Samstag, 5. November 2005
Ein Ausdruck, den ich hasse
ist das Wort Sozialromantik, das mir oft nachgesagt oder angehängt wird. Sorry, aber für mich war politisches Engagement für eine andere Gesellschaft knapp zwei Jahrzehnte lang Lebensinhalt, und ich bin immer noch der Auffassung, dass der Kampf gegen Sozialabbau und für Menschen-und Bürgerrechte eine existenzielle Sache ist, die nichts mit Romantik, sondern mit Lebenschancen zu tun hat.


Für einige Leute aus meiner Vergangenheit bin ich sogenannter Sozialromantiker schon ein Charakterschwein oder schäbiger Verräter, weil ich in der Wirtschaft mein Geld verdiene, statt, wie ein anständiger Linker tun soll, entweder in einem sozialen Projekt oder bei einem kritischen Medium, in der Wissenschaft, im Gesundheitsesen oder gar nicht zu arbeiten.


DCT hat eindeutig genug demonstriert, dass die Charaktereigenschaften allzu vieler CEOs und
Manager sich am Ehesten als herzlos und brutal beschreiben lassen, nicht selten mit völliger
Verantwortungslosigkeit gepaart. Das sind dann diejenigen, die alle Menschen, die eine gerechtere
und solidarischere Gesellschaft als die Vorhandene wollen, als Sozialromantiker bezeichnen und
diesen Ausdruck wie ein Schimpfwort gebrauchen.

Dem herzlos und brutal
würde ich als Gegensatz warmherzig und freundlich entgegensetzen, dem Sozialromantiker den
asozialen Technokraten (ist es freundlich, wenn Wirtschaftsyuppies asoziale
Technokraten oder sozial behindert genannt werden?)

Merkwürdig ist das mit
dem Begriff der sozialen Kompetenz. Das Wort steht heute als Anforderung in jedem
Bewerberprofil, und gemeint sind damit Dinge wie Teamfähigkeit und
Kommunikationsvermögen. Als ich den Begriff in meiner Studienzeit zum ersten
Mal gehört habe (noch als Substantiv Sozialkompetenz), waren damit Dinge gemeint wie
Großzügigkeit, spontane Hilfsbereitschaft, die Fähigkeit zu teilen, Rücknahme des eigenen
Egoismus, also keine Soft Skills, sondern Charaktereigenschaften, die auf
einen Menschen hinauslaufen, der nicht ins Menschenbild der New Economy
passt. Die asozialen Technokraten bezeichnen solche Leute verächtlich als Gutmenschen.

Dieser Ausdruck ist, wenn ich mich nicht sehr täusche, von Joseph Goebbels.

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Zitat:
"Was soll und was kann heißen: "bitte keine Emotionen - bleiben wir sachlich"?
(...)
Damit wäre die Frage zu präzisieren, was eigentlich gemeint sei, die zivilisierte Form, in der ein Anliegen vorzutragen ist, oder das Einfließenemotionaler Urteile in die Argumentation. Wer die öffentliche Diskussion der letzten 10 Jahre verfolgt hat, mußte den Eindruck gewinnen, daß der Bannstrahl nicht nur der Form, sondern auch den Inhalten der Emotionen gilt. Wer etwa in aller Form gegen bestimmte Tier- und Menschenversuche protestiert oder nicht bereit ist, unvorhersehbare Risiken für sich und künftige Generationen zu übernhemen, oder sich gegen die Ausweisung von gefährdeten Flüchtlingen wehrt, wird häufig sogleich ermahnt, sachlich zu bleiben.

Andererseits werden Partikularinteressen von Individuen oder GRuppen offenbar nicht für emotional besetzt gehalten. Egoistische Motive gelten als selbstverständlich und rational. Was eigentlich zu irritieren scheint, sind Mitgefühl für andere und prinzipielle moralische Bedenken, "Bitte keine Emotionen" kann also auch heißen: Argumentieren wir zweckrational und lassen wir Wertvorstellungen beiseite! Freilcih zeigt sich, daß moralische Urteile "ein unvermeidliches Ingrediens unseres Lebens" sind, um mit Tugendhat zu sprechen, und deshalb sehen sich auch Interessengruppen gezwungen, ihre Argumente moralisch zu stützen, wobei sie selbstverständlich beanspruchen, die Rationalität auf ihrer Seite zu haben. (Meier-Seethaler 1992)

fiehl mir zu deinem Text grade ein.

Im übrigen findet sich bei autismuskritik.towday auch einiges was wirklich gut zu deinem Eintrag passt.

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Ich bin der Ansicht man kann in der Wirtschaft auch arbeiten wenn man links ist. Wenn ein Unternehmen sozialromantisch gegenüber seinen Mitarbeitern ist, spricht doch nichts dagegen. Ich bin fest davon überzeugt dass man zusammen mehr erreichen kann statt mit Massenentlassungen.

