Montag, 30. November 2009
Was die Alten zu erzählen haben
che2001, 00:47h
War mal wieder bei meinen Eltern zum Sonntagsessen und bekam deren Erzählungen mit. Vater berichtete, dass in der Firma, wo er ausgebildet wurde 1947 Levi zurückkam, ein Jude, den die GESTAPO 1939 abgeholt hatte und der in Theresienstadt, Mauthausen und Belsen gesessen hatte. Robert, ein alter Kommunist, der nicht im KZ, aber im Zuchthaus gewesen war begrüßte ihn mit "Alter Ganeff, ich finde es ja eine Schande, dass sie 6 Millionen von Euch umgebracht haben, Du aber übriggeblieben bist, obwohl Deine zarte Haut einen prima Lampenschirm abgegeben hätte!" Levi lachte, und sie fielen sich jubelnd in die Arme. Soweit der Galgenhumor dieser Generation. Mutter erzählte, dass ihre Großeltern ein Schwein geschlachtet hätten und es mehrere Dörfer weit erzählt worden sei, dass sie die Unverschämtheit besessen hätten, mitten in der Woche Fleisch zu essen. So war das damals. Wäre ich nicht sowieso schon Alltagshistoriker, diese Stories würden mich dazu machen.
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sammelmappe,
Montag, 30. November 2009, 19:03
Alltagshistoriker, das hat was.
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uwe sak,
Dienstag, 1. Dezember 2009, 14:50
Beim Lesen bin ich erstmal zusammengezuckt, als ich den Kommentar von "Robert" gelesen habe. Aber unter diesen Umständen ist die Geschichte dann schon wieder amüsant.
Das war also keine "Wir wußten doch von Nichts-Familie".
Das war also keine "Wir wußten doch von Nichts-Familie".
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che2001,
Dienstag, 1. Dezember 2009, 16:04
Nee, die wussten so Einiges. Meine Mutter war eine enge Freundin der Tochter des örtlichen Rabbiners, die sie in BDM-Kluft in der Synagoge besuchte, ihr Vater saß wegen "staatsfeindlicher Kontakte zu Juden" 2 Jahre im Knast. Mein Vater hingegen war mit 16 Jahren Hauptsturmführer in der SS-Division Wiking, für den es ein einschneidendes Erlebnis war, einem jüdischen Major der US-Army Leben und Freiheit zu verdanken zu haben. Vom Holocaust haben meine Eltern allerdings tatsächlich erst erfahren, als der Krieg vorbei war.
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uwe sak,
Dienstag, 1. Dezember 2009, 16:52
Interessante Geschichte. Das mit dem Holocaust glaube ich gerne. Nur ich habe noch die Erfahrung gemacht, dass einige angeblich nichts von Diskriminierungen gegen Juden wußten. Obwohl die Nazis damit bewußt offen umgegangen sind.
Und die, die doch was davon wußten, gehörten häufig zur "Alle waren Nazis -außer Opi"-Fraktion.
Und die, die doch was davon wußten, gehörten häufig zur "Alle waren Nazis -außer Opi"-Fraktion.
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che2001,
Dienstag, 1. Dezember 2009, 18:07
Meine Eltern haben auch mitbekommen, dass es Lager gab, nur eben nicht, was in ihnen passierte. Sie kannten den Anblick der völlig ausgemergelten russischen Kriegsgefangenen, denen man heimlich Brote zusteckte. Auf dem Bauernhof, wo meine Mutter "zur Pflicht" war hörten ukrainische und polnische ZwangsarbeiterInnen auf dem Heuboden BBC. Der Bauern wusste und akzeptierte das. Dafür wurde sein Hof nach der Befreiung nicht geplündert, mehrere Nachbarhöfe schon. Generell hatten die Nazis bei vielen Bauern aber keinen guten Stand. Es gab da Dörfer, da konnte sich ein Pimpf im braunen Dress auch 1942 nicht hintrauen, ohne auf die Fresse zu kriegen.
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entdinglichung,
Dienstag, 1. Dezember 2009, 18:26
mein damals 6 oder 7 Jahre alter Vater durfte 1942/43 nicht mit dem im Nachbarhaus wohnenden (deutschnationalen) BK-Pfarrer sprechen, weil der ein ehemaliger "KZler" war ... gab bei vielen Bauern Unmut, weil im Rahmen der Kriegsbewirtschaftung einige traditionelle Handlungsweisen bspw. als "Schwarzschlachten" oder "Schleichhandel" verboten und teilweise durch Todesstrafe geahndet wurden, wobei sich auch da der Unmut m.W. vielfach gegen die lokalen Goldfasane und Funktionsträger ("... wenn das der Führer wüsste ...") und nicht gegen das System richtete
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