Mittwoch, 5. August 2020
COVID-19: Menschen mit Behinderungen legen Verfassungsbeschwerde wegen Triage-Empfehlungen ein – und fordern gesetzliche Regeln
Christian Beneker, Medscape



COVID-19-Pandemie und nicht ausreichend Ressourcen – dies war die Angst im März/April. Wer soll dann noch behandelt werden und wer nicht? Eine Gruppe von 9 Menschen mit Behinderungen hat nun Verfassungsbeschwerde wegen gesetzgeberischen Unterlassens eingelegt. Denn der Gesetzgeber hätte angesichts der möglichen Versorgungskrisen auf deutschen Intensivstationen das Verfahren im Falle von Versorgungsengpässen gesetzlich regeln müssen, so der Vorwurf.

„Wir werfen dem Gesetzgeber vor, dass er untätig blieb angesichts einer nicht auszuschließenden Situation, in der die medizinischen Ressourcen nicht ausreichen könnten“, sagt der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein, der die Beschwerdeführer vertritt, zu Medscape.

Wir werfen dem Gesetzgeber vor, dass er untätig blieb angesichts einer nicht auszuschließenden Situation, in der die medizinischen Ressourcen nicht ausreichen könnten. Dr. Oliver Tolmein
Hintergrund dieser Beschwerde sind die Entscheidungen, die Ärzte in Italien oder Spanien während der ersten Corona-Welle darüber treffen mussten, welche Patienten noch beatmet werden konnten und welche nicht. Die Ärzte waren gezwungen zu rationieren und dabei nach irgendwelchen Kriterien zu entscheiden – nach der Reihenfolge des Eintreffens der Patienten nach dem Motto ‚first come, first serve‘ oder nach Komorbiditäten, der Überlebenswahrscheinlichkeit oder einfach nach ihrem Alter, so der Medizinethiker Prof. Dr. Georg Marckmann von der Universität München zu Medscape.

Wer wird noch beatmet und wer nicht?
Um ähnlich ungeregelte Entscheidungen auf deutschen Intensivstationen zu vermeiden und den Ärzten mehr Sicherheit zu geben, hatte sich die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) der Sache angenommen (wie Medscape berichtete). Marckmann hat an dem Text mitgearbeitet.

Die DIVI und 7 weitere Fachgesellschaften hatten bereits im Frühjahr Triage-Kriterien zur Behandlung von Corona-Patienten aufgestellt. „Wir wollten die Kolleginnen und Kollegen auf den Intensivstationen mit der schweren Situation nicht allein lassen“, so Marckmann zu Medscape. Denn am Schluss sind sie es, die entscheiden müssen: Welche Patienten werden im Zweifel noch intensivmedizinisch behandelt werden und welche palliativmedizinisch, wenn die Betten knapp werden.

Das Papier, das die Verbände vorlegelegt hatten, hat nun aber die 9 Menschen mit Behinderungen, den Anwalt Tolmein sowie als Unterstützung die Behindertenrechts-Organisation AbilityWatch auf den Plan gerufen.

Man dürfe es nicht den Fachgesellschaften überlassen, nach welchen Kriterien auf Intensivstationen im Zweifel über Leben und Tod entschieden werde, so Tolmein. „Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung, und da muss der Gesetzgeber ran.“

Auch Kritik an Triage-Kriterien
Tolmein kritisiert aber nicht nur die Untätigkeit des Gesetzgebers, sondern auch die Triage-Kriterien des DIVI-Papiers. Denn darin wird die „klinische Erfolgsaussicht einer Intensivtherapie zum aktuellen Zeitpunkt“ als das wesentliche Kriterium einer Priorisierung festgelegt. Da als Kriterien für geringere Erfolgsaussichten neben Komorbiditäten auch „Gebrechlichkeit“ benannt werden, zu denen auch Behinderungen zählen, würde die Richtlinie zu einer mittelbaren Benachteiligung von Menschen mit entsprechenden Behinderungen führen, so Tolmein.


Der Behandlungsanspruch von Menschen mit Behinderungen ist in genau dem gleichen Maße zu berücksichtigen und zu gewähren, wie das bei Menschen ohne Behinderung der Fall ist. Dr. Oliver Tolmein
Rechtlich sei maßgebend, „dass der Behandlungsanspruch von Menschen mit Behinderungen in genau dem gleichen Maße zu berücksichtigen und zu gewähren ist, wie das bei Menschen ohne Behinderung der Fall ist“, schreibt Tolmein. Eben dieses Kriterium werde in der DIVI-Richtlinie nicht eingelöst.

