Montag, 8. November 2021
Inzidenz auf Höchstwert; Ruf nach Impfpflicht wird lauter; Medikament von Pfizer überzeugt in Studie
Michael van den Heuvel, Medscape



Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 8. November 2021
Heute meldet das Robert Koch-Institut, Berlin, eine 7-Tage-Inzidenz von 201,1 Fällen pro 100.000 Einwohner, der höchste Wert seit Beginn der Pandemie. Am Vortag hatte die Inzidenz bei 191,5 und vor 1 Woche bei 154,8 gelegen.

?Wir können so nicht weiter machen?, twitterte der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach. ?Jeden Tag 100 Tote oder mehr in den nächsten Wochen würde bedeuten, dass wir in der 4. Welle versagt hätten. Bei dieser Entwicklung sollten die Bundesländer alle konsequent auf 2G wechseln und mit Stichproben kontrollieren.?

Der Ruf nach einer Impfpflicht wird lauter
Delegierte des Marburger Bundes haben bei ihrer 138. Hauptversammlung gefordert, berufsbezogene COVID-219-Impfpflichten einzuführen. Rechtlich sei dies anhand von Paragraph 20 Absatz 8 Nr. 3 des Infektionsschutzgesetzes analog zur Masern-Impfpflicht möglich, schreibt der Verband. Konkret nennt er Personen, die in medizinischen Einrichtungen, Alten- und Pflegeheimen sowie Schulen und Kindertagesstätten arbeiten.

Das ist keine Einzelmeinung: Auch Wolfram Henn vom Ethikrat fordert eine Impfpflicht ? speziell für Pflegende. ?Es ist völlig inakzeptabel und unprofessionell, wenn Personen, die tagtäglich mit vulnerablen Gruppen arbeiten, nicht geimpft sind?, so Henn. Eine Impfpflicht werde durch eine ? jetzt beschlossene ? Testpflicht nicht ersetzt.

Ungeimpfte füllen Intensivstationen
Fall-Kontroll-Analysen in JAMA bestätigen, dass im stationären Bereich Corona zu einer Pandemie der Ungeimpften geworden ist.

Die Kohorte umfasste 4.513 Patienten (mittleres Alter 59 Jahre), die im Sommer vergangenen Jahres in amerikanischen Krankenhäusern lagen. 1.983 Patienten davon wurden mit COVID-19 und 2.530 Kontrollen ohne COVID-19 stationär behandelt. Auf ungeimpfte Patienten entfielen 84,2% (1669/1983) der COVID-19-Hospitalisierungen.


Die Forscher fanden heraus, dass unter den hospitalisierten COVID-19-Patienten 15,8% vollständig geimpft waren gegenüber 54,8% der Kontrollpatienten. Das entspricht einer Impfstoffwirksamkeit von 85%, um Hospitalisierungen durch COVID-19 zu verhindern. Der Schutz vor einer Krankenhauseinweisung war für die Alpha- und Delta-Varianten ähnlich hoch.

Für immunkompetente COVID-19-Krankenhaus-Patienten war die Assoziation stärker: 11,2% geimpft, verglichen mit 53,5% der Kontrollen. Bei immungeschwächten COVID-19-Patienten geben die Forscher als Impfrate 40,1% an; in der Kontrollgruppe waren es 58,8%.

In einem begleitenden Editorial heißt es: Zwar kenne man aus der Praxis schwere Durchbruchsinfektionen. Meist hätten Geimpfte aber einen milderen Verlauf und eine schneller absinkende Viruslast als Ungeimpfte, auch bei der Delta-Variante. Schweres COVID-19 mit Hospitalisierung oder gar mit intensivmedizinischer Therapie sei seltener. Das würden Daten aus Israel ? jetzt nach der Gabe von Booster Shots ? bestätigen.

Pfusch bei Zulassungsstudie: Das PEI gibt Entwarnung
Kürzlich hat eine Whistleblowerin in BMJ Investigation schwere Vorwürfe gegen einen Dienstleister von BioNTech/Pfizer erhoben; Medscape hatte darüber berichtet. Er soll mehrfach gegen die gute Praxis zur Durchführung klinischer Studien verstoßen haben.

Jetzt meldet sich das Paul-Ehrlich-Institut mit einer Stellungnahme zu Wort. ?Das Auftragsunternehmen (Ventavia), gegen das die Vorwürfe erhoben wurden, hat rund 1.000 Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer betreut?, schreibt das PEI. Insgesamt hätten an der Phase-3-Studie aber mehr als 40.000 Personen in etwa 150 Studienzentren teilgenommen.