(Ich kann meine Gedanken die beim Lesen deines Textes entstanden sind gerade nicht recht in gut nachvollziehbare Worte fassen, tut mir leid.)

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Wieso, kommt doch klar rüber und stimmt auch !

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Ich hab mal ein sehr kurzes (unbezahltes!) Praktikum in einem PR-Medien-Verlag gemacht. Weil ich keinen Kaffee gekocht habe (ich trinke selbst keinen) winkte der Chefredakteur mich irgend wann zu sich und versuchte mir was zu erzählen: von der sozialen Kompetenz, und dass sein Sohnemann ja auch gerade solche Erfahrungen macht etc. (Das ich ab und zu mal die Küche morgens sauber gemacht habe, weil mir persönlich der Dreck dort zu wieder war, sei nur nebenbei erwähnt. Aber nicht mal das hat ja wirklich was mit sozialer Kompetenz zu tun.) Naja, ich war froh als nach kurzer Zeit ich einen anderen Platz für mein Praktikum bekam. Und ehrlich gesagt kann man ja auch aus negativen Erfahrungen seine persönlichen, durchaus positiven Lehren ziehen.

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Kann ich nachvollziehen, der Begriff Sozialromantik ist per se schon eine Frechheit. Die soziale Kompetenz hingegen wird meist von den Leuten gefordert, die sie am allerwenigsten haben. Eigentlich ist das sehr traurig. :(

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Hi Che,
die Sozialisation im "Linken Milieu" ist sogar manchmal Grundvoraussetzung für erfoglreiches Wirtschaften! So macher K-Grüppler empuppte sich später nicht etwa bei den Grünen (das ist das Harmloseste), sondern als Hardliner bei Roland Berger oder der Deutschen Bank. Klar - alles und jeder ändert sich - wichtig ist, das Gleichgewicht zwischen Kopf (Utopie) und Handeln zu vereinbaren. Im besten Fall kommt eine hohe soziale Kompetenz heraus.
Gruß aus dem dunklen, dunklen, München (da wo Stoiber seine Orientierung verloren hat).

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Mensch Freund, Dich gibt es noch!
Da hast Du natürlich völlig recht. Interessant ist auch, wie erfolgreich viele alte KB-Genossen sind, die Das Kapital genau gelesen und verstanden haben. Oder all die Anwälte: Alte KPDMLer, RAF-Unterstützer oder mindestens KBWLer, heute irgendwas zwischen SPD und PDS, mit einem Lebensstil, der eher zur FPD passen würde und ungemein geldgierig. Schily kommt ja aus der gleichen Ecke.

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Das ist vielleicht der wirkliche Unterschied zwischen Bayern und dem Rest der Welt: Es ist weit verbreitet, dass Karrieristen linke Biografien haben, es gibt sogar Seilschaften von Richtern mit KBW-Vergangenheit. In Bayern ist im Allgemeinen die CSU-Mitgliedschaft oder zumindest Nicht-Unvereinbarkeit immer noch notwendiger Hintergrund.

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Kann ich nur zustimmen
Hi Che,

also den Begriff Sozialromantiker hab ich heute zum ersten Mal in einem Vorstellungsgespräch gehört. Dort musste ich mir das anhören, nachdem ich denen erklärt habe, das es keine Schublade für mich gibt, und das ich gerne weniger Geld verdienen würde, und dafür auch gern weniger Arbeiten würde.

Da hat der Chef dann gekontert und gemeint, das 50-60 Stunden die Woche zu arbeiten normal wären. Er selbst würde 70 Stunden arbeiten, und so blabla. So wie damals in der Steinzeit, der mit der größten Keule darf sich am meisten rausnehmen.

Ich hab ihm dann erst mal erklärt, das ich mich nicht 20 Jahre entwickelt habe, um mich dann mit so ner Kinderkacken-Diskriminierung (siehe Teilzeit, Anzugpflicht) dann wieder zurückzuentwickeln.

Ist schon lustig. Wieso können meistens BWL-Leute am wenigstens diese Sozialromantiker bzw. Idealisten verstehen ? Ingenieure,Naturwissenschaftler oder Informatiker verstehens meistens noch relativ schnell.

Schon der Hammer, das man noch nicht mal selbst entscheiden kann, wie viel Geld man gern verdienen möchte ohne von irgendwelchen Unverständnisvollen diskriminiert zu werden ?

Grüße

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Nun, das wird ermöglicht durch all die freiwilliger-Zwang-Überangepassten, die eine Haltung wie die Deine nie einnehmen würden, denen sie nicht einmal vorstellbar ist. Bleib gerade und good luck!

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