Sonntag, 11. April 2010
Bloggerin des Monats
ist Netbitch.
Erstens für diese Worte hier:


"Dass der Marxismus und die Lehre von Marx selber zwei verschiedene Paar Schuhe sind wurde hier schon öfter erwähnt. Schon zu Lebzeiten des Philosophen, erst recht nach seinem Tod bildeten sich rasch zwei unterschiedliche marxistisch inspirierte Richtungen. Einmal der von Marx selber verspottete Arbeiterbewegungsmarxismus, der die komplexen volkswirtschaftlichen und philosophischen Überlegungen des Kalle zu einem klappernden Mechanismus dialektischer Zwangsläufigkeiten vereinfachte und Marxsche Erkenntnisse sich je nach Situation zu tagespolitischen Zwecken zurechtbog. Und dann zum Anderen etwas später der Kathedersozialismus, eine rein abstrakte volkswirtschaftliche Lehre, die sich von Marx her kommend eher wieder seinem Vorgänger Ricardo annäherte und aus Marx´Diktum “Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert. Es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.” das genaue Gegenteil machte. Lenin brachte beides dann zusammen, erschuf sein Modell der autoritär aufgebauten, wie ein Geheimbund organisierten “Partei neuen Typs” und plante das nachrevolutionäre russische Staatswesen erklärtermaßen nach dem Vorbild der Deutschen Reichspost – während Marx vom allmählichen Absterben des Staates gesprochen hatte und hier den Anarchisten näher war als Lenin. Stalin, vor dem Lenin noch auf dem Totenbett gewarnt hatte, machte dann daraus ein nationales Projekt – Sozialismus in einem Land – etwas, das Marx selber verworfen hatte.

Gäbe frau für das alles also Marx die Schuld oder nähme an, Stalin ließe sich aus einer “Leerstelle” in Marx´ Schriften ableiten, dann ließe sich dieses Modell auch auf andere politische Systeme und andere Philosophien übertragen. Diktaturen, die sich demokratisch legitimieren, aber trotzdem Diktaturen sind wie der Iran, Zimbabwe oder Tunesien oder Halbdemokratien mit Folter und Hyperkorruption wie Mexiko oder die Türkei müssten Anlass zum Nachdenken geben, weil sie sich demokratisch legitimieren. Da muss dann ja an der Demokratie etwas faul sein, und wir sollten anfangen, in der UN-Erklärung der Menschenrechte nachzulesen, wo da die Leerstelle ist und uns zu überlegen, wie es so schnell von Kant zu Atatürk, von Rousseau zu Ahmadinedschad, von Aristoteles zu Mugabe und von George Washington zu Alfredo Stroessner kommen konnte. Übrigens müssten wir auch “zerschlagt England” fordern, denn der Staat legitimiert sich überhaupt nicht demokratisch, sondern über ein Königtum von Gottes Gnaden. Dass es sich um eine Demokratie handelt, stört da nur geringfügig." und dann dafür:


http://netbitch1.twoday.net/stories/6283465

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Was für ein Quatsch!
Was soll dieser "Arbeiterbewegungsmarxismus" bitteschön sein? Einfach mal Heinrichs leere Begriffshülsen abschreiben oder was? Dieses Begriffskonstrukt macht null Sinn, oder muss ich hier noch erklären, wieviele unterschiedliche ProtagonistInnen die Arbeiterbewegung in allen Ländern hervorgebrach hat und wieviele unterschiedliche und interessante Beiträge diese zum Marxismus geleistet haben?

Die "Leninkritik" ist noch dämlicher. Wer Lenin ein bisschen gelesen hat, der weiss, das er die Partei stets als proletarische Massenpartei mit so demokratischen Strukturen wie möglich angesehen hat und nicht als "klandestine Elitepartei". Daran ändert es auch nichts, dass unter den brutalen Verhältnisen der illegalisierung und des zaristischen Terrors diese Vorstellung natürlich stark eingeschränkt werden musste (wahrscheinlich hat die Autorin gerade mal ein paar Sätze aus "Was tun?" gelesen, wenn überhaupt)

Ausserdem hatte Lenin eine ganze Schrift befasst, die sich fast ausschlieslich mit dem Absterben des Staates beschäftigt, gerade in ständigem Bezug auf Marx. (Staat und Revolution)

Entweder das Zeug nachlesen und aufhören, aufgeschnapptes nachzuplappern, oder einfach ruhig sein.

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@rak
was soll dein gegeifere?

widerleg doch einfach das geschriebene, dann gibt's diskussionsstoff oder auch nicht. aber so ein blödes zeug, wie du es hier zum besten gibst, hilt NIEMANDEM.

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"Lenin brachte beides dann zusammen, erschuf sein Modell der autoritär aufgebauten, wie ein Geheimbund organisierten “Partei neuen Typs”

"Unter freien politischen Verhältnisen kann und wird unsere Partei vollständig auf dem Prinzip der Wählbarkeit aufgebaut sein."
Lenin, Resolutionsentwürfe für den 3. Parteitag der SDAPR

"Ich habe auf dem 3. Parteitag den Wunsch ausgesprochen, dass in den Parteikomitees auf etwa 8 Arbeiter zwei Intellektuelle kommen sollen. Wie veraltet ist dieser Wunsch! Jetzt wäre zu wünschen dass in den neuen Parteiorganisationen auf ein Parteimitglied der Intelligenz hundert Arbeiter kommen"
Lenin, Über die Reorganisation der Partei

"Um erfolgreich zu sein, darf sich der Aufstand nicht auf eine Verschwörung, nicht auf eine Parte stützen, er muss sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen"
Lenin, Marxismus und Aufstand

Lenins Partei war dann auch in der Realität in keinster Weise ein "Geheimbund" einiger Intellektueller, sondern die übergrosse Mehrheit der Mitglieder stellten Arbeiter dar. Darüberhinaus gab es innerhalb der Partei eine sehr lebendige Debattenkultur und zahlreiche Streitigkeiten wurden in aller Öffentlichkeit ausgetragen (Wobei Lenins Flügel nicht immer den Sieg davontrug..)

"plante das nachrevolutionäre russische Staatswesen erklärtermaßen nach dem Vorbild der Deutschen Reichspost – während Marx vom allmählichen Absterben des Staates gesprochen hatte und hier den Anarchisten näher war als Lenin."

"Erst in der kommunistischen Gesellschaft, wenn der Widerstand der Kapitalisten schon endgültig gebrochen ist, wenn die Kapitalisten verschwunden sind, wenn es keine Klassen (d.h. keinen Unterschied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln) mehr gibt – erst dann „hört der Staat auf zu bestehen, und es kann von Freiheit die Rede sein“.

(..)

"Der Ausdruck „der Staat stirbt ab“ ist sehr treffend gewählt, denn er deutet sowohl auf das Allmähliche als auch auf das Elementare des Prozesses hin. Nur die Gewöhnung kann und wird zweifellos eine solche Wirkung ausüben, denn wir beobachten rings um uns millionenfach, wie leicht sich Menschen an die Einhaltung der für sie notwendigen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens gewöhnen, wenn die Ausbeutung fehlt, wenn nichts vorhanden ist, was sie empört, sie zu Protest und Auflehnung herausfordert, was die Notwendigkeit der Niederhaltung schafft. Also: In der kapitalistischen Gesellschaft haben wir eine gestutzte, dürftige, falsche Demokratie, eine Demokratie nur für die Reichen, für eine Minderheit. Die Diktatur des Proletariats, die Periode des Übergangs zum Kommunismus, wird zum erstenmal Demokratie für das Volk, für die Mehrheit bringen, aber zugleich wird sie notwendigerweise eine Minderheit, die Ausbeuter, niederhalten. Einzig und allein der Kommunismus ist imstande, eine wahrhaft vollständige Demokratie zu bieten, und je vollständiger diese sein wird, um so schneller wird sie entbehrlich werden, wird sie von selbst absterben."

Lenin, Staat und Revolution

Übrigens wars Engels der vom "Absterben" des Staates gesprochen hat, nicht Marx.

Den Vorwurf des "Arbeitermarxismus" kann ich schlecht wiederlegen, da die Autorin nirgens anführt, was das denn eigentlich sein soll. Genauso wie das Lenin Marx' Devise "Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert. Es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.” ins Gegenteil verkehrt haben sollte. (Ausgerechnet Lenin. Wenn er etwas mit Garantie war, dann Praktiker..)

