Donnerstag, 30. November 2006
Der einzig sinnvolle Freiheitsbegriff
In einem interessanten Thread formulierte Statler die Position, der Begriff der negativen Freiheit (Abwesenheit von Zwang) nach Isaiah Berlin sei der einzig sinnvolle Freiheitsbegriff:

http://che2001.blogger.de/stories/620170/#621401


Demgegenüber würde ich sagen, wenn ich mich schon auf einen "einzig sinnvollen" Freiheitsbegriff festlegen wollte (an sich mag ich keine einzigen Wahrheitenund keine absoluten Begriffe, weil ich lieber so frei bin, unterschiedliche Wahrheiten gelten zu lassen und in Facetten und Annäherungen zu denken), wäre das für mich der Begriff der Autonomie. Das ist ja das Thema, mit dem Jaspers, De Beauvoir, Benjamin, Horkdorno sich abgeplagt haben.

Autonomie bedeutet die reale Fähigkeit eines jeden Menschen (auch und gerade der Schwächsten in einer Gesellschaft), das eigene Leben so weit als möglich nach dem eigenen freien Willen zu gestalten. Voraussetzung dafür ist auch, dass der freie Wille sich überhaupt zu bilden vermag. In totalitären Systemen mit ihren Propagandaapparaten ist dies völlig unmöglich, aber der Spätkapitalismus mit seiner Beherrschung der Öffentlichkeit durch eine werbende Wirtschaft und die Simulation von Realität durch eine interessengeleitete Kulturindustrie ist da nicht viel besser, wenn wir Adorno, Sonntag und Postman folgen. Nach Adorno sind alle unfrei unter dem Anschein frei zu sein, kollektive Freiheitsberaubung wird als organisiertes Vergnügen geliefert, "Alles, was heute Komunikation heißt, ist nur der Lärm, der die Stummheit der Gebannten übertönt".

Zur Freiheit gehört auch die Freiheit von den Einflüsterungen der Bewusstseinsindustrie, in diesem Sinne ist der Mensch in der postmodernen Gesellscháft alles Andere als autonom.


Wie der große Meister Horkheimer sprach:

"Die soziologische Meinung, daß der Verlust des Halts in der objektiven Religion, die Auflösung der letzten vorkapitalistischen Residuen, die technische und soziale Differenzierung und das Spezialistentum in kulturelles Chaos übergegangen sei, wird alltäglich Lügen gestraft. Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit. Film, Radio, Magazine machen ein System aus. Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen. Die ästhetischen Manifestationen noch der politischen Gegensätze verkünden gleichermaßen das Lob des stählernen Rhythmus. Die dekorativen Verwaltungs- und Ausstellungsstätten der Industrie sind in den autoritären und den anderen Ländern kaum verschieden. Die allenthalben emporschießenden hellen Monumentalbauten repräsentieren die sinnreiche Planmäßigkeit der staatenumspannenden Konzerne, auf die bereits das losgelassene Unternehmertum zuschoß, dessen Denkmale die umliegenden düsteren Wohn- und Geschäftshäuser der trostlosen Städte sind. Schon erscheinen die älteren Häuser rings um die Betonzentren als Slums, und die neuen Bungalows am Stadtrand verkünden schon wie die unsoliden Konstruktionen auf internationalen Messen das Lob des technischen Fortschritts und fordern dazu heraus, sie nach kurzfristigem Gebrauch wegzuwerfen wie Konservenbüchsen. Die städtebaulichen Projekte aber, die in hygienischen Kleinwohnungen das Individuum als gleichsam selbständiges perpetuieren sollen, unterwerfen es seinem Widerpart, der totalen Kapitalmacht, nur um so gründlicher. Wie die Bewohner zwecks Arbeit und Vergnügen, als Produzenten und Konsumenten, in die Zentren entboten werden, so kristallisieren sich die Wohnzellen bruchlos zu wohlorganisierten Komplexen. Die augenfällige Einheit von Makrokosmos und Mikrokosmos demonstriert den Menschen das Modell ihrer Kultur: die falsche Identität von Allgemeinem und Besonderem. Alle Massenkultur unterm Monopol ist identisch, und ihr Skelett, das von jenem fabrizierte begriffliche Gerippe, beginnt sich abzuzeichnen. An seiner Verdekkung sind die Lenker gar nicht mehr so sehr interessiert, seine Gewalt verstärkt sich, je brutaler sie sich einbekennt. Lichtspiele und Rundfunk brauchen sich nicht mehr als Kunst auszugeben. Die Wahrheit, daß sie nichts sind als Geschäft, verwenden sie als Ideologie, die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich herstellen. Sie nennen sich selbst Industrien, und die publizierten Einkommensziffern ihrer Generaldirektoren schlagen den Zweifel an der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Fertigprodukte nieder.



Aber dafür sind Sprache und Gestik der Hörer und Zuschauer bis in Nuancen, an welche bislang keine Versuchsmethoden heranreichen, vom Schema der Kulturindustrie noch stärker durchsetzt als je zuvor. Heute hat sie die zivilisatorische Erbschaft der Frontier- und Untemehmerdemokratie angetreten, deren Sinn für geistige Abweichungen auch nicht allzu zart entwickelt war. Alle sind frei, zu tanzen und sich zu vergnügen, wie sie, seit der geschichtlichen Neutralisierung der Religion, frei sind, in eine der zahllosen Sekten einzutreten. Aber die Freiheit in der Wahl der Ideologie, die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt, erweist sich in allen Sparten als die Freiheit zum Immergleichen. Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl der Worte im Gespräch, ja das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregungen hinein dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht. Die intimsten Reaktionen der Menschen sind ihnen selbst gegenüber so vollkommen verdinglicht, daß die Idee des ihnen Eigentümlichen nur in äußerster Abstraktheit noch fortbesteht: personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen. Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwangshafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren."


Der Mensch als Person gerät hierbei also unter völllige Heteronomie.

Ach ja, am Rande: Der Freiheitsbegriff bei Jiddo Krishnamurti ist ebenfalls eine diskutierenswerte Angelegenheit.

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