Sonntag, 29. Juni 2008
Zwei Jahre Haft auf Bewährung für Tötung eines Menschen
Tja, bei rechtsradikalen Gewalt- und Attentätern hat sich das mit Bewährungsstrafen halt bewährt. Das Landgericht Erfurt wertet die Umstände des Todes von Hartmut Balzke als
minderschweren Fall der Körperverletzung mit Todesfolge. Das Urteil ist Ausdruck von Missachtung sozial Randständiger
*
In der vorigen Woche wurde am Landgericht Erfurt das Urteil im Prozess um den
gewaltsamen Tod von Hartmut Balzke (48) am 25. Januar 2003 in Erfurt in
Folge eines rechtsextremen Angriffs verkündet. Die 2.
Schwurgerichtskammer verurteilte den mittlerweile 28-jährigen Dirk Q. zu
zwei Jahren Haft auf zwei Jahre Bewährung und zu 200 Stunden
gemeinnütziger Arbeit. Damit folgte das Gericht im Wesentlichen dem
Antrag der Staatsanwaltschaft. Hinsichtlich des Todes von Hartmut Balzke
ging die Kammer von einem minderschweren Fall der Körperverletzung mit
Todesfolge aus. Die gezielten Schläge und Tritte gegen den wehrlos am
Boden liegenden überlebenden Nebenkläger Sebastian Q. ahndete die Kammer
als einfache Körperverletzung.

In ihrer Urteilsbegründung führte die Kammer aus, dass Dirk Q. Hartmut
Balzke so schlug, dass er stürzte und sich dadurch die tödliche
Kopfverletzung zuzog. Bei dem Angriff auf den im Prozess als Nebenkläger
auftretenden Sebastian Q. ging sie davon aus, dass Dirk Q. ihn ebenfalls
niederschlug und auf ihn eintrat. Allerdings, so die Kammer, hätten die
Tritte gegen den Kopf des Betroffenen, die zu dem Gesichtstrümmerbruch
führten, auch von anderen, unbekannt gebliebenen Angreifern ausgeführt
worden sein können.

Darüber hinaus bezeichnete die Kammer die Tatsache, dass zwischen der
Tat und der erstinstanzlichen Verhandlung fünfeinhalb Jahre gelegen
haben, als "rechtswidrig". Die Tatsache, dass Q. nach dem Tod von Balzke
nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, veranlasste die
Kammer in ihrer Urteilsbegründung dazu, den Tod von Balzke als einen
"heilsamen Schock" für den Angeklagten zu bezeichnen.

"Das Urteil und das gesamte Strafverfahren sind Ausdruck einer tiefen
Missachtung gegenüber Punks und sozial Randständigen. Offenbar sind sie
in den Augen der Richter Opfer zweiter Klasse." resümiert eine
Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Die Nebenkläger werden bis Anfang
nächster Woche über das Einlegen von Rechtsmitteln entscheiden.

Der Ausgangspunkt: Rechte Provokation bei Punk-Party

Am 25. Januar 2003 versuchte Dirk Q. sich gemeinsam mit einem
"Kameraden" Zutritt zu einer Party von Punks im Stadtteil Erfurt-Nord zu
verschaffen. Die Gastgeber der Party verwehrten ihnen aufgrund ihrer
Zugehörigkeiten zur rechtsextremen Szene den Zutritt. Daraufhin
provozierten Q. und sein Begleiter bewusst weiter; die beiden Männer
riefen immer wieder "kommt doch her, kommt doch her" und wollten ganz
offensichtlich eine Schlägerei auf offener Straße auslösen.

Tatsächlich begaben sich dann einige Partygäste aus der Punkszene, die
ohnehin zum Alternativen Jugendzentrum wollten, auf die Straße und
begannen, die beiden Neonazis zu verfolgen. Dabei kam es zu einer
Auseinandersetzung, an deren Ende Dirk Q. eine leichte Stichverletzung
durch ein Messer erlitt. Es ist bis heute ungeklärt, wer Dirk Q. diese
Stichverletzung zufügte.

