Sonntag, 13. September 2009
Buchtipp vor der Wahl
Ich habe es sonst ja nicht mit Büchern, die an der Kaufhaustheke mit dem Aufkleber "Bestseller" gedealt werden, aber Thomas Wieczoreks "Die verblödete Republik" kann ich nur empfehlen. Gnadenlos, scharfsichtig und zielgenau nimmt der Autor unsere Politik- und Medienlandschaft aufs Korn, die er weitgehend als gleichgeschaltet-neoliberal wahrnimmt. Ganz besonders grimmig wird mit dem "Unterschichtenfernsehen" ins Gericht gegangen, dass sich, wie Wieczorek aufzeigt, frontal gegen die Unterschichten richtet. Ob Castingshows, Gerichtsshows oder Schnüffelsendungen, in denen "HartzIV-Betrüger" vorgeführt werden - überall geht es darum, Menschen zum Gegenteil von Solidarität und zu Sozialdarwinismus auf niedrigstem Niveau zu erziehen. Demgegenüber ist die Botschaft Wieczoreks, seine Perspektive der Empörung eine zutiefst humane - und sein Sarkasmus kein als Ironie getarnter Zynismus, sondern der Hohn dessen, der dem Kaiser ins Gesicht schreit, dass er keine Kleider trägt.

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Also das positive Gegenbeispiel zu Michael Jürgs zynischem und selbstgerechtem Buch zur selben Thematik: "Seichtgebiete"?

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Ich habe beide Bücher gelesen und ich finde beide jeweils auf ihre Weise unterirdisch schlecht. Thomas Wieczorek bleibt bei reiner Polemik und Michael Jürgs schreibt in einem furchtbaren Stil.

Ergänzung: Ich bin geneigt, von einem »Mythos Verblödung« zu sprechen. Dieses Land ist wesentlich weniger verblödet, als uns die beiden Autoren einreden wollen.

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Also, ich finde Wieczoreks Buch äußerst treffend und richtig. Polemisch bis zum Äußersten, ja, aber die Polemik gilt Tatsachen.

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Tatsache Verblödung?
Niemand ist verpflichtet, sich verblöden zu lassen ;-)

Wieczoreks Buch ist die gedruckte Version solcher Blogs wie INSM-Watch: der Ton ist gleich, nur die Verbalinjurien sind weggelassen. Kein Beitrag zu einem rationalen Diskurs.

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Da fängt der rationale Diskurs gerade an
Ich würde das ja eher als eine Art Anwendung des Kulturindustrie-Kapitels aus der Dialektik der Aufklärung (und auch von Postmans "Wir amüsieren uns zu Tode") auf die aktuelle deutsche Politik und Medienlandschaft betrachten, geschrieben für Nicht-Akademiker.

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"Niemand ist verpflichtet, sich verblöden zu lassen ;-)"
Von wegen. Ich werde sogar regelmäßig dafür bezahlt, so zu tun, als sei ich es.

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@rationaler Diskurs:
Der wird, so sehr ich Stefanolix' zurückgenommenen Diskussionsstil ansonsten schätze, auch ein wenig überbewertet. So ein Buch lebt ja von der Zuspitzung auf eine Kernthese, und wenn man sowas nicht auch mit dem Herzblut einer gewissen Empörung schreibt, dann kann mans meines Erachtens auch gleich bleiben lassen.

Mich macht das bisher gesagte jedenfalls eher neugierig auf das Buch als dass es mich abschreckt. Mit der Feststellung, es gebe keine Verpflichtung, sich verblöden zu lassen, macht es sich der liberal gesinnte Kollege meines Erachtens dann doch etwas zu einfach. Genausogut könnte man dann einen Schritt weitergehen und sagen, es ist auch niemand verpflichtet, bei Hütchenspielen und sonstigen Abzock-Gewinnspielen mitzumachen, also könne der Markt das selber regeln. Solange man Abzocke noch Abzocke nenne darf, sollte man systemische Verblödung auch beim Namen nennen dürfen, auch wenn die, die davon profitieren, das nicht so gerne hören.

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Momorules, Du erweckst aber nicht den Eindruick, als seist Du es, insofern ist das Geld da falsch investiert;-))

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@Che: Neil Postmans Buch haben in meiner Umgebung mehrere Nicht-Akademiker gelesen und verstanden. Deinen Vergleich halte ich doch für sehr gewagt.

@MomoRules: Das steht auf einem ganz anderen Blatt. Du wirst es aber dadurch nicht ;-)



Rationaler Diskurs — das sehe ich von zwei Seiten: zum einen rational im Sinne des Austauschs vernünftiger Argumente und zum anderen rational im Sinne einer effizienten Diskussion. Tut mir leid, aber zu beidem sind diese Bücher kein Beitrag. Beide könnte man auf etwa ein Dutzend Seiten reduzieren.

Als positives Gegenbeispiel sehe ich z. B. Heribert Prantls »Der Terrorist als Gesetzgeber«. Dieses Buch kann die Grundlage einer fruchtbaren Diskussion sein und es ist vor allem wesentlich besser geschrieben.

Wesentliche Merkmale guter Texte sind Struktur und Prägnanz. Beide Bücher sind aber unstrukturiert und weitschweifig verfasst. Dafür enthalten sie im Übermaß Stimulanz (die zwar auch ein Merkmal guter Texte ist, aber in diesen Büchern viel zu stark eingesetzt wird).



Soweit meine Anmerkungen. Als Buchtipp vor der Wahl würde ich nicht Wieczoreks Buch, sondern Prantls Buch empfehlen. Wenn man es denn noch braucht ;-)

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Noch eine Anmerkung zu Mark: Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass man betrügerische Spiele dulden sollte. Betrug bleibt Betrug und Betrug ist strafrechtlich zu verfolgen. Selbstverständlich müssen die Sender die Regeln einhalten und dürfen ihre Zuschauer nicht prellen. Doch der Staat wäre bei seinem Einschreiten wesentlich überzeugender, wenn er das staatliche Glücksspiel nicht immer weiter intensiviert hätte. Du siehst: in dieser Hinsicht bin ich konsequent liberal ;-)

Aber niemand kann per Gesetz verpflichtet werden, anspruchsvolles Material zu senden. Denn erstens: wer will definieren, was »sendewürdig« ist? Und zweitens: wer will die Zuschauer zwingen, sich anzusehen, was jemand anders als »sendewürdig« eingestuft hat? Auch in dieser Beziehung bin ich sehr liberal ;-)

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Ja wenn das denn alles so einfach wäre
In Deiner Logik, Stefanolix, gäbe es dann im Prinzip auch keinen Verblendungszusammenhang, erst recht keine Manipulateure und geheimen Verführer, und in China und im Iran herrschen und in der DDR herrschte Meinungsfreiheit: Es MUSS ja niemand glauben, was die Partei sagt.

