Mittwoch, 29. März 2006
Elemente der Gegenaufklärung, heute: Die Libertären
che2001, 13:21h
Der Begriff Libertäre für Vertreter eines ungehemmten Kapitalismus klingt eigentlich wie Hohn. Traditionell versteht man in Europa den Begriff libertär als ein Synonym für anarchistisch, bzw. als Sammelbegriff für nicht-leninistische Formen radikal linker Position. US-libertarians sind hingegen eher so etwas wie Anarcho-Kapitalisten. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen; erst einmal gilt es zu erläutern, was die deutschen Libertären wollen und wo sie herkommen. Hierzu hole ich bis zur Weltklimakonferenz in Rio de Janeiro aus. Damals, 1992, wurde auf Betreiben diverser NGOs und insbesondere Al Gores die Agenda 21 beschlossen, die vorsah, bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts denEintrag von Treibhausgasen und Schadstoffen in die Athmosphäre wesentlich zu senken. Die Agenda 21 wurde zur Motivationsrichtschnur von Grünen und Umweltinitiativen, die nach dem Motto "global denken, lokal handeln" danach trachteten, lokale Agenden zur Einhaltung der Vorgaben aus der Agenda 21 möglichst in jedem niedersächsischen Dorf zu verwirklichen, zur Basis des späteren Kyoto-Klimaprotokolls, zur programmatischen Vorgabe für die BASF zum nachhaltigen Wirtschaften und zur Inspiration einer neuen Generation von Alternativ-Ökonomen im rot-grünen Umfeld, die nach dem Ende des Kalten Krieges von der "Friedensdividende" und der umweltfreundlichen Marktwirtschaft schwärmten. Von BASF-CEO Strube bis Jürgen Trittin, einig waren sich die Protagonisten darin, dass wirtschaftliches Wachstum in Zukunft nur um den Preis höherer Rohstoffpreise, niedrigeren Energieverbrauchs und verringerten Schadstoffausstoss zu haben sei. Symbolträchtig brachte VW sein Öko-Auto Lupo 3L unmittelbar nach Regierungsantritt von Schöder und Fischer auf den Markt. Die ausgehenden 90er Jahre schienen das Zeitalter des nachhaltigen Wirtschaftens zu sein.
Dessenungeachtet wirtschaftete der Sektor, der die schnellsten Umsatzsteigerungen zu haben schien und die schönsten Börsenerfolge hatte, die New Economy, in der gleichen Zeit überhaupt nicht nachhaltig. Im Gegenteil, man agierte eher nach dem Motto "Found it-bring it up-sell it-run away", es gab sogar Leute, die, anknüpfend an semiotische Theorien und das eigentlich kapitalismuskritisch gedachte Modell der sog. "spektakulären Handelsökonomie" davon ausgingen, dass im postindustriellen Zeitalter nicht mehr der Warenwert, sondern Informationen und Symbole zählen würden, der Wert eine strukturelle Revolution erlebe, die es ermögliche, losgelöst vom realen Tauschwert realer Produkte oder Dienstleistungen Profit machen zu können. In der Praxis hieß dies etwa, dass ein Softwareunternehmen, dessen Software noch in der Entwicklung befindlich, also gar nicht marktreif war, an die Börse ging, mit viel PR dafür sorgte, dass der Kurs der Aktien hoch ging und dann nicht von der Software, sondern vom Verkauf der Aktien selbst lebte.
