Dienstag, 8. Dezember 2020
COVID-19: 1. Welle, 2. Welle – Intensivmediziner ziehen erste Vergleiche
Ute Eppinger, Medscape



Wie verlief die erste COVID-19-Welle an deutschen Kliniken, wie verläuft die zweite? Was ist anders? Studien dazu wurden auf dem Online-Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) vorgestellt [1].

Anteilig weniger invasiv Beatmungspflichtige in 2. Welle
So zeigt eine deutschlandweite Analyse der Daten von 10.021 Patienten, eine hohe Sterblichkeit in der ersten Welle. Im Frühjahr starb ein Fünftel der stationär behandelten COVID-19-Patienten. von den Intensivpatienten, die beatmet werden mussten, starben rund 50%, berichtete Prof. Dr. Christian Karagiannidis. Die Patienten waren zwischen dem 26. Februar und dem 19. April 2020 aufgrund ihrer COVID-19 Erkrankung in einem Krankenhaus behandelt worden, das mediane Alter der Patienten lag bei 72 Jahren.

Der prozentuale Anteil der Patienten die invasiv beatmet werden, hat in der zweiten Welle deutlich abgenommen. Prof. Dr. Christian Karagiannidis
Die allermeisten ITS-Patienten waren schwer krank und mussten invasiv beatmet werden. Nur wenige Patienten wurden mittels Maske beatmet. „Wir sehen jetzt im DIVI-Intensivregister, dass sich das wahrscheinlich etwas verschoben hat. Der prozentuale Anteil der Patienten die invasiv beatmet werden, hat in der zweiten Welle deutlich abgenommen. Wahrscheinlich werden jetzt deutlich mehr Patienten mittels Maske beatmet“, erläutert Karagiannidis, der an der Lungenklinik Köln-Merheim das ECMO-Zentrum leitet.

Obwohl etwa gleich viele Männer und Frauen mit COVID-19 ins Krankenhaus kamen, mussten– rund doppelt so viele Männer auf der Intensivstation behandelt werden. Männliche Intensivpatienten mussten auch häufiger beatmet werden als weibliche: Das Verhältnis lag bei 22% zu 12%.

Sehr viele Patienten mit Nierenversagen
Viele der COVID-19-Patienten der ersten Welle litten an Bluthochdruck (56%) und Diabetes (28%). Karagiannidis wies allerdings darauf hin, dass Hypertonie h in der Bevölkerung sehr verbreitet ist. Insofern überrasche es nicht, dass auch in der zweiten Welle wieder viele Patienten mit Bluthochdruck und Diabetes beobachtet werden.

In der ersten Welle hatten viele Patienten im Erkrankungsverlauf ein Nierenversagen entwickelt: „Das waren weit mehr als wir das beispielsweise von der Grippe her kennen. 30% der beatmeten Patienten waren auch dialysepflichtig, das ist deutlich mehr als bei anderen Intensiv-Erkrankungen. Da liegt dieser Anteil bei ungefähr 10%.“ Die krankenhausinterne Sterblichkeit bei beatmeten Patienten, die eine Dialyse benötigen, betrug 73%.

Chronische Lungenerkrankungen spielten hingegen eine kleinere Rolle als erwartet: Nur etwa 12% der Intensivpatienten litten an Lungenkrankheiten – vor allem Asthma und COPD. Beides ist in der Bevölkerung sehr verbreitet: Rund 8 Millionen Deutsche leiden an Asthma, 6,8 Millionen an COPD.

Lungenerkrankungen spielten bei der Influenza eine größere Rolle für den Verlauf, bei COVID-19 offenbar weniger: „Das ist eine gute Nachricht für Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen“, sagte Karagiannidis.

Wurde in der ersten Welle zu früh intubiert? Aus den Daten lasse sich das nicht ablesen. „Wir sehen, dass die Patienten, die mittels Maske beatmet wurden, im Schnitt relativ kurz auf der Intensivstation waren. Wir glauben deshalb, dass diese Patienten insgesamt etwas gesünder waren als die invasiv beatmeten Patienten“, berichtete Karagiannidis. Man könne aus den Daten aber nicht herleiten, ob eine Masken-Beatmung besser sei als eine Intubation.

Alter ist der härteste Risikofaktor für einen tödlichen Verlauf
„Der härteste Risikofaktor, an COVID-19 zu sterben, ist das Alter“, betonte Karagiannidis. So lag die Sterblichkeit bei den beatmeten Intensivpatienten über 80 Jahren bei über 70% und auch bei über 70-Jährigen lag sie bei noch fast 65% – „das ist richtig viel“.

