Dienstag, 22. Januar 2008
Noch einmal ein wenig Haffner
Zu diesem Beitrag hier

http://che2001.blogger.de/stories/1022991/#comments

habe ich noch eine Replik bzw. Fortsetzung. Ich zitiere Haffner:
(Brief eines Freikorpssoldaten)
"Selbst die Verwundeten erschießen wir noch. Die Begeisterung ist großartig, fasst unglaublich. Unser Bataillon hat zwei Tote. Die Roten 200 bis 300. Alles, was uns in die Hände kommt, wird mit dem Gwehrkolben zuerst abgefertigt und dann noch mit der Kugel." So endete der Kapp-Putsch: mit einem mörderischen Strafgericht der immer noch sozialdemokratisch geführten Regierung über ihre Retter, ausgeführt von denen, vor denen sie gerettet worden war.... Nicht die zahlenmäßig und organisatorisch ganz unzulängliche Spartakusgruppe machte die Revolution, sondern Millionen sozialdemokratisch wählende Arbeiter und Soldaten. Die Regierung, die diese Millionen forderten - auch noch im Januar 1919 wie vorher schon im November 1918 - war nicht eine spartakistische oder kommunistische Regierung, sondern eine Regierung der wieder vereinigten sozialdemokratischen Partei. Die Verfassung, die siev erstrebten, war keine Diktatur des Proletariats, sondern eine proletarische Demokratie: das Proletariat, nicht das Bürgertum wollte fortan die herrschende Klasse sein, aber es wollte demokratisch herrschen, nicht diktatorisch. Die entmachteten Klassen und ihre Parteien sollten parlamentarisch mitreden dürfen, ungefähr so, wie im wilhelminischen Reich die Sozialdemokraten hatten demokratisch mitreden dürfen.

--- Soweit Haffner. Ich hätte anzumerken, dass Klaus Meschkat einmal meinte, Marx hätte unter Diktatur des Proletariats keine reale Diktatur verstanden, sondern eine Vorherrschaft, wie er auch den bürgerlichen Staat, ob demokratisch oder nicht, als Diktatur der Bourgeoisie auffasste. Wenn man Haffner folgt, so hatte Ebert Hitler erst möglich gemacht, und der totalitäre Kurs der KPD habe sich erst später ergeben. Noch einmal Haffner:

Das ist der Ursprung der zweiten großen Legende über die deutsche Revolution: dass sie nicht die von den Sozialdemokraten seit fünfzig Jahren proklamierte Revolution gewesen sei, sondern eine bolschewistische Revolution, ein russischer Importartikel, und dass die SPD Deutschland vor dem "bolschewistischen Chaos" bewahrt und gerettet habe (nebenbei: Der Ausdruck "bolschewistisches Chaos" ist in sich selbst eine terminologische Lüge; Bolschewismus, was immer gegen ihn einzuwenden ist, ist das Gegenteil von Chaos, nämlich straffste, diktatorische, wenn man will,tyrannische Ordnung). Diese Legende, von den Sozialdemokraten erfunden, wird von den Kommunisten, gewollt oder ungewollt, gestützt....Es sind nicht die siegreichen, es sind die erstickten und unterdrückten, die verratenen und verleugneten Revolutionen, die ein Volk krank machen. Deutschland krankt an der verratenen Revolution von 1918 noch heute.

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Eigentlich wird ja gesagt, dass 1918/9 die Mehrheit der Arbeiterräte eher sozialdemokratische als sozialistische Ziele verfolgten. So steht es jedenfalls unter anderem auch in Wikipedia. Der Spartakus-Aufstand ging somit gegen die Mehrheit. Die USPD wollte spätere Wahlen, um erst mal ein paar Industriezweige zu verstaatlichen.
Liebknecht befürwortete - anders als Luxemburg - den Rat der Volksbeauftragten mit Waffengewalt zu stürzen.
Fast 20 Jahre später konnten sich in den internen Kämpfen der spanischen Republik im Bürgerkrieg ja die bolschewistische Fraktion gegen Sozialdemokraten und Anarchisten durchsetzen. Danach sind sie mit denen oftmals nicht wirklich nett umgesprungen. Und dabei drängte Moskau auf eine KOOPERATIVERE HALTUNG IHRER EIGENEN LEUTE. Auf dem Papier kann man natürlich sagen, dass eine deutsche Diktatur des Proletariats toleranter gewesen wäre. Aber die DDR Kommunisten waren es dann ab 1948 auch nicht.
Unter Fidel Castro verliessen auch viele gemäßigte anfängliche Sympathisanten in den 60ern die Insel.
Wenn ich mir heute Alo Presidente anschaue, dann sehe ich da auch nix von Toleranz und Pluralismus, sondern eine rotgekleidete Menge ohne Dissenz. Meistens redet Hugo über sein Projekt.
Fazit: Politiker, die im Namen des Proletariats regieren , haben ein Problem mit Pluralismus und Toleranz.