?Die Wirksamkeit und Sicherheit des COVID-19-Impfstoffs Comirnaty von Biontech/Pfizer sowie die entsprechenden Ergebnisse aus der klinischen Phase-3-Prüfung haben sich auch nach der Zulassung bei der inzwischen millionenfachen Anwendung des Impfstoffs bestätigt?, heißt es weiter. Für Überwachungen in den USA sei jedoch die FDA und nicht das PEI zuständig. Die Whistleblowerin hatte die FDA benachrichtigt, wohl ohne erkennbare Reaktion seitens der US-Behörde.

DGGG: Empfehlungen zur Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit
Aufgrund neuer Veröffentlichungen hat die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) Empfehlungen zur Versorgung infizierter Schwangerer und deren Neugeborenen aktualisiert. Die wichtigsten Punkte:

Spontangeburten sind auch bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 oder beim Krankheitsbild COVID-19 möglich.

Eine Geburtseinleitung oder ein Kaiserschnitt sollte nur durchgeführt werden, wenn dies anderweitig medizinisch begründet ist.

SARS-CoV-2 und COVID-19 sind keine Kontraindikationen zur Durchführung von Regionalanästhesien.

Eine Trennung von Mutter und Kind ist nach der Geburt nicht erforderlich, wenn Hygieneregeln und Maßnahmen zur Vermeidung einer Virusübertragung eingehalten werden.

Haut-zu-Haut Kontakt zwischen Mutter und Kind (Bonding) sind möglich bei Einhaltung von Hygieneregeln wie Händedesinfektion, Mund-Nasen-Schutz und Vermeidung von Schleimhautkontakt etwa durch Küssen.

Auch SARS-CoV-2-positive Mütter können stillen. Das Übertragungsrisiko sei bei Einhaltung der Hygieneempfehlungen als ?sehr gering? einzustufen, falls Mütter Hygienemaßnahmen beachten würden, schreibt die DGGG. Sie weist neben einem Mund-Nasen-Schutz vor allem auf die korrekte Reinigung von Händen, Brust und Milchpumpe.

COVID-19-Therapie: Pfizer stellt Phase-2/3-Daten zu Proteinasehemmer vor
Neuigkeiten gibt es auch zur Behandlung von COVID-19. In einer Pressemeldung berichtet Pfizer über Zwischenergebnisse der ?Evaluation of Protease Inhibition for COVID-19 in High-Risk Patients?-Studie (EPIC-HR). Untersucht wurde der experimentelle Wirkstoff PF-07321332 (PAXLOVID?), ein Inhibitor der SARS-CoV-2-3CL-Protease. Ohne dieses Enzym ist die Replikation der Coronaviren nicht möglich. PAXLOVID? wird oral verabreicht.

Forscher werteten Daten von 1.219 Erwachsenen, die bis 29. September 2021 rekrutiert worden waren, aus. Sie hatten SARS-CoV-2-Infektion mit leichten bis mittelschweren Symptomen und mussten mindestens ein Merkmal oder eine Grunderkrankung aufweisen, die mit einem erhöhten Risiko für eine schwere Erkrankung durch COVID-19 verbunden ist. Patienten wurden randomisiert (1:1). Sie erhielten 5 Tage lang alle 12 Stunden oral PAXLOVID? oder Placebo.

Die geplante Zwischenanalyse zeigte eine 89-prozentige Verringerung des Risikos einer COVID-19-bedingten Krankenhauseinweisung oder eines Todes aus jeglicher Ursache im Vergleich zu Placebo bei Patienten, die innerhalb von 3 Tagen nach Symptombeginn behandelt wurden. 0,8% der Patienten im Verum-Arm wurden bis zum Tag 28 nach der Randomisierung ins Krankenhaus eingewiesen (3/389 Krankenhaus-Einweisungen ohne Todesfälle), verglichen mit 7,0% der Patienten, die Placebo erhielten und ins Krankenhaus eingewiesen wurden oder starben (27/385 stationäre Aufnahmen, 7 Todesfälle). Die Unterschiede waren statistisch signifikant (p < 0,0001).

Ein ähnlicher Rückgang der COVID-19-bedingten Krankenhaus-Einweisungen bzw. der Todesfälle wurde bei Patienten beobachtet, die innerhalb von 5 Tagen nach Auftreten der Symptome behandelt worden waren.