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Das habe ich nicht gesagt und ich denke, dass Deine Schlussfolgerung auch mit Logik nichts zu tun hat. Wir behandeln hier ein Problem, das sich aus der nahezu unbegrenzten Meinungsfreiheit ergibt. Im Iran, in China oder in der DDR gab es nur eine sehr eingeschränkte Meinungsfreiheit. Für logische Schlüsse fehlen also gleiche Grundvoraussetzungen.

Es gibt bei uns auch deshalb keinen Grund für Verblödung, weil das Meinungsspektrum völlig offfen ist. Um noch einmal auf das Beispiel der Teilhabe an politischen Diskussionen zurückzukommen: Jeder kann sich für wenig Geld das Buch von Herrn Prantl kaufen oder er kann es kostenlos in der Bibliothek ausleihen. Jeder kann sich weitere Meinungen zu diesem Thema zusammentragen und sich eine eigene Meinung bilden. Das kostet fast kein Geld, aber eine Menge eigene Anstrengung.

Weiterführend ein Artikel von Herrn Prantl, zu dem nur eines zu ergänzen ist: allen anspruchsvollen Zeitungen wünscht man mehr Leserinnen und Leser! Dann klappt's auch mit der Immunität gegen Verblödung.



Nebenbei bemerkt: die genannten Staaten sind (waren) nur mit Abstrichen totalitär. Ich kann nur über meine Erfahrungen in der DDR ab den achtziger Jahren berichten. Dort gab es zwar nicht die Freiheit, jede Meinung gedruckt oder digital zu verbreiten. Aber es gab definitiv keinen Zwang, der SED-Propaganda zu glauben. Es gab auch keinen Mangel an mündlich — oder unter der Hand auch schriftlich — verbreiteten alternativen Meinungen.

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"das sich aus der nahezu unbegrenzten Meinungsfreiheit ergibt."

Im Prinzip schon, klar kannste Dich hier auf die Straße stellen und den Sozialismus fordern. Und durch das Netz gibt es ja zum Glück auch neue Publikationsformen, durch die Produktivkraftenwicklung auch günstigere Produktionsformen gerade bei audiovisuellen Medien.

Aber bei den Öffentlichkeit strukturierenden und bestimmenden Medien, sowohl den ökonomisch Mächtigen wie auch den öffentlich-rechtlichen (ökonomisch auch mächtigen), da stimmt das nicht. Da ist der Grad zwischen vorauseilendem Gehorsam, Anpassung und Zensur stets zu beschreiten, sonst verdienst Du schlicht kein Geld. Da kommen strukturell ganz ähnliche Sachen wie in der DDR bei raus, wenn auch, zum Glück, ohne Mauer, Stasi-Knast und Stasi-Folter. Aber die Art, wie Wahrheitsproduktion funktioniert - mittlerweile ja auch in den Wissenschaften -, das ist gar nicht so viel anders. So einen Prantl hält man sich, weil der einen gewissen Bekanntheitsgrad hat. Aber versuch mal, auch nur ein Thema gewissenhaft zu recherchieren, da brauchst Du zumindest einen Nebenjob, 'ne Professur oder eine öffentlich-rechtliche Redakteursstelle, dann kommt in Ausnahmefällen auch mal sowas wie "Das Schweigen der Quandts" bei raus.

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Als ich zum Beispiel mal als Freier Mitarbeiter für den SPIEGEL zu einer Korruptionsaffäre recherchiert habe, habe ich vorher in meinem politischen Umfeld, also privat, ein Darlehen aufgenommen, um meine Recherche finanzieren zu können. Haben bloß wenige Leute, so intakte soziale Umfelder, die das klaglos mitmachen.

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@stefanolix

Kein iranischer Polizist muss prügeln.
Kein Staatssicherheitsschläger musste schlagen.
Kein italienischer Polizist musste sich in Genua so aufführen.
Kein Terrorist muss Terrorist sein.
Kein berliner Polizist muss irgendjemanden zusammenhauen.

Die Begründungen sind aber immer die gleichen, die Rechtfertigungen auch. Egal wo.
Die Bilder sind auch immer gleich, in Teheran, in Genua, in Berlin.

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Komplexe Antwort auf Stefanolix (Jaaa, ich lasse mal raus, was mich umtreibt!)
@“ Das habe ich nicht gesagt und ich denke, dass Deine Schlussfolgerung auch mit Logik nichts zu tun hat. Wir behandeln hier ein Problem, das sich aus der nahezu unbegrenzten Meinungsfreiheit ergibt. Im Iran, in China oder in der DDR gab es nur eine sehr eingeschränkte Meinungsfreiheit. Für logische Schlüsse fehlen also gleiche Grundvoraussetzungen.“ ---- Bündig nicht einverstanden. Als es die DDR noch gab, hatte ich den Eindruck, alle Ossis, zu denen wir so in Kontakt standen, hatten ein völlig desillusioniertes und hochgradig ironisches Verhältnis zum eigenen Staat. Wenn keine Stasi in Hörweite war, wurde da nur noch abgelästert, und zwar auf allen Ebenen, nicht nur über die politische Führung, sondern auch über die famose Planwirtschaft, über die Versorgungsmängel, über die alltäglichen Lebenslügen. Ähnlich geht es sehr vielen Iranern auch. Skepsis, Kritik und gesunde Distanz zu den Mängeln des bundesrepublikanischen Systems, einschließlich Kritik der Konsumgesellschaft scheint heutzutage aber nicht so sehr verbreitet zu sein. In meiner Jugend und Studienzeit war sie das viel mehr, obwohl die damaligen Verhältnisse viel besser waren als die Heutigen. So mit Anfang 20, im Zivildienst, da haben wir zu drei Vierteln über Politik diskutiert, wenn wir uns unterhalten haben, und das überwiegend aus einer kritischen, das Gesellschaftssystem in Frage stellenden oder sogar grundsätzlich ablehnenden Sicht. Im gleichen Alter waren die jüngeren Kollegen in der Firma oder auch die frisch von der Uni kommenden Trainees in den letzten Jahren mit Gesprächen über die letzte „Deutschland sucht den Superstar“ – Sendung, den aktuellen Drogenexzess von Frau Weinhaus oder die Gay Romeo – und Lustschmerz - Websites beschäftigt, und zwar mit nichts Anderem, wenn der Chef nicht gerade die Anschiss – Axt kreisen ließ. Zwar sind sie auch schon wieder gesellschafts- und herrschaftskritisch, indem sie die Chefs von Vornherein als Feinde und Schweine wahrnehmen, das liegt aber daran, dass diese sich genauso verhalten. Daraus werden aber keine politischen oder weltanschaulichen Konsequenzen gezogen, sondern eher Abwehrhaltungen oder Klauen am Arbeitsplatz.

Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Entpolitisierung und Massenmediatisierung sehe ich jedenfalls in jeder Pore meiner Lebensumgebung, und die Entwicklung schreitet fort, wenn auch nicht überall und nicht unumkehrbar. Die Medien in der demokratischen Bundesrepublik Deutschland sind nicht selber demokratisch. Insbesondere erfolgt Medienproduktion nach den Gesetzen kapitalistischer Warenproduktion, und damit sind sie selber Konsumprodukte. In „DER SPIEGEL. Nachricht als Ware“ hat Eckhardt Siepmann das einmal sehr gut für die journalistisch seriösen Faktenmedien nachgezeichnet, die vom Verkauf ihrer Inhalte leben. Noch viel fataler tritt das indes bei den Unterhaltungsmdien zutage.


Adorno sprach mal davon, dass die Kulturproduktion beim Konsumenten eine Tantalusqual erzeuge: Der Film, das Musikal, das Album ist so konzipiert, dass es nicht voll befriedigt und den Wunsch nach einer Fortsetzung oder „Mehr davon“ erweckt, und das ist auch beabsichtigt – die Nachfrageproduktion folgt dem Prinzip der Suchterzeugung, der psychischen Abhängigkeit. Der Medienkonsument soll ein Junkie sein, nicht ein seine freie Wahl treffender Citoyen. Der Charakter der Medienproduktion als Warenproduktion unterliegt zudem dem Wertgesetz, also auch dem tendenziellen Fall der Profitrate und der strukturellen Revolution des Werts. Das bedeutet, es muss in immer kürzerer Zeit immer billiger produziert werden für ein möglichst immer größeres Publikum. Was das für die Qualität der produzierten Filme, Magazine usw. bedeutet liegt auf der Hand.

Und ich gehe jetzt noch mal ein bisschen in die Tiefe und zitiere die Dialektik der Aufklärung:

„Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit. Film, Radio, Magazine machen ein System aus. Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen. Die ästhetischen Modifikationen noch der politischen Gegensätze verkünden gleichermaßen das Lob des stählernen Rhythmus. Die dekorativen Verwaltungs- und Ausstellungsstätten der Industrie sind in den autoritären und den anderen Ländern kaum verschieden. Die allenthalben emporschießenden hellen Monumentalbauten repräsentieren die sinnreiche Planmäßigkeit der staatenumspannenden Konzerne, auf die bereits das losgelassene Unternehmertum zuschoß, dessen Denkmale die umliegenden düsteren Wohn- und Geschäftshäuser der trostlosen Städte sind. … Die augenfällige Einheit von Makrokosmos und Mikrokosmos demonstriert den Menschen das Modell ihrer Kultur: die falsche Identität von Allgemeinem und Besonderem. Alle Massenkultur unterm Monopol ist identisch…..Lichtspiele und Rundfunk brauchen sich nicht mehr als Kunst auszugeben. Die Wahrheit, dass sie nichts sind als Geschäft, verwenden sie als Ideologie, die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich herstellen. Sie nennen sich selbst Industrien, und die publizierten Einkommensziffern ihrer Generaldirektoren schlagen den Zweifel an der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Fertigprodukte nieder… Wenn die objektive gesellschaftliche Tendenz in diesem Weltalter sich in den subjektiven dunklen Absichten der Generaldirektoren inkarniert, so sind es originär die der mächtigsten Sektoren der Industrie, Stahl, Petroleum, Elektrizität, Chemie. Die Kulturmomopole sind verglichen mit ihnen schwach und abhängig… An der Einheit der Produktion soll der Freizeitler sich ausrichten. Die Leistung, die der kantische Schematismus noch von den Subjekten erwartet hatte, nämlich die sinnliche Mannigfaltigkeit vorweg auf die fundamentalen Begriffe zu beziehen, wird dem Subjekt von der Industrie abgenommen. Sie betreibt den Schematismus als ersten Dienst am Kunden. In der Seele soll ein geheimer Mechanismus wirken, der die unmittelbaren Daten so präpariert, dass sie ins System der reinen Vernunft hineinpassen… So wie im Cartoon Donald Duck die Schläge kassiert, soll man sich im realen Leben an sie gewöhnen“. So, und nach dem Prinzip „Für jede Sehnsucht gibt´s nen Film, und dann merchandisieren wir noch ein Buch, eine Comicserie und ein paar Songs dazu“ werden diverse emotionale Bedürfnisse bedient, von Big Companies und mit diesen verbandelten Politfraktionen, aber mit freier Meinungsäußerung hat das nichts zu tun. Vielleicht sind totalitäre Diktaturen, über deren Hohlheit sich die Bevölkerungsmehrheit klar ist demgegenüber sogar ein Vorteil: Irgendwann wollen die Massen sie stürzen.

Die Herrschaftstechnik der postmodernen Mediengesellschaft liegt darin begründet, dass Massen sich als Solche nicht mehr wahrnehmen. Operation gelungen, Patient tot.

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Na, das war nun ja eine sehr gelungene und gebündelte Fassung von "Che sagt, wie es ist". Und macht auch klar, dass weder ein liberaler Meinungsfreiheitsbegriff noch ein "anything goes" (was ist das eigentlich? liberal? libertär? neoliberal? nihilistisch? systemimmannent-beliebig?) begrifflich in der Lage sind, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu erfassen. Bei aller Skepsis gegenüber dem Freudomarxismus: Hier liegt die Messlatte.

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Was ist denn an der "Mediengesellschaft" (wieso überhaupt "Mediengesellschaft", wenn sie doch nur Ausdruck ökonomischer Gesetzmäßigkeiten ist?) postmodern?

Und was würdest Du machen, wenn Du die "volle Befriedigung" erreichen würdest?

Dieses Alles-In-Eins kann echt nicht die Messlatte sein, bei allen berechtigten Einsichten, die da drin stecken, und Adorno hätte zu Musicals und Alben vielleicht lieber Zurückhaltung üben solllen, das, was er zu Webern und Beckett schrieb, das war einfach besser, da kannte er sich ja aus ... wobei Beckett sich ja auch weggeschmissen angesichts von Adornos Interpretationen des Endspiels, wie Herr Unseld zu berichten wusste. Was aber nix gegen Adornos Analyse sagt ...

Nee, aber so, dieser große Topf, in den man alles Böse rührt, das ist immer das Spiegelbild der Inquisition ... Das Ganze ist nicht das Unwahre, das Ganze ist uns nicht zugänglich.

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Schlüsselsatz
Da ist der Grad zwischen vorauseilendem Gehorsam, Anpassung und Zensur stets zu beschreiten, sonst verdienst Du schlicht kein Geld.
Anders gesagt, in einem sehr schwierigen Spannungsfeld liegt die Ursache dieser Zensur (vielleicht ist das nicht das passende Wort dafür) zu einem guten Teil bei den Akteuren ("vorauseilend"), die aber so sehr in die ökonomische und vom Markt (und zwar nicht: von Seiten der Konsumenten!) vorbestimmte Interessen- Struktur verstrickt sind, dass sie als Medienakteure zur selbst vorgenommenen vorauseilenden Zensur kaum eine Alternative sehen.

