Samstag, 5. August 2006
Projektionsfläche Israel
Welche Reaktionen der aktuelle Libanon-Krieg einerseits bei Neonazis und andererseits bei Hardcore-Antideutschen auslöst, ist klar, eine Sache mechanischer Reflexe und braucht nicht weiter diskutiert zu werden. Die Verhaltensweisen Anderer zeigen aber schon, wie komplexbeladen die Materie auch anderweitig ist, und wie irrational gewisse kognitive Dissonanzen. Als ich kürzlich meinem Vater gegenüber sagte, wie entsetzlich ich es finde, dass jetzt harmlose Landarbeiter Opfer eines Luftangriffs wurden, kam von ihm: "Na und? Im Zweiten Weltkrieg haben britische Jagdpiloten aus Sport Jagd auf Erntehelfer gemacht, das gehört dazu, wenn Krieg ist, wer sich gegen Israel stellt, muss genauso viel Bomben abbekommen, wie wir damals, anders geht es nicht."
Da begeistert sich also der alte Hauptsturmführer mal wieder für die israelischen Militärschläge. Es ist ein Phänomen, dass die Mehrzahl der WWII-Teilnehmer auf Nazi-Seite, die ich noch erlebt habe, seit dem 6-Tage-Krieg begeisterte Fans der Zahal sind, während die Mehrzahl der 68er, bis dahin überwiegend der Meinung, Kibbuzim und chinesische Volkskommunen seien irgendwie das Gleiche und auf jeden Fall gut, seit dem gleichen Zeitpunkt einen reflexhaften Antizionismus vertreten.

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Fürwahr, fürwahr,
das wäre ein klassisches Feld der Ideologiekritik, kommt dazu ne Fortsetzung? Oder sollte man dazu mal nen Hauptthema zu aufmachen?
grüße

mule

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Je nachdem, was da noch für Kommentare kommen, möchte ich das ganz gerne aus der laufenden Diskussion im Thread entwickeln.

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Projektsionsfläche
Der Begriff der Projektionsfläche scheint mir treffend gewählt, da er über ein gerüttelt Maß an Erklärungskraft verfügt.

Immer nämlich, wenn es um das Palestinenser-Thema geht, sind der Altnazigruppen derer zweie: 1. die Apologeten; 2. die Identifikatoren.

Die Apologeten erklären: 'Guck dir an, was die Juden mit den Arabern machen, aber uns hängen sie die KZ an'. Gerne wird dann noch erläutert, was "die Amerikaner" mit "den Negern und den Indianern gemacht haben".
Die Gruppe der Apologeten ist geprägt von der Psychologie der Kriegsverlierer, denn sie sind die, die den Krieg verloren haben. Sie hätten gerne, wenn es denn schon sein mußte, den Krieg gegen arische Hünen verloren. Stattdessen kamen panzerfahrende US-Nigger, und das war der Horror per se. Da rollt so eine schwarze Grinsefresse triumphierend in die Stadt, und die SS ist nicht da, wenn man sie braucht.

Mehr noch als der Apologet ist indes der Identifikator eine problematische Erscheinung dieser Zeit. Seine windelweiche Anlehnung an die je stärksten Bataillone läßt ihn vom Glauben abfallen, sobald die Bataillone als die stärksten nicht sich erweisen.

Der Identifikator ist der fungible Schmierlappen der Macht. Wir finden ihn etwa im Typus des "Antideutschen", der, bevor er "Antideutscher" wurde, Maoist war. Des Maoisten Religion war die Überzeugung, auf der Siegerseite der Geschichte zu stehen. Analog zu allen K-Gruppen und den Freunden der Sowjetunion wollte der Maoist nicht länger Maoist sein, als ihm klar wurde, daß die Arbeiterklasse im Weltmaßstab doch nicht siegt.
Auf Identifikatoren ist kein Verlaß. Sie gehen von der Fahne, wenn das Objekt der Identifikation an Attraktivität verliert.

Hitlers Staat war geprägt durch zwei Stärken: die militärische und die soziale, beides beruhend auf der Beraubung der Juden, die man folgerichtig umbringen mußte, denn sonst hätten sie vor den Amtsgerichten geklagt.

Jene Doppelkomponente aus Militär und Sozialsystem potenziert die Identifikation. Die Enttäuschung auf Identifikatorenseite fällt entsprechend aus: keine Hakenkreuzfahnen von Norwegen bis Biarritz.

Das führt zur Umorientierung des Identifikators, der darin sich treu bleibt: in der Suche des neuen Objekts der Identifikation. Unter einem prospektiven Sieger der Geschichte tut er's nicht. Das Imperium Americanum bietet sich an; die kawahmossadische Macht ebenso.

Aber er zweifelt schon. Die Nachrichten sind nicht gut. Wenn er auf das Schwenken der Hisbollah-Fahne umswitcht, werden wir uns nicht wundern.

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Was die Hizbollah angeht:Eine Bekannte von mir war gerade auf einer Antikriegsdemo und berichtete entsetzt, dass dort Leute mit Postern von Ayatollah Khomeini aufgetaucht sind.

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Die größten Fehler der Antideutschen
Wen ich das hier lese, wird sichtbar, mit was für Übertragungen, Verkürzungen und Vereinfachungen Antideutsche so arbeiten (Jungle World):

"Weil offene Hetze gegen Juden nach dem Holocaust diskreditiert ist, projizieren die Antizionisten ihre Ressentiments nicht mehr unmittelbar auf die Juden selbst, sondern auf deren Staat. Israel wird zum »Juden unter den Staaten« gemacht. In der Praxis verschwimmt die Differenz zwischen »Jude« und »Zionist«, die Antizionisten in der Theorie noch vornehmen mögen. Jeder Jude ist in ihren Augen Zionist, solange er nicht als antizionistischer Agitator durch die Welt läuft.

So beteiligten sich deutsche Linksradikale bei der Flugzeugentführung von Entebbe im Jahr 1976 auch daran, die jüdischen Passagiere von nicht jüdischen zu selektieren und zu Kombattanten zu erklären, während sie gleichzeitig jeden Vorwurf des Antisemitismus weit von sich weisen würden.

Mögen sich linke Antiimperialisten nicht einmal bewusst sein, dass ihre »Israelkritik« einen letztlich antisemitischen Charakter hat, wissen die Neonazis das sehr wohl. Ihnen dient Israel als Chiffre: Die Adressaten wissen, um wen es eigentlich geht, wenn die NPD gegen Israel hetzt, gleichzeitig lässt sich eine Anklage gegen Volksverhetzung umgehen, wenn man das Wort »Jude« nicht in den Mund nimmt"

Hier wird deutlich, was Antiimperialisten eben nicht sind: Antisemiten. Was hier über Neonazis geschrieben wird, ist hundertprozentig richtig, aber das sind ja auch richtige Antisemiten, die "Israel" zum Vorwand nehmen, wenn sie "Chr de Jodn, chr de Jodn" meinen. Antisemitismus beinhaltet das Vertreten einer Rassentheorie, in der Juden als biologisches Kollektiv mit genetisch bedingten Charaktereigenschaften verstanden werden. Die Revolutionären Zellen sahen sich bei der Flugzeugentführung in Entebbe aber als Kombattanten im Krieg gegen den Staat Israel, sie verstanden im Sinne der Focus-Theorie diesen Kampf als Teil eines militärischen Kampfes gegen den Weltimperialismus - nicht im Sinne einer Verschwörungstheorie mit der bekannten Wallstreet=Judentum-Paranoia, sondern als Extrapolation der Befreiungskämpfe der 60er Jahre: Vietnam, Nordirland, Angola, Mozambique, Guerrilleros in Südamerika und Kongo, Palästina, Iran - ein Kampf, Ziel Weltrevolution nach der Niederlage der imperialistischen Metropolenmächte in den Staaten der Peripherie. Das so zu sehen, ist zwar von Verblendung geprägt (die seitens der US-Führung mit der Domino-Theorie übrigens äquivalent vorhanden war), aber qualitativ etwas Anderes als eine Rassentheorie.