1,0% der Patienten, die PAXLOVID? erhielten, wurden bis zum Tag 28 nach der Randomisierung ins Krankenhaus eingewiesen (6/607 Krankenhauseinweisungen, keine Todesfälle), verglichen mit 6,7% unter Placebo (41/612 Krankenhauseinweisungen mit 10 Todesfällen; p < 0,0001).

In der gesamten Studienpopulation wurden unter Verum bis zum 28. Tag keine Todesfälle gemeldet, verglichen mit 10 (1,6%) Todesfällen bei Patienten im Placebo-Arm.

Die Studie wurde nach einer geplanten Zwischenauswertung vorzeitig beendet. Eine Notfallzulassung bei der FDA soll jetzt beantragt werden.

Rückblick: 4% aller Todesfälle in 2020 durch COVID-19
Das Statistische Bundesamt (DESTATIS) hat jetzt Details aus der Todesursachenstatistik 2020 veröffentlicht. Im Zeitraum sind 985.572 Menschen gestorben, darunter 492.797 Männer und 492.775 Frauen.

Herz-/Kreislauferkrankungen: 34,3%

Krebserkrankungen: 23,5%

Krankheiten des Atmungssystems: 6,2%

Psychische Erkrankungen: 6,0%

Krankheiten des Verdauungssystems: 4,3%

Verletzungen und Vergiftungen: 4,2%

COVID-19: 4,0%

An COVID-19 als Grundleiden starben 2020 in Deutschland insgesamt 39.758 Menschen. Damit war COVID-19 bei 4,0% aller Verstorbenen die ausschlaggebende Todesursache. Eine Dunkelziffer bleibt. ?In dieser Zahl sind diejenigen Fälle nicht enthalten, in denen COVID-19 von der leichenschauenden Ärztin beziehungsweise dem leichenschauenden Arzt auf dem Totenschein als Begleiterkrankung dokumentiert wurde?, kommentiert DESTATIS.

Innerhalb der letzten 24 Stunden haben Gesundheitsämter dem RKI 15.513 Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 gemeldet (Vorwoche 9.658 Fälle). Weitere 33 Patienten sind aufgrund von COVID-19 gestorben (Vorwoche 23 Todesfälle).

Ähnlich alarmierende Zahlen kommen aus Krankenhäusern. Laut DIVI-Intensivregister waren am 7. November 2.532 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, also 83 mehr als am Vortag. Aktuell sind 867 Betten im Low-Care- und 1.934 im High-Care-Bereich frei. Hinzu kommen 371 freie ECMO-Behandlungsplätze.

In den kommenden Wochen werde sich die Zahl aus den Intensivstationen voraussichtlich fast verdoppeln, wenn die Neuinfektionen weiter so ansteige wie bisher, warnt Dr. Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters. ?Bei einer Inzidenz von 300 erwarten wir bundesweit etwa 4.500 COVID-Patienten ? mit großen regionalen Unterschieden.?

Gesundheitsministerkonferenz: Reichen die Maßnahmen aus?

Der Ruf nach einer Impfpflicht wird lauter

Ungeimpfte füllen Intensivstationen

Pfusch bei Zulassungsstudie: Das PEI gibt Entwarnung

DGGG: Empfehlungen zur Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit

COVID-19-Therapie: Pfizer stellt Phase-2/3-Daten zu Proteinase-Hemmer vor

Rückblick: 4% aller Todesfälle in 2020 durch COVID-19

Gesundheitsministerkonferenz: Reichen die Maßnahmen aus?
Ende letzter Woche traf sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit den Gesundheitsministern der Länder. Die brennende Frage war, was Deutschland angesichts steigender Inzidenzen und angesichts sinkender intensivmedizinischer Kapazitäten unternehmen sollte, um den 2. Corona-Winter zu überstehen.


Die Ergebnisse blieben hinter vielen Erwartungen zurück: Einen neuerlichen Lockdown wird es nicht geben. Verpflichtenden Impfungen kommen auch nicht infrage. Gesundheitspolitiker setzen wie erwartet stark auf die 2G-Regel. Hinzu kommen Booster Shots ? anfangs für Risikopatienten, später jedoch für alle Bürger. Bei Impfungen verständigte sich die Runde darauf, niedergelassene Ärzte ? wie gehabt ? einzubinden. Geschlossene Impfzentren werden kaum wieder geöffnet werden. Mit diesem Vorschlag hatte Spahn für Irritationen gesorgt. Zumindest soll die Testpflicht in Alten- und Pflegeheimen ausgeweitet werden. Details werden erst noch ausgearbeitet.

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