Samstag, 29. Januar 2011
Was haben wir verloren?
che2001, 01:47h
Was haben wir verloren, was haben sie gewonnen? In Ägypten wird geschossen, und trotzdem demonstriert. Es lebe der basisdemokratische Aufstand!
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workingclasshero,
Sonntag, 30. Januar 2011, 01:04
Der lebe hoch!
Scheint echt so, dass die Revolution auf den Fahrplan der Geschichte zurückkehrt. Ich fand ja so richtig, was Du bei den ersten Unruhen in Griechenland 2008 gebloggt, geschrieben und erzählt hattest und Deine Überlegung oder besser Forderung, dass die hiesige (deutsche sage ich nicht als strenger Internationalist) Linke sich damit jetzt auseinandersetzen müsste, Deine Prognose, dass es in den Schwellenländern ähnlich den Brotpreisaufständen der Achtziger demnächst zu Revolten kommen würde und fand die abschlägigen Stellungnahmen von Linken wie dem Dean ebenso wie der bissige Spott bei den Antibürokraten, die Dir Revolutionsromantik oder Haudraufsolidarität von "linken Chaoten" unterstellten so kurzsichtig und dumm. Letztendlich hat kein anderer Blogger so klar vorausgesehen, was passieren wird. Hast Du funktionierende Kontakte nach Kairo, Monastir und Sousse?
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alterbolschewik,
Sonntag, 30. Januar 2011, 01:42
Komisch, ich glaube immer noch, daß Che damals einer gewissen Revolutionsromantik, die mir fremd ist, angehangen hat. Und trotzdem: Was momentan in Nordafrika passiert, treibt mir stellenweise die Tränen in die Augen. Ich glaube - und fürchte - daß der Prozeß dort keineswegs geradlinig ablaufen wird. Tunesien kann sich möglicherweise relativ schnell stabilisieren: Es gibt eine organisierte Opposition, die sich auf Parteien und Gewerkschaften stützen kann. Und die internationale Sympathie und auch Unterstützung ist groß.
Schwieriger wird es schon in Ägypten. Die nächsten Stunden und Tage werden aufregend werden - man möchte den ganzen Tag am Rechner hängen und AlJazeera schauen.
Doch in Ägypten ist die Sache schon viel komplizierter: Die einzige echte Organisation in der Opposition scheint die Muslimbruderschaft zu sein (Che, hast Du andere Informationen?). Die hält sich zwar augenscheinlich zurück, dennoch fürchte ich, daß sie die einzige organisierte Kraft außer dem Militär ist, die Verantwortung übernehmen (was für ein scheußlich bürokratischer Ausdruck) könnte.
Und die augenblickliche Situation ist absolut verworren: Kann man - nur so als linksradikales Gedankenspiel - die Plünderer verstehen, die sich, anders als in Tunesien, wo es sich um die demissionierte Präsidentengarde handelte, wahrscheinlich einfach aus den ärmsten Vierteln Kairos rekrutieren und die sich bei den Privilegierten bedienen? Oder handelt es sich um einen verantwortungslosen Mob? Sollte man wünschen, daß das Militär eingreift und die privilegierte Mittelschicht schützt? Oder das Gegenteil? Und will man wirklich eher die Muslimbruderschaft als Mubarak an der Macht? Alles Fragen, die ich mich, aus Unkenntnis der lokalen Situation, nicht zu beantworten in der Lage sehe. Bezeichnend für die Unklarheit bezüglich Ägypten finde ich, daß sowohl die israelische Regierung wie auch die Hamas sich in Hinblick Stellungnahmen bezüglich der Situation in Ägypten in Schweigen hüllen - offensichtlich weiß keine Fraktion, ob ein demokratisches Ägypten zum eigenen Vorteil gereichen würde oder nicht.
Was auch immer herauskommt: Ich bin überzeugt, daß die Proteste in weitere Länder überschwappen werden; meine geheime Hoffnung ist ja, daß die Proteste in Nordafrika der iranischen Opposition neues Leben einhauchen werden und das theokratische Regime wegfegen werden.
Andererseits habe ich auch Angst: Angst um die Menschen, die sich in diesen Bewegungen exponieren. Angst, was passiert, wenn sich die Situation der verarmten Massen auch nach einem Regimewechsel nicht verbessert. Die Gefahr eines "Islamofaschismus" scheint mir dann, trotz meiner vehementen Gegenerschaft zu allen antideutsch-islamophobischen Umtrieben, durchaus nicht ganz unbegründet zu sein.
