Sonntag, 24. April 2016
Nichts ist wie es scheint, und in Wirklichkeit ist die Realität ganz anders: Angriff aus dem Cyberspace
Eigentlich sollte ich mich ja mit TTip und Umfeld befassen, aber da ist die Aufmerksamkeit im Moment groß genug. Ich werde dazu also kontrazyklisch dann etwas schreiben, wenn die aktuelle Furore abgeebbt ist.


Also anderes Thema. "Angriff aus dem Cyberspace", so oder ähnlich wurden von etlichen Medien die Lauschangriffe der Not-Such-Agency und diverse Hackerattacken und Trojanerangriffe von Howauchever sowie Wiki- und Panamaleaks betitelt. Was aber ist der Cyberspace? Eigentlich ist mit diesem Begriff nicht das Internet gemeint, sondern Virtual-Reality-Welten, bei denen auf einem Computer eine Umgebung simuliert wird, zu der mittels einer Cyberbrille der Kontakt hergestellt wird. Die ProbandInnen meinen damit dann, zum Beispiel auf dem Mars zu wandeln. Das gibt es schon seit den 1980ern, und ursprünglich liefen diese hochkomplexen Programme auf Großrechnern, Mainframes oder Numbercrunchers. In einem weiteren Sinne sind solche Kunstwelten wie in Welt am Draht/The thirteenth floor, Matrix oder Otherland Cyberspace. Und welchen Sinn haben dann Titulierungen wie Angriff aus dem Cyberspace? Hat beim NSA-Skandal oder Wikileaks die Matrix das real life gekapert? Das würden solche Reißerüberschriften semantisch korrekt eigentlich bedeuten. Aber mit der Semantik ist es so eine Sache, wenn schon niemand mehr weiß, was der Cyberspace eigentlich ist.

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Ich verstehe ja nicht, wie solch eine Form der Medienkritik mit normaler Hermeneutik einhergehen kann. Irgendwann ist man doch so lange von der Realität umspült und durchdrungen worden, dass man die Nachrichten teilweise als Entertainment versteht, wenigstens phänotypisch. In Zeiten des Online-Erregungs-Journalismus zählt die Headline noch mal mehr als früher im Blätterwald - "Angriff aus dem Cyberspace" hat schöne B-Movie-Konnotationen und ja, es zeigt einen sonst sterilen abstrakten Raum als etwas potenziell Bedrohliches. Aufgabe erfüllt, oder?

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Ich bin nun mal sozialisiert in einer Welt, in der belegbare Quellen (bitte nicht online, sondern aus einer Bibliothek, mit Inventarnummer) alles sind und so ziterbar sein müssen wie gerichtsfeste Beweise, und alles außerhalb davon ist nichtexistent.

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Eine solche Welt stelle ich mir sehr einsam vor, denn die wenigsten Leute, mit denen ich zu tun habe, kommunizieren ausschließlich in wissenschaftlich korrekten Fußnoten. ;-)

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Und ich habe schon persönliche Krisen mit Leuten erlebt, die moralische Erschütterung empfanden, weil ich nicht korrekt mit Quellenangaben umging oder sie zumindest meinten dass dem so wäre.

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manche Begriffe eignen sich halt nicht so für die Wissenschaft
Wikipedia: Cyberspace (englisch cyber als Kurzform für „Kybernetik“, space „Raum, Weltall“: kybernetischer Raum, Kyberraum) bezeichnet im engeren Sinne eine konkrete virtuelle Welt oder Realität („Scheinwelt“), im erweiterten Sinne die Gesamtheit mittels Computern erzeugter räumlich anmutender oder ausgestalteter Bedienungs-, Arbeits-, Kommunikations- und Erlebnisumgebungen. In der verallgemeinernden Bedeutung als Datenraum umfasst der Cyberspace das ganze Internet.

Der Begriff ist für sich also so unscharf wie die Beschwerden meiner 74-jährigen Mutter über irgendwelche popups, an denen laut ihr beim Versuch des Betretens ihrer Email absolut kein Vorbeikommen ist.

Meterologen beschweren sich ja auch nicht, dass der Begriff "schönes Wetter" wissenschaftlich nicht so der burner ist.

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Wir alle kennen das gewaltige Wachstum von Unternehmen wie Microsoft, Facebook und Amazon. Weniger bekannt dürfte sein, inwiefern die Qualitätssicherung in diesen Unternehmen mit dem Wachstum schritthalten kann. Amazon ist da ein besonders interessanter Fall, bedingt durch deren Katalogsystem und dadurch, daß deren Plattformen .com, .de, .fr, .co.uk usw. zwar völlig unabhängig voneinander arbeiten, durch internationale Anbieter aber kreuz und quer miteinander vernetzt, um nicht zu sagen verfilzt sind. Die Problembehebung auf der einen Plattform kann durchaus erhebliche Auswirkungen auf eine andere haben, zum Beispiel wenn es um die Beseitigung von Zuständen geht, die hier rechtswidrig, dort aber erlaubt sind. Amazon.de hat sich in einem Rechtsstreit tatsächlich mit dem Argument verteidigt, Rechtsverstöße seien bei deren riesigem Angebot ganz unvermeidlich, eine Ahndung aber würde das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen. Mit anderen Worten: Gesetze sind für kleine Unternehmen da, nicht für große. Damit ist Amazon.de vor Gericht gottseidank nicht durchgekommen, aber trotzdem besteht das Faktum weiter fort, daß nur Unternehmen, die im Wettbewerb mit Amazon stehen, juristisch gegen Wettbewerbsverstöße vorgehen können, und die brauchen dafür "Eier" und einen langen Atem. Verbraucherschutzverbände könnten ebenfalls klagen, tun dies aber nur selten. Wer die Achillesferse des Katalogsystems von Amazon.de kennt, könnte eigentlich Abmahnungen in Serie abfeuern, bis es Amazon zu dumm wird und nachfragt, was das eigentlich soll und ob man sich nicht anders einigen könnte...

Das bisher Gesagte ist zwar sehr spezifisch und nicht für jeden wirklich interessant, ich frage mich aber, wie es denn mit der Qualitätssicherung in großen staatlichen Institutionen aussieht, zum Beispiel bei der NSA oder GCHQ. Auch dort dürften die Datenmengen, die Datenbanken, deren "Katalogsystem" seit 9/11 exorbitant angewachsen sein. Die Rechtmäßigkeit der Datengewinnung und Speicherung ist, wie man hört, auch gelegentlich recht fragwürdig.

Tatsächlich schaffen 'wir' es aber noch nicht einmal, einen Kaufmannsladen zur Gesetzestreue zu verpflichten, wenn er denn nur groß genug ist. Jeff Bezos juckt das alles nicht die Bohne und baut sich erstmal sein eigenes Raumschiff.

Gut zu wissen, daß die großen Internetunternehmen nichts mit NSA, GCHQ usw. zu tun haben :P
(Oder sind die auch miteinander verfilzt?)

Bin ich eigentlich der Einzige, dem in seinen Träumen schon Pop-Ups erscheinen?

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