Mittwoch, 13. August 2008
Krieg im Kaukasus - schon wieder oder immer noch?
Als es damals mit dem Jugoslawienkrieg losging, sagten wir ja schon ("wir" meint jetzt den gesamten Personenkreis rund um die Redaktionsgruppen Materialien für einen neuen Antiimperialismus, Wildcat und Wildcat-Zirkular), dass es über kurz oder lang einen militärisch ausgetragenem Konflikt um den "langen Balkan" geben wird, der von Slowenien bis zum Kaspischen Meer reicht (ohne Griechenland und Türkei westlich Kurdistans). Die Konflikte in einer Region, in der die geostrategischen und Rohstoffinteressen des Westens, Russlands, der Türkei und Irans schon immer kollidierten wurden durch Kalten Krieg und die Staatlichkeit Jugoslawiens und der Sowjetunion ausgebremst, aber nicht überwunden. Mal wieder sollten wir leider Recht behalten. Der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidjan um Lernajin Gharabagh (russisch Nagorny Karabach), der um die 40 000 Tote forderte und zur Vertreibung hunderttausender Menschen führte, ist im Westen ebenso vergessen wie die Gräueltaten des georgischen Gamsachurdia-Regimes. Dabei hätte es ohne Unruhen im Kaukasus möglicherweise nicht einmal eine deutsche Wiedervereinigung gegeben: Gorbatschow stimmte dieser unter anderem deswegen so rasch zu, weil die Westgruppe der Sowjetarmee anderswo benötigt wurde, nämlich als ultima ratio gegen die Separationsbestrebungen Georgiens, Aserbaidjans, Armeniens und auch der baltischen Republiken.

Beim aktuellen Konflikt wird wieder einmal deutlich, wie sehr hier Ethnisierung des Sozialen betrieben wird. Das aktuelle georgische Regime ist nämlich ein im höchsten Maße rassistisches. Der soziale Frieden wird aufrechterhalten durch Verteilung von Jobs nach ethnischer Zugehörigkeit, d.h. georgische Arbeit für Georgier. Wie mir beispielsweise ein Angehöriger der russischen Minderheit in Georgien, der als Asylbewerber nach Deutschland kam berichtete (deckt sich auch mit anderen Quellen), seien seit dem Amtsantritt Sakaschwilis die meisten Russen, Osseten, Abchasen usw. aus ihren Jobs gefeuert worden, um dafür Georgier einzustellen. Die arbeitslosen Nicht-Georgier hätten kaum eine Perspektive, je wieder eine Stelle zu bekommen. So ist der aggressive georgische Nationalismus, der den Südosseten ihre Unabhängigkeit verweigern will zugleich eine Angelegenheit, von der die georgische Mehrheitsbevölkerung unmittelbar profitiert. Bislang meinte die Regierung Sakaschwili offensichtlich, sich im Bündnis mit der EU und den USA diesen Chauvinismus leisten zu können, zumal man mit Ölhäfen wie Batumi für den Westen wichtig ist. Das Eingreifen russischer Truppen zeigt jedoch, dass jetzt eine Grenze deutlich überschritten ist. Zwar hat sich Russland bis vor kurzem nicht einen Deut für die Rechte der in Georgien unterdrückten russischen und ossetischen Minderheiten interessiert und russischen MigrantInnen aus Georgien die Einreise nach Russland verweigert. Es dürfte eher das Unbehagen einer allmählichen Umzingelung durch die NATO den Ausschlag zur Intervention gegeben haben. Für Russland stellt ein NATO-Mitglied Georgien einen Alptraum dar, vergleichbar vielleicht mit der Bedeutung russischer Atomraketen auf Kuba für die USA.



Nachtrag: Der Bikepunk hat mehrere Beiträge zur Thematik zusammengefasst. Dank dafür!

http://bkpnk089.blogsport.de/2008/08/13/blogschau-zum-kaukasus

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Das gibts andere Lesarten.
Ein Kollege von mir ist mit einer Georgierin verheiratet und war letztens dort. Seine georgische Schwiegermutter ist für eine Hinwendung zu Rußland, weil die Georgier sowieso nach der langen Phase des russischen Imperialismus mit den Russen vermischt sind. Ich vermute die Haltungen "der Georgier", "der Osseten", "der Abchasen", "der Russen" sind alles andere als monolytisch.
Mit dieser Minderheit am Meer (Abchasien oder so) gabs letztens eine Art Einigung, welche die Spannungen aufgelöst hat.

Arbeite seit Jahren mit einer Menge von Rußland-Deutschen zusammen. Und die kommen ja oft aus der Peripherie des ehemaligen Sowjet-Imperiums. In der ersten Phase gabs überall einen extremen nationalen Überschwang, in dem alles russische radikal abgelehnt wurde. Hat sich aber offenbar überall deutlich in Richtung mehr Toleranz eingepegelt. Vermutlich merken die mit der Zeit, dass sie die Kasastan-Russen, Georgien-Russen, etc. einfach brauchen. Gibts eigentlich irgendwelche Bücher über diese internen Transitions-Prozesse in den ehemaligen Sowjet-Republiken? Also eine wirkliche Schilderung der inneren sozialen Prozesse. Mir ist da nichts bekannt. Nach allem was ich so hörte ist das kein einseitiger Prozess, in dem Russen permanent rausgedrängt werden. Sondern viel komplexer. Der neue Anti-Imperialismus könnte hier ein bischen nachbohren. Sonst argumentierst du nämlich am Ende auf rein geostrategischer Ebene. Die sozialen Prozesse sind aber meist deutlich komplexer und konterkarieren in ihrer Dynamik oft diese einfachen geostrategischen Setting.

Ich denke Rußland versucht jetzt, ein wenig stärker als Regionalmacht zu agieren. Wirtschaftlich macht das übrigens für Georgien vielleicht sogar Sinn, weil ein recht schnell wachsendes Rußland einen besseren Markt für die georgische Landwirtschaft abgibt als die EU. Und gerade in diesem Ossetien gibts nur Landwirtschaft. Allerdings macht dieser massive Kriegseinsatz die Russen auch nicht beliebter und eine rein militärische Besetzungen gegen den Willen der Bevölkerung ist äußerst problematisch.

Die USA scheint da (mal wieder) irgendwelche halbherzigen und ambivalenten Signale ausgestrahlt zu haben. Der Schuß scheint nun nach hinten los gegangen zu sein. Man sollte die Effizienz der US-Außenpolitik nicht überschätzen. Die machen Fehler.

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