Es gibt zudem auch eine real wirksame aktive Zensur im angeblich "freien" Medienmarkt, sowie eine strukturelle Zensur (Vorsicht - ganz gefährliches und schnell falsches Wort) - und diese strukturelle Zensur in wird Märkten mitunter auf sehr starke Weise ausgeübt (Beispiel: Italien), und dies umso mehr, je stärker diese Medienmärkte oligopolistisch strukturiert sind, und auch umso mehr, je stärker die Verleger und Besitzer zu Meinungsmachthabenden mutieren, welche ihre soziologisch-gesellschaftlich eher randständigen Interesssen (Beispiel: HartzIV kürzen, Sozialstaat demontieren, SPD bekämpfen) dann gegen die Übrigen zur Dominanz zu verhelfen versuchen. Tja, leider: Oft ("oft": das denke ich jedenfalls) erfolgreich.

Und man komme hier nicht mit dem typisch wirtschaftsliberal-naiven Einwand, dass "der" Markt bzw. die Kundschaft derlei Probleme in der Struktur und im Funktionieren von Öffentlichkeiten "automatisch" verringern würde. Das würde nur dann der Fall sein, wenn die Schräglage der politische Orientierung und die oft geschickt-unauffälligen und auf politische Wahrnehmung zielenden Manipulationsmethoden dem Hauptkritierium der Kaufentscheidung zuwider laufen würden.

Genau hier passen die sich als legitime Gestalter politischer Prozesse missverstehenden Eigentümer diverser "bürgerlicher" Meinungsmedien auf: Einmal, dass ihre Versuche nicht für die Mehrzahl der Leser/Hörer/Seh-schaft allzu durchschaubar sind (insofern: eine brutal-holzschnittartige Propaganda wie in realsozialistisch-totalitären Systemen ist in gut funktionierenden Marktgesellschaften weniger zu befürchten), und zudem, dass sie sich nicht allzu konfrontativ gegen die Auffassungen ihrer Medienkonsumenten wenden.

@ workingclasshero

Keine Ahnung genau, jedenfalls nicht punktscharf genug, aber ich versuchs mal:

Meinungsfreiheitsbegriff

Libertär = "anything goes" mit deutlicher Neigung zur Ablehnung von Verantwortung (ganz anders als das eigene Idealbild)

Neoliberal = Wirschaftsliberale (ökonomisch vereinseitigter Liberalismus) Interessenideologie mit struktureller Blindheit gegenüber der sozialen Realität und auch gegenüber Problemlagen der Medien-Offentlichkeiten

Oft berühren sich Libertarismus und Neo"liberalismus". Das ließe sich bei vielen Gruppierungen zeigen, auch bei der Piratenpartei (m. E. zwischen Libertarismus und Linksliberalismus).

(und ebenfalls deutlich anders als das Selbst- bzw. Idealbild)

Und klar: Auch dort gibt es die unterschiedlichsten Schattierungen und Farbtöne. Was zum Beispiel auch Stefanolix immer wieder zeigt, welcher angesichts des aktuell diskutierten Falles von Polizeigewalt sogar noch mehr Widerwillen und Entsetzen zeigt als wir Linken.

Dabei würde ich insgesamt doch sagen: Bürgerrechte sind für Wirtschafts- und Neoliberale ein ausgeprägt randständiges Thema. Auch an Demokratie hängen sie nicht sonderlich, vor allem dort, wo sie "das" Eigentum in Gefahr sehen.

(ist es nicht eigentlich spannend, dass auf Seiten extremer Linksextremisten das Thema Bürgerrechte um ein Vielfaches intensiver und häufiger diskutiert wird als von den rechtsdrehenden Bloggern, welche den Begriff "liberal" geradezu wie eine Monstranz vor sich hertragen?)

P.S.
Naja - schwacher Kommentar von mir - vielleicht gelingt mir irgendwann mal wieder was Besseres

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@stefanolix:
Die strukturellen Grenzen der medialen Meinungsvielfalt sind hier natürlich nicht so offensichtlich in Stein gemeißelt wie seinerzeit im Ostblock. Trotzdem wäre nichts verkehrter als die Annahme, diese Grenzen existierten nicht. Wenn Du Dich dafür wirklich interessierst und Dir Adorno und die anderen Vertreter der Frankfurter Schule eher wenig sagen, würde ich Noam Chomsky sehr empfehlen. "Die Konsensmaschine" (im englischen Original "Manufacturing Consent") gibt es als sehenswerten Film über das Lebenswerk Chomskys, aber das gleichnamige Buch liefert natürlich mehr Details und Beispiele dafür, wie in unserem eigentlich "freien" Mediensystem mit Scheinalternativen Konsens über das vermeintlich Unabänderliche erzeugt wird. Hat mir als jemandem, der "was mit Medien" macht, an einem gewissen kritischen Punkt in meiner Berufsbiographie sehr geholfen zu verstehen, wie der Hase läuft.

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---- Bündig nicht einverstanden. Als es die DDR noch gab, hatte ich den Eindruck, alle Ossis, zu denen wir so in Kontakt standen, hatten ein völlig desillusioniertes und hochgradig ironisches Verhältnis zum eigenen Staat. Wenn keine Stasi in Hörweite war, wurde da nur noch abgelästert
In totalitären Gesellschaften kommts halt automatisch zu einer größeren Einigkeit aller Leute, die Objekte der opaken Entscheidungsprozesse sind. Für besonders politisch im Sinne einer aktiven Gestaltung der widersprüchlichen Lebenswelt halt ich diese Jammer-Ossis gerade nicht. Das Ablästern mag warme unbestimmte Gefühle der Solidarisierung erzeugt haben... um dann am nächsten Tag wieder die entfremdeten ADM/DDM* Sprüche abzulassen, wenns gefordert war.

Aus meiner Sicht begann die Links-Politisierung der gymnasialen Jugend irgendwann Mitte der 80er geringer zu werden. Bereits zu meiner Zeit (Ende der 80er) waren die explizit politischen Menschen deutlich in der Minderheit. Das ganze setzte sich im Zivildienst fort. Viele unserer Eltern- und Lehrergeneration - d.h. die im oder recht kurz nach dem Krieg geborenen - sind ja sehr oft von der Kulturrevolution nach 1968 stark beeinflußt. Vorher gabs vermutlich zwischen Schülern/Autoritäten einen stärkeren Bruch zwischen Wir und Die. Und dann hörten wir bereits in den 80ern im Fußballverein und anderswo von den Existenzängsten der nicht-Gymnasialen. Und diese Ängste sprangen dann auf die Unis über. Ursache ist für mich ein externer Schock, der durch die Beendigung der Vormachtstellung des Weißen Mannes bedingt war (populistisch auch als Globalisierung bezeichnet). Kein günstiges Klima für die gedankliche Konstruktion besserer Welten.