Bei Intensivpatienten unter 60 Jahre, die beatmet werden mussten, betrug die Sterblichkeit 27,7%. Deutlich geringer war die Sterblichkeit, wenn die Patienten nicht beatmet werden mussten: Von den über 80-Jährigen starben knapp 34%, von den über 70-Jährigen 14,6% und von den unter 60-Jährigen 0,7%.

Deutsches Gesundheitssystem hat sich bewährt
Die Intensivmediziner zogen auch internationale Versgleiche. So zeigen Daten aus Norditalien, dass fast alle ITS-Patienten unter 75 Jahre alt waren, denn mittels Triage musste eine Vorauswahl zu Lasten älterer Patienten getroffen werden, wie Karagiannidis berichtete.

In Deutschland hingegen waren die meisten beatmeten COVID-19-Patienten über 75 Jahre alt: „Wir waren nicht gezwungen zu triagieren und wir konnten alle Patienten behandeln, auch völlig unabhängig von ihrem Alter.“ An diesem Beispiel werden die Vorteile das deutsche Gesundheitssystem in der Pandemie deutlich.

Auch ein Vergleich mit Großbritannien unterstreicht dies: Während dort 30% der COVID-19 Patienten auf Normalstationen gestorben sind, waren es in Deutschland 16%. Karagiannidis führt das auf die unterschiedlichen Ressourcen der Gesundheitssysteme zurück. „Dort waren die Ressourcen wohl so limitiert, dass die Patienten schon im Vorfeld gestorben sind und gar nicht mehr auf die Intensivstation kamen. Das muss man in die Diskussion mit einbeziehen: Es ist ein Riesenvorteil, dass wir in Deutschland so viele Ressourcen zur Verfügung haben.“

In der zweiten Welle mehr Patienten auf Normalstationen
Im Unterschied zur ersten Welle sind in der zweiten Welle deutlich mehr COVID-19-Patienten auf Normalstationen untergebracht. „In der ersten Welle hatten wir nicht so viele Patienten auf Normalstation. Doch alle Kliniken stellen jetzt fest, dass wir extrem viele Patienten auf der Normalstation haben, Patienten, die auch nicht zwingend eine Intensivbehandlung brauchen. Ich glaube, das ist ein Effekt des frühzeitigen Einsatzes von Dexamethason. Damit ersparen wir dem einen oder anderen die Intensivstation. Ich denke, das ist der wahre Durchbruch, den wir bislang in der Therapie haben. Alle anderen Medikamente haben bisher nicht die Wirkung, die Dexamethason hatte.“

Ich glaube, das ist ein Effekt des frühzeitigen Einsatzes von Dexamethason. Damit ersparen wir dem einen oder anderen die Intensivstation. Prof. Dr. Christian Karagiannidis
Ist die Sterblichkeit in der zweiten Welle geringer? Eine Schätzung wagt Karagiannidis nicht, sagt aber, dass die hohe Zahl der Patienten auf Normalstationen schon sehr auffällig sei. Erst im Januar, Februar 2021 lasse sich sagen, wie die prozentuale Verteilung aussehe, „früher stehen uns die Daten nicht zur Verfügung“.

Er sagt aber auch, dass die Patienten, die in der zweiten Welle auf die Intensivstation kommen, ähnlich schwerkrank sind, wie die Patienten in der ersten Welle. „Die einzige Ausnahme ist, dass wir nicht mehr so viel Überreaktion des Immunsystems sehen. Das Dexamethason fängt sie ab.“

Belastungsmodell prognostiziert Stabilisierungsphase
Derzeit sind knapp 4.000 COVID-19-Patienten auf der Intensivstation. Womit rechnen die Intensivmediziner? Die DIVI hat ein Belastungsmodell für Intensivstationen durch COVID-19 entwickelt. Es prognostiziert für die nächsten 2 bis 3 Wochen einen ähnlich hohen Stand wie aktuell, doch über diesen Zeitraum hinaus ist eine Prognose schwierig.

Doch ob die Infektionszahlen nun gleich bleiben oder um maximal 30% steigen: „Wir werden trotzdem irgendwann in eine Phase hineinkommen, in der die Zahlen (auf den Intensivstationen) nicht weiter steigen, sondern sich stabilisieren – vorausgesetzt, dass wir an Weihnachten nicht so viele Übertragungen haben.“ Es gebe damit einen gewissen Hoffnungsschimmer, dass die Patienten jetzt nicht immer noch mehr werden.

Thanksgiving sei in den USA und Kanada allerdings ein großer Booster gewesen, er empfehle deshalb dringend, sich auch bei leichtesten Anzeichen einer Infektion noch vor Weihnachten testen zu lassen und sich im Zweifelsfall ein paar Tage zu isolieren. „Ich hoffe, dass wir damit einige von den Superspreading Events verhindern können.“

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