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Ins Gegenteil verkehrt haben diese Devise die Kathedersozialisten, nicht Lenin. Das geht aus dem Text auch rein semantisch unmissverständlich hervor. Außerdem lieferst Du selbst mit Deinen Zitaten den Beleg, dass die vollständige Demokratie und das Absterben des Staates bei Lenin in eine eschatologische Zukunft verlagert wurden, während Marx und Engels noch unmittelbar in einer möglichst umfassenden Demokratie die Voraussetzung der neuen Gesellschaft sahen und unter Diktatur des Proletariats etwas Anderes verstanden, als das, was aus heutiger Perspektive unter Diktatur verstanden wird. Zu den Errichtern dieser modernen Diktaturen gehörte aber dummerweise Lenin.

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"Lenin brachte beides dann zusammen ("Arbeiterbewegungsmarxismus" und Kathedersozialismus). Das steht genau so im Text..

Jetzt lehnst du dich etwas weit aus dem Fenster, mit der Marx-Lenin Divergenz. Der erste Teil des Leninzitats ist zu einem grossen Teil ein Marxzitat von Lenin. (Wie der ganze Text sehr nahe an Marx Werk angelegt ist, mit sehr häufige zitieren)

Lenin spricht übrigens nich davon, dass die Demokratie erst in Zukunft realisiert werden kann, sondern, dass die "v o l l s t ä n d i g e Demokratie" erst mit Absterben des Staates erreicht werden kann.

Im Lenintext zitiert Lenin erst Marx:

"Der Übergang von der kapitalistischen Gesellschaft, die sich zum Kommunismus hin entwickelt, zur kommunistischen Gesellschaft ist unmöglich ohne eine „politische Übergangsperiode“, und der Staat dieser Periode kann nur die revolutionäre Diktatur des Proletariats sein."

Um dannach folgends zu konkretisieren: "In welchem Verhältnis steht nun diese Diktatur zur Demokratie?

Wir haben gesehen, daß das Kommunistische Manifest einfach zwei Begriffe nebeneinander stellt: „Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse“ und „Erkämpfung der Demokratie“. Auf Grund alles oben Gesagten läßt sich genauer bestimmen, wie sich die Demokratie beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus verändert.

In der kapitalistischen Gesellschaft, ihre günstigste Entwicklung vorausgesetzt, haben wir in der demokratischen Republik einen mehr oder weniger vollständigen Demokratismus. Dieser Demokratismus ist jedoch durch den engen Rahmen der kapitalistischen Ausbeutung stets eingeengt und bleibt daher im Grunde genommen stets ein Demokratismus für die Minderheit, nur für die besitzenden Klassen, nur für die Reichen. (...)

Die Diktatur des Proletariats aber, d.h. die Organisierung der Avantgarde der Unterdrückten zur herrschenden Klasse, um die Unterdrücker niederzuhalten, kann nicht einfach nur eine Erweiterung der Demokratie ergeben. zugleich mit der gewaltigen Erweiterung des Demokratismus, der zum erstenmal ein Demokratismus für die Armen, für das Volk wird und nicht ein Demokratismus für die Reichen, bringt die Diktatur des Proletariats eine Reihe von Freiheitsbeschränkungen für die Unterdrücker, die Ausbeuter, die Kapitalisten. Diese müssen wir niederhalten, um die Menschheit von der Lohnsklaverei zu befreien, ihr Widerstand muß mit Gewalt gebrochen werden, und es ist klar, daß es dort, wo es Unterdrückung, wo es Gewalt gibt, keine Freiheit, keine Demokratie gibt.

Engels hat das ausgezeichnet in seinem Brief an Bebel zum Ausdruck gebracht, wenn er, wie der Leser sich entsinnen wird, sagt: „Solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner, und sobald von Freiheit die Rede sein kann, hört der Staat als solcher auf zu bestehen.“

Demokratie für die riesige Mehrheit des Volkes und gewaltsame Niederhaltung der Ausbeuter, der Unterdrücker des Volkes, d.h. ihr Ausschluß von der Demokratie – diese Modifizierung erfährt die Demokratie beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus.

Erst in der kommunistischen Gesellschaft, wenn der Widerstand der Kapitalisten schon endgültig gebrochen ist, wenn die Kapitalisten verschwunden sind, wenn es keine Klassen (d.h. keinen Unterschied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln) mehr gibt – erst dann „hört der Staat auf zu bestehen, und es kann von Freiheit die Rede sein“. Erst dann ist eine tatsächlich vollkommene Demokratie, tatsächlich ohne jede Ausnahme, möglich und wird verwirklicht werden. Und erst dann beginnt die Demokratie abzusterben, infolge des einfachen Umstands, daß die von der kapitalistischen Sklaverei, von den ungezählten Greueln, Brutalitäten, Widersinnigkeiten und Gemeinheiten der kapitalistischen Ausbeutung befreiten Menschen sich nach und nach gewöhnen werden, die elementaren, von alters her bekannten und seit Jahrtausenden in allen Vorschriften gepredigten Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens einzuhalten, sie ohne Gewalt, ohne Zwang, ohne Unterordnung, ohne den besonderen Zwangsapparat, der sich Staat nennt, einzuhalten.


Am besten mal Marx' Kritik des Gothaer Programmes http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1875/kritik/randglos.htm#top (der letzte Teil) und dann Lenins Staat und Revolution http://marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/staatrev/kapitel5.htm (fünftes Kapitel) lesen und vergleichen. Oder auch noch Marx Schriften zur Pariser Kommune, ist auch einiges bei Lenin enthalten.

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"Lenin erblickt auch in der absoluten Gewalt des Zentralkomitees und in der strengen statuarischen Umzäunung der Partei den wirksamen Damm gegen die opportunistische Strömung, als deren spezifische Merkmale er die angeborene Vorliebe des Akademikers für Autonomismus, für Desorganisation und seinen Abscheu vor strenger Parteidisziplin, vor jedem Bürokratismus im Parteileben bezeichnet. Nur der sozialistische Literat, kraft der ihm angeborenen Zerfahrenheit und des Individualismus, kann sich nach Lenins Meinung gegen so unbeschränkte Machtbefugnisse des Zentralkomitees sträuben, ein echter Proletarier dagegen müsse sogar infolge seines revolutionären Klasseninstinktes ein gewisses Wonnegefühl bei all der Straffheit, Strammheit und Schneidigkeit seiner obersten Parteibehörde empfinden, er unterziehe sich all den derben Operationen der "Parteidisziplin" mit freudig geschlossenen Augen.


Die Befürworter des Ultrazentrismus übersehen, dass das einzige Subjekt, dem jetzt diese Rolle des Lenkers zugefallen das Massen-Ich der Arbeiterklasse ist, dass sich partout darauf versteift, eigene Fehler machen und selbst historische Dialektik lernen zu dürfen. Und schließlich sagen wir doch unter uns offen heraus: Fehltritte, die eine wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung begeht, sind geschichtlich unermesslich fruchtbarer und wertvoller als die Unfehlbarkeit des allerbesten "Zentralkomitees" "

Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, 1904.

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"Lenin spricht übrigens nicht davon, dass die Demokratie erst in Zukunft realisiert werden kann, sondern, dass die "v o l l s t ä n d i g e Demokratie" erst mit Absterben des Staates erreicht werden kann."

Womit freilich das Problem präzise benannt wäre, das wir andernorts bei irgendwelchen verkohlten Quartalsirren diskutiert haben.

Und das erstaunlicherweise von Konservativen wie auch von den B.L.O.G.s gerne adaptiert wird: Dass es also eine Instanz gäbe, die sich in der Lage fühlt, zwischen unvollständiger Demokratie, in der noch irgendwie anders reguliert werden muss, lediglich so weit auch Konservative und B.L.O.G.s, und vollständiger Demokratie zu unterscheiden.

Um dann irgendwann bestimmen zu können, wann vollständige Demokratie möglich sei. So ungefähr werden das auch Ulbricht und Mielke gesehen haben: Es war halt noch nicht so weit.

ABER: Macht rak hier nicht nix anderes, als eine Rückprojektion der Gedanken der äußerst machtbewussten politischen Praktiker - die ja aus der historischen Situation heraus ganz verständlich so was dachten, wirkungsgeschichtlich war das aber fatal - auf die Marxsche Theorie?

Also gewissermaßen ein Lesen von Marx' durch die Brille Lenins?

Dann wäre das, was rak schreibt, ein Beleg für den Weg in den Gulag, aber nix gegen das, was netbitch geschrieben hat.

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Auch die »Vollständige Demokratie« kann wohl kaum ohne Regeln und Gesetze auskommen. Ich sehe keinen Grund für den Spruch »es ist noch nicht soweit«. Das ist ein Spruch der Täuschung und der Selbsttäuschung.



