Mittwoch, 19. Januar 2011
Wer nichts hat kann auch mehr bezahlen. Ganz normaler Behördenrassismus in Deutschland
Für die Flüchtlinge im baden-württembergischen Kreis Biberach an der Riß
hat sich nichts geändert. Immer noch müssen sie morgens in aller Frühe um
sieben Uhr Lebensmittel und Kleidung von zweifelhafter Qualität abholen,
die ihnen ein Laster der Firma Dreikönig aus Schwäbisch-Gemünd zweimal
wöchentlich vor der Gemeinschaftsunterkunft in der Bleicherstraße
anliefert. Darüber hatten sich die Bewohner der Unterkunft bereits im
August vergangenen Jahres beschwert, und einen von 130 Flüchtlingen
unterschriebenen offenen Brief an das Landratsamt geschickt. »Wir nehmen
die Vorwürfe sehr ernst«, hatte daraufhin der im Landratsamt zuständige
Abteilungsleiter für Soziales, Arnfried Stoffner, damals gegenüber junge
Welt gesagt.

»Es wurde viel geredet, besser geworden ist nach fünf Monaten rein gar
nichts«, berichtete der Sprecher der Flüchtlingsinitiative Biberach Rex
Osa in der vergangenen Woche am Telefon. Besonders erniedrigend sei für
die Flüchtlinge, daß ihnen in diesem harten Winter keine Winterschuhe zur
Verfügung gestellt worden seien. Viele Flüchtlinge hatten die Annahme von
Schuhen minderer Qualität, die den Temperaturen und Schneeverhältnissen
nicht entsprachen, boykottiert. Daraufhin habe das Landratsamt, so Osa,
eine weitere Demütigung parat gehabt: Wer die Schuhe nicht annehmen
wollte, erhielt Gutscheine für einen Diakonie-Laden, der
Second-Hand-Schuhe verkauft. Der Sozialamtsleiter Hermann Kienle fand
diese Sanktionierung nicht anstößig. Er bestätigte gegenüber jW: »Sie
wollten ja keine neuen Schuhe haben, also müssen sie eben die alten
nehmen«.

Für Kienle bleibt es dabei: Das Amt verhalte sich gesetzeskonform. »Aus
unserer Sicht ist die Versorgung in Ordnung«. Seltsam nur, daß es dann
soviele Einwände gibt. »Wir sind ständig dabei, Beschwerden nachzugehen«,
versicherte der Behördenleiter. Mittlerweile kommen die Beschwerden auch
nicht mehr nur von den Flüchtlingen selber. So beschreibt beispielsweise
Dierk Andresen, der für seine lokale Webseite www.weberberg.de 2003 den
Ehrenamtspreis des Landkreises Biberach erhalten hat, in Teil neun seiner
Reportage-Serie über Flüchtlinge: Die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft
würden genötigt, vom kümmerlichen Betrag von 170 Euro, den sie monatlich
für Lebensmittel erhielten, überteuerte Produkte einkaufen zu müssen. Für
einen Liter Milch, der im Discounter 69 Cent kostet, müssten die
Asylbewerber in Biberach beispielsweise 2,12 Euro an die Zulieferfirma
zahlen; für drei Tomaten, für die nach dem Marktwert höchstens mit 85 Cent
bezahlt werden dürften, 1,36 Euro. Kienle nennt das »alles bloß
Behauptungen« – bestreiten will er die allerdings auch nicht. Er wisse es
einfach nicht. Auch das erstaunt. Schließlich sind die geschilderten
Mißstände schon seit langem bekannt – und das Amt hatte laut Kienle wegen
der anhaltenden Proteste »die Kontrolldichte erhöht«.

Informiert ist auch seit langem bereits die Sozialdezernentin Petra Alger,
die bei einem Besuch in der Gemeinschaftsunterkunft im September
vergangenen Jahres mit Verweis auf das Asylbewerberleistungsgesetz des
Bundes, auf dem Prinzip der Sachleistung beharrte. Die Möglichkeit von
Wertgutscheinen oder Bargeld gebe es nur, »wenn Sachleistungen nicht
umsetzbar sind«, behauptete Alger. Im Landkreis Biberach sind sie offenbar
»nicht umsetzbar«, denn die Flüchtlinge seien schon lange nicht mehr
bereit, permanent Einschränkungen ihrer Freiheit hinzunehmen, so deren
Sprecher Rex Osa. »Wir sind ungeduldig, und wollen uns nicht mehr als
Menschen zweiter Klasse behandeln lassen«


JW, 16.01.2011

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Abschied von einem Wegbereiter und Vorreiter
Persönlich kannte ich ihn nicht, aber Peter O. Chotjewitz, der durch seine Texte durchaus prägend auf mich wirkte. Ohne dass ich das zunächst erfuhr, ist er vor einem guten Monat gestorben.

Gefunden hier:


http://www.info.libertad.de/blogs/7/535

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Warum wundert es mich gerade gar nicht
dass in der liberalen Blogosphäre Tunesien überhaupt nicht stattfindet und man sich teils mit den Interna einer sich selbst desavouierenden Partei und teils mit forcierter Privilegiensicherung beschäftigt?

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Einmal luftgeholt - keine Atempause - Geschichte wird gemacht
Als ich im Herbst 2008 angesichts der ersten Riots in Griechenland prognostizierte, in Folge der Weltwirtschaftskrise würde es überall in Schwellen- und schwachen Industrieländern zu einer Welle von Aufständen in der Art der Brotpreisrevolten der 80er Jahre kommen und es sei jetzt einer der wichtigsten Aufgaben der hiesigen Linken, sich darauf einzurichten und dazu in irgendeiner Weise zu verhalten schallte mir unisono in der Blogwelt wie im real life entgegen das sei Quatsch und eine Mischung aus altlinker Revolutionsromantik und autonomer Krawallust, aber nichts politisch Fundiertes. Meine Antwort, die Fundierung seien die Mechanismen, nach denen kapitalistische Krisen nun einmal sich entwickeln plus die historische Erfahrung überzeugte so gut wie Niemanden.


Bislang scheint es aber so zu sein, dass ich in Allem Recht behalten habe, und in was für einem Gesamtszenario die Möglichkeiten linker Bewegungen hier verortet sind (oder sein können) skizziert Monoma.

"In der Gesellschaft des Spektakels sehen die Revolutionäre ihre Züge nicht einmal mehr davonfahren" (Guy Debord)

http://autismuskritik.twoday.net/stories/assoziation-2011-das-jahr-das-keine-gnade-kennt/

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Die Titanic haut auf den Bolzen
Einfach geil: "Keinesfalls, Timothy Garton Ash" (Anm.d. Verf., das war der, der im SPIEGEL-Interview 1998 forderte, in Deutschland und Frankreich müssten Verhältnisse geschaffen werden, dass 30% der Bevölkerung in dauerhafter Armut lebten, um Anspruchshaltungen herunterzufahren und die Konjunktur zu beleben) "wollen sie etwas unterstellen: <<Keinesfalls will ich unterstellen, dass Sarrazin heimlich ein Nazi ist.>> Und keinesfalls hätte es zu dieser Erkenntnis eines Gastbeitrags eines Professors für Europäische Studien an der Universität Oxford etc. larifari blahfasel gebraucht. Genügt doch ein Blick auf die Millionenauflage von <<Deutschland schafft sich ab>> des meistverkauften Sachbuchs nach 1945 - was wohl das meistverkaufte Sachbuch vor 1945 gewesen sein mag? - um zu erkennen, dass da von <<heimlich>> nicht die Rede sein kann. Unterstellen nur bei Regen.

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