Ich erspare mir hier, zu schildern, wie das endete. Auffällig ist aber, dass sich in den Reihen der deutschen Libertären recht häufig nicht reich gewordene Vertreter der deutschen New Economy finden. Diese vertreten eine Ideologie, die das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit beinhaltet (haben sie in der NE ja gelernt). In Diskussionen mit Libertären habe ich die seltsamsten Dinge gehört, etwa auf den Hinweis auf knapper werdende Rohstoffe, z.B. Kupfer: "Wenn es kein Kupfer mehr gibt, wird der Markt einen Ersatz finden." Unbekümmert wird die Haltung vertreten, Treibhausgase auszuschütten, der Markt wird es schon regeln - das spiegelbildliche Gegenteil der Formel vom Sustainable Development eben. Scheinbar brauchen gescheiterte NE-Zocker eine Ideologie, um ihre Irrtümer zuzukleistern im Sinne von jetzt-erst-recht. Diese gegenüber der Umwelt gemeingefährliche Haltung verbindet sich mit Manchesterliberalismus und einer sogenannten prowestlichen Haltung, d.h. Unterstützung für die Bush-Administration, allerdings ohne ihren Konservatismus in moralischen und innenpolitischen Fragen zu teilen. Fast hat es den Anschein, die Tatsache, dass Bush aus reinem Opportunismus das Kyoto-Abkommen verletzt und dass die Positionen der Agenda 21 vom Demokraten Gore mitentwickelt wurden, wird von den Libertären zu einer Ideologie umgebogen: Sie sind aus Überzeugung gegen Umweltschutz, soweit würde Bush nie gehen. Der "Markt" wird, verbunden mit einem eigenartigen Geschichtsrevisionismus, der die Arbeiterbewegung als Hermmschuh sozialen Fortschritts auffasst, als seligmachendes Regulativ aufgefasst, Adam Smith´s unsichtbare Hand quasi zur Gottheit hypostasiert. Damit verlassen sie auch den Boden wirtschaftsliberaler Theoriebildung, der blinde Glaube an den Markt nimmt Züge des Aberglaubens an. Anarcho-Kapitalisten vertreten demgegenüber die These, der Kapitalismus würde besser funktionieren, gäbe es keine Staaten mehr und würden alle hoheitlichen Aufgaben von Privatunternehmen übernommen (ich schätze, wenn das geschähe, würden Firmen Privatarmeen aufstellen, die Kriege um Rohstoffe führten). Dazwischen gibt es noch die Sekte der Ayn-Rand-Anhänger und Objektivisten, die eine streng codifizierte Mischung aus Hayek-Liberalismus und Elementen des Anarchokapitalismus und auch konservativer Gedanken vertreten. Für viele junge Wirtschaftsliberale scheint zurzeit die libertäre Ideologie ein kokettes Spiel zu sein, um zu provozieren oder sich gegen "konventionelle" Liberale abzugrenzen, bei anderen nimmt diese Ideologie hingegen totalitäre Züge an, wenn etwa die Todesstrafe damit begründet wird, dass Gefängnis Freiheitsberaubung und daher mit libertären Prinzipen unvereinbar sei.
Dessenungeachtet wirtschaftete der Sektor, der die schnellsten Umsatzsteigerungen zu haben schien und die schönsten Börsenerfolge hatte, die New Economy, in der gleichen Zeit überhaupt nicht nachhaltig. Im Gegenteil, man agierte eher nach dem Motto "Found it-bring it up-sell it-run away", es gab sogar Leute, die, anknüpfend an semiotische Theorien und das eigentlich kapitalismuskritisch gedachte Modell der sog. "spektakulären Handelsökonomie" davon ausgingen, dass im postindustriellen Zeitalter nicht mehr der Warenwert, sondern Informationen und Symbole zählen würden, der Wert eine strukturelle Revolution erlebe, die es ermögliche, losgelöst vom realen Tauschwert realer Produkte oder Dienstleistungen Profit machen zu können. In der Praxis hieß dies etwa, dass ein Softwareunternehmen, dessen Software noch in der Entwicklung befindlich, also gar nicht marktreif war, an die Börse ging, mit viel PR dafür sorgte, dass der Kurs der Aktien hoch ging und dann nicht von der Software, sondern vom Verkauf der Aktien selbst lebte.
