Donnerstag, 23. Dezember 2021
Gesünder kiffen
Cannabis-Legalisierung ohne Nebenwirkungen ? Suchtforscher erklärt, was wir von Kanada lernen können
Christian Beneker, Medscape


Der Cannabis-Verkauf an Erwachsene soll in Deutschland legalisiert werden ? so will es die Ampel-Koalition. Wie man dabei negative gesundheitliche Effekte minimieren kann, erklärt der Frankfurter Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver im Gespräch mit Medcape. Wichtig seien zum Beispiel Aufklärungskampagnen, wie das Beispiel Kanada zeigt. Außerdem wird bislang Cannabis vor allem im Tabak-Joint geraucht ? er hält Vaporizer für die bessere Alternative.

Medscape : Herr Professor Stöver, Sie sehen die Abgabe von Cannabis an Erwachsene im Großen und Ganzen positiv. Aber sie kritisieren trotzdem den klassischen Joint. Warum?

Stöver: Wenn Cannabis nach der Freigabe für Über-18-Jährige vor allem als Verbrennungs-Joint ? das heißt gemischt aus Tabak und Cannabis ? konsumiert würde, wäre das natürlich ein Rückschritt, ein Wieder-Salonfähig-Machen des Rauchens. Denn das Verbrennen des Tabaks ist das Problem, weil erst dabei die kanzerogenen Stoffe freigesetzt werden. Dabei sollte das Rauchen, also die Verbrennung von Tabak, eigentlich aufhören!


Prof. Dr. Heino Stöver

Zudem sind wir bei den jungen Altersgruppen auch auf einem guten Weg. In der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen zum Beispiel haben weniger als 7% in einer Befragung angegeben, in der letzten Woche vor der Befragung Tabak geraucht zu haben. Das ist nur ein Drittel dessen, was wir vor 20 Jahren hatten. Gleichzeitig ist der Anteil Jugendlicher, die noch nie zur Zigarette gegriffen haben, mit 82,7% auf ein Rekordhoch gestiegen.

Das ist phänomenal, die Jugendlichen haben die Botschaft der Suchtprävention verstanden! Auch bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren lässt sich ein ähnlicher Trend beobachten ? jedenfalls, was Tabak und ähnlich Alkohol betrifft. Diese Erfolge dürfen nicht gefährdet werden.

Medscape : Wie sollte Cannabis Ihrer Ansicht nach dann konsumiert werden?

Stöver: Die bekanntesten Alternativen zum Tabakkonsum sind das Verdampfen von Nikotin durch E-Zigaretten und das Erhitzen von Tabak in Tabakerhitzern. Um möglichst wenig Schadstoffen ausgesetzt zu sein, sollte daher auch beim Konsum von Cannabis eine Konsumform gewählt werden, die ohne die Verbrennung von Tabak auskommt.

Medscape : Und die wäre?

Stöver: Wenn wir schon legalisieren, dann sollten wir die Konsumenten aufklären darüber, was weniger schädliche Konsumformen sind. Und das sind ganz klar Cannabis-Vaporizer, also Geräte, die keine Verbrennung erlauben. Und: Es entstehen keine Schadstoffe bei der Inhalation. Das macht das Vaporisieren von Gras zur ersten Wahl gesundheitsbewusster Konsumenten und Cannabis-Patienten.

Wir müssen jetzt alles tun, um neben der neuen Gesetzgebung, die Cannabis für Erwachsene legalisiert, eine öffentliche Aufklärungskampagne zu fahren ? und zwar Kampagnen über die möglichen Risiken des Cannabis selbst, aber vor allem auch über die Gefahren des Tabakverbrennens in Joints!

In Kanada zum Beispiel wurden der Verkauf und der Genuss von Cannabis 2018 legalisiert. Parallel hat man dort so genannte Public-Awareness-Kampagnen gefahren. Dabei war immer klar: Nicht jeder brave Kiffer ist gut informiert darüber, was er da tut ? sondern die meisten von ihnen sind schlecht informierte Konsumenten. Sie und auch die breitere Öffentlichkeit in Kanada wurden über Risiken und Gefahren von Cannabis und über Alternativen zum Joint aufgeklärt.

Medscape : Was hat die Aufklärungskampagne gebracht?

Stöver: So, wie es aussieht, haben die Kanadier es ganz gut hinbekommen: Bei den Konsumenten ab 50 gab es zwar einen leichten Anstieg des Cannabis-Gebrauchs. Die Prävalenz des Cannabis-Konsums ist nur unwesentlich gestiegen ? einschließlich bei 16- bis 19-Jährigen. Hochrisikoverhalten wie Alter bei Erstkonsum und täglicher Konsum haben sich seit dem Cannabis Act nicht verändert. Ähnliche Entwicklungen erwarte ich auch für Deutschland.

Von den hohen Zahlen der Cannabis-Verbreitung ? auch vor der Legalisierung in Kanada ? sind wir bei uns glücklicherweise zwar noch meilenweit entfernt! Cannabis-Gebrauch ist aber auch bei uns längst in die Alltags-Kultur integriert. Dazu müssen wir uns positionieren. Und zwar so, dass durch die Legalisierung so wenige Schäden entstehen wie möglich.

Medscape : Wäre das Ganze nicht ein Massenexperiment mit unkalkulierbarem Ausgang?

Stöver: Ich persönlich glaube nicht, dass die Zahl der Cannabis-Konsumierenden nach der Legalisierung wesentlich ansteigen wird. Schon deshalb nicht, weil es vermutlich gewisse Hürden bei der Gesetzgebung geben wird: ein Altersnachweis zum Beispiel oder eine Registrierung als Konsument.

Auch die CDU-Mehrheit im Bundesrat wird das Gesetz zur Legalisierung nicht einfach so durchwinken. Wir werden wohl erst zum Ende der Legislaturperiode der Ampel-Koalition die ersten Konsumenten sehen, die im Cannabis-Fachhandel einkaufen werden. Zudem ist schon jetzt das Unrechtsbewusstsein bei Cannabis-Konsumierenden gering: Also jeder, der will, kann rauchen. Cannabis ist überall erhältlich.

Medscape : Ein Wort zu den E-Zigaretten, also zum Verdampfen verschiedener Liquids: Kritiker der E-Zigaretten sagen, dass es noch viel zu wenige Langzeitdaten gibt, um die Gefahren die Liquid-Verdampfung einzuschätzen ?

Stöver: Das ist natürlich richtig, und wir müssen hier viel mehr investieren, um gute Daten zu erhalten. Klar ist aber aus meiner Sicht auch: Der Vaporizing-Mechanismus ist sehr viel weniger gesundheitsabträglich als der Verbrennungsprozess von Tabak. Besonders für schwer Tabakabhängige ist die E-Zigarette eine gute Alternative.

Zudem wandelt sich hier die Debatte gerade: In Statements zum Beispiel der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin und Gefäßchirurgie (DGG e.V.) wird die Bedeutung der E-Zigaretten verstanden. Besonders bei schweren Rauchern, die vielfach und vergeblich versucht haben, das Rauchen aufzugeben. Ich spreche oft mit Pneumologen und Onkologen ? sie sehen täglich Patienten in den mittleren Lebensjahrzehnten, die wegen ihres Tabakkonsums kein größeres Lungenvolumen mehr haben und x-fach erfolglos versucht haben aufzuhören. Um die Lage dieser Patientinnen und Patienten nicht noch weiter zu verschlimmern, ist die E-Zigarette das Mittel der Wahl!

Etwas anderes ist es natürlich, wenn die E-Zigaretten zum Lifestyle gehören. Dann wurde das Zigarettenrauchen zwar aufgegeben, aber nur durch das E-Zigaretten-Dampfen ersetzt.

Medscape : Wie hoch ist denn der Suchteffekt durch E-Zigaretten?

Stöver: Wenn in den E-Zigaretten Nikotinliquid verdampft wird, was ja nicht immer der Fall ist, dann besitzt Nikotin natürlich ein hohes Abhängigkeitspotential. Nikotin ist allerdings nicht die Ursache für Frühsterblichkeit, sondern der Verbrennungsprozess des Tabaks.

Aber ähnlich den Verbrennungszigaretten können Menschen auch abhängig sein von Ritualen! Jede Abhängigkeit ist natürlich immer eine hohe Einschränkung und Bindung für Menschen.


Medscape : Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält E-Zigaretten für noch schädlicher als Tabak-Zigaretten. Unter anderem, weil die Chemie-Cocktails der Liquids in den E-Zigaretten Diacetyl enthalten, einen Stoff, der die Lunge angreift. Wie kann man da E-Zigaretten empfehlen?

Stöver: Gegen diese WHO-Position gibt es massiven Widerstand! Es gibt zum Beispiel ein Papier, das 100 Wissenschaftler unterschrieben haben, in dem sie die WHO auffordern, die Entwicklungen der letzten Jahre einzubeziehen in ihre Empfehlungen.

Und dann muss man inzwischen sagen, dass die E-Zigarette zur Rauchentwöhnung so viel beigetragen hat wie bisher kein anderes Mittel. Dazu gibt es mittlerweile eine Reihe von Studien. Andere Mittel fallen dagegen sehr ab, Nikotinkaugummis etwa oder Pflaster und Sprays. Nikotinpflaster gelten als unsexy, für sie gehen nur wenige Raucher zum Arzt, um sie sich verschreiben zu lassen ? wie es ab dem kommenden Jahr bei uns möglich sein wird.

Medscape : Dürfte die Verbreitung der E-Zigarette die Verwendung von Cannabis-Verdampfern erleichtern?

Stöver: Ich denke schon, dass sich Vaporizer als weniger gesundheitsabträgliche Konsumform bei beiden Substanzen stärker durchsetzen werden.

Medscape : Wird Cannabis je sein Schmuddel-Image loswerden?

Stöver: Auf jeden Fall ist Cannabis in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist schon längst dabei, sein Schmuddel-Image abzulegen. Ich erwarte, dass dieser Effekt durch die Legalisierung noch verstärkt wird.

Die Leute werden sich mehr trauen, bei Problemen auch Beratungsstellen, Ärzte und Psychiater aufzusuchen. Wenn die Ausgrenzung der Konsumenten erst vorbei ist, kann man offen über den Drogenkonsum sprechen und damit leichter aussteigen.

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