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Nochmal wider die Mythenbildung
Es gab eigentlich keinen Spartakusaufstand. Im November und Dezember 1918 waren die Räte damit beschäftigt, die Ministerien und Ämter sowie Kommandanturen zu besetzen, nicht die Fabriken. Die bewaffneten Arbeiter waren bewaffnet, aber sie schossen nicht. Die Besetzungen spielten sich weitgehend gewaltfrei ab, wenn man von Rempeleien absieht und hatten mit der Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße mehr Ähnlichkeit als mit dem Roten Oktober. Geschossen wurde von Seiten der Arbeiter erst als Reaktion auf die Eröffnung des Feuers durch Regierungstruppen (und zwar gleich mit Artillerie) am Ersten Weihnachtstag. Der Aufstand ab dem 5.Januar war eigentlich ein spontaner Aufstand gegen die Absetzung des Polizeipräsidenten Eichhorn, dem sich die Spartakisten lediglich anschlossen. Die KPD beanspruchte zwar die Führung im Aufstand (zumindest tat Liebknecht dies),tatsächlich wurde sie aber von der Dynamik des Massenaufstandes lediglich mitgerissen. Die ursprüngliche Erhebung im November war der Versuch der (mehrheitlich sozialdemokratischen) Arbeiter, die Machtstrukturen des Kaiserreichs unter ihre Kontrolle zu bekommen, basisdemokratisch und ohne Rücksprache mit ihrer eigenen Führung, und die Führung, d.h. Ebert, Scheidemann, Noske antwortete mit Waffengewalt gegen die eigene Basis. Der sogenannte Spartakusaufstand war eine Reaktion der Arbeitermassen auf die Gewalt von oben. Was war denn damals der Spartakusbund? Eine Gruppe ehemaliger SPD-bzw. USPD-Abgeordneter aus dem Reichstag, die bequem in ein Klassenzimmer gepasst hätte. Erst am 11. November wurde ein reichsweiter Spartakusbund gegründet und am 1.Januar dann die KPD. Spartakist war damals seitens der Mehrheitssozialisten und der Gardekavallerieschützen eine diskriminierende Bezeichnung für revolutionäre Arbeiter, die man auch gleich mit "die zu Erschießenden" übersetzen kann, aber nur in den wenigsten Fällen eine Eigenbezeichnung.


Und die KPD Luxemburgs,Liebknechts,Jogiches und Levis war auch keine bolschewistische, sondern eher eine basisdemokratische Partei, Luxemburg hatte mit Anarchosyndikalisten mehr gemein als mit Bolschewiki. Die Thälmann-KPD entstand erst nach der Niederschlagung des Hamburger Arbeiteraufstands von 1923.

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Und was für ganz und gar unleninistische Strukturen und Leute damals noch in der KPD mitmischten, die sich später von ihr trennten, wird hieraus deutlich:


http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Arbeiter-Union_%E2%80%93_Einheitsorganisation

http://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Arbeiterpartei_Deutschlands

Und hieraus, dass die KPD erst durch die zeitweilige Vereinigung mit der USPD-Mehrheit überhaupt eine Massenbasis bekam:

http://de.wikipedia.org/wiki/Vereinigte_Kommunistische_Partei_Deutschlands

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Interessantes Thema, btw.
Die Pläne Liebknechts (Verstaatlichung, Verschiebung von Wahlen auf ein späteres Datum) hören sich ein bischen nach nicht konsensfähigen Maximalforderungen an. Hätte das nicht zu einer Gegenreaktion des (Klein-) Bürgertums mit noch mehr Eskalation von Gewalt geführt? Zugegeben hat es auch so schon eine Menge Gewalt gegeben, und wie die Dinge gelaufen sind wurden viele individuelle Kommunisten dann Opfer.
In freien, geheimen Wahlen konnte die USPD nie eine wirklich große Wählerschaft hinter sich versammeln. Was ich in meiner Familie noch mitgekriegt habe, konnten USPD/KPD Wähler zwar nette Menschen sein. Damals hatten sie aber politisch ziemlich klare Vorstellungen. Es ging um die Umsetzung eines "richtigen" Projekts. Für meinen Opa war der Mann seiner Schwester in den 20ern eben ein rosa-roter. Ein Mann eben, der den Schuß nicht wirklich gehört hat. Mein Opa war ein großartiger Mann, aber seine marxistischen Überzeugungen der 20er haben ihn politisch sicher nicht besonders konsensfähig gemacht.
Auch wenn es nur wenige Spartakisten gab, war ihnen wohl bewußt, dass es in der Bevölkerung ein gewisses Potential an Personen gab, die ihnen nach der Verelendung im WK1 mit erschossenen Familienvätern, sich-durchschlagen-müssenden alleinerziehenden Müttern, Hunger, etc. folgen würden.