Und diese sogenannten traditionellen Medien produzieren ja wohl auch recht divergente Meinungen. Kompetente Kritiker wie Paul Krugman oder Stiglitz werden übersetzt und in verschiedenen Ländern publiziert. Zwischen NYTimes, Wall Street Journal und The Economist, ARD, Spiegel, Zeit, FAZ, El Mercurio, La Tercera und El País seh ich schon bedeutende Unterschiede. Dann gibts noch Le Monde Diplomatique, Junge Welt, Página12, The Clinic für auch diverse Minderheiten-Meinungen. Und diese Zeitungen haben natürlich alle auch so etwas wie eine redaktionelle Linie.

Der kulturpesistische Text ließ sich sehr ähnlich auch bei Ortega y Gasset finden. Da halt als konservative Kritik gegen eine vermassende Gesellschaft. Kann so ein Rumprangern ernstnehmen. Man muß nicht.

Was mir links und liberal als Politik angeboten wird kommt mir oft als ein höchst fragwürdiges Überstülpen von simple, neat und plain wrong Theorien über eine komplexere Empirie.


---
*ADM/DDM: habs gestern in einem Interview mit dem Schauspieler dieses Pathologen im Münster Tatort gehört: Die hatten Abkürzungen für als inhaltsleer empfundene politische Floskeln: ADM/DDM -> Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.

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"Der kulturpessimistische Text ließ sich sehr ähnlich auch bei Ortega y Gasset finden. Da halt als konservative Kritik gegen eine vermassende Gesellschaft."

Danke! Auch wenn ich mir im Thread hier vielleicht gerade widerpreche, das ist genau das, was ich allerlei Diskussion quer durch diverse Blogs auch immer mal wieder zu vertreten/zu erläutern versuche.

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Neue Philosophie-Richtung am Start: Die Metaphysik des All-Ganzen
„Das Ganze ist nicht das Unwahre, das Ganze ist uns nicht zugänglich.“

Da stellt sich die Frage, woher Du wissen kannst, dass das Ganze nicht das Unwahre ist, denn das Ganze ist doch unzugänglich.
Oder hast Du einen Separat-Zugang zum Ganzen, den andere nicht haben?

Sollte es jedoch so sein, dass das Wahre im unzugänglichen Teil des Ganzen west, dann sage ich als aristotelischer Primitiv-Logiker: Da der unzugängliche Teil nicht interessieren kann, schließlich ist er unzugänglich, bleibt immerhin noch, dass der zugängliche Teil des momorulezschen All-Ganzen das Unwahre ist.

Das Zugängliche ist das Unwahre. Das Unzugängliche ist das Ganze. Ich sehe: Endlich machen wir im Denken echte Fortschritte.

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Nee, Nörgler, da haste was missverstanden, wie so oft, alter Metaphysiker, so ganz im Kokon falscher Lektüren verheddert (von Marx mal abgesehen): Der Satz "Das Ganze ist das Unwahre" macht einfach keinen Sinn.

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Dann erkläre, wie ich Deinen Satz „Das Ganze ist nicht das Unwahre, das Ganze ist uns nicht zugänglich“ richtig verstehen soll. Wenn Du ihn anders gemeint als geschrieben hast, dann empfehle ich, beim nächsten mal doch zu schreiben was Du meinst, und nicht, was Du nicht meinst.
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Man kann Kaffee machen, Pipi machen oder Unsinn machen. Sinn machen kann man nicht, insofern „macht“ selbstverständlich auch Adornos Satz keinen Sinn.

Er ist gegen Hegels „Das Ganze ist das Wahre“ gerichtet, und wer bei Marx gesehen hat, wie das „automatische Subjekt“ die Realisation des Gattungssubjekts in verkehrter Form darstellt, dem leuchtet Adornos „Das Ganze ist das Unwahre“ unmittelbar ein.
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Nachdem die Kompetenz zum Hinschreiben der Zeichenfolgen „konservative Kulturkritik“ und „Ortega y Gasset“ bei Momo und Salt außer Frage steht, wüßte man gerne näher, was an dem von Che zitierten Text denn falsch ist.

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Herzlichen Dank an alle, die auf meine Antworten eingegangen sind. Aus sehr privaten Gründen werde ich jetzt für ca. zehn Tage nicht mehr mitdiskutieren können. Das kam sehr plötzlich. Sollte es eher wieder klappen, melde ich mich.



Mir selbst ist die Auseinandersetzung mit wirklicher oder unterstellter Verblödung sehr wichtig. Ich habe Neil Postman gelesen und danke für den Hinweis auf Noam Chomsky, den ich schon lange gelesen haben wollte. Wenn mir wieder mehr Zeit bleibt, werde ich das aufgreifen.

Was für mich aber unumstritten ist und für fast alle Menschen zu gelten scheint: Ob ein Mensch individuell verblödet oder ob er sich diesem Prozess entschieden entgegenstellt, dafür ist er zuerst selbst verantwortlich. Ich denke, dass es da eine Parallele zur körperlichen Aktivität gibt, die Che neulich beschrieb. Man kann alles so nehmen, wie es kommt oder man kann aktiv werden. Wer aktiv wird, der verblödet und verstumpft nicht.

Ich bestreite nicht, dass es verblödungsfördernde Unternehmen der Medienindustrie gibt. Das kann man auch sehen, wenn man die Theorie nicht vollständig kennt.

Ich bestreite auch nicht, dass diese Unternehmen die Leute von bestimmten Angeboten abhängig machen wollen; darin sind sie vielleicht den Tabakkonzernen ähnlich. Aber ich bestreite vehement, dass man diesen Unternehmen etwas abkaufen muss. Ich muss nicht rauchen und ich muss auch kein Privatfernsehen anschauen.



Also, bis bald. Vielleicht bekommen wir gemeinsam mit Che eine Art Zusammenfassung des vorgestellten Buches hin, damit alle einigermaßen mitreden können. Ich kann aber auch jeden verstehen, der die 8.95 € nicht ausgeben will.

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@Nörgler:

Na ja, "Sinn machen" wird im Sinne von "hat Sinn", "ist sinnvoll" verwendet. Und dass sich dieses Adorno-Bonmot auf Hegel bezieht, ist ja eher das Problem: Adorno setzt halt doch immer Totalitäten voraus und hat bei allem Bemühen, das Besondere zu denken, die Tendenz, das falsche Allgemeine, das er angreift, selbst erst mal zu konstituieren, weil er eben doch auf's Ganze gehen will und sich damit reale Differenzen diagnostisch vom Leibe hält. Und dann kommt bei ihm der absolute Geist halt im Grauen zu sich selbst, das in der Urgeschichte der Subjektivität als Naturbeherrschung bereits angelegt war, und alles und jedes sonstwas wird unter diese Mega-These subsummiert. Und da frage ich mich schon, wie man so eine gewaltige Abstraktion auf Wirklichkeit beziehen können kann.

