Mittwoch, 28. Januar 2009
Mit der Karre zum Zuckerklauen
Mein Vater erzählte kürzlich eine schöne Geschichte aus der Nachkriegszeit. Da klingelte bei ihm die Polizei, und er bekam schon Panik. Hatte man ihm beim Kohlenklau oder beim Schwarzhandel beobachtet? Verdammt, da lagen überall die Lucky-Strike-Stangen ohne Banderole herum! Schnellschnell weggeräumt und aufgemacht. Vor der Tür standen zwei Bahnpolizisten, einer davon war Stümer in der Mannschaft, in der Vater den Torwart gab. Er fragte Vater, ob der eine Schubkarre hätte, und der fragte zurück, wozu er die bräuchte. "Wir bewachen gerade einen Zug mit Zucker, und da will ich ein paar Säcke aufschneiden und mir meinen Anteil holen!"

Ja, so war das damals - die Bahnpolizei beim Zuckerklauen. Interessant war auch, dass er eine These bestätigen konnte, die ich schon lange hegte: Die Spießigkeit der Fünfziger war ein Rückfall in angepasste Verhaltensweisen aus der NS-Zeit, und zwar als Reaktion auf die kurze Zeit wilder Libertinage in den späten Vierzigern, die Hurra-wir-leben-noch-Stimmung.

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Ich denke mal,
"die wilde Libertinage" war eher ein kleiner Ausrutscher, bedingt durch Krieg und dessen Ende, aber nicht wirklich ein dauerhafter Bruch mit den Verhaltensweisen und Vorstellungen aus der Zeit davor. Die auch nicht alle ausnahmslos nur in der NS-Zeit wurzelten, angepasst war man auch schon im Kaiserreich. Gemessen an diesen Kontinuitäten erscheinen mir die 20er als viel größere Zäsur als die späten 40er.

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08/15
Super Buch, hier mit Sicherheit bekannt, passt m.E. gut zur These:
Wikipedia-Link

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Na ja, zumindest dauerte der kleine Ausrutscher ein paar Jahre, war verbunden mit einem ziemlich schrägen Humor ("Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien"), und die Generation Peter Kraus knüpfte später zum Teil daran an. So, wie meine Eltern das darstellten, gingen in ihrem Umfeld sehr viele Leute selbstverständlich und ziemlich unkaschiert fremd und fanden wilde Tanzparties mit schwarzgebranntem Schnaps statt. Man holte sich halt zurück, was in den Hungerjahren im Luftschutzkeller nicht möglich gewesen war. Es herrschte einerseits bittere materielle Not, andererseits Aufbruchstimmung, und, siehe Ahlener Programm der CDU, sowas wie ein sozialistischer, antifaschistischr und pazifistischer Grundkonsens. Der Koreakrieg brachte dann die entscheidende Tendenzwende.

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@Tanzparties:
Stimmt, davon wurde auch mir berichtet. Eine frühere Vermieterin hat mir ganz stolz erzählt, dass sie und ihr Mann in jenen Jahren auch öfters die Nächte durchgetanzt haben - zum Teil mit Hilfe von Hallo Wach und ähnlichen Stimulanzien, die man nach heutiger Auffassung ganz klar als Partydroge oder Speed deklarieren würde.

Jetzt, wo ich klarer sehe, was Du meintest, würde ich sagen, Deine These hat schon einiges für sich.

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...da lagen überall die Lucky-Strike-Stangen ohne Banderole herum ..."

Aha, STEUERHINTERZIEHUNG ! Ein Jahr auf Bewährung ... nein eigentlich mehr, da Zigaretten damals mehr wert waren. ;-)

Dieses 50iger Jahre = NS-Zeit ist natürlich falsch.
Die 50-iger waren, wie dies nach besiegten Revolutionen üblich ist, restaurativ: Man wollte nach vor 33 springen, am besten vor 14.

Eine Riefenstahl oder eine Hanna Reitsch wären in den 50-igern in D. nahezu undenkbar gewesen. Ich behaupte sogar, daß NS-Zeit, Blitzmädchen, Jugendstil der 20iger und "Wandervögel" einerseits und die reaktionäre Reaktion darauf in der Adenauer Republik andererseits einen Brandsatz der gesellschaftl. Umwälzungen ab Beginn der 60iger dargestellt haben.

Anders formuliert: Man war in vieler Hinsicht (sozial, Technik, Emanzipation) in der NS-Zeit wahrscheinlich modernistischer als nach 45.

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Auf der kulturellen Ebene mag das stimmen, aber nicht, was z.B. das Verhältnis zu Autoritäten angeht. Da war die Aufbruchstimmung der späten 1940er eher eine Mischung aus Anknüpfen an die 1920er und verzweifelt ausbrechender Lebensfreude am Rande der Katastrophe (Dekamerone-Syndrom). Abgesehen davon, dass es neben den offiziellen Fifties natürlich auch immer renitente Unterströmungen gegeben hat, von der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung, Kampf dem Atomtod und den Ostermarschierern bis zu den Halbstarken. Merkwürdig auch die Gleichzeitigkeit von Avantgarde in der Bildenden Kunst und Spießigkeit (Gelsenkirchener Barock) im Alltagsdesign, und mitten dazwischen der Nierentisch. Schon eine merkwürdige Zeit, das motorisierte Biedermeier.

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Polizisten haben anscheinend überall Zucker geklaut
Bei uns im thüringischen Städtchen Stadtilm war es der Polizist Pohl, gegen den mein Vater eine Abneigung hatte, weil der ihn beim Schwarzbauen und Handeln mit Zement nachstellte.
Einmal in der Vorweihnachtszeit, ich glaube 1948 oder 1947 verunglückte bei der verteufelt steilen Zufahrt zum Städtchen ("Mäuerchen" genannt) ein Laster, der die Weihnachtsbonbons für die Kinder von Gotha geladen hatte. Pohl bediente sich an der umgekippten Ladung, und mein Vater kriegte das raus.
Ich glaube fortan liefen die kleinen Geschäfte beider Seiten besser.

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