Wir leben, um das chinesische Sprichwort zu zitieren, in "interessanten Zeiten". Und das gilt, gemäß dieses Sprichworts, als Fluch. Aber dennoch ist es gerade verdammt aufregend...
Schwieriger wird es schon in Ägypten. Die nächsten Stunden und Tage werden aufregend werden - man möchte den ganzen Tag am Rechner hängen und AlJazeera schauen.
Doch in Ägypten ist die Sache schon viel komplizierter: Die einzige echte Organisation in der Opposition scheint die Muslimbruderschaft zu sein (Che, hast Du andere Informationen?). Die hält sich zwar augenscheinlich zurück, dennoch fürchte ich, daß sie die einzige organisierte Kraft außer dem Militär ist, die Verantwortung übernehmen (was für ein scheußlich bürokratischer Ausdruck) könnte.
Und die augenblickliche Situation ist absolut verworren: Kann man - nur so als linksradikales Gedankenspiel - die Plünderer verstehen, die sich, anders als in Tunesien, wo es sich um die demissionierte Präsidentengarde handelte, wahrscheinlich einfach aus den ärmsten Vierteln Kairos rekrutieren und die sich bei den Privilegierten bedienen? Oder handelt es sich um einen verantwortungslosen Mob? Sollte man wünschen, daß das Militär eingreift und die privilegierte Mittelschicht schützt? Oder das Gegenteil? Und will man wirklich eher die Muslimbruderschaft als Mubarak an der Macht? Alles Fragen, die ich mich, aus Unkenntnis der lokalen Situation, nicht zu beantworten in der Lage sehe. Bezeichnend für die Unklarheit bezüglich Ägypten finde ich, daß sowohl die israelische Regierung wie auch die Hamas sich in Hinblick Stellungnahmen bezüglich der Situation in Ägypten in Schweigen hüllen - offensichtlich weiß keine Fraktion, ob ein demokratisches Ägypten zum eigenen Vorteil gereichen würde oder nicht.
Was auch immer herauskommt: Ich bin überzeugt, daß die Proteste in weitere Länder überschwappen werden; meine geheime Hoffnung ist ja, daß die Proteste in Nordafrika der iranischen Opposition neues Leben einhauchen werden und das theokratische Regime wegfegen werden.
Andererseits habe ich auch Angst: Angst um die Menschen, die sich in diesen Bewegungen exponieren. Angst, was passiert, wenn sich die Situation der verarmten Massen auch nach einem Regimewechsel nicht verbessert. Die Gefahr eines "Islamofaschismus" scheint mir dann, trotz meiner vehementen Gegenerschaft zu allen antideutsch-islamophobischen Umtrieben, durchaus nicht ganz unbegründet zu sein.
Wir leben, um das chinesische Sprichwort zu zitieren, in "interessanten Zeiten". Und das gilt, gemäß dieses Sprichworts, als Fluch. Aber dennoch ist es gerade verdammt aufregend...
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che2001,
Sonntag, 30. Januar 2011, 01:56
Ich kann Dir dazu sehr Vieles sagen, aber nicht jetzt, dazu bin ich zu müde. Also: demnächst. Was mich umtreibt ist die Tatsache, dass da ein ägyptischer Freund in einem Demofilm durchs Bild gelaufen ist und ich keine Ahnung habe, wie ich ihn kontaktieren sollte. Und denke immerzu an Teheran 1979.
Bezogen auf Ägypten, Jordanien, Jemen, Algerien, Marokko denke ich: Alle werden fallen.
Bezogen auf Ägypten, Jordanien, Jemen, Algerien, Marokko denke ich: Alle werden fallen.
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microgod,
Sonntag, 30. Januar 2011, 09:41
Pakistan könnte der spannendste "Fall" werden, wenn es erlaubt ist, den Bogen so weit zu spannen. In Anbetracht der, süffisant gesagt traditionellen ambivalenten Haltung des ISI bezüglich wahhabitischer Ideologien sowie dem ebenso traditionellen Wunsch pakistanischer Militärs nach strategischer Tiefe ggü. Indien könnten hier die Grundlagen für die größten Umwälzungen in der islamischen Welt überhaupt geschaffen werden.
