Montag, 9. Juni 2014
Vom Umgang mit den Flüchtlingen
Ein sich selbst Bespiegeln im Fremden, sich Bestätigt fühlen durch das scheinbare Anderssein der Anderen, bisweilen auch sich selber in Frage stellen, das ist sehr ausschlaggebend für den Umgang weißer EuropäerInnen mit Menschen von anderswoher. Sehr deutlich sichtbar wird das am Umgang mit Geflüchteten in Europa oder an dessen Grenzzaun, aber auch im zumeist projektivem Blick auf „die Anderen“ generell. Für mich selbst sind da vier Werke von entscheidender Bedeutung, die meinen eigenen Blickwinkel früh prägten und die zu lesen ich nur ans Herz legen kann:

Beobachtende Vernunft. Philosophie und Anthropologie in der Aufklärung von Sergio Moravia, Entzauberter Blick – Das Bild vom Guten Wilden von Karl-Heinz Kohl sowie Authentizität und Betrug in der Ethnologie und Nacktheit und Scham - Der Mythos vom Zivilisationsprozess 1, beide von Hans-Peter Duerr. Also, das sind keine Bücher, die sich direkt mit Interkulturalität oder Rassismus befassen, sondern historisch-anthropologische Lehrbücher. Sie sind aber dadurch wichtig, indem sie die ideengeschichtlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der Wahrnehmung außereuropäischer Menschen durch die europäische Brille aufschlüsseln. Sowohl für meine wissenschaftliche Arbeit als historischer Anthropologe (oder an ethnologischen Fragen interessierter Alltagshistoriker, in meinem Bereich sind Geschichtswissenschaft und Anthropologie Schnittmengen) als auch für meine antirassistischen Aktivitäten waren und sind diese Werke unerhört wertvoll.

- Dies nur als Vorbemerkung. Wenn ich so sehe, aus welchen Perspektiven die Geflüchteten aus Lampedusa in den Camps in Hamburg, Hannover, Berlin und München auch von durchaus linker Seite betrachtet werden macht das insgesamt diskursiv gesehen schon ein Riesenfass auf, vom Umgang mit den konkreten Menschen ganz abgesehen.

http://metalust.wordpress.com/2013/10/30/ein-dank-von-ganzem-herzen-an-die-refugees-der-lampedusa-grupppe-in-hh/

Bei Momo habe ich ja immer wieder den sonderbaren Eindruck, dass der wie ein Schwamm aufsaugt, was bei den radikaleren Flügeln der antirassistischen und feministischen Linken gerade en vogue ist (oder meinethalben konsensbildend wirkt) und das dann zur Quintessenz steigert, obwohl er selbst immer betont, dass er die betreffenden politischen Zirkel gar nicht kennen würde. Gleichzeitig passiert da ein déjá-vu. Mir wird ja oft vorgeworfen, dass ich im Zug mit dem Blick nach hinten fahre, aber das hat seine sehr guten Gründe. Die Solidarität, die Momo den Flüchtlingen entgegenbringt, auch die historische Perspektive angesichts der Kolonialgeschichte teile ich, was allerdings schlechterdings absurd wirkt ist die regelrechte Verehrung der Flüchtlinge, die hier zu spüren ist. Diese wiederum entspricht einer Strömung, die aktuell im antirassistischen Engagement gerade jüngerer Leute stark ausgeprägt ist und die wir schon mal hatten. Als nach dem Zweiten Golfkrieg von 1991 und dem Ausbruch des jugoslawischen Bürgerkriegs, im Vorfeld der Abschaffung des alten Asylrechts massenweise Flüchtlinge in kurzer Zeit nach Deutschland kamen und gleichzeitig in der Republik Flüchtlingsunterkünfte brannten war dies eine absolute Hochzeit antirassistischer Mobilisierung, ja, die Antira in Abgrenzung zur Antifa wurde in dieser Zeit überhaupt erst geboren. Der Unterschied liegt darin, dass typische Antifas in erster Linie gegen Nazis kämpften und die Flüchtlinge in den Unterkünften als die zu beschützenden Opfer betrachteten, während Antira bedeutet, bei der Perspektive anzuknüpfen, gemeinsame politische Praxis mit den Flüchtlingen hinzubekommen. Die politischen Gruppen, in denen ich damals so aktiv war gehörten in diesem Sinne zu den ersten Antiragruppen. Als wir einmal diskutierten, woher unser Engagement eigentlich kommt, fielen Begriffe wie „Helfersyndrom“, „antiimperialistische Solidarität“ und „Das sind die Gearschten, da ist klar, wer auf wessen Seite steht“. Ein bunter Strauß an Motivationen also, die alle Sinn ergaben und sehr ehrenhaft waren.