Das Ganze ist uns deshalb nicht zugänglich, weil es gar keinen Sinn macht, es zu denken. Habe jetzt mehrere Abende mit den "Meditationen zur Metaphysik" zugebracht, und bei jedem neuen Lesen fragte ich mich, wieso ich's überhaupt tue, weil bei jedem neuen Lesen mir die Fragestellung zunehmend entrinnt.

Weil es natürlich Sinn mach, Fragen nach dem Tod, dem Sinn des Lebens, Gott etc. zu stellen, aber so, wie er's da macht, kann ich damit zunehmend gar nix mehr anfangen. Wahrscheinlich, weil's für mich spirituell-religiöse Fragen sind, keine philosophischen. Bei ihm ja irgendwie auch, irgendwie aber auch nicht, weil er er eben immer auf's Ganze gehen möchte, um es dann als unwahr auszuweisen.

"wie das „automatische Subjekt“ die Realisation des Gattungssubjekts in verkehrter Form"

Das erklär doch selbst erst mal. Was ist denn das "Gattungssubjekt"? Unter dem automatischen Subjekt bei Marx kann ich mir ja noch was vorstellen, aber "Gattungssubjekt"?

zu Che:

1.) "Skepsis, Kritik und gesunde Distanz zu den Mängeln des bundesrepublikanischen Systems, einschließlich Kritik der Konsumgesellschaft scheint heutzutage aber nicht so sehr verbreitet zu sein."

Ist das so? Das finde ich deshalb schwierig, weil es mir so scheint, dass z.B. das politische System, wie es sich die Verfassungsväter mal vorstellten, der Skepsis doch längst geopfert wurde bzw. nur in Ansätzen überhaupt realsiert wurde.

Anders verhält es sich wohl mit der Frage nach der Kosumgesellschaft.

Bei der Entpolitisierung stimme ich Che zu.

2.) "Adorno sprach mal davon, dass die Kulturproduktion beim Konsumenten eine Tantalusqual erzeuge: Der Film, das Musikal, das Album ist so konzipiert, dass es nicht voll befriedigt und den Wunsch nach einer Fortsetzung oder „Mehr davon“ erweckt, und das ist auch beabsichtigt – die Nachfrageproduktion folgt dem Prinzip der Suchterzeugung, der psychischen Abhängigkeit. "

Da frage ich mich, was denn das Gegenmodell wäre. Ich will doch auch mehr davon, weil's mir Spaß macht und gut tut. Ich liebe meine Musicals. Wieso sollte ich das nicht dürfen? Sucht wäre es, wenn mir jetzt schon wieder drei Dosen Musical reingepfiffen hätte. Das kann ich schon noch frei entscheiden, wann ich die hören will und wann nicht.

Wenn ich mit Freunden essen war, möchte ich die auch gerne wieder sehen. Wenn ich mich mit Nörgler streite, freue ich mich auf's nächste Mal, weil ich ihn gerne mag. Ist das jetzt ein Suchtphänomene, das mir das böse Unterhaltungsmedium Internet antrainiert hat? Und woher weiß Adorno von den Musical-Süchten der ganzen Individuen? Und was wäre die "volle Befriedigung", die mich dazu triebe, danach ein für allemal nicht mehr mehr zu wollen? Der Tod? Der ultimative Sex?

3.) "Das bedeutet, es muss in immer kürzerer Zeit immer billiger produziert werden für ein möglichst immer größeres Publikum."

Mmmmh. Das entdifferenziert tatsächlich, bei aller prinzipiellen Zustimmung zu Marxschen Postulaten. Gerade in Deutschland oder Großbritannien,wo es eben auch öffentlich-rechtliche Medien gibt - und wo nicht jeder Medienproduzent rein Gewinnmaximierungsorientiert agiert. SpOn z.B. gäbe es dann gar nicht. Da muss man sich, glaube ich, schon auf die Niederungen der Empirie einlassen, um das präziser zu fassen, statt alles mit allem kurzuschließen, um es dann als unwahr auszuweisen.

Das Horkdorno-Zitat kann ich bei Gelegenheit gerne drüben kommentieren, und "Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit" ist zweifelohne richtig.

Ansonsten passt mir das die Behauptung der Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos nicht, weil es dazu dann doch zu viele Binnendiffernezen gibt und zu vieles, was bei den beschriebenen Mechanismen interveniert.

Schwierig finde ich auch immer diese behaupteten Realisierungen kantischer Erkenntnistheorie. Was soll denn das folgende überhaupt heißen?

"Die Leistung, die der kantische Schematismus noch von den Subjekten erwartet hatte, nämlich die sinnliche Mannigfaltigkeit vorweg auf die fundamentalen Begriffe zu beziehen, wird dem Subjekt von der Industrie abgenommen. Sie betreibt den Schematismus als ersten Dienst am Kunden. In der Seele soll ein geheimer Mechanismus wirken, der die unmittelbaren Daten so präpariert, dass sie ins System der reinen Vernunft hineinpassen… "


Das erklärt sich mir auch nicht durch das Donald Duck-Beispiel. Es gibt mit Sicherheit Desensibilierungseffekte bei exzessivem Medienkonsum, aber das ist mir zu rausgerotzt, als dass mir etwas erklären würde. Zudem da z.B. Bildwirkung - und Gewöhnung und Legitimationsdiskurse, sich einfügen zu sollen + dem steten ökonomischen Zwang, dieses zu müssen, einfach zu einem Brei verrührt wird, der einer ernsthaften Diskussion dieser Faktoren eher im Wege steht. Das kann man so schön empört repetieren, aber es erklärt nichts - oder zumindest ungenügend.

"So, und nach dem Prinzip „Für jede Sehnsucht gibt´s nen Film, und dann merchandisieren wir noch ein Buch, eine Comicserie und ein paar Songs dazu“ werden diverse emotionale Bedürfnisse bedient,"

Das würden ja Freunde des Marktes ganz ähnlich beschreiben, Angebot und Nachfrage, wo ist denn da der kritische Impuls? Man stellt die Leute ruhig, damit sie nicht politisch werden, okay - stelle mir manchmal auch vor, wie es wäre, wenn morgen das Fernsehen abgeschaltet würde.

Aber nicht jede Bedürfnisbefriedgung durch kulturindustrielle Produkte ist nun nichts anderes als nur das. Wenn man dann pauschal allen Sucht diagnostiziert, um sich die Therapeutenhoheit zuzugestehen, macht man sich's natürlich ziemlich einfach - und beigibt sich in eine Position, die ich tatsächlich für ein Einfallstor von Totalitarismen halte, wie immer, wenn man sich selbst zugesteht, man habe das Wissen gepachtet, was denn nun wahre und was falsche Bedürfnisse sind.