Ich erspare mir hier, zu schildern, wie das endete. Auffällig ist aber, dass sich in den Reihen der deutschen Libertären recht häufig nicht reich gewordene Vertreter der deutschen New Economy finden. Diese vertreten eine Ideologie, die das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit beinhaltet (haben sie in der NE ja gelernt). In Diskussionen mit Libertären habe ich die seltsamsten Dinge gehört, etwa auf den Hinweis auf knapper werdende Rohstoffe, z.B. Kupfer: "Wenn es kein Kupfer mehr gibt, wird der Markt einen Ersatz finden." Unbekümmert wird die Haltung vertreten, Treibhausgase auszuschütten, der Markt wird es schon regeln - das spiegelbildliche Gegenteil der Formel vom Sustainable Development eben. Scheinbar brauchen gescheiterte NE-Zocker eine Ideologie, um ihre Irrtümer zuzukleistern im Sinne von jetzt-erst-recht. Diese gegenüber der Umwelt gemeingefährliche Haltung verbindet sich mit Manchesterliberalismus und einer sogenannten prowestlichen Haltung, d.h. Unterstützung für die Bush-Administration, allerdings ohne ihren Konservatismus in moralischen und innenpolitischen Fragen zu teilen. Fast hat es den Anschein, die Tatsache, dass Bush aus reinem Opportunismus das Kyoto-Abkommen verletzt und dass die Positionen der Agenda 21 vom Demokraten Gore mitentwickelt wurden, wird von den Libertären zu einer Ideologie umgebogen: Sie sind aus Überzeugung gegen Umweltschutz, soweit würde Bush nie gehen. Der "Markt" wird, verbunden mit einem eigenartigen Geschichtsrevisionismus, der die Arbeiterbewegung als Hermmschuh sozialen Fortschritts auffasst, als seligmachendes Regulativ aufgefasst, Adam Smith´s unsichtbare Hand quasi zur Gottheit hypostasiert. Damit verlassen sie auch den Boden wirtschaftsliberaler Theoriebildung, der blinde Glaube an den Markt nimmt Züge des Aberglaubens an. Anarcho-Kapitalisten vertreten demgegenüber die These, der Kapitalismus würde besser funktionieren, gäbe es keine Staaten mehr und würden alle hoheitlichen Aufgaben von Privatunternehmen übernommen (ich schätze, wenn das geschähe, würden Firmen Privatarmeen aufstellen, die Kriege um Rohstoffe führten). Dazwischen gibt es noch die Sekte der Ayn-Rand-Anhänger und Objektivisten, die eine streng codifizierte Mischung aus Hayek-Liberalismus und Elementen des Anarchokapitalismus und auch konservativer Gedanken vertreten. Für viele junge Wirtschaftsliberale scheint zurzeit die libertäre Ideologie ein kokettes Spiel zu sein, um zu provozieren oder sich gegen "konventionelle" Liberale abzugrenzen, bei anderen nimmt diese Ideologie hingegen totalitäre Züge an, wenn etwa die Todesstrafe damit begründet wird, dass Gefängnis Freiheitsberaubung und daher mit libertären Prinzipen unvereinbar sei.
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ulysse,
Mittwoch, 29. März 2006, 14:13
Vielleicht sind die libertären Nachwuchs-Ideologen aber auch nur bemüht, eine zerbröselnde Identität zusammenzuhalten. ;-)
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nixxon,
Mittwoch, 29. März 2006, 14:16
Der "Gott" dieser Sekte heißt meines Wissens nach Hoppe und ist Prof an der Uni(!) von Las Vegas(!).
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che2001,
Mittwoch, 29. März 2006, 14:32
Die Rolle Hoppes würde ich differenzierter sehen, zumindest ist er bei Leuten, die sich dem "libertären" lager nahestehend definieren, nicht beliebt; schau hier:
http://che2001.blogger.de/stories/388172/#391801
http://che2001.blogger.de/stories/388172/#391801
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first_dr.dean,
Donnerstag, 30. März 2006, 18:52
Schöne Darstellung, Che! Vermutlich schon kleinere Kuchenkrümel davon, sobald man sie heutigen Wirtschaftslibertären unter die Nase hält, würden die Peristaltik dort auf erfreuliche und dynamische Weise beleben.
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