Fast die gesamte Theorie auf dem Weg zur Diktatur der Zentralkomitees und Ministerien für tschekistisch organisierte Staatssicherheit kann man in dieser kleinen Diskussion nachlesen. Das ist doch ein Lesezeichen wert ;-)

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Och, Stefanolix ...
"in Erwägung unserer Schwäche machtet ihr Gesetze die uns knechten sollen - die Gesetze werden künftig nicht beachtet in Erwägung, dass wir nicht mehr Knecht sein wollen"

Ob wir nun unter eurem Joch ächzen und in eurer Disziplinargesellschaft uns auflösen - und nun komm mir nicht mit dem Abstreiten des Wir, gilt nicht in diesem Fall - oder ein eigenes Joch schnitzen, das ist doch gehupft wie gesprungen.

Und Regeln sind die Voraussetzung von Demokratie, nicht irgendeine Hinzufügung. Die konstituieren sie erst.

Was ja die Allesprivatisierer wissen, deshalb sind sie ja dagegen und räumen all diese Regeln ab. Siehe Blackwater. Geht auch ohne Lenin.

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Ich glaube kaum, dass Du aus irgend einem Beitrag der letzten Jahre schließen kannst, ich sei ein Anhänger der Methoden von Blackwater (heute Xe). Sie sind unvereinbar mit einem demokratischen Rechtsstaat (im Grunde ist schon die Übertragung von Aufgaben an solche Unternehmen damit unvereinbar).

Deshalb lasse ich mich auch nicht als »Allesprivatisierer« einordnen. Zu einem demokratischen Rechtsstaat gehört die klassische Gewaltenteilung und die wäre natürlich nicht mehr vorhanden, wenn zum Beispiel entscheidende Teile der Judikative oder Exekutive privatisiert würden. Nachdem ich vor etwas mehr als 20 Jahren für einen demokratischen Rechtsstaat demonstrieren war, will ich ihn gern auch beibehalten. Sonst wäre das ja damals sinnlos gewesen …



In den Systemen, die sich »Diktatur des Proletariats« nannten, waren die meisten Menschen »Knechte«, nämlich die Knechte einer kleinen Clique von Machthabern. In den GULAG-Systemen ging es ihnen nicht besser als Sklaven. Die Gefangenen im GULAG waren zum allergrößten Teil keine »Kapitalisten«, sondern selbst Bauern oder Arbeiter oder Angestellte.

Und es ist eine Illusion, dass die Machthaber der sogenannten Diktaturen des Proletariats die Macht beim Übergang zu einem (wie auch immer gearteten) Kommunismus freiwillig abgegeben hätten. Auch solche Machthaber können nur durch eine Revolution beseitigt werden.



Übrigens: für die überbürokratisierte »Disziplinargesellschaft« bin ich 1989/90 nicht auf die Straße gegangen.

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"Übrigens: für die überbürokratisierte »Disziplinargesellschaft« bin ich 1989/90 nicht auf die Straße gegangen."

Ja, deshalb wunder ich mich ja immer, dass in liberalen Blogs so schnell auf autoritär umgeschaltet wird.

"In den Systemen, die sich »Diktatur des Proletariats« nannten, waren die meisten Menschen »Knechte«, nämlich die Knechte einer kleinen Clique von Machthabern. In den GULAG-Systemen ging es ihnen nicht besser als Sklaven. Die Gefangenen im GULAG waren zum allergrößten Teil keine »Kapitalisten«, sondern selbst Bauern oder Arbeiter oder Angestellte."

Das ist ja unumstritten.

Nun isses halt eine Clique, die zwischen Wirtschaftschefetagen und Exekutive hin und her wandert. Strukturell ähnlich, aber nicht ganz so schlimm, zumindest im Lande selbst, das stimmt schon. Aber das Bessere ist ja der Feind des Guten, oder?

PS: Bei euch in der Kommentarsektion gab es deutliche Stimmen für die Privatisierung der Polizei - wofür man Dich nicht haftbar machen kann, das stimmt.

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Mit "wir sind auf dem Weg zur wirklichen Demokratie" läßt sich alles rechtfertigen, von der Ermordung der Kronstädter Matrosen über die Ermordung von Anarchosyndikalisten im Spanischen Bürgerkrieg bis zur Behauptung eines von den Medien manipulierten Putsches, wo doch eigentlich die Führung der Armee dem Präsidenten die Gefolgschaft verweigerten, als er Teile derselben veranlaßt hatte, auf friedliche Demonstranten zu schießen (Caracas, 11.04.2002).
http://www.caracaschronicles.com/node/2412
Wer für sich in Anspruch nimmt, eine "wirkliche Demokratie" schaffen zu könnnen, fühlt sich legitimiert, dafür egal welches Opfer in Kauf zu nehmen. Selbst wenn die anfänglichen Intentionen gut waren, korrumpieren Menschen angesichts der absoluten Macht, die sich aus diesem Anspruch ergibt.
as simple as that

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"Wer für sich in Anspruch nimmt, eine "wirkliche Demokratie" schaffen zu könnnen, fühlt sich legitimiert, dafür egal welches Opfer in Kauf zu nehmen."

Nee, das war jetzt einer zu viel. Das war jetzt das Argument gegen Demokratie als solche, das meintest Du aber gar nicht.

Der erste Teil stimmt, weil der Übergangszustand auf dem Weg dorthin selbst als undemokratischer verstanden wurde im Sinne der Zweckhaftigkeit - bei den paar Idealisten zumindest, die da mit mischten.

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Ich habe das so verstanden: »Wer für sich in Anspruch nimmt, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, fühlt sich legitimiert …«.

Ich weiß nicht, ob es in den Führungsgremien der Diktaturen des Proletariats jemals Idealisten gegeben hat. Wenn ja, dann hat man sie gründlich hinweggesäubert.



Halten wir doch mal fest, dass es auch im System der Marktwirtschaft Alternativen zur klassischen Lohnarbeit bei einem Arbeitgeber gibt, zum Beispiel unterschiedliche Arten der Genossenschaft. Und es muss nicht immer am bösen »System« liegen, dass diese Alternativen so selten genutzt werden.

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Doch. Denkste, ich hätte auch nur irgendwie die Chance gehabt, eine Genossenschaft statt einer GmbH & Co KG zu gründen? Und dass Du mit so einer am Markt, so wie der strukturiert ist, angesichts der Riesen auch nur den Hauch einer Chance hättest, unabhängig von denen zu operieren?

Abgesehen davon sind es liberale Blogs, die am massivsten Vorstellungen einer besseren Gesellschaft proklamieren. "Wir" bescheiden uns ja zumeist in Kritik.

Mit den Idealisten hast Du aber recht. Prototypisch die russische Künstler-Avantgarde, die später mit dem "Formalismus"-Vorwurf platt gemacht wurde.

PS: Bist Du nicht '89 für eine bessere Gesellschaft auf die Straße gegangen?

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Eine Genossenschaft gründet man ja auch nicht als »ICH«, sondern als »WIR« ;-)

Nein, mir ist schon im Ernst völlig klar, dass das in kapitalintensiven Branchen sehr schwer ist. Aber dieses Problem gibt es nicht in allen Branchen.



Mir persönlich war 1989 klar, dass es nicht um eine ideale Gesellschaft gehen kann. Mir ist 2010 klar, dass ich in keiner idealen Gesellschaft lebe. Aber ich würde mich um keinen Preis in die DDR zurückversetzen lassen. Später mehr dazu.

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Am Anfang ist immer Idealismus und dann sammelt sich eine Menge an Realismus an. Verdien mein Geld zur Zeit auch in einem Projekt, das ich für hoffnungslos halte (und werd deutlich unter Limit beansprucht aber voll bezahlt). Die meisten dürften das kennen. Irgendwann kommt das Stopp-Schild. Vielleicht erst Ende Juli und möglicherweise noch länger. Konzerne ticken halt manchmal nicht richtig. Wobei ich "noch länger" definitiv nicht will. Hmm. Aber während der WM hier ausharren ist schon irgendwie verlockend. In der Marktwirtschaft gibts da natürlich Grenzen.
Nikita Sergejewitsch Chruschtschow hatte sich trotz seiner Irrtümer vermutlich eine Menge Idealismus bewahrt. Ob dies einen Mehrwert für seine Regierten darstellte ist wieder eine andere Frage. Auch im Castrismus gabs immer wieder Leute, die abgesägt wurden, Jahre in der Provinz vor sich hin dämmerten, um dann wieder in das Zentrum der Macht aufgenommen zu werden. Die hatten sich in der Zwischenzeit auch nicht vom Acker gemacht. An irgendwelche Ideale glaubten die vermutlich auch dann...
Die Geschichte der Bankenkrise ist voller "Weitermachen ohne Glaube". Oder die IWF Leute gegenüber Argentinien, die es jahrelang als Musterkind darstellten, bis es wirklich nicht mehr anders ging ...und dort Ersparnisse galore versenkt wurden, BIP / Einwohner p.a. sich innerhalb eines Jahres von 8.500 auf 2.900 $ reduzierte.
Blustein, Paul, And the Money Kept Rolling in (and Out): Wall Street, the IMF, and the Bankrupting of Argentina. Ein großartiger, sorgfältiger, sachlicher und umfassender Bericht über die Ereignisse 1996-2001, btw.
Marktwirtschaft/Demokratie geht aber offener mit Kritik um und hat auch nicht den Anspruch, das Paradies auf Erden zu schaffen.