Es ist zudem falsch, zu behaupten, für jede Sehnsucht gäbe es etwas, für meine gibt es da erstaunlich wenig, was ja im "Kultur schlägt alles mit Ähnlichkeit" drinsteckt. Es gab nur immer mal Phasen, wo's auch für mich mehr gab, und da frage ich mich immer, wie das denn möglich war, wenn die Diagnose so totalisiert richtig wäre. Wieso wir hier solche Themen überhaupt diskutieren können, obgleich wir doch auch nur tote Patienten sein müssten ...

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„Man wagt das Ganze nicht zu denken, weil man daran verzweifeln muß, es zu verändern.“
Adorno

Daß unterm Spätkapitalismus die Totalität wirkliche Voraussetzung ist, ist allerdings die Voraussetzung der radikalen Kritik. Und daß das Walten des menschlichen Geistes im historisch anwachsenden Grauen terminiert, ebenfalls.

@ Gattungssubjekt
Der Kapitalismus entfesselt bekanntlich die Produktivkräfte, die Kräfte der Naturbeherrschung. Die Entwicklung der Produktivkräfte hatte je schon die Fähigkeit der Erzeugung eines Mehrprodukts zur Voraussetzung, dessen kapitalistische Gestalt „Mehrwert“ heißt.
Jede Produktion von Mehrprodukt ist über die Natur hinaus und damit objektivierte Freiheit: Im Mehrprodukt ist die menschliche Gattung größer als sie selbst.
Unter der Bedingung von Herrschaft jedoch ist die objektivierte Freiheit nicht die Freiheit der unmittelbaren Produzenten, sondern Freiheit der Herrschenden.
Die historische Freiheit der Herrschenden ist im Kapitalismus die Freiheit des sich selbst verwertenden Werts, des automatischen Subjekts, das in der Entfesselung der Produktivkräfte alle Kräfte des menschlichen Gattungssubjekts mobilisiert und realisiert, jedoch nicht als Kräfte des Gattungs-, sondern des automatischen Subjekts.
'Eigentlich' ist der Kapitalismus nur eine Variante des menschlichen „Stoffwechsels mit der Natur“ (Marx), nur Form dieses Stoffwechsels. Aber das, was bloß Form ist, ist verkehrt, verdreht in die Substanz der Gesellschaft als deren regulative Idee, die nicht mehr die Idee der Menschheit ist.

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Danke für Erläuterung!

Finde das mit der "objektivierten Freiheit" und dem "Stoffwechsel" allerdings etwas mystisch, gebe ich zu (darauf bezieht sich Jonathan Meese ja immer, dem kann ich aber folgen ;-) ), das mit dem Stoffwechsel noch weniger, wenn man's buchstäblich-biologisch versteht - mag an meiner mangelnden Begabung im metaphorischen Denken liegen oder sonstigen Defiziten in der Vorstellungskraft.

Kann mir ja vorstellen, was man damit meinen könnte, auch im Falle der "ojektivierten Freiheit", und stimme der Kritik dann auch zu; finde ich aber unglücklich formuliert.

Auch die "Idee der Menschheit", da komme ich nicht mit. Da habe ich aber auch immer Schwierigkeiten mit der Begründung der Zweck-Formel des Kategorischen Imperativs gehabt, keineswegs jedoch mit dieser selbst. Würde auch wahrscheinlich dem folgen, was die "Idee der Menschheit" meint, aber nicht in einem solchen Begriff.

Und da:

"Daß unterm Spätkapitalismus die Totalität wirkliche Voraussetzung ist, ist allerdings die Voraussetzung der radikalen Kritik. Und daß das Walten des menschlichen Geistes im historisch anwachsenden Grauen terminiert, ebenfalls."

haben wir auch einen außerordentlich fundamentalen Dissens - wobei ich ein Zunehmen des Grauens in bestimmten Hinsichten auch sehen würde, aber nicht ausschließlich und in allen Hinsichten. Da ist mir die DdA einfach zu simpel gestrickt.

Und "Totalität" kann ich tatsächlich gar nicht denken, da stolper ich auch bei Sartre immer. Und das nicht, weil ich's nicht wagen würde. Vielleicht bin ich aber auch zu blöd.

Das sind aber Punkte, die in der ganzen Postmoderne-Diskussion die Hauptrolle spielen, würde ich mal behaupten.

Foucault hatte ja diese schöne Formlierung eines "Dogmatismus, der sich spaltet, um in sich selbst eine Stütze zu finden" ;-) ...

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Dann dürfen wir auch das von Bersarin angeführte Foucault-Zitat nochmal nennen, wo F. sagt, hätte er die DdA früher gelesen, wäre ihm mancher Umweg erspart geblieben.

Eine andere Formulierung von Marx (statt „Stoffwechsel“) ist „Umformung von Naturstoff“. Besser?

Entfällt die Idee der Menschheit als die Idee deren Zwecks an sich selbst in allen Einzelsubjekten, dann entfällt der Grund der Kritik. Dann können wir das Buch zuklappen, weil: dann wird nicht alles gut, dann ist schon alles gut. Dann hätte auch Foucault gegen Überwachen und Strafen nichts zu sagen brauchen.

Das Mehrprodukt ist Distanz zur Natur. Eine bessere Formulierung als „objektivierte Freiheit“ ist mir noch nicht über den Weg gelaufen.

Bereits die menschliche Gattung als Subjekt zu fassen, ist eine Totalität; schon der Satz der Identität ist eine. Ich wüßte gar nicht, wie denn anders gedacht werden könnte.

In dem was ich seit Jahren von Dir lese, betätigst Du selber objektiv diese Voraussetzungen, die Du subjektiv dementiertst.

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"In dem was ich seit Jahren von Dir lese, betätigst Du selber objektiv diese Voraussetzungen, die Du subjektiv dementiertst."

Das ist die mir immanente Dialektik, das hält mich flüssig ;-) - und dieses Foucault-Zitat habe ich ja immer eher als Höflichkeit gelesen. Wobei man damit um ein paar Ecken gedacht schon was mit anfangen kann, will ja die DdA nicht gänzlich für unbrauchbar erklären und auch nicht alle Bezüge zu Foucault wegdiskutieren, da ist ja auch sehr viel Schlaues drin in der DdA - wie ja umgekehrt auch bei Foucault vieles nicht ganz hinhaut.

Aber "Geschichtsphilosophie" wirst Du bei ihm nicht finden, das ist immer konkrete Geschichte der Wissensysteme voller Brüche und Diskontinuitäten. Und "Die Ordnung der Dinge" kann man, glaube ich, auch als Kritik der Kritischen Theorie lesen.

Ich würde auch nie die menschliche Gattung als Subjekt fassen, wieso auch? Der Grund der Kritik ist das Individuum, und zwar jedes einzelne, konkrete Menschenwesen.