Triage auf der Intensivstation – werden Behinderten benachteiligt?
Anders sieht dies Prof. Dr. Gunnar Duttge vom Zentrum für Medizinrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und Mitautor der DIVI-Leitlinie: „Menschen mit Behinderung haben einen verfassungsmäßigen Anspruch, wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligt zu werden“, betont er laut einer Pressemeldung der DIVI. „Menschen mit Behinderungen haben aber keinen Anspruch, von Limitationen verschont zu bleiben, die für alle gleichermaßen gelten. Es soll ja eine Gleichbehandlung aller erzielt werden.“

Menschen mit Behinderungen haben aber keinen Anspruch, von Limitationen verschont zu bleiben, die für alle gleichermaßen gelten. Prof. Dr. Gunnar Duttge
Die entscheidende Frage bei einer Triage sei, welcher Patient jetzt und hier eher überleben würde, so Prof. Dr. Uwe Janssens, Präsident der DIVI. Die Orientierung an der prognostizierten Überlebenswahrscheinlichkeit stelle sicher, „dass für den Fall, dass wegen fehlender Ressourcen wirklich nicht mehr alle Menschen behandelt werden können, zuerst diejenigen nicht weiter behandelt werden, die trotz bester intensivmedizinischer Therapie mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sterben würden.“ Diese Patienten würden dann palliativmedizinisch versorgt.

Auch DIVI fordert gesetzliche Grundentscheidung
Die Kritik Tolmeins am Gesetzgeber indessen teilt auch die DIVI. „Die bestehende Rechtsunsicherheit, welche Kriterien im Fall einer Pandemie bei der Verteilung knapper medizinischer Ressourcen maßgeblich sein sollen, ist für die Ärzteschaft eine unzumutbare Belastung“, so Leitlinien-Mitautor Prof. Dr. Jochen Taupitz. Er ist Ordinarius für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Mannheim und Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. „Die Forderung nach einer gesetzlichen Grundentscheidung ist nachdrücklich zu unterstützen“, so Taupitz.

Die Forderung nach einer gesetzlichen Grundentscheidung ist nachdrücklich zu unterstützen. Prof. Dr. Jochen Taupitz
Daran scheint aber der Gesetzgeber derzeit kein Interesse zu haben. Bereits im April hat die Behindertenpolitikerin der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, Corinna Rüffer, eine gesetzliche Regelung gefordert und eine entsprechende schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gestellt.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf zu diesen medizinethischen Fragen besteht nicht. Dr. Thomas Gebhart
Die Antwort des parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Thomas Gebhart fiel eindeutig aus: Die medizinischen Kriterien der DIVI könnten Orientierungshilfe bieten. „Gesetzgeberischer Handlungsbedarf zu diesen medizinethischen Fragen besteht nicht.

... link (8 Kommentare)   ... comment


Freut Euch nicht zu früh!
Harvard, MIT, Johns Hopkins University, Princeton, Cornell, Yale, Berkeley, das ist das Amerika mit dem unsereins in der Kontaktzone steht. Es ist dies nicht das Amerikas der Rednecks und des Bible Belt.

https://www.tagesspiegel.de/politik/unsinn-ist-die-groesste-waffe-des-us-praesidenten-donald-trump-wird-abgewaehlt-freut-euch-nicht-zu-frueh/26056280.html

... link (2 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 26. Juli 2020
Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit
Und das kann man auch schon von viel kleineren Konflikten sagen, etwa Korruptionsaffären oder was sich rund um Haue-Demos so ereignet. Davon habe ich sehr viel zu erzählen, und weil das sonst in einem anderen Thread untergegangen wäre hier also als separater Beitrag.

Was manipulative oder verfälschende Berichterstattung in Deutschland angeht habe ich davon als einerseits linker Aktivist über den berichtet wurde, zeitweise sebst Angehöriger der Guerrilla diffusa und anderseits selber über lange Jahre hinweg Journalist viel erlebt, aber mit einem anderen Spin als die Verschwörungsblogger. Ich kenne vor allem als Bewegungslinker die krassen Unterschiede zwischen der Berichterstattung über Demos und Riots und dem, was wirklich abgeht.