Gesichert ist hingegen, dass Dirk Q. daraufhin in der Triftstraße
zunächst eine Kneipe namens "Werners Billard Pub" betrat. Die Kneipe
galt nach Aussagen von Bewohnern des Viertels als Treffpunkt für Gäste,
die sich der politischen Rechten zuordnen. Als Dirk Q. die Gaststätte
wieder verließ, befanden sich noch Hartmut Balzke sowie der Nebenkläger
Sebastian Q. in unmittelbarer Nähe der Kneipe. Es ist unklar, wie viele
Personen zusammen mit dem Angeklagten die Kneipe verließen und Hartmut
Balzke sowie Sebastian Q. angriffen.

Schläge und Tritte gegen Wehrlose

Unterschiedliche ZeugInnen haben im Prozess am Landgericht Erfurt
ausgesagt, dass sie beobachtet haben, wie ein großer, breitschultriger
Mann mit heller Jacke und Basecap zunächst Hartmut Balzke gezielt mit
der Faust schlug, so dass dieser zusammensackte und "wie ein nasser
Sack" und mit dem Hinterkopf auf der Straße aufschlug. Hartmut Balzke
erlitt durch den Aufprall eine tödliche Hirnschwellung. Darüber hinaus
haben mehrere Zeugen beschrieben, wie der gleiche Mann den jetzigen
Nebenkläger Sebastian Q. niederschlug und dann mit brutaler Gewalt
mehrfach gegen den Oberkörper und Kopf des bewusstlos am Boden Liegenden
trat. Sebastian Q. erlitt einen Gesichtstrümmerbruch -- er trägt seit
dem Angriff mehrere Implantate im Kopfbereich. Zwei der Zeugen betonten
im Landgericht, dass das Ereignis zwar schon fünf Jahre her sei. Die
Bilder aber, wie dieser Mann -- bei dem es sich nach den Beschreibungen
der Zeugen um den Angeklagten Dirk Q. handelte -- auf sein regungslos am
Boden liegendes Opfer eintrat, könnten sie nicht vergessen.

Dirk Q. wurde am Tatort zunächst nicht festgenommen, sondern in einem
Krankenwagen abtransportiert, aus dem er flüchtete. Erst drei Tage nach
dem Tod von Hartmut Balzke fand eine Hausdurchsuchung bei Dirk Q. statt;
die Jacke war inzwischen entsorgt, das T-Shirt, was er am Tatabend
getragen hatte, gewaschen. Dennoch fanden sich an seinen Schuhen
Blutspuren, die von dem Nebenkläger Sebastian Q. stammten.

Sowohl Hartmut Balzke als auch Sebastian Q. waren nicht in der Lage
gewesen, sich gegen den Angriff zu wehren. Beide waren mit 3,1 und 2,9
Promille so stark alkoholisiert, dass an eine Gegenwehr nicht mehr zu
denken war -- und dass dies für alle Angreifer erkennbar war.


Ein Toter vom Rand der Gesellschaft: Für die Thüringer Justiz eine Bagatelle

Obwohl Dirk Q. schnell unter dringendem Tatverdacht stand, Hartmut
Balzke den tödlichen Schlag versetzt und den Nebenkläger Sebastian Q.
schwerste Kopfverletzungen zugefügt zu haben, wurde er -- trotz
laufender Bewährung -- nicht in Untersuchungshaft verbracht.

Ein absolut unüblicher Vorgang: Denn Dirk Q. war zum Zeitpunkt des
Angriffs unter Bewährung: gerade einmal zwei Monate zuvor war er im
November 2002 u.a. wegen Körperverletzung und dem Zeigen des
Hitlergrußes zu einer Jugendstrafe von einem Jahr auf Bewährung
verurteilt worden.