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Möglicherweise hätte es einen Bürgerkrieg im Wortsinn, mit gegeneinander kämpfenden Armeen gegeben. Hätte hingegen Ebert die Novemberrevolution nicht zusammengeschossen, wäre ein friedlicher Übergang zu einem basisdemokratischen Sozialismus möglich gewesen.Hätte die Oberste Heeresleitung am 28. Oktober kapituliert,hätte es keine Novemberrevolution gegeben.

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das mit dem bürgerkrieg wäre eine möglichkeit gewesen, eine ziemlich reale. dabei nicht vergessen, dass die gedienten jahrgänge gerade erst gelernt hatten, wie mans macht.

denn, berlin war das eine. das ruhrgebiet auch noch, aber die bauern in der provinz hatten die lebensmittel und tauschten die lieber gegen klaviere und perserteppiche (ja, die alte urban legend von anno dunnemals) als gegen papiergeld, mit dem sie allenfalls ihre steuern bezahlen konnten. warum wohl war der bayrischen landbevölkerung die münchner revolutionäre so dermassen verhasst? weil sie dumm und verhetzt waren?

dummheit ist keine erklärung.

nachgekartet: für frau barbara tuchmann, august vierzehn, bei fischer als taschenbuch, leider habe ich es nciht greifbar, eher doch.

nein, es wird wohl so gewesen sein, dass alle die gefangenen ihrer jeweiligen ideologie waren (nachgekartet: was man auch dummheit nennen kann) am allerschlimmsten diejenigen, die dem volk einen grandiosen sieg als lohn für alle opfer versprochen haben

(mal andersrum: was wäre in deutschland geschehen, wenn der generalstab eben nicht die gelegenheit genutzt haben wollte, das kaiserliche russland zu stutzen, solange noch zeit war, wie lange wäre das noch gut gegangen mit sm kaiser wilhelm? das mit dem griff nach der weltmacht, was das die reine hybris oder eher so etwas wie ein ablenkungsmanöver um die kaisertreuen weiter bei der stange zu halten?

was wäre in kakanien geschehen, wenn graf berchtold dem kaiser gesagt hätte, er wor jo no so jung, der kronprinz, aber desweng fang ma mit serbien doch kan krieg net an, was würd da der zar sogn. ham mir denn kaa komtess net, die mir nach serbien verheiratn kunntn? kakanien stand kurz vor dem auseinanderbrechen, sogar die abgeordneten in den landtagen prügelten sich bei den sitzungen im plenum.

nachtarockt: etwas früher schlich in wien ein postkartenmaler durch die männerheime und legte in der k.k. haupt- und residenzstadt die grundlage zu seinem judenhass. nachzulesen, sehr instruktiv, bei: brigitte hamann, hitlers wien, lehrjahre eines diktators, bei piper).

von daher war es doch eher erstaunlich, wie lange sich weimar gehalten hat.

(auch da wäre die alternative zur verhassten republik so ab den dreissigern ein autoritäres junkerregime gewesen, mit reichlich tschinderrassabum und schimmernder wehr für die einen, stiefel ins gesicht für die anderen. herr v. papen stand ja schon bereit, erwies sich aber in der auswahl seines dienstpersonals als eher ungeschickt.

im erfolgsfalle der adligen kaste wäre es zu einem krieg gegen russland gekommen, einfach deswegen, weil es da noch was zu erobern gab, die sowjetunion eben est selber einen bürgerkrieg hinter sich hatte und kriege zu der zeit noch führbar waren).

wäre auch noch was für die alternative geschichts- und romanschreibung, das deutsche reich, wieder unter einem kaiser, mit frankreich und england gegen die sowjetunion.

