... newer stories
Sonntag, 3. Dezember 2006
Das Bambi muss längst erwachsen sein!
che2001, 17:11h
Bei der Bambi-Verleihung wurden wiedereinmal goldene Kitze verteilt. Diese Veranstaltung läuft doch schon zig Jahre - da müsste das Vieh doch eigentlich längst ein prachtvolles Geweih tragen :-)
... link (5 Kommentare) ... comment
Meine Utopien
che2001, 16:59h
Meine erste politische Utopie hatte ich in der Pubertät, als wir uns in der Clique eine heile Ökowelt ausmalten, in der Städter massenweise zu kollektiv wirtschaftenden Subsistenzbauern werden, in den Städten selbst eine Mischung aus solarer Revolution und Pedalisierung stattfindet. Wir träumten, die Statusobjekte unserer Kumpels, die Roller und Enduros, würden durch Pedalräder ersetzt, die aber keine gewöhnlichen Fahrräder waren. Wir erfanden Velos (Liegefahrräder mit Chopperlenker und Bananensattel), Pedalos (Tandemvelos), Trikes (Dreiradvelos), Troikas (Dreiradpedalos) und Tridems. In dieser Welt, die aussah wie eine Mischung aus Republik Freies Wendland und Kristiania, gab es latürnich jede Menge gutes Zeug zu rauchen. Wir erfanden Ökotopia, ohne dieses Buch zu kennen, und nannten uns United Flower Power Bauers.
Meine zweite Utopie hatte ich zu Anfang meines Studiums, einen Anarchosozialismus, der am Katalonien des Spanischen Bürgerkriegs orientiert war und an der ukrainischen Machnotschina, besser gesagt, nicht an dem, was diese tatsächlich bedeutet hatten, sondern an Büchern: Enzensbergers "Der kurze Sommer der Anarchie", Orwells "Mein Katalonien", Arschinows und Wolins Büchern über die ukrainische Revolution. Gleichzeitig lehrte mich die Autonomie Neue Folge 1, dass nicht die Ayatollahs im Iran die Revolution gemacht hatten, sondern dass es sich um eine klassische proletarische Revolution gehandelt hatte, in der der Klerus dem Volk die Macht wiueder abgenommen und eine neue Diktatur errichtet hatte, wie dies in Russland seinerzeit die Schicht der kleinbürgerlichen Bürokraten getan hatte. Es schien das Schicksal von Revolutionen zu sein, verraten zu werden und despotische Ordnungen zu schaffen. In Nicaragua sahen wir allerdings einen in seinen Grundzügen durchaus demokratischen Sozialismus (der sich später als so demokratisch erwies, auch seine demokratische Abwahl hinzunehmen), den wir nach Kräften unterstützten. Eine Genossin ging als Brigadista nach Nicaragua, und wir lasen eine Weile Barricada International, wo auch über unsere Aktionen in Deutschland berichtet wurde. Diese Art Solidarität sollte sich fortsetzen, zu Kurdistan-Irak, zu Nigeria, zu Chiapas, zu Nordirland, zu bosnischen Flüchtlingen in Deutschland, und sie war nie theoretisch und abstrakt, sondern sehr handfest. Wir haben von Abschiebung bedrohte Asylbewerber versteckt, wir haben Abgeschobene zurückgeholt, zur Rettung einer Gefolterten beigetragen, Zerbombtes wiederaufgebaut, an Menschenrechtsdelegationen teilgenommen. Bei alldem blieb nicht viel Zeit, an utopischen Entwürfen zu basteln, und die Jammer-Anarchisten, die marxistischen Linken vorhielten, sie würden im Falle einer Revolution ein zweites Kronstadt anrichten (als ob es in den 1980ern und 90ern nicht Dringlicheres gäbe) oder die Rechtfertigungs-Marxisten, die immer noch unmenschliche Regime verteidigten fand ich gleichermaßen ziemlich lächerlich, um nicht zu sagen, ich verachtete sie. Einige Genossen allerdings vertraten eine sehr viel konkretere Utopie, die nicht die Meinige war, die ich aber interessant fand. Noch zu Zeiten der Antiatomraketen-Friedensbewegung meinten sie, man müsste dieser nach der Stationierung der Waffen einen neuen Drive geben, Richtung gesamtdeutscher Neutralismus. Die DDR würde früher oder später, eher früher als später, zusammenbrechen, daher müsste man den Bürgerlichen und den Rechten das Thema Deutsche Wiedervereinigung weg nehmen und von links mit Inhalt füllen: Blockfreies sozialistisches demokratisches Deutschland und Deutscher Friedensvertrag, Synthese beider Systeme, vielleicht ein Zwischending aus Schweden und Jugoslawien, radikal neutral (was in Antiimp-Sprech dann hieß "Der imperialistischen Kriegsmaschine die Standbeine Ramstein und RheinMainAirBase weghauen"). Wie gesagt, es war nicht meine Forderung und nicht meine Kampagne, ich fand es aber zumindest sehr nachdenkenswert. Der größte Teil der Szene reagierte darauf mit aufgeregter Aggression und bezeichnete diese realistischen Utopisten als rechte Uboote. Schließlich war das Thema verloren und wurde zur Domäne tatsächlicher Rechter wie Mechtersheimer.