Im November 2003 erhob die Staatsanwaltschaft Erfurt dann Anklage gegen
Dirk Q. wegen Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge. Doch
dann passierte drei Jahre lang gar nichts. Im Dezember 2006 lehnte die
1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Erfurt die Zulassung der
Anklage ab; es habe sich lediglich um eine "Schlägerei mit Todesfolge"
gehandelt, so das Gericht. Gegen den Beschluss legte die
Staatsanwaltschaft Erfurt beim Oberlandesgericht Thüringen erfolgreich
Beschwerde ein. Am 5. März 2007 entschied das OLG Thüringen, Dirk Q. sei
im Sinne der ursprünglichen Vorwürfe vor einer anderen Kammer des
Landgerichts Erfurt anzuklagen. Dann dauerte es noch einmal ein Jahr,
bis zum 10. März 2008, bis der Prozess vor der 2. Schwurgerichtskammer
des Landgerichts Erfurt begann.

"Diese jahrelange Verzögerung ist rechtlich gesehen absolut unerklärlich
ebenso wie die Tatsache, dass der damals unter Bewährung stehende
Beschuldigte nicht in Untersuchungshaft genommen wurde", kritisiert
Nebenklägervertreter Scharmer.

Das Gericht ignoriert rechtsextreme Gefahr

"Im Prozess wurde deutlich, dass der Tod von Hartmut Balzke von der
Thüringer Justiz lediglich als Bagatelle angesehen wird," stellt eine
Sprecherin der Mobilen Opferberatung fest. Zudem legte das Schwurgericht
eine völlige Missachtung für die Situation der Nebenkläger und deren
Umfeld aus der Punkszene an den Tag. So bestand der Vorsitzende Richter
darauf, dass alle Zeugen ihre Anschrift und Wohnort laut zu nennen
hatten. Ein absolut unübliches Vorgehen in Prozessen, bei denen die
Zeugen erkennbar Angst vor rechtsextremen Racheakten haben -- und diese
Angst ist angesichts der Bedrohung von allen in Thüringen, die nicht ins
rechte Weltbild passen, mehr als berechtigt ist. Zuletzt war es im März
2008 zu einem schweren Angriff von einem Dutzend Neonazis auf bekannte
antifaschistische AktivistInnen in Erfurt gekommen. Dabei wurde ein
Betroffener bis zur Bewusstlosigkeit getreten.

Zwei der Zeugen aus der Punkszene wurden im Gerichtssaal verhaftet, weil
sie u.a. Geldstrafen wegen Beleidigungen von Polizeibeamten nicht
bezahlt hatten; einer der Zeugen muss deshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe
von einem Jahr absitzen. Demgegenüber hat die Staatsanwaltschaft für den
Angeklagten Dirk Q. für die Tatbestände der Körperverletzung und der
Körperverletzung mit Todesfolge lediglich eine Bewährungsstrafe von zwei
Jahren gefordert. Das Gericht hatte sich zuvor geweigert, auf Antrag
der Nebenklage einen rechtlichen Hinweis zu erteilen, dass es sich bei
den Tritten auf den Kopf des Nebenklägers Sebastian Q. keineswegs um
eine einfache Körperverletzung, sondern nach gängiger Rechtssprechung um
eine gefährliche Körperverletzung gehandelt habe.
Punks und sozial Randständige als Opfer zweiter Klasse

Hartmut Balzke ist einer von mehr als 120 Menschen, der seit 1990 an den
Folgen rechtsextremer oder rassistischer Gewalt in Deutschland gestorben
sind. Der 48-jährige Familienvater aus Forst (Brandenburg) kam aus einem
sozial randständigen Milieu und hatte am 25. Januar 2003 seinen Sohn
Daniel zu einem Ausflug zu Freunden nach Erfurt begleitet. Zwei Jahre
nach dem Tod von Hartmut Balzke nahm sich dessen Ehefrau das Leben: Der
Sohn ist nun Vollwaise.

Für Rückfragen:Mobile Opferberatung unter der
Telefonnummer 01 70 / 2 92 53 61.

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