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Genossen schaffen Genossenschaften.
@ mono

Es gibt prima Winzergenossenschaften. Manche von denen mit hervorragenden Produkten.

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@Liebemann:

Um so besser ;-) ...

@all:

Habe mir gerade "Auf verlorenem Posten" von Zizek zugelegt, und das scheint mir ein hervorragender Kommentar zu dieser Diskussion hier zu sein. Habe allerdings eben zu einer leckeren, kapitalistisch gezüchteten, gegrillten Forelle nur die Vorrede und die Einleitung und den Abschnitt zur "Diktatur des Proletariats" gelesen, das gefiel mir aber gut!

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@Lebemann: Das kömmt daher, dass "Genosse" sich von "genießen" herleitet.

@MR: Berichte mal von Deiner Lektüre, das klingt spannend!


(Lecken Sie diese Türe bitten jetzt, wie der Einrichtungsfetischist sagt)

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Genau. Wie in dem Groß- und Kleinschreibungsbeispiel: »er hatte in moskau liebe genossen.« ;-)

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C:-))))))

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Bitte nicht das "Umerziehungslager" vergessen, obwohl es nicht aus diesem Monat stammt. Aber das ist golden, ewig.

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Soll ich das noch mal verlinken?

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Das kann gar nicht oft genug verlinkt werden, auch darum, weil es eine Menge mühseliger schriftlicher Einzelargumentationen ersetzt.

@ Stefanolix
Ich kenne das in der Variante: "Helft den armen vögeln im winter!"

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Dann schreibt neue Kommentare drunter, damit bleibt es vorn!

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Hat es denn immer noch niemand für nötig befunden, mal in den Kolakowski reinzuschauen?

Kern seiner Kritik an Marx ist ja wohl, dass es, wenn man idealistische Schemata der hegelschen Philosophie 1 zu 1 auf die Realität anwendet, zu ihrer Vergewaltigung führen kann (nicht muss), und der Marxismus damit als Grundlage politischen Handelns von begrenztem Wert ist, da er selbst bei bester Absicht der handelnden Menschen zu einer Diktatur führen kann.

Dass dies auch bei vielen anderen Ideologien und Weltanschauungen der Fall ist, ist klar. Allerdings ist man sich der Gefahr z.B. eines auf Religion beruhenden Staates allgemein bewusst, während es immer noch Leute gibt, die die Welt verbessern wollen und sich dabei auf Marxens Rezepte berufen.

Was, gelinde gesagt, ein Witz ist.

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Quousque tandem?
Die "idealistischen Schemata der" – unverstandenen – "hegelschen Philosophie 1 zu 1 auf die Realität" anwenden, das haben die Links- und Rechtshegelianer gemacht, mit denen Marx sich derbe stritt.

Sowas wie "während es immer noch Leute gibt, die die Welt verbessern wollen und sich dabei auf Marxens Rezepte berufen", ist darum ein Witz, weil es "Marxens Rezepte" garnicht gibt.
Was es gibt, ist der gegen alle Rezepte gewandte Satz von Marx, dass "wir als Unfreie den Freien nicht vorschreiben können, wie sie zu leben haben."

Wenn man das endlich mal zur Kenntnis nehmen könnte.
Danke.

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Das wäre wenn, dann ein Problem von Kolakowski, der, eine durch Leninistische Brille gesehene Marx-Rezeption gelernt hatte, von der er sich dann schrittweise einfernte, um zunächst zum jungen Marx, der den Junghegelianern nahestand aufzuschließen und schließlich halbwegs wieder beim polnischen Katholizismus andockte, der nun allerdings idealistische, nämlich kanonische Schemata auf die Realität anwendet, und zwar pausenlos. Das hat aber weder etwas mit Marx himself zu tun noch mit den Klügeren seiner SchülerInnen wie Korsch, Luxemburg oder Gramsci.

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Na gut, dann poste ich mal die entsprechenden Textstellen, damit man weiß worüber man spricht.

Kolakowski resümiert am Ende des ersten Bandes drei hauptmotive des marxschen Denkens: das romantische, das prometheische und das technkoratisch/rationalistische. Entscheidend ist aus meiner Sicht das zweite:

"Das bezeichnende Ergebnis des Marxschen Prometheismus ist die Abneigung, die natürlichen Bedingungen der menschlichen Existenz zur Kenntnis zu nehmen, ist die faktische Abwesenheit der menschlichen Physis in seinem Menschenbild. In diesem Weltbild ist der Mensch gänzlich durch sein gesellschaftliches Sein bestimmt; die leiblichen Grenzen seines Daseins sind nahezu unkenntlich. Im Marxismus fehlen fast gänzlich solche Aspekte des Lebens wie die Tatsache, daß aß die Menschen geboren werden und sterben, daß es junge und alte Menschen gibt, daß sie männlich oder weiblich, gesund oder krank sind, daß sie in genetischer Hinsicht ungleich sind und daß alle diese Gliederungen Einfluß auf ihre gesellschaftliche Entwicklung nehmen können, unabhängig von den Klassengliederungen, und das sie den menschlichen Projekten zur Vervollkommnung der Welt Schranken setzen.

Marx glaubt nicht an die fundamentale Endlichkeit und Begrenztheit des Menschen, nicht an die prinzipiellen Grenzen seiner Schaffenskraft.

Das Böse und das Leid erscheinen bei ihm als die Hebel der künftigen Emanzipation, sie besitzen keinen eigenen Sinn, sind keine notwendigen Bestandteile des Lebens, gehen völlig darin auf, gesellschaftliche Fakten zu sein. …

Im Gegensatz zu den Sozial-Darwinisten und den Philosophen des Liberalismus leitet Marx die soziale Bindung nicht von den biologischen Bedürfnissen ab, sondern begreift die biologischen Bedürfnisse und biologischen Bedingungen des menschlichen Daseins als Elemente der gesellschaftlichen Bindung. Die »vergesellschaftete Natur« ist keine Metapher. Für den Menschen ist alles gesellschaftlich, seine natürlichen Funktionen, Verhaltensweisen und Eigenschaften haben den Kontakt mit ihrer tierischen Provenienz fast gänzlich verloren.

Daher will Marx auch kaum zur Kenntnis nehmen, daß der menschliche Körper oder die natürlichen, vorfindlichen geographischen Bedingungen den Menschen grundsätzlich restringieren können. Daher glaubt er auch nie, daß es eine absolute Übervölkerung geben könne, d. h. eine Übervölkerung, die ganz einfach Folge der Begrenztheit der Erdoberfläche oder der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen wäre; die Übervölkerung, die er meint, ist ausschließlich ein gesellschaftliches Phänomen, abhängig von den besonderen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise, welche allein aufgrund des technischen Fortschritts und der Ausbeutung die relative Übervölkerung unausweichlich schaffen muß, d. h. die industrielle Reservearmee. Für Marx zählt die Demographie nicht als ein selbständiger Faktor, sie ist nur eines der Elemente des gesellschaftlichen Systems und muß als solches bewertet werden.

Diese Abwesenheit von Körper und Tod, die Abwesenheit von Geschlecht und Aggression, die Abwesenheit von Geographie und Fortpflanzung, die Umstülpung aller dieser Fakten in rein gesellschaftliche stellt einen der charakteristischsten und am wenigsten beachteten Bestandteile der Marxschen Utopie dar. Sie ist auch dafür verantwortlich, daß die häufig aufgestellten Analogien zwischen der Marxschen Soteriologie und der christlichen Tradition (die Idee des Proletariats als Retter, die Idee der totalen Erlösung, die Idee des auserwählten Volkes, die Idee der Kirche usw.) in einem entscheidenden Punkt verfehlt sind: Die Erlösung ist ein rein menschliches Werk, ist Selbsterlösung, sie ist weder das Werk Gottes noch das der Natur, sondern ausschließlich das Werk des kollektiven Prometheus, der grundsätzlich fähig ist, über alles seine Herrschaft auszuüben und die eigenen Existenzbedingungen gänzlich in seine Gewalt zu bringen. In diesem Sinn ist die Freiheit des Menschen sein kreatives Schaffen, der Siegeszug eines Konquistadoren, der die Natur und sich selbst erobert." a.a.o., S. 472f.

Das gilt, denke ich, auch für den größten teil des linkradikal/utopistischen Denkens bis zur Gegenwart, diese Nicht-zur-Kenntnis-nahme bzw. Verleugnung der natürlichen Bedingungen der menschlichen Existenz.

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Weiter ausgeführt wird das hier:

"Wenn der Sozialismus in Übereinstimmung mit Marx die Herrschaft der objektiven ökonomischen Gesetze aufhebt und die Lebensbedingungen der bewußten menschlichen Kontrolle unterwirft, so läßt sich daraus leicht der Schluß ziehen, daß in der sozialistischen Gesellschaft »im Prinzip« alles machbar sei, d. h., daß der menschliche Wille (also der Wille der revolutionären Partei) keine Rücksicht auf die objektiven ökonomischen Gesetze mehr zu nehmen brauche, daß er vielmehr, kraft der eigenen schöpferischen Initiative, fähig sei, sich alle Elemente des wirtschaftlichen Lebens unterzuordnen und sie in beliebiger Weise zu manipulieren. Solcherart konnte sich der Marxsche Traum von der Einheit als die despotische Herrschaft der Parteioligarchie realisieren und sein Prometheismus sich in Form von Versuchen verwirklichen, das ökonomische Leben mit polizeilichen Mitteln zu organisieren, was die Partei Lenins in den ersten Jahren ihrer Existenz auch zu tun begann. Der ökonomische Voluntarismus, den man erst dann aufgab, als die neue Gesellschaft kurz vor ihrem Zusammenbruch stand, war eine bestimmte Applikation des Marxschen Prometheismus, gewiß eine mit karikaturhaften Zügen, wenngleich man sich über den Grad der Verzeichnung streiten könnte. Im Sozialismus konnte jeder ökonomische Fehlschlag nicht anders interpretiert werden als durch den bösen Willen der Regierten, doch ließ sich der böse Wille stets als ein Symptom des Widerstandes der ehemals besitzenden Klasse verstehen. Die Regierenden brauchten die Quellen ihrer Niederlagen also nie in den Irrtümern der Lehre zu suchen, sondern konnten die Niederlagen - entsprechend ihrem eigenen Marxismus - der Bourgeoisie anlasten und mit verstärkten Repressionen reagieren, was auch tatsächlich geschah. Mit einem Wort: Die leninistische Version des Sozialismus war eine mögliche Interpretation der 'Marxschen Konzepte, wenngleich sicherlich nicht die einzig mögliche.

Sofern die Freiheit gesellschaftliche Einheit bedeutet, folgt daraus in der Tat: je mehr Einheit, desto mehr Freiheit; sofern die »objektiven« Voraussetzungen der Einheit erreicht sind (nämlich die Konfiszierung des Besitzes der Bourgeoisie), stellen sämtliche Symptome von Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen Symptome der bourgeoisen Vergangenheit dar, denen angemessen begegnet werden muß. Das prometheische Prinzip der schöpferischen Initiative und der historische Determinismus entzweiten sich: Das Prinzip der Initiative wurde vom politischen Apparat verkörpert, während die rückständigen Massen ihr Schicksal als historische Notwendigkeit hinnehmen sollten, als eine Notwendigkeit, die, sofern man sie eingesehen hat, mit der Freiheit zusammenfällt. Was war einfacher, als bei Marx die Zitate zu finden, die davon sprechen, daß der »Überbau« ein Werkzeug der »Basis« sei und daß sowohl das eine wie das andere in klassenbezogenen Kategorien beschrieben werden müsse. Sofern wir also über neue Produktionsverhältnisse verfügen, die den Interessen des Proletariats entsprechen, muß konsequenterweise auch der gesamte »Überbau«, d. h. das Recht, die staatlichen Institutionen, die Literatur, die Kunst, die Wissenschaft, den neuen Verhältnissen dienen, dessen Bedarf selbstverständlich von der bewußten Avantgarde des Proletariats, also der Partei, festgelegt wird. Auf diese Weise konnte sowohl die Aufhebung des Rechts als einer Institution der Vermittlung zwischen Individuen und Staat als auch die allgemeine Verbreitung der Servilität als eines Hauptprinzips der funktionierenden Kultur u. ä. als vollkommene Verkörperung der marxistiischen Theorie erscheinen.

Als Antwort auf solche Einwände läßt sich leicht anführen, daß Marx (ausgenommen vielleicht die Zeit nach der Revolution von 1848) die demokratischen Regierungsgrundsätze nicht nur nicht in Frage stellte, sondern als den selbstverständlichen Bestandteil der Volksherrschaft ansah; daß er, auch wenn er die Wendung »Diktatur des Proletariats« zweimal (im übrigen ohne nähere Erläuterung) gebrauchte, diese im Sinne der Betonung des Klassencharakters der Herrschaft, nicht aber, wie Lenin es wollte, im Sinne der Liquidierung der demokratischen Institutionen verstand. So verhält es sich in der Tat. Daher kann der historisch verwirklichte Sozialismus oder der despotische Sozialismus nicht als Verkörperung der Marxschen Intentionen angesehen werden. Das Problem besteht jedoch darin, ob dieser Sozialismus vielleicht doch die Verkörperung der inneren Logik der Lehre sei, und wenn ja: in welchem Maße. Darauf läßt sich antworten, daß die Lehre nicht unschuldig ist an einer solchen Interpretation, obschon die Behauptung, der despotische Sozialismus sei sozusagen allein aus der Ideologie entstanden, absurd wäre. Er ist das Produkt vieler historischer Umstände, an denen die Tradition der Marxschen Doktrin mitbeteiligt war. Die leninistisch-stalinistische Marxismusversion ist in der Tat eine Version, der Versuch der praktischen Anwendung einer Idee, die Marx in philosophischer Form ausgedrückt hat und die über keine klaren Prinzipien politischer Interpretation verfügte. Die Auffassung, daß die Freiheit letzten Endes am Grad der Einheit der Gesellschaft zu messen sei und daß die Gegensätze der Klasseninteressen die einzige Quelle der gesellschaftlichen Konflikte darstellen, ist ein Bestandteil der Theorie. Wenn wir dabei der Meinung sind, es könne eine Technik der Verfügung von gesellschaftlicher Einheit geben, so bietet sich der Despotismus aus dem einfachen Grund als natürliche Lösung an, weil bisher keine anderen Techniken für die Durchsetzung dieses Zwecks bekannt sind. Die vollkommene Einheit realisiert sich als Aufhebung aller Institutionen der gesellschaftlichen Vermittlung, d. h. als Aufhebung der repräsentativen Demokratie sowie des Rechts als des selbständigen Werkzeugs der Konfliktregelung. Der Begriff der negativen Freiheit setzt in der Tat eine Konfliktgesellschaft voraus. Und unter der Voraussetzung, daß Konfliktgesellschaft gleichbedeutend ist mit Klassengesellschaft und Klassengesellschaft mit Gesellschaft, in der es Privateigentum gibt, enthält die Behauptung, der Akt der Gewalt, der das Privateigentum aufhebt, hebe zugleich das Bedürfnis nach negativer Freiheit auf, also die Freiheit schlechthin, nichts Verwerfliches.

So also erwacht Prometheus aus seinem Traum von der Macht, verwandelt wie der Kafkasche Gregor Samsa."

Kolakowski a.a.O., S 478ff.

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Erwähnenswert ist sicher auch, dass es entsprechende Kritik schon zu Lebzeiten von Marx gegeben hat:

"Die starke Seite Bakunins wiederum war vor allem seine Kritik des »Etatismus«, der in Marxens Programm explizit bzw. latent enthalten war. Bakunin nahm ein Problem in Angriff, das Marx nicht erwogen hatte und das alles andere als ein imaginäres war: Auf welche Weise hat man sich eine zentralisierte Wirtschaftsmacht ohne politischen Zwang vorzustellen? Und wenn die Zukunftsgesellschaft die Scheidung in Regierte und Regierende aufrecht erhalten sollte, wie kann dann die Entstehung eines neuen Privilegiensystem verhindert werden, sofern bekannt ist, daß das Machtprivileg eine natürliche Tendenz zur Selbstverewigung aufweist? Diese Fragen sollten sich von nun an häufig in den Kritiken wiederholen, die Anarchisten und Syndikalisten gegen den Marxismus richteten. Daß Marx sich den Sozialismus nicht als eine despotische Herrschaft vorgestellt hat, in der der politische Apparat seine Privilegien auf der Grundlage des Monopols an der Verwaltung der Produktionsmittel sichern würde, scheint mehr als evident. Und doch stellte Bakunin ihm zu diesem Problem Fragen, die Marx nicht beantwortete. Man kann sagen, daß Bakunin der erste gewesen ist, der den Leninismus gewissermaßen aus dem Marxismus deduziert hat, womit er einen außergewöhnlichen Scharfsinn bewies."
a.a.O., S. 290

Eben, und deshalb gehören die Werke von Marx eher in die Abteilung Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts als in die aktuelle politische Diskussion.

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Sorry, aber diese symptomatische Marx-Lektüre des Herrn K. ist selbstwidersprüchlich und basiert auf Prämissen, die Marx mit guten Gründen zurück gewiesen hat.

Das ist, verbrämter, der Kladderadatsch, der auch bei den Liberalen sich findet, eben der Unsinn einer natürlichen Ordnung, die sich auch noch auf die ökonomischen Gesetze erweitert versteht - ganz klassisch Ideologie halt. Das ist von der gleichen Qualität wie Behauptung der katholischen Kirche, "Homosexualität" sei "widernatürlich.

Und diese ganze Konstruktion, dass Marx ja gar nicht gesagt noch gewollt habe, was Lenin aus ihm machte, ABER eigenlich sei das ja ""in ihm angelegt, ließe sich ebenso auf Thomas von Aquin, Kant oder sogar Popper anwenden - Menschenversuche! -, der eine ähnliche Kritik an Hegel ja deutlich intelligenter formulierte. Oder auf auf die Idee der Menschenrechte, die 10 Gebote und das Grundgesetz. Und die Kleiderordnung in Sparkassen.

Von dem Passus:

"Wenn der Sozialismus in Übereinstimmung mit Marx die Herrschaft der objektiven ökonomischen Gesetze aufhebt und die Lebensbedingungen der bewußten menschlichen Kontrolle unterwirft, so läßt sich daraus leicht der Schluß ziehen, daß in der sozialistischen Gesellschaft »im Prinzip« alles machbar sei, d. h., daß der menschliche Wille (also der Wille der revolutionären Partei) keine Rücksicht auf die objektiven ökonomischen Gesetze mehr zu nehmen brauche, daß er vielmehr, kraft der eigenen schöpferischen Initiative, fähig sei, sich alle Elemente des wirtschaftlichen Lebens unterzuordnen und sie in beliebiger Weise zu manipulieren."

zu dem folgenden zu kommen im Sinne eines logischen Schlusses:

"Solcherart konnte sich der Marxsche Traum von der Einheit als die despotische Herrschaft der Parteioligarchie realisieren und sein Prometheismus sich in Form von Versuchen verwirklichen, das ökonomische Leben mit polizeilichen Mitteln zu organisieren, was die Partei Lenins in den ersten Jahren ihrer Existenz auch zu tun begann."

ist einfach nur höherer Blödsinn. Das funktioniert nur wegen des Einschubs in der Klammer (also der Wille der revolutionären Partei), und das ist wieder Leninismus und ergibt sich kein Stück aus dem, was da sonst noch steht.

Genau so gut kann man mit Passus 1 die Staatsplanwirtschaft auch KRITISIEREN, wenn eben alles möglich ist. Es gibt in Passus 1 rein gar nix, was eine polizeiliche Ordnung implizieren würde.

Da sind ja die Liberalen viel pfiffiger, wenn sie statt so allgemeinem Schmonz über eherne Gesetze der Wirtschaft in ihrer Kritik z.B. an der Unmöglichkeit der Preisbildung in einer Planwirtschaft ansetzen.

Was die Endlichkeit der Ressourcen betrifft, war das nun z.B. Anfang der 80er die Standard-Kritik an Marx - dass dieser im blinden Wissenschafts- und Fortschrittsglauben so etwas nicht mit bedacht hätte, weil er ganz auf Produktivkraftentwicklung setzte. Aber ist das richtig?

Um Leid zu mindern, übrigens. Ich glaube, da werden - mal abgesehen vom "Mensch als Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse", der eben auch der unter Ausbeutung schwerst leidende Mensch ist, der mit 30 nach Berwerksarbeit stirbt - falsche Totalsierungen vorgenommen, und so ist das auch nicht richtig wieder gegeben.

Ein Satz "Alle Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen" impliziert ja noch lange nicht, dass es außer diesen keine anderen Konflikte gegeben habe. Das ist doch alles schon in Hauptseminarsarbeiten gar nicht mehr möglich, so drauflos zu dreschen, wie Herr K. das tut.

Du bist der gleiche Willy wie drüben bei mir, oder?

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... zudem Marx eben die "objektiven ökonomischen Gesetze" anders bestimmte.

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Das „Prometheische bei Marx“ ist der Blafasel der Tagungen der Evangelischen Akademien der 70er Jahre. Dort sollte man es auch lassen, mitsamt dem „Menschenbild bei Marx“, der „Anthropologie bei Marx“ und was dergleichen Mutmaßungen über das von Marx Gesagte betrifft, die, wie auch bei Willy, stets von Leuten kommen, die immer schon schlauer sind als die Marxsche Theorie, die sie nicht kennen, und bevor Du, Willy, hier breitbeinig reinkommst, um im Ton eines Beschwerdeführers zu fragen, wieso denn noch immer niemand in den Kolakowsky reingeschaut hat, solltest Du erst mal in den Marx reinschauen – OK, dauert ein paar Jahre, aber so ist das in der Wissenschaft.

Mächtige Worte zu sprechen, in der Art „Abteilung Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts“ über etwas, das man nicht gelesen hat, bezeichne ich auf Grundlage meiner konservativen akademischen Sozialisation als intellektuelle Unredlichkeit. Das scheint aber gerade in Mode, wenn ich mir ansehe, was von einem gewissen Rak, von Genova und von Finkeldey in diesen Tagen alles so an kenntnisfreiem Käse versintert wird.

In der Tat nimmt Marx „keine Rücksicht auf die objektiven ökonomischen Gesetze“ des Kapitalismus, sondern analysiert und kritisiert sie. Wer Rücksichtnahme wünscht, wende sich an die Wirtschaftsprofessoren, welche die INSM unterstützen. Bei Marx ist man mit Berücksichtigungsbedürfnissen dieser Art an der denkbar falschesten Adresse.

Im Rahmen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie lesen wir, sofern wir es lesen, im 3. Band des „Kapital“ die Darstellung und Analyse der Finanzkrise, die in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in England wütete und auf den Kontinent überschwappte. Das war in Ursache und Verlauf bis aufs i-Tüpfelchen das gleiche wie die gegenwärtige Krise.
So viel zum Thema geistesgeschichtliche Mottenkiste.

Der Marxsche Kapitalbegriff bleibt so lange aktuell, wie der Kapitalismus existiert. Wo kritisiert Kolakowsky die Marxsche Theorie? Böhm-Bawerk hat es immerhin versucht.

„Auf welche Weise hat man sich eine zentralisierte Wirtschaftsmacht ohne politischen Zwang vorzustellen? Und wenn die Zukunftsgesellschaft die Scheidung in Regierte und Regierende aufrecht erhalten sollte, wie kann dann die Entstehung eines neuen Privilegiensystem verhindert werden, sofern bekannt ist, daß das Machtprivileg eine natürliche Tendenz zur Selbstverewigung aufweist?“

Wieso denn zentralisiert? Und der „Verein freier Menschen“ (Marx) und die „Gesellschaft der frei assoziierten Produzenten“ (Marx) kennt selbstverständlich keine „Scheidung in Regierte und Regierende“ und kein „Machtprivileg“.

Ich schrieb heute etwas weiter oben, wohl wissend, dass das völlig sinnlos sein würde:
„Was es gibt, ist der gegen alle Rezepte gewandte Satz von Marx, dass 'wir als Unfreie den Freien nicht vorschreiben können, wie sie zu leben haben.' Wenn man das endlich mal zur Kenntnis nehmen könnte. Danke.“
Den Dank muß ich zurücknehmen, denn Willy hat es nicht zur Kenntnis genommen.

Demographie sei „ein selbständiger Faktor“ – das ist ja nun der Schenkelklopfer der Woche.
Angesichts nur der aktuellsten Umtriebe und Debatten in Sachen Kindergeld, Herd- und Wurfprämien, Elternteilzeit auch für Väter, Kita-Finanzierung, „Die Deutschen überaltern und sterben aus!“-Gejodel und was weiß ich sonst noch, staunt man schon, wie Willy ohne zu stolpern Kolakoksy zitiert, der meint:
„Für Marx zählt die Demographie nicht als ein selbständiger Faktor, sie ist nur eines der Elemente des gesellschaftlichen Systems und muß als solches bewertet werden.“

Ja, da hat K. recht, dass Marx das feststellt, denn genau so ist es. Um dieses Faktum als solches zu sehen, muß man nicht mal Marx gelesen haben, da reicht die „Tagesschau“. In den „Grundrissen“ zeigt Marx, wie der Kapitalbegriff die Population steuert. Den Begriff der „Biopolitik“ haben später dann andere gefunden, aber das haut in die selbe Kerbe.