Bei dem Satz der Identität als Totalität, da musst Du mir auf die Sprünge helfen. Es kann auch wirklich ohne jede Koketterie sein, dass ich das einfach nicht schnalle. Da stolper ich seit mehr als 20 Jahren vor mich hin und denke jedes Mal "Die spinnen doch!" Vielleicht spinne aber ja auch ich.

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@ „Was ist denn an der "Mediengesellschaft" (wieso überhaupt "Mediengesellschaft", wenn sie doch nur Ausdruck ökonomischer Gesetzmäßigkeiten ist?) postmodern?“


Zunächst einmal ist eine Mediengesellschaft eine Gesellschaft, in der persönliche Entscheidungen einer Vielzahl von Menschen, ja der überwiegenden Mehrheit, von allgemein zugänglichen Massenmedien beeinflusst werden und darüber hinaus die Menschen einen großen Teil ihrer Freizeit mit dem Konsum dieser Massenmedien zubringen. Das ist ja durchaus nicht in jeder Gesellschaft der Fall. Die Gesellschaft des Mittelalters war zum Beispiel keine Mediengesellschaft. Das alltägliche Handeln der Menschen wurde bestimmt durch Gewohnheiten, Traditionen, Volksfrömmigkeit, Aberglauben, Ratsbeschlüsse und den Willen des Grundherrn, aber nicht durch Medien. Dejenigen, die nicht nur lesen konnten, sondern auch selber Bücher besaßen, waren eine wahrscheinlich kleinere Minderheit als heutige Professoren, und ihre Bildung galt den Massen als Geheimwissen.
Die Mediengesellschaft ist nicht nur Ausdruck ökonomischer Prozesse, sie wird durch diese bestimmt , hat aber ein Eigenleben. Die Fabrikarbeit am Band, das Kaufen der Produkte im Supermarkt und die Privatyacht des Vorstandsvorsitzenden sind auch voneinander verschiedene Dinge.
Postmodern ist an dieser Gesellschaft, dass sie einer anderen Moderne angehört als jener Moderne, in der Horkdorno noch selber lebten. Zu den Merkmalen dieser anderen Moderne gehört, dass die Bindungsfähigkeit gewachsener sozialer Milieus erodiert ist, dass es private profitorientierte elektronische Medien gibt, die den Großteil der massenhaft konsumierten Medien darstellen und dass kulturelle Codes zunehmend durch diese Medien gesetzt werden, während diesen gegenüber in Relation z.B. die Bedeutung einer expliziten Erziehung zurückgeht.

“Und was würdest Du machen, wenn Du die "volle Befriedigung" erreichen würdest?“

Woher soll ich das denn wissen? Möglicherweise muss man bereits in der freien Gesellschaft leben, um das wissen zu können. Möglicherweise muss eine freiere Gesellschaft erst Menschen hervorbringen, die in der Lage sein werden, vollkommen ihren Bedürfnissen entsprechend zu leben, weil wir dazu noch nicht fähig sind. Oder aber „"heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, mittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker zu werden“ (K.Marx). Oder vielleicht mich auch ganz von dieser „eitlen Welt“ abwenden in einem eher kontemplativen Sinne, wer weiß…..

“Dieses Alles-In-Eins kann echt nicht die Messlatte sein, bei allen berechtigten Einsichten, die da drin stecken, und Adorno hätte zu Musicals und Alben vielleicht lieber Zurückhaltung üben sollen, das, was er zu Webern und Beckett schrieb, das war einfach besser, da kannte er sich ja aus ... wobei Beckett sich ja auch weggeschmissen angesichts von Adornos Interpretationen des Endspiels, wie Herr Unseld zu berichten wusste. Was aber nix gegen Adornos Analyse sagt ... „

Ich finde Manches, was Adorno zu Jazz geschrieben hat haarsträubend daneben, deswegen kann die große Linie der Gesamtkritik der Kulturindustrie trotzdem richtig sein. Ich finde falsch, wie Horkdorno Odysseues und Bergsohn zusammenrühren und eine auf das 20. Jahrhundert bezogene Kulturkritik aus mythischen Zeiten herleiten, in denen selbst der heutige Begriff vom Ich möglicherweise gar nicht greift. Das entwertet aber noch nicht die Kritik selbst.




“Nee, aber so, dieser große Topf, in den man alles Böse rührt, das ist immer das Spiegelbild der Inquisition ... Das Ganze ist nicht das Unwahre, das Ganze ist uns nicht zugänglich.“ --- Was hat das mit Inquisition zu tun? Adorno und Horkheimer waren massive Gegner der Inquisition des 20. Jahrhunderts, der faschistischen wie der stalinistischen. Totalisierende Denksysteme müssen nicht zwingend mit Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender zu tun haben. Ich nehme als Beispiel mal ein Denksystem, mit dem verglichen die Dialektik der Aufklärung geradezu ein Beispiel für fröhlichen Fortschrittsoptimismus darstellt: Den tibetanischen Buddhismus. Für den tibetanischen Buddhismus stellt die körperlich – materielle Welt an sich einen Verblendungszusammenhang dar. D.h., für den strengen Buddhisten ist die Wirklichkeit nicht nur hinter Täuschungen verborgen, die Welt der Materie an sich ist eine Täuschung und eigentlich gar nicht existent. Was einzig real existent ist, ist der Geist, und darunter ist nicht Verstand oder Intellekt zu verstehen, sondern eine absolut jenseitige, im Alltag nicht wahrnehmbare, ewige und unveränderliche Seinsform. In diesem Sinne kann von Geist nur gesprochen werden, wenn ein Wesen ohne Körper gemeint ist. Für den tibetanischen Buddhisten ist es der einzige Existenzzweck des Menschen, durch Meditation und gutes Karma dahin zu gelangen, nicht mehr wiedergeboren zu werden und in diesen ewigen Geist, das Shunyata bzw. Nirwana einzugehen, in dem ein individuelles Ich nicht mehr existiert. Für dieses ultra – gnostische Denken, neben dem Platons Höhlengleichnis sich wie ein heiteres Tischgespräch ausnimmt ist praktisch alles, was wir unter irdischem Glück vorstellen völlig bedeutungslos, bzw. nur interessant, inwieweit es dem Erwachen im Geiste und der Überwindung der Wiedergeburtenfolge dient. Das ist ja ohne Zweifel ein totalisierendes Denksystem – nur kennt es meines Wissens keineVerfolgung Andersdenkender. Das System Papst ist eng mit der Inquisition verbunden, musste sie sogar notwendigerweise hervorbringen. Das System Dalai Lama kommt völlig ohne Inquisition aus.

Schließlich: Wie Horkdorno davon auszugehen, dass das, was die Mehrzahl der Menschen mit ihrem Konsum, ihrer Medienrezeption, ihrem Arbeitsverhