Mittwoch, 1. Dezember 2021
Weg mit der Budgetierung der Hausarzthonorare und keine Bürgerversicherung: Die Pläne der Ampel-Regierung
Christian Beneker, Medscape



Die Ampel steht und mit ihr die gesundheitspolitischen Eckpfeiler der zukünftigen Regierungskoalition. 8 der 178 Seiten des Vertrages haben die Verhandler der Gesundheitspolitik gewidmet. Medscape fasst die wichtigsten Punkte zusammen. 2 Aspekte dürften den Hausärzten besonders gut gefallen: Die Budgetierung der Hausarzthonorare soll aufgehoben werden und von einer Bürgerversicherung ist im Ampel-Vertrag nicht die Rede.

Mehr Anerkennung für die Pflege
Als Anerkennung für ihre ?herausragenden Leistungen? in der Pandemie erhalten Pflegekräfte 3.000 Euro steuerfreien Bonus. Der Bund stellt dazu 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege soll geschlossen werden und: Die Pflege soll im Gemeinsamen Bundesausschuss vertreten sein, und zwar durch den Deutschen Pflegerat.

Auch die Arbeitsbedingungen in der Pflege sollen sich laut Vertrag verbessern. In der Altenpflege sollen eine verbindliche Personalausstattung eingezogen werden. Auch will die Koalition die pflegenden Angehörigen entlastet werden: Ihre Rentenbeiträge werden zukünftig als versicherungsfremde Leistungen aus dem Steuersäckel bezahlt. Außerdem wollen die Koalitionäre die Angebote für pflegende Angehörige (zum Beispiel die Kurzzeitpflege) transparenter machen.

Wir bringen ein allgemeines Heilberufegesetz auf den Weg. Koalitionäre
Die Ampel wird zudem ?in der stationären Pflege die Eigenanteile begrenzen und planbar machen? und sie perspektivisch weiter absenken. Das Ganze kostet Geld. Deshalb werden die Pflegebeiträge ?moderat? angehoben, so der Koalitionsvertrag. Zugleich prüft die Koalition, ?die soziale Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung zu ergänzen.? Die PKV soll ?vergleichbare Möglichkeiten? erhalten.

?Wir bringen ein allgemeines Heilberufegesetz auf den Weg?, versprechen die Koalitionäre. Das bedeutet voraussichtlich auch: ?Community-Health-Nurses? sollen heilkundliche Tätigkeiten übernehmen können.

Lehren aus der Pandemie
Die Pandemie habe vor Augen geführt, wie verletzlich das Gesundheitssystem sei, schreibt die Koalition. Deshalb müsse der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) gestärkt werden, unter anderem, indem der Pakt für den ÖGD verlängert wird und die Sozialpartner einen eigenständigen ÖGD-Tarifvertrag schaffen. Das heißt vermutlich auch: Mehr Geld für die Ärzte im ÖGD. Ein Gesundheitssicherstellungsgesetz soll zum Beispiel dafür sorgen, dass Arzneimittel und Medizinprodukte bedarfsgerecht bevorratet werden.

Der Koalitionsvertrag sieht ein neues ?Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit? am BMG vor. Es soll den ÖGD besser vernetzen und die Gesundheitskommunikation des Bundes verbessern. In dem Institut soll auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aufgehen.

Impfstoffe und Arzneimittel werden zukünftig wieder in Deutschland, beziehungsweise in Europa hergestellt, inklusive der Wirkstoff und Hilfsstoffproduktion. ?Engpässe in der Versorgung bekämpfen wir entschieden, versichert die baldige Regierungskoalition.

Ambulante und stationäre Versorgung
Die Koalition setzt für ?geeignete Leistungen? auf eine sektorengleiche Vergütung durch so genannte Hybrid-DRG, um ?unnötig? stationär erbrachte Leistungen zu ambulantisieren. Gesundheitskioske in benachteiligten Kommunen, niedrigschwellige Beratungsangebote, Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen auf dem Lande - die Ampel will innovative Versorgungsformen der ambulanten Versorgung stärken. Hinzu tritt der Ausbau kommunal getragener MVZ.

Bei der Notfallversorgung erhalten die KVen mehr Beinfreiheit. ?Wir räumen den KVen die Option ein, die ambulante Notfallversorgung dort selbst sicherzustellen oder diese Verantwortung in Absprache mit dem Land ganz oder teilweise auf die Betreiber zu übertragen?, heißt es in dem Koalitionsvertrag. Rettungsleitstellen und KV-Leitstellen sollen mit einem standardisierten Einschätzungssystem verschränkt werden. So erreiche man eine bedarfsgerechte Steuerung.

Ganz lapidar kommt eine bedeutende Änderung daher: ?Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf.? Wie das aber genau geschehen soll, verschweigt der Vertrag.

Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf. Koalitionäre
Die Versorgung psychisch Kranker soll durch eine Reform der Bedarfsplanung verbessert werden. Hintergrund sind die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz, vor allem auf dem Lande. Zudem wird eine Aufklärungskampagne die Stigmatisierung psychisch Kranker zurückdrängen.

Krankenhausreform
Die neue Regierung will die Krankenhausversorgung reformieren. Die Planung soll sich künftig auch an Erreichbarkeit und der demographischen Entwicklung orientieren. Dazu werden die Häuser in Leistungsgruppen und Versorgungsstufen eingeteilt. ?Eine kurzfristig eingesetzte Regierungskommission wird hierzu Empfehlungen vorlegen?, heißt es in dem Vertrag. Sie soll auch die Krankenhausfinanzierung weiterentwickeln: Das bisherige System aus Primär-, Grund-, Regel- und Maximalversorgung sowie Uniklinika soll um erlösunabhängige Vorhaltepauschalen ergänzt werden.

In der Drogenpolitik setzt die Koalition auf die Legalisierung von Cannabis, um den Missbrauch zurückzudrängen. Cannabis soll in lizensierten Geschäften an Erwachsene verkauft werden dürfen. Nach vier Jahren wird nach 4 Jahren auf die gesellschaftlichen Auswirkungen hin evaluiert. Zugleich werden die Marketing-Regelungen für Alkohol, Tabak und Cannabis verschärft.

Kassenpolitik
Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG II) erhalten kostendeckende Kassenbeiträge aus Steuermitteln finanziert. Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) will die Koalition weiterentwickeln.

Die GKV soll transparenter werden und ihre Service- und Versorgungsqualität zukünftig anhand von Mindestkriterien offenlegen. Wer unter den Versicherten künftig an Präventionsprogrammen teilnimmt, kann von seiner Kasse Geld dafür erhalten.

Die Ampel-koalition will darüber hinaus für ?Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus, wie insbesondere Wohnungslose, den Zugang zur Krankenversicherung und zur Versorgung prüfen und im Sinne der Betroffenen klären.?

Digitalisierung im Gesundheitswesen
?Wir beschleunigen die Einführung der elektronischen Patientenakte und des e-Rezeptes?, versprechen die Koalitionäre. Auch die beteiligten Akteure sollen schnellstens an das System angeschlossen werden. Neuers bei der elektronischen Patientenakte (ePA): Die ePA soll allen Versicherten in einer datenschutzkonformen Form zur Verfügung gestellt werden. Sie bleibt zwar für die Versicherten freiwillig, muss aber von den Versicherten bei Nichtnutzung aktiv abgelehnt werden (opt-out-Regelung).

Die Digitalisierungsstrategie soll regelhaft fortgeschrieben werden. Das bedeutet z.B. Videosprechstunden, Telekonsile oder telenotärztliche Versorgung regelhaft zu ermöglichen.

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