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Che, das zeichnet mir Ebert zu negativ.
Ich denke, dass Deutschland damals viel mehr eine Klassengesellschaft war als heute und es hätte einfach kein Grundkonsens als tragfähige Basis bestanden.
Im übrigen haben dann nachher mehr Arbeiter SPD als USPD/KPD gewählt. Vermutlich auch ziemlich harmoniesuchend, aber mein Opa war bis 33 politisch sicher gegenüber "rosa-roten" unerbittlich. Das legitimiert natürlich nicht das Vorgehen, das heute mit dem Namen Noske verknüpft wird.
Bewegungen mit radikal-basisdemokratischen Zielen haben Gesellschaften auch mitgestaltet. Aber sie konnten sich zu keiner Zeit stabilisieren. Leute wie Ebert haben das zumindest zeitweise hinbekommen. Adenauer, die spanische PSOE, die chilenische Concertación dauerhafter. Ich seh darin eine Leistung.
Selbst die spanische Republik, in einer sehr akuten Bedrohungssituation von Seiten der Kathol-Faschisten, war geprägt von einem ständigen Aufbrechen von gegenseitiger Obstruktion selbst der anti-frankistischen Kräfte und dort insbesondere der Linken (moskau-mässig, sozialistisch, anarcho-syndikalistisch). Zumindest wenn man Antony Beevor glaubt.
Selbst wenn du die sehr tiefe aber kurze argentinische Krise vor 7 Jahren nimmst. Ja. Es hat Fabrikbesetzungen gegeben. Aber eben sehr wenige. Emotional sympathisiere ich echt stark mit egalitären Bewegungen, die ihr Zeugs in die eigenen Hände nehmen. Nur gibt es dafür in der Geschichte IMHO nicht so viele positive Befunde.

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Ich würde Ebert ja gar nicht als den "Bösen" betrachten, sondern eher als einen Getriebenen, der nicht weiter wusste und der gefangen war in kleinbürgerlicher Bravheit, die vor der illegalen Aktion der Arbeiter und Soldaten erschrak. Übrigens, am Rande: Schirrmacher stellt die damalige rechte Soldateska im Ernst als neutrale Ordnungsmacht dar, die zu Unrecht von links kritisiert wurde. So weit ist unsere Medienwelt schon wieder.

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@auch einer, das Szenario liegt fertig in meinem Kopf, etwas anders allerdings: Kakanien ohne deutsche Beteiligung gegen Serbien und Russland, am Ende dann Auflösung des Habsburgerreichs, großdeutsche Lösung (Konkursmasse Österreich geht an Deutschland), russische Revolution bleibt eine rein bürgerliche, Deutschland muss sich den Unabhängigkeitsbewegungen in seinen Kolonien stellen, Befreiungsbwegungen auch in den englischen und französischen Kolonien kooperieren untereinander, es entsteht eine antiimperialistische Bewegung in allen Kolonien...

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was wäre, wenn
er erste weltkrieg nicht stattgefunden hätte?

kakanien gegen serbien leuchtet ein. das russische reich wäre für den kaiser franz josef und seine völker etwas zu gross. denkbar wäre da eine neuauflage der hl. allianz, weil ja auch dem zaren seine völker etwas unruhig werden. russland als ordnungsmacht auf dem balkan. was meint denn da die hohe pforte dazu - der ganze hustle da hinten kommt doch daher, dass die türkei schwach und schwächer wird. noch einer mit im boot, das deutsche kaiserreich garantiert, dass konstantinopel weiter istambul bleibt und baut lustig weiter an der hedschasbahn, sehr zum vergügen der engländer, die sich schon auf das öl gefreut haben, und die franzosen, die ja schon seinerzeit am suezkanal gebuddelt haben.

wie gesagt, kriege galten zu der zeit noch als führbar.

dass der österr. - russ. krieg mit einer niederlage kakaniens endet ist mehr als plausibel, dass dann die vöker auseinanderstreben, genauso. dass deutschösterreich zum deutschen reich geht, entspricht den damaligen vorstellungen der aggressiv patriotischen deutschösterreicher. aber will berlin das? das reich wäre auf einmal sehr viel katholischer, und dazuhin noch jüdischer und das walte doch der hofprediger stöcker.

die bürgerliche revolution in russland hat unter lwow und kerenski auch stattgefunden, anfang märz 1917. angenommen, der weg zur parlamentarischen demokratie in russland geschieht mit dem zaren, als friedensdividende nach dem sieg über österreich und dem heimholen aller slawen zur mutter russland, wäre das jahrhundert ein russisches.

und das zweite deutsche reich hat probleme in den kolonien. genau. mit den hereros war man gerade noch fertig geworden, aber mittlerweile kommen immer mehr im reich drauf, dass das alles nur kostet, die kolonialverwaltung aast mit dem geld, dabei braucht man universitäten, weil russland eben mächtig industrialisiert.

und in indien ist da neuerdings so ein komischer rechtsanwalt, der meint, wer garnix tut, schwächt die herrn am gründlichsten.

ja prima, hoffentlich kommt das senario auch aufs papier oder ins netz.

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