Mir geht das nicht immer leicht von der Hand, muss mir oft jede Zeile abringen. Da tut ein Lob mal gut!

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