Kolakowski:
„Die 'vergesellschaftete Natur' ist keine Metapher. Für den Menschen ist alles gesellschaftlich, seine natürlichen Funktionen, Verhaltensweisen und Eigenschaften haben den Kontakt mit ihrer tierischen Provenienz fast gänzlich verloren.“
Richtig! Das ist es, was der Kapitalismus der Natur und den Menschen antut, und darum steht er bei Marx zur Kritik. Kolakowski macht den fast schon wieder lustigen Fehler, die Natur- und Menschenfeindlichkeit des Kapitalismus der Marxschen Theorie, die das kritisiert, als deren Fehler anzuhängen.

Unsäglich wird es bei der Feststellung, „daß die Menschen geboren werden und sterben, daß es junge und alte Menschen gibt, daß sie männlich oder weiblich, gesund oder krank sind“. Dass derlei Existentialkitsch und Pfaffengelaber bei Marx nicht vorkommt, ist ja wohl ein Vor- und kein Nachteil von Marx.

Kolakowksy hat ja nicht mal im 1. Band bis Seite 58 ff gelesen (das ist, wegen der Vorwörter, im eigentlichen Text Seite 11!), wo Marx die physische „Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv“ (Arbeit als Umwandlung von Naturstoff als „ewige Naturbedingung“) abgrenzt von der „abstrakten Arbeit“, der Form, als welche das allgemeine Gattungsvermögen (die Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv) im prozessierenden Kapital gesetzt wird.
Mir ist überhaupt kein Autor bekannt, der zwischen der Physis und deren gesellschaftlicher Formbestimmtheit derart scharf und konsequent unterscheidet wie Marx. Das macht – und damit verblüffe ich jetzt Kolakowski und Willy – Marx sogar bei den Maschinen, die dem Inhalt nach Freiheit (da menschliche Mühsal vermindernd), als Form des Kapitals jedoch Unfreiheit sind.

Marx habe das Natürliche nicht hinreichend gewürdigt, Leben, Sterben, Pipimachen und so. Mal ein paar Stellen zur Natur; es hätten auch noch 100 mehr sein können.
In den Manuskripten von 1844 ist die Natur „der unorganische Leib des Menschen". - "Daß das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur."
Die freie Vergesellschaftung der Menschen ist zugleich auch die Befreiung der Natur, nämlich "vollendeter Naturalismus", der "die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen und der Natur" ist, "die vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur."
„Kapital“ Bd. 1, p 528f:
Die „kapitalistische Produktion stört den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d. h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter. Aber sie zwingt zugleich durch die Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandnen Umstände jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen.... Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“
In einer Fußnote bezieht sich Marx emphatisch auf Justus Liebig, der die destruktiven Folgen der Anwendung der Chemie in der Agrikultur darlegt.

Es ergibt sich unmittelbar aus dem Kapitalbegriff selbst der Widerspruch, der zur Naturzerstörung führt: Das Kapital ist seinem Begriff nach unendlich, der Planet ist es nicht.

„Ein Fortschritt im Ruin“ – spricht so ein „technkoratisch/rationalistischer“ Anbeter des Fortschritts?
Und von wegen „Abneigung, die natürlichen Bedingungen der menschlichen Existenz zur Kenntnis zu nehmen“ und „die faktische Abwesenheit der menschlichen Physis“ – alles Krempel, den man nur erzählen kann, wenn man die Texte nicht kennt.

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Danke Nörgler, für dieses starke Statement!
Das so stark ist, dass man allein darüber eine Hausarbeit schreiben könnte (vergebe ich vielleicht mal als Thema). Kleine Ergänzung zum Thema Demographie: Susanne Heim/Ulrike Schaz, Berechnung und Beschwörung. Überbevölkerung - Kritik einer Debatte.

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Marx, der neue Prometheus!
Das ist stark und hatten wir noch nie gewusst. Trotzki, der neue Achilles, weil er die Achillesverse des Leninismus war, weswegen ihn Stalin, der Apoll des Kommunismus durch Jaime Ramón Mercader del Río Hernández, den Paris des Bolschewismus ermorden ließ, und Breschnew, der neue Thukydides, der Kennedy, dem neuen Xerxes trotzte! Jaaaa, das ist Realgeschichte! Gibt es demnächst sicher bei Real in der "Geschichte unter Knopp-Niveau"-Ausgabe.

Aus der Marxschen Position zur Naturzerstörung speist sich übrigens linksökologische Kapitalismuskritik. Dithfurth, Ebermann und Trampert (und auch Robert Jungk) wussten das noch, und das speiste das grüne Projekt auch in den frühen 80ern. Heute ist diese Partei längst bei Steiner und konservativen Oberförstern angekommen, angereichert durch eine bürgerliche Frauenbewegung, die biologistisches Frauen-für-bessere-Menschen-weil-mütterlich-gut-Halten für Feminismus hält. Aus einer radikalen Kritik an der weißen, männlichen, kapitalistischen Moderne wurde eine bequeme Ideologie des neuen Mittelstandes. Deren eigene Ablehnung des Begriffs "Ideologie", die so in die Richtung läuft, Ideologie habe etwas mit Idiot zu tun haben sie recht gut bewiesen.

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Kolakowski?
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40736312.html

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Danke für den Link, Cut! Ich bin gerade mal durchgeflogen, interessant.
Allerdings macht der Autor den Fehler, Marx der "Arbeitswertlehre" zuzurechnen. Marx kritisiert jedoch die Arbeitswertlehre (Ricardo, Smith).

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"Bert Brecht wusste es genau: Eine halbwegs komplette Kenntnis des Marxismus kostet heut, wie mir ein Kollege versichert hat, zwangtausend bis fünfundzwanzigtausend Goldmark und das ist dann ohne die Schikanen. Drunter kriegen Sie nichts Richtiges, höchstens so einen minderwertigen Marxismus ohne Hegel oder einen, wo der Ricardo fehlt usw."


Gefunden während einer gutwilligen Suche nach Literatur über jenen, der für meinen selbstbeschränkten Geist ein Polemiker des 19. Jahrhunderts bleibt. Nach 150 Jahren, in denen Regierungen, die sich auf ihn berufen, immer in so einem joke endeten.
http://tinyurl.com/y229okl
http://devilsexcrement.files.wordpress.com/2010/04/cuatro.jpg
http://devilsexcrement.files.wordpress.com/2010/04/uno.jpg
http://devilsexcrement.files.wordpress.com/2010/04/dos.jpg

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Danke, Cut dafür!


Besonders schön:

"Wie bei anderen Intellektuellen des kommunistischen Ostens treibt auch Kolakowski die Enttäuschung über den von ihm vordem rezipierten stalinistischen Vulgärmarxismus in die Arme des Antimarxismus.

Ohne den Durchgang durch die harte Schule des orthodoxen Neomarxismus, wie er durch solche Namen wie Korsch, Lukàcs, Adler, Bloch und andere vertreten wird, bleibt der Zugang zur ganzen Tiefe marxistischen Denkens unweigerlich verschlossen."

" Seine gegen Marx gerichtete Hauptthese besagt, daß sich der Wert quantitativ nicht exakt messen läßt.

Dagegen ist einzuwenden, daß erstens die exakte Messung des Wertes gar nicht in der Absicht von Marx liegt und daß zweitens eine solche exakte Messung des Wertes auch in den anderen, den bürgerlichen nationalökonomischen Theorien weder beabsichtigt noch erkennbar ist.

Auch in der bedeutendsten gegenmarxistischen Theorie, der Grenznutzentheorie, aber auch in den liberalen Theorien von Eucken und Hayek, verhält es sich ebenso. Alle diese Theorien richten sich auf die Ermittlung von Relationen, mit deren Hilfe das wirtschaftliche Funktionieren, das allgemeine Prinzip des ökonomischen Gesamtsystems nachvollzogen werden soll. "


"Man stelle sich nur einen Augenblick vor, der Sozialismus wäre in hochentwickelten Ländern, wie sie Marx vorschwebten, angewandt worden, und man begreift den grundlegenden, im Wesen antimarxistischen Irrtum Kolakowskis."

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Kolakowsky lesen können
Und ich komme noch einmal darauf zurück: Zum Verständnis Kolakowskys ist nicht nur wichtig zu wissen, dass er seine Marxrezeption unterm Stalinismus erlangte, sondern auch, dass er polnischer Katholik ist. Und das heißt, der Marxismus wird von Vornherein als eine der richtigen Auslegung bedürftige Heilslehre betrachtet, seine Marx-Interpretation ist eine Art Scholastik.

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@noergler
wer sagt dir denn, dass ich bei Marx nicht reingeschaut habe? Dass ich ihn anders verstehe als du, heißt ja nicht, dass ich ihn nicht gelesen habe. Den Kolakowski jedenfalls hat hier, soweit ich sehe, zuvor niemand gelesen.