Da gab es aber auch noch etwas Anderes. Nicht innerhalb der eigenen Zusammenhänge, aber innerhalb der undogmatischen nichtparteiförmigen Linken (wegen mir: Autonomen) war dies sogar extrem verbreitet: Die Flüchtlinge wurden nicht einfach willkommen geheißen, sie wurden nicht einfach solidarisch betrachtet, sondern vielfach mit einer messianischen Heilserwartung. Sie waren diejenigen, von denen wir erschlafften Metropolenlinken sozialrevolutionäre Praxis lernen sollten. Sie waren diejenigen, die sozusagen stellvertretend für uns soziale Kämpfe führen sollten, bzw. wurde ihr Kampf und der Kampf an ihrer Seite als wichtiger als soziale Bewegungen in deutschen Bevölkerungsgruppen betrachtet. Zum damaligen Zeitpunkt war dies Gegenstand zahlreicher (selbst)kritischer innerlinker Debatten, die 1992 in dem Buch „Geschichte, Rassismus und das Boot. Wessen Kampf gegen welche Verhältnisse?“ von der autonomen Lupus-Gruppe aus Frankfurt einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. In der Folge änderte sich teilweise tatsächlich der Charakter der Flüchtlingsarbeit linksradikaler Gruppen und war in manchen Bereichen außer der Tatsache, dass alles ehrenamtlich war kaum noch von dem zu unterscheiden, was etwa Caritas und Diakonisches Werk machten, abgesehen vom grundsätzlichen politischen Selbstverständnis.

Dies alles weiß die heutige linke Szene nicht mehr und schickt sich an, die begangenen Fehler einer früheren Szenegeneration zu wiederholen. Dies hängt damit zusammen, dass linke Bewegungen (unter links sind feministisch, antirassistisch usw. mit einbezogen) in Deutschland in erster Linie Bewegungen junger Leute sind. Für die meisten ist mit dem Eintritt ins Berufsleben nach dem Studium, mit der Ehe, mit dem ersten Kind oder irgendeinem ähnlich einschneidenden Ereignis das linke Engagement zu Ende. Da wird später vielleicht noch am Kaminfeuer von erzählt, es wird aber nichts an nachfolgende Generationen weitergegeben. And the same shit will happen again and again and again.

Den Kopf schütteln musste ich auch, als ich anderswo las: „Noch vertrackter ist es natürlich mit Flüchtlingen aus Afrika, deren Unterstützer aus jedem, der nicht für sie ist, einen Nazi und Rassisten machen. Das Kalkül ist einfach, Linksextremisten wollen generell alle Staaten abschaffen (siehe "Sozialistische Weltrepublik") und da ist das Asylrecht natürlich auch ein Kampfplatz.“ ---- Mit der extremen Linken kenne ich mich nun aus wie mit wenig anderen Dingen, und dieses Ziel, „Sozialistische Weltrepublik“, wurde so im Zeitraum 1978 – 1982, zwischen Tunix-Kongress und Tübinger Internationalismus-Tagen zu Grabe getragen. Die autonome Linke sieht politische Arbeit seither themen- projekt- und kampagnenbezogen. Die Motivationen, Flüchtlingen zu helfen sind da, wie oben beschrieben, sehr ambivalent. Eine wichtige Rolle spielt sicher auch immer das Bestreben, vom Staat und vom Kapital unkontrollierbare Räume zu schaffen, nichts Anderes beinhaltet ja der Ausdruck „Autonomie.“

Wobei ich oftmals schon zu der Folgerung kam, dass autonome Linke im Grunde die verschärftere Ausgabe des Greenpeace- amnesty - NGO- Spektrums sind, mit eigenem Jargon, eigener Mode und eigenem Brauchtum.

Stutzig werde ich auch, wenn „die Antifa“ als eine einzige zusammenhängende politische Bewegung gesehen wird. Es ist fast 20 Jahre her, dass einmal versucht wurde, eine bundesweite antifaschistische Organisation zu schaffen, heutige Antifagruppen bestehen so im Schnitt aus 5 – 10 Leuten. Sie sind zwar untereinander vernetzt und verwenden die gleichen Logos und Symbole, die Friktionen unter den Gruppen können aber auch schon mal so groß sein dass mensch sich weigert die gleichen Räumlichkeiten zu nutzen.

---- Aus den alten Erfahrungen mit Flüchtlingsarbeit in den 90ern lässt sich natürlich lernen und daran anknüpfen. Mein Umgang mit der Flüchtlingsthematik war da immer ein sehr simpler: Kommt zusammen Leute, lernt Euch kennen. Als während des jugoslawischen Bürgerkriegs Flüchtlinge in Turnhallen einquartiert waren haben wir sie dort besucht und mit ihnen geredet. Politikwissenschaftliche  Arbeiten zum Thema Asyl wurden geschrieben auf Basis von Interviews, die mit den Geflüchteten geführt wurden, jeden Sonntag haben Familien aus der Nachbarschaft mit Kind und Kegel die Flüchtlinge in deren Wohnheimen besucht und sie mit Gebäck, Kinderspielzeug und Kuscheltieren beschenkt, und daran knüpfte nahtlos ehrenamtliche Sozialarbeit an. Cassandra z.B. hat einen Großteil ihrer Freizeit mit Schwimm- und Sprachkursen für bosnische Mädchen verbracht. All diese Dinge, die schon mal von späteren Gesprächspartnern als „bewundernswert“ bezeichnet wurden würde ich als Selbstverständlichkeiten menschlichen Anstands bezeichnen, als soziale Kompetenz und nichts weiter. Wir wären Arschlöcher gewesen, hätten wir uns anders verhalten. Was es heute gilt ist es, vergleichbare Strukturen wieder aufzubauen.

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