Ich weiß noch, wie in Wackersdorf die Bullenwannen so platziert wurden dass sie umgestoßen werden mussten, nachdem die Menschenmassen mit Hubschraubern und Wasserwerfern direkt darauf zu getrieben wurden. So intensiv, dass die Rinde der Bäume von den mit CS-Gas getränkten Hochdruckstößen aus den Wasserwerfern runterlief und die Puma-Helikopter Tränengaspetarden wie Bomben in die Menge warfen. Wobei auch jemand getötet wurde. If I had a rocker launcher....


Diejenigen von uns, die von den Bullen festgenommen wurden, wurden mit Kabelbindern an Händen und Füßen gefesselt stundenlang in einer LKW Garage ohne Trinkwasser am Boden liegengelassen, was nicht nur gegen die Dienstvorschriften, sondern auch gegen die Genfer Konvention verstieß. Wir hatten eine Liste dabei mit den Adressen von Krankenhäusern die Amtshilfe und jenen, die keine Amtshilfe leisteten und die Telefonnummer des Ermittlungsauschusses auf den Unterarm gestempelt. Als wir zu unseren Autos zurückkamen waren die alle platt, die Bullen hatten die Ventile mitgenommen, aber wir hatten natürlich Ersatzventile dabei und auch einen Kompressor. Es gab in dieser Zeit eigene Kommunikationsteams, Handys gab es ja noch nicht, und die Leute die ein Funktelefon hatten (das war damals so groß wie ein Ghettoblaster) bildeten ein Sonderkommando.

Mein damals bester Freund und ich wurden 1989 nach einer nächtlich-vermummten Aktion von der Göttinger Polizei abgegriffen, und am nächsten Morgen erschien im Göttinger Tageblatt ein Artikel, in dem der Tatverdacht der Bullen als fester Tatbestand verkündet wurde und Informationen über mich, die sie aus einem illegal abgehörten Telefongespräch hatten veröffentlicht wurden. Das kam nicht vom Pressesprecher der Polizei, sondern von einem Polizeihauptmeister des Zivilen Streifenkommandos, der auf eigene Faust bei der Redaktion angerufen hatte.

Beim Tod meiner Genossin Conny konnten die Daten der mutmaßlichen Mörderbullen nicht ermittelt werden, weil die Staatsanwaltschaft in erster Linie hinter den Daten meiner GenossInnen her war und nicht bereit war, gegen Polizeibeamte wegen eines Tötungsdeliktes zu ermitteln, wenn sie nicht gleichzeitig gegen Linke wegen Landfriedensbruch ermitteln konnte.

https://che2001.blogger.de/stories/2705581/

https://che2001.blogger.de/STORIES/2452934/

Als ich beim NDR arbeitete hatte eine Redakteurin eine Fernsehreportage produziert, in der es um Alltagsrassismus ging. Eine Studentin syrischer Herkunft war beim Einkauf in einem Plattenladen rassistisch und sexistisch beleidigt worden (Formulierung: "Du arabische Knoblauchfresse solltest mir erstmal einen blasen"). Die sonstigen Kunden, "Leute, die bei jeder Demo mitlaufen", wie sie meinte, reagierten überhaupt nicht. Die Redakteurin formulierte dazu "hinter vorgehaltener deutscher Hand scheint eine schweigende Mehrheit damit einverstanden zu sein". Wegen dieser Formulierung durfte sie das nicht senden, die Funkhauschefin, Lea Rosh, hielt das für eine Entgleisung. Und implizit hatte sie für sich das Recht, über Rassismus zu berichten gepachtet.

Dann gab es einen Kuhhandel: Als Lea Rosh im Urlaub war und das einzige CDU-Mitglied in der Redaktion Chef vom Dienst war wurde der Beitrag gesendet um den Preis, dass ein Urlaubsvideo, das ihn beim Bergwandern mit Heiner Geißler zeigte auch gesendet wurde. Bei der anschließenden Redaktionskonferenz war die bettreffende Redakteurin krankgemeldet, tatsächlich verhandelte sie gerade mit Bednarz über ihre mögliche Einstellung bei Monitor.

Ich selbst hatte für den SPIEGEL eine Korruptionsaffäre um Flüchtlingswohnheime enthüllt, davon blieb noch viel unveröffentlichtes Material übrig, und das veröffentlichte dann ein aalglatter und opportunistischer Volontär in einer weiteren Reportage unter seinem Namen, obwohl es keine SPIEGEL-Recherche, sondern meine Recherche war. Der Mann ist heute Chefredakteur eines führenden deutschen Wissenschaftsmagazins, denen, die meine Emailadresse haben nenne ich gerne seinen Namen.