„Der Marxsche Kapitalbegriff bleibt so lange aktuell, wie der Kapitalismus existiert. Wo kritisiert Kolakowsky die Marxsche Theorie? Böhm-Bawerk hat es immerhin versucht.“

Ja der ganze Band hat mehr als 400 Seiten, die sich auch ausführlich mit dem „Kapital“ beschäftigen. Dass die marxsche Werttheorie hinfällig, da nicht empirisch überprüfbar ist, wäre aber eine ganz andere Baustelle, die man vielleicht auch mal diskutieren könnte.

„Wieso denn zentralisiert? Und der „Verein freier Menschen“ (Marx) und die „Gesellschaft der frei assoziierten Produzenten“ (Marx) kennt selbstverständlich keine „Scheidung in Regierte und Regierende“ und kein „Machtprivileg“.

Klingt alles toll, allerdings ändert es nichts daran, dass Marx nirgendwo auch nur annähernd konkret sagt, wie denn diese „Gesellschaft der frei assoziierten Produzenten“ konkret organisiert werden soll. Womit Lenin und andere freie Bahn hatten und sich auf Marx berufen konnten, und Bakunin mit seiner Kritik recht hat: „Auf welche Weise hat man sich eine zentralisierte Wirtschaftsmacht ohne politischen Zwang vorzustellen? Und wenn die Zukunftsgesellschaft die Scheidung in Regierte und Regierende aufrecht erhalten sollte, wie kann dann die Entstehung eines neuen Privilegiensystem verhindert werden, sofern bekannt ist, daß das Machtprivileg eine natürliche Tendenz zur Selbstverewigung aufweist?“
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„Richtig! Das ist es, was der Kapitalismus der Natur und den Menschen antut, und darum steht er bei Marx zur Kritik. Kolakowski macht den fast schon wieder lustigen Fehler, die Natur- und Menschenfeindlichkeit des Kapitalismus der Marxschen Theorie, die das kritisiert, als deren Fehler anzuhängen.“

Die Äußerungen von Marx, in denen er eben dieses Verständnis der Natur zum Ausdruck bringt, sind zahlreich: „Die Natur wird erst rein Gegenstand für den Menschen, rein Sache der Nützlichkeit; hort auf als Macht für sich anerkannt zu werden; und die theoretische Erkenntnis ihrer selbständigen Gesetze erscheint selbst nur als List, um sie den menschlichen Bedürfnissen, sei es als Gegenstand des Konsums, sei es als Mittel der Produktion zu unterwerfen.“ Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW, Bd. 42, S. 323. Oder: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Natur-stoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 192. Oder von Engels: „gerade die Veränderung der Natur durch den Menschen, nicht die Natur als solche allein, ist die wesentlichste und nächste Grundlage des menschlichen Denkens, und im Verhältnis, wie der Mensch die Natur verändern lernte, in dem Verhältnis wuchs seine Intelligenz.“ F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, 498.
Ich vermag da keine Kritik oder Distanzierung von diesem (ziemlich falschen) Naturverständnis zu erkennen.

„Dass derlei Existentialkitsch und Pfaffengelaber bei Marx nicht vorkommt, ist ja wohl ein Vor- und kein Nachteil von Marx.“

Klar, entsprechend sind seine Adepten dann ja auch mit der Natur, die für Menschen nur als Objekt der Bearbeitung vorkommt und mit ihnen selbst nichts zu tun hat, umgegangen.

„Mir ist überhaupt kein Autor bekannt, der zwischen der Physis und deren gesellschaftlicher Formbestimmtheit derart scharf und konsequent unterscheidet wie Marx.“

Wobei Physis ohne „gesellschaftliche Formbestimmtheit“ bei Marx eben nicht vorkommt oder nur als Objekt der Formbestimmung.

„Die freie Vergesellschaftung der Menschen ist zugleich auch die Befreiung der Natur, nämlich "vollendeter Naturalismus", der "die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen und der Natur" ist, "die vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur."

Ja genau das ist das Problem; wer erwartet, sich von der Natur befreien zu können (wie immer das aussehen soll) oder sie zu „humanisieren“ ist natürlich schon im Irrtum befangen, und genau das ist es, was Kolakowski meint (denke ich). Marxisten haben, wo sie politische Macht hatten, die Natur (sowohl die menschliche wie die außermenschliche) „humanisert“, indem sie Flüsse umleiteten, irrsinnige Agrarexperimente anstellten, die zu Hungersnöten führten, Atom-U- boote im flachen Meer versenkten und großflächige Verseuchungen verursachten usw. Das ist auch nur konsequent, wenn die Natur für den Menschen nur als Objekt der Bearbeitung vorkommt.

Ich weiß, der Kapitalismus tat das alles auch, allerdings ohne das marxsche Befreiungspathos.

„http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40736312.html“

Schöner Artikel, aber auf den von mir angeführten Punkt des Prometheismus/Krypto-Leninismus geht er überhaupt nicht ein, oder? Und dieser Satz „ Da alle Wissenschaft darauf beruht, zwischen Wesen und Schein zu unterscheiden“ ist direkt von Hegel oder? Und dann dem Kolakowski vorwerfen, er sein Positivist, what a joke!

"Wie bei anderen Intellektuellen des kommunistischen Ostens treibt auch Kolakowski die Enttäuschung über den von ihm vordem rezipierten stalinistischen Vulgärmarxismus in die Arme des Antimarxismus.“

Klar, anders als westdeutsche Salonlinke wusste Kolakowski aus eigener Erfahrung, wie die Humanisierung der Natur und die Vereinigung freier Menschen in der Praxis aussahen.

„Ohne den Durchgang durch die harte Schule des orthodoxen Neomarxismus, wie er durch solche Namen wie Korsch, Lukàcs, Adler, Bloch und andere vertreten wird, bleibt der Zugang zur ganzen Tiefe marxistischen Denkens unweigerlich verschlossen."

Der Spiegel-Artikel stammt vom Oktober 1977, als grade Band 1 des dreibändigen Werkes erscheinen war. In Band drei von 1979 finden sich 16 Seiten über Korsch, 70 Seiten über Lukacs und 30 Seiten über Bloch, die am Fazit aber nichts ändern: „Die Selbstvergötterung des Menschen, welcher der Marxismus philosophischen Ausdruck verlieh, endet wie alle individuellen und kollektiven Versuche der Selbstvergötterung. Sie erweist sich als der farcenhafte Aspekt der menschlichen Unzulänglichkeit.“

„Und ich komme noch einmal darauf zurück: Zum Verständnis Kolakowskys ist nicht nur wichtig zu wissen, dass er seine Marxrezeption unterm Stalinismus erlangte, sondern auch, dass er polnischer Katholik ist. Und das heißt, der Marxismus wird von Vornherein als eine der richtigen Auslegung bedürftige Heilslehre betrachtet, seine Marx-Interpretation ist eine Art Scholastik.“

Das K. über Erfahrungen aus erster Hand mit dem Leninismus/Stalinismus verfügte, macht ihn als Marx-Interpret unglaubwürdig? Ist nicht eher das Gegenteil der Fall? Übrigens war er Mitglied der polnischen KP und würde 1966 wegen mangelnder Linientreue ausgeschlossen, K. war also Kommunist, bevor er sich dem Christentum zuwandte. In sofern kann also keine Rede davon sein, dass er den „Marxismus wird von Vornherein als eine der richtigen Auslegung bedürftige Heilslehre“ betrachtet hätte. Es sei denn, man schlösse von der Anhängerschaft an die marxistische Heilslehre auf eine entsprechende Disposition, die dem Katholizismus geneigt macht. Wäre ja denkbar.

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"Klingt alles toll, allerdings ändert es nichts daran, dass Marx nirgendwo auch nur annähernd konkret sagt, wie denn diese „Gesellschaft der frei assoziierten Produzenten“ konkret organisiert werden soll. Womit Lenin und andere freie Bahn hatten und sich auf Marx berufen konnten"

Super - jeder, der "Freiheit" sagt und nicht ausführt, was nun exakt und reißbretthaft er damit meint, ist nunmehr jemand, in dem der Totalitarismus "angelegt" ist, gerade WEIL er es NICHT sagt. Damit ist jeglicher Totalitarismuskritik von liberaler Seite der Garaus gemacht.

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Zum Begriff der "Diktatur"
bei Marx habe ich gerade etwas bei Genova gesagt, und hoffe, dass W&G sich wenigstens in diesem Punkt nun beruhigen.

Zu Willys letztem Kommentar hier werde ich übers Wochenende noch etwas schreiben.

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Und ich habe es gerade ergänzt.

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