Montag, 16. Juni 2014
Im tödlichen Fokus der Terrororganisation ISIS
Der Vormarsch der Terrororganisation „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (ISIS) im Irak bedeutet für alle Bewohner Lebensgefahr. Für die religiösen Minderheiten – Christen, Mandäer, Yeziden (Eziden) – bedeutet eine Machtübernahme der ISIS in kurzer Zeit den si-cheren Tod.
Die Yeziden sind von der Volkszugehörigkeit Kurden und Angehörige einer monotheistischen Religionsgemeinschaft, deren Geschichte über 4.000 Jahre in die Zeit des Mithraismus reicht. Einst die Ursprungsreligion aller Kurden, wurde der yezidische Glauben vom fundamentalisti-schen Islam bekämpft und zurückgedrängt. Das Hauptsiedlungsgebiet der Yeziden befindet sich im Nordirak, wo ca. 700.000 der weltweit ca. 1.000.000 Yeziden leben.
Die Gräueltaten der ISIS an Yeziden und Christen aus Nordsyrien (kurd. „Rojava“) haben in den letzten Monaten zugenommen. Diese reichen von Entführungen, Folterungen, Vergewal-tigungen bis hin zu gezielten Ermordungen. Diesen Schreckenstaten folgen zumeist Akte see-lischer Erniedrigung: Mitglieder der ISIS legen das Haupt der Getöteten vor die Haustür der Hinterbliebenen.
Seit dem großen Bombenanschlag von 2007 auf die Yeziden in der Shengal-Region, bei dem annähernd 500 Yeziden getötet wurden, ist die Zahl der Angriffe und Übergriffe gegenüber den dort lebenden Yeziden stark gestiegen.
Anfang Mai wurden in Rabiah (irakische Grenzstadt zu Syrien) mehrere Yeziden Opfer von gezielten Mordaktionen der ISIS. Mehr als 4.000 Yeziden sind daraufhin geflüchtet. Da die für das Gebiet zuständige Armee der irakischen Zentralregierung hiergegen nichts unternahm, entsendete die Kurdische Regionalregierung (KRG) ihre Streitkräfte und die ISIS wurde zu-rückgedrängt. Dies hinderte jedoch die ISIS nicht daran, mit einer Großoffensive erneut in den Irak einzudringen. Seitdem haben allein die Yeziden mehr als 30 Tote und zahlreiche Entfüh-rungen zu beklagen.
Wenn die Terrororganisation ISIS, neben Boko Haram die brutalste unter den Islamisten, wei-ter in den Irak eindringt, können die Folgen die Ausmaße eines Völkermordes annehmen. Das Gebiet Shengal liegt inmitten der Versorgungslinie der ISIS von Mosul zur syrischen Grenze in Rabiah. Dort lebt der Großteil der über 700.000 im Irak lebenden Yeziden. Ob die KRG mit ihren Streitkräften in der Lage ist, Shengal zu schützen, ist offen. Einige Gebiete wurden ein-genommen und sollen besetzt bleiben, hieß es von kurdischer Seite. Rabiah wird noch von den kurdischen Streitkräften kontrolliert, die ISIS versucht jedoch, sie zurückzuerobern. Ra-biah ist der Umschlagplatz der Islamisten. Militärische Ausrüstung, die sie in Mosul und an-dernorts erbeuten, werden von dort nach Syrien transportiert.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die irakische Armee dem Vorgehen der ISIS entweder nicht gewachsen ist oder ihre Führung kein Interesse daran hat, die Islamisten zu stoppen. Dies ist ganz offensichtlich eine Folge der politischen Auseinandersetzungen im Irak, die sich mehr denn je verhängnisvoll auswirken.
Die religiösen Minderheiten des Irak sind in den letzten Jahren entgegen vielen Versprechun-gen diskriminiert, ausgegrenzt und von politischer Verantwortung ferngehalten bzw. nur mar-ginal beteiligt worden. So ziehen in das neugewählte irakische Parlament nur zwei Yeziden ein, obwohl ihnen zahlenmäßig mehr als acht Vertreter zustehen. Die Minderheiten werden als Ausgegrenzte in der Gesellschaft kaum wahrgenommen, weil sie zu den Medien keinen angemessenen Zugang haben. Damit sind sie für die Islamisten die leichteste Beute. In Shen-gal, ihrem Siedlungsgebiet, haben die Yeziden keinerlei Machtbefugnisse, sie können sich nicht verteidigen.
Dies wäre anders, wenn – wie stets gefordert – Shengal zum kurdischen Verwaltungsgebiet
gehören würde. Wir hoffen, dass sich die Streitkräfte der kurdischen Regionalregierung gegen
die ISIS verteidigen können.
Im Moment haben wir allen Grund, nicht nur schlimmes, sondern das Schlimmste zu befürchten.
Sollte die ISIS bei ihrem menschenverachtenden Vorhaben erfolgreich sein, dann ist sicher,
dass ein Genozid am yezidischen Volk nur noch eine Frage der Zeit ist und in diesem
Kontext aller anderen nicht-muslimischen oder sunnitischen Gemeinschaften.
Daher sind jetzt Sofortmaßnahmen für einen Schutz der religiösen Minderheiten im Irak
erforderlich:
 Wir fordern, dass es den Verantwortlichen – vor allem in den Vereinten Nationen – gelingt,
sich auf Schritte zu einigen, die den terroristischen Wahnsinn stoppen. Der aktive Minderheitenschutz
muss auf ihre Agenda. Das funktioniert nur, wenn die Vertreter der religiösen
Minderheiten am Verhandlungstisch vertreten sind und aktiv einbezogen werden.
 Wir appellieren daher an alle demokratischen und sich dem Schutz von Minderheiten verpflichtet
fühlenden Regierungen gemeinsam gegen diese terroristischen Gruppierungen
aktiv vorzugehen.
 Das Vorgehen gegen diese Banden der Unmenschlichkeit ist eine Pflicht und Verantwortung
für die Demokratie und Menschlichkeit.
Für weitere Informationen und Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
2014-06-14
Es unterzeichnen die yezidischen Organisationen in Deutschland:
Föderation der Ezidischen Vereine in Deutschland e.V. (FKÊ), Zentralrat der Yeziden in
Deutschland, E-ZI-DI – Yezidischer Verein in Ostfriesland e.V. (Leer), Ezidische Gemeinde
Emmerich e.V., Ezidische Gemeinde Hessen e.V. (Gießen), Ezidische Gemeinde Nienburg
e.V., Ezidische Gemeinde OWL e.V. (Bielefeld), Ezidische Gemeinde Sulingen e.V., Ezidische
Gemeinde Wesel e.V., Ezidische Jugend e.V. (Saarland), Ezidischer Kulturverein Heidekreis
e.V., Ezidisches Kultur-Zentrum in Celle und Umgebung e.V. (Celle), Gesellschaft Ezidischer
AkademikerInnen (GEA), Kaniya Sipi e.V. (Bielefeld), Verein der Eziden am unteren Niederrhein
e.V. (Kalkar), Verein der Eziden am unteren Niederrhein e.V. (Kleve), Vereinigung der
Yeziden aus Syrien, Yezidi-European-Society (YES) e.V., Yezidische kulturelle Zentrum in
Oldenburg und Umgebung e.V., Yezidisches Forum e.V. (Oldenburg), Yezidische Gemeinde
in Gütersloh e.V., Yezidische Gemeinde Osterholz-Scharmbeck e.V.
Email: tifaqa.ezidiyan@gmail.com

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