Dass die israelischen Geiseln von Entebbe, die teilweise die Shoa erlebt hatten, ihre Trennung von den übrigen Passagieren als zweite Selektion an der Lagerrampe erlebten, war ihren deutschen Entführern nicht bewusst, und bis dahin waren palästinensische Flugzeuentführungen, siehe Leila Khalid, ohne Opfer bei den Geiseln abgegangen. Mit dem heutigen islamistischen Terror war das alles ja überhaupt nicht vergleichbar. Doch die Tatsache, wie die Entführungsopfer reagierten, und der Verlust der eigenen GenossInnen ließ die RZ vor sich selbst erschrecken und brachte sie dazu, von Geiselnahmen und Entführungen Abstand zu nehmen und sich künftig auf Sprengstoffanschläge gegen Sachen ohne Gefährdung von Personen zu beschränken. Diese Fähigkeit, vor sich selber zu erschrecken, unterscheidet die RZ nebenbei gesagt wesentlich von den Islamisten, den Neonazis, aber auch von der RAF. Man kann die Focus-Theorie als Unsinn bezeichnen, die Vorstellung, Klassenkampf nicht in Form sozialer Emanzipationsprozesse, sondern als quasi militärischen Kampf zu begreifen, als versprengten Aktionismus, als unmenschlich, als terroristische Verirrung, aber es hat nichts mit einer projektiven Rassentheorie zu tun.


Die paranoiden Juden-Weltverschwörungstheorien im arabisch-islamischen Raum wären dann auch noch einmal besonders zu bewerten. Die Zusammenarbeit der Nazis mit dem Großmufti von Jerusalem oder die Aufstellung muslimischer SS-Einheiten in Yugoslawien (Division Skanderbeg) ist eine Sache, die gewundenen ideologischen Floskeln der marxistisch-leninistischen PFLP mit dem angeblich fehlenden Heimatrecht der Juden in Palästina wieder eine andere, die Nähe ariophiler iranischer oder afghanischer Antisemiten zur NS-Rassenideologie ein eigenes Kapitel.
Nur kann man eben dies nicht alles in einen Topf werfen. Aus israelischer Perspektive sind das zwar alles Bedrohungen (sich ihrer zu erwehren, ist zunächst mal eine Frage des Sicherheitsdenkens und nicht einer Ideologie), aber damit, diese alle unter "Antisemitismus" zu fassen und gleichzusetzen, begründet man erst eine Verschwörungstheorie. Wieder mal eine, als ob es in der Angelegenheit nicht viel zu viel davon gäbe.

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Allerdings,
ein Dokument des Grauens ... Aber großes Lob an den noergler, selten hat das mal jemand so gut auf den Punkt gebracht. Wir erlauben uns, demnächst auf diese Diskussion hinzuweisen ....
grüße

mule

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Die Altmeister zum antisemitischen Ticket
Ich hab´s an anderer Stelle schon gepostet, passt abr wirklich gut rein:

"Daß, der Tendenz nach, Antisemitismus nur noch als Posten im auswechselbaren Ticket vorkommt, begründet unwiderleglich die Hoffnung auf sein Ende. Die Juden werden zu einer Zeit ermordet, da die Führer die antisemitische Planke so leicht ersetzen könnten, wie die Gefolgschaften von einer Stätte der durchrationalisierten Produktion in eine andere überzuführen sind. Die Basis der Entwicklung, die zum Ticketdenken führt, ist ohnehin die universale Reduktion aller spezifischen Energie auf die eine, gleiche, abstrakte Arbeitsform vom Schlachtfeld bis zum Studio. Der Übergang von solchen Bedingungen zum menschlicheren Zustand aber kann nicht geschehen, weil dem Guten dasselbe wie dem Bösen widerfährt. Die Freiheit auf dem progressiven Ticket ist den machtpolitischen Strukturen, auf welche die progressiven Entscheidungen notwendig hinauslaufen, so äußerlich wie die Judenfeindschaft dem chemischen Trust. Zwar werden die psychologisch Humaneren von jenem angezogen, doch verwandelt der sich ausbreitende Verlust der Erfahrung auch die Anhänger des progressiven Tickets am Ende in Feinde der Differenz. Nicht erst das antisemitische Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität überhaupt. Jene Wut auf die Differenz, die ihr teleologisch innewohnt, steht als Ressentiment der beherrschten Subjekte der Naturbeherrschung auf dem Sprung gegen die natürliche Minderheit, auch wo sie fürs erste die soziale bedrohen. Die gesellschaftlich verantwortliche Elite ist ohnehin weit schwieriger zu fixieren als andere Minderheiten. Im Nebel der Verhältnisse von Eigentum, Besitz, Verfügung und Management entzieht sie sich mit Erfolg der theoretischen Bestimmung. An der Ideologie der Rasse und der Wirklichkeit der Klasse erscheint gleichermaßen bloß noch die abstrakte Differenz gegen die Majorität." Horkdorno, Dialektik der Aufklärung.Elemente des Antisemitismus

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