Schade, den Aufkleber
"Keine fremden Truppen in Deutschland!
Keine deutschen Truppen im Ausland!"
hätte ich heute gerne auf meinem Auto.
Je mehr ich mich wissenschaftlich mit Politik auseinandersetzte, so weniger utopisch war mein eigenes politisches Denken, nicht bedingt durch die Wissenschaft, sondern durch die immer dystopischere politische Wirklichkeit. Geblieben ist bis heute aber Eines: die feste Überzeugung, dass man fast alles, was politisch so läuft, völlig anders und sehr viel besser machen könnte und müsste.
Meine zweite Utopie hatte ich zu Anfang meines Studiums, einen Anarchosozialismus, der am Katalonien des Spanischen Bürgerkriegs orientiert war und an der ukrainischen Machnotschina, besser gesagt, nicht an dem, was diese tatsächlich bedeutet hatten, sondern an Büchern: Enzensbergers "Der kurze Sommer der Anarchie", Orwells "Mein Katalonien", Arschinows und Wolins Büchern über die ukrainische Revolution. Gleichzeitig lehrte mich die Autonomie Neue Folge 1, dass nicht die Ayatollahs im Iran die Revolution gemacht hatten, sondern dass es sich um eine klassische proletarische Revolution gehandelt hatte, in der der Klerus dem Volk die Macht wiueder abgenommen und eine neue Diktatur errichtet hatte, wie dies in Russland seinerzeit die Schicht der kleinbürgerlichen Bürokraten getan hatte. Es schien das Schicksal von Revolutionen zu sein, verraten zu werden und despotische Ordnungen zu schaffen. In Nicaragua sahen wir allerdings einen in seinen Grundzügen durchaus demokratischen Sozialismus (der sich später als so demokratisch erwies, auch seine demokratische Abwahl hinzunehmen), den wir nach Kräften unterstützten. Eine Genossin ging als Brigadista nach Nicaragua, und wir lasen eine Weile Barricada International, wo auch über unsere Aktionen in Deutschland berichtet wurde. Diese Art Solidarität sollte sich fortsetzen, zu Kurdistan-Irak, zu Nigeria, zu Chiapas, zu Nordirland, zu bosnischen Flüchtlingen in Deutschland, und sie war nie theoretisch und abstrakt, sondern sehr handfest. Wir haben von Abschiebung bedrohte Asylbewerber versteckt, wir haben Abgeschobene zurückgeholt, zur Rettung einer Gefolterten beigetragen, Zerbombtes wiederaufgebaut, an Menschenrechtsdelegationen teilgenommen. Bei alldem blieb nicht viel Zeit, an utopischen Entwürfen zu basteln, und die Jammer-Anarchisten, die marxistischen Linken vorhielten, sie würden im Falle einer Revolution ein zweites Kronstadt anrichten (als ob es in den 1980ern und 90ern nicht Dringlicheres gäbe) oder die Rechtfertigungs-Marxisten, die immer noch unmenschliche Regime verteidigten fand ich gleichermaßen ziemlich lächerlich, um nicht zu sagen, ich verachtete sie. Einige Genossen allerdings vertraten eine sehr viel konkretere Utopie, die nicht die Meinige war, die ich aber interessant fand. Noch zu Zeiten der Antiatomraketen-Friedensbewegung meinten sie, man müsste dieser nach der Stationierung der Waffen einen neuen Drive geben, Richtung gesamtdeutscher Neutralismus. Die DDR würde früher oder später, eher früher als später, zusammenbrechen, daher müsste man den Bürgerlichen und den Rechten das Thema Deutsche Wiedervereinigung weg nehmen und von links mit Inhalt füllen: Blockfreies sozialistisches demokratisches Deutschland und Deutscher Friedensvertrag, Synthese beider Systeme, vielleicht ein Zwischending aus Schweden und Jugoslawien, radikal neutral (was in Antiimp-Sprech dann hieß "Der imperialistischen Kriegsmaschine die Standbeine Ramstein und RheinMainAirBase weghauen"). Wie gesagt, es war nicht meine Forderung und nicht meine Kampagne, ich fand es aber zumindest sehr nachdenkenswert. Der größte Teil der Szene reagierte darauf mit aufgeregter Aggression und bezeichnete diese realistischen Utopisten als rechte Uboote. Schließlich war das Thema verloren und wurde zur Domäne tatsächlicher Rechter wie Mechtersheimer.
Schade, den Aufkleber
"Keine fremden Truppen in Deutschland!
Keine deutschen Truppen im Ausland!"
hätte ich heute gerne auf meinem Auto.
Je mehr ich mich wissenschaftlich mit Politik auseinandersetzte, so weniger utopisch war mein eigenes politisches Denken, nicht bedingt durch die Wissenschaft, sondern durch die immer dystopischere politische Wirklichkeit. Geblieben ist bis heute aber Eines: die feste Überzeugung, dass man fast alles, was politisch so läuft, völlig anders und sehr viel besser machen könnte und müsste.
... link (6 Kommentare) ... comment
... older stories