Das alles sind Erfahrungen, die ich mit Medien im Kapitalismus gemacht habe, für die die Nachricht eine Ware ist, die marketingmäßig beworben und verkauft wird. Das hat aber nichts mit der Vorstellung einer systematisch fälschenden "Lügenpresse" zu tun die es nicht gibt.

Zum Thema Russland ist zu sagen, dass EU und NATO sich da klassisch imperialistisch verhalten und Russland einerseits ausgrenzen und andererseits militärisch einkreisen. Die deutsche Wiedervereinigung erfolgte unter der Prämisse, dass es keine NATO-Osterweiterung geben würde, Ostgrenze der NATO sollte die alte BRD-DDR-Grenze sein, die Bundeswehr in den neuen Bundesländern wurde als Territorialheer zur Landesverteidigung gegründet. Nach der Rede Putins im Bundestag hätte es eine sinnvolle Zusammenarbeit geben können, hätte es vor 2014 eine Zollunion EU-Russland gegeben (die es mit der Türkei gibt), hätte es höchstwahrscheinlich keine russische Intervention zugunsten russoukrainischer Separatisten gegeben.


Zum Thema Nahost kann noch gesagt werden, dass zwei Jahrzehnte lang praktisch alle Informationen in Deutschland von Peter Scholl-Retour, Konzelmann, Ahmad Ataya, Uli Tilgner und Lissy Schmidt kamen, nachdem die 1993 im Nordirak von einem "Taher" ermordet wurde wagten sich meine GenossInnen (ich selbst reiste nicht dorthin) nur noch mit einem Jeep mit 12, 7 mm MG auf Schwenklafette in die Gegend. Verglichen mit damals ist die Berichterstattung heutzutage geradezu plural.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 16. Juli 2020
Deniz Yücel verurteilt - Bald sind in der Türkei alle meinungsfrei
Nur mal so zur Erinnerung, was kritischer Journalismus und wo der gerade nicht zuhause ist:

... link (10 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 15. Juli 2020
Plustot tard que jamais
https://www.youtube.com/watch?v=PkXnFU32Zcs

https://www.youtube.com/watch?v=ueA-q4zMEMg

https://www.youtube.com/watch?v=bzu01gO3pi4

https://www.youtube.com/watch?v=kEZhCB8KdWw

... link (4 Kommentare)   ... comment


Montag, 6. Juli 2020
Weltmacht in Trümmern
https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-weltmacht-trump-niedergang-corona-wirtschaft-1.4955995?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

... link (1 Kommentar)   ... comment


Dienstag, 16. Juni 2020
Wird Tulsa Trumps Waterloo?
https://www.gmx.net/magazine/politik/us-praesident-donald-trump/massenkundgebung-trotz-coronakrise-trump-versucht-befreiungsschlag-34806160


Eine solche Kundgebung in einer Hochburg des schwarzen Widerstands, die ursprünglich am Jahrestag der Sklavenbefreiung hatte stattfinden sollen und in letzter Sekunde verschoben wurde. Bin gespannt, ob da wieder auf den Bolzen gehauen wird.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 13. Juni 2020
Einbeck
In Einbeck, einem idyllischen Fachwerkstädtchen bei Göttingen, das zu den rechten Hochburgen Deutschlands gehört, haben zwei Neonazis einen Brandanschlag auf das Haus einer Antifaschistin verübt. Die Art der Durchführung deutet darauf hin, dass sie schlau wie Kruppstahl sind: Sie steckten eine Rohrbombe in den Briefkasten, bei der vorzeitigen Detonation verletzte diese einen der Nazis an der Hand, auf der Flucht zog er eine Blutspur hinter sich her, und so fiel es der Polizei leicht, sie einzusammeln. So besorgniserrregend ich also den Vorfall an sich finde, der Ablauf lässt doch eine stammheimliche Freude aufkommen.

... link (1 Kommentar)   ... comment


Mittwoch, 10. Juni 2020
Zur Friedlichkeit der Welt
https://www.gmx.net/magazine/panorama/studie-welt-friedlich-2018-34780814

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 19. Mai 2020
BND-Abhörpraxis ist rechtswidrig
https://www.gmx.net/magazine/politik/bundesverfassungsgericht-klage-bnd-befugnisse-34715624

... link (0 Kommentare)   ... comment