"Fall" setze ich absichtlich in Tüddels, um an die Redensart "halb zog es ihn, halb fiel er hin" zu erinnern...
"Fall" setze ich absichtlich in Tüddels, um an die Redensart "halb zog es ihn, halb fiel er hin" zu erinnern...
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che2001,
Sonntag, 30. Januar 2011, 17:00
Zur Opposition in Ägypten
@" Die einzige echte Organisation in der Opposition scheint die Muslimbruderschaft zu sein (Che, hast Du andere Informationen?). " --- Ja, habe ich. Wichtige Oppositionsgruppen sind die Tagammu, eine sozialistische Partei, die sehr eng mit den Gewerkschaften verbunden ist und ein Spektrum abdeckt, das von sozialdemokratischen über nasseristische bis hin zu linksislamischen Positionen reicht. "Linksislamisch" umfasst dann noch einmal zwei unterschiedliche Positionen, eine gemäßigte, die nicht die Shariah will, aber aus dem Koran und den Hadithen Bodenreformen und einen Sozialstaat herleitet (wg. Almosenpflicht und der Regelung, dass das Land eines Großbauern zugunsten der Landlosen enteignet werden darf, wenn er es nicht bewirtschaftet) und eine Pro-Gaddafi-Richtung. Insgesamt also eine in sich selber äußerst plurale Partei, die sich selber als eigentliche Erbin und Bewahrerin der Reviolöution von 1952 sieht.
http://egyptelections.carnegieendowment.org/category/national-progressive-unionist-tagammu-party
Dann gibt es die liberale Wafd
http://de.wikipedia.org/wiki/Wafd-Partei
und die linksliberale Neue Wafd-Partei
http://www.worldlingo.com/ma/enwiki/de/New_Wafd_Party
Diese Gruppen und die Gewerkschaften haben neben massenweise und spontan mobilisierten unorganisierten Jugendlichen die bisherigen Proteste hauptsächlich getragen, nicht die Muslimbrüder.
@Workingclasshero, ich habe keine aktiven Verbindungen nach Kairo mehr, nach Tunesien nur sehr indirekt. Die nach Ägypten brachen schon vor etlichen Jahren so unvermittelt ab, dass ich da die Geheimpolizei hinter vermute.
http://egyptelections.carnegieendowment.org/category/national-progressive-unionist-tagammu-party
Dann gibt es die liberale Wafd
http://de.wikipedia.org/wiki/Wafd-Partei
und die linksliberale Neue Wafd-Partei
http://www.worldlingo.com/ma/enwiki/de/New_Wafd_Party
Diese Gruppen und die Gewerkschaften haben neben massenweise und spontan mobilisierten unorganisierten Jugendlichen die bisherigen Proteste hauptsächlich getragen, nicht die Muslimbrüder.
@Workingclasshero, ich habe keine aktiven Verbindungen nach Kairo mehr, nach Tunesien nur sehr indirekt. Die nach Ägypten brachen schon vor etlichen Jahren so unvermittelt ab, dass ich da die Geheimpolizei hinter vermute.
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tuc,
Sonntag, 30. Januar 2011, 17:26
Heute ist wohl der wichtige Tag der alles entscheidet.Beziehungsweise, an dem sich das Militär entscheiden muss. "Platz des himmlischen Friedens" oder Mubarak absägen, das ist hier die Frage. Man hat beim Al Jazeera schauen das Gefühl, dass jeden Agenblick die eine oder andere Entscheidung fällt. Als dritte Möglichkeit direkte Gespräche der Opposition mit Mubarak und ein Termin für freie Wahlen in den nächsten Tagen – aber das sieht nicht so aus derzeit, oder?
Bin regelrecht am zittern.
Einzigartige historische Momente sind das derzeit.
PS: In Indien sind heute auch Großdemonstrationen:
http://de.rian.ru/politics/20110130/258217087.html
Bin regelrecht am zittern.
Einzigartige historische Momente sind das derzeit.
PS: In Indien sind heute auch Großdemonstrationen:
http://de.rian.ru/politics/20110130/258217087.html
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t. albert,
Sonntag, 30. Januar 2011, 19:33
Interessant, wenn man das alles mit Teheran 79 und Berlin 89 vergleicht. Kampfflieger über Kairo, die Amis holen schon mal ihre Leute raus. Das wird noch richtig lustig.
Meine ganze Liebe den Àgyptern.
Meine ganze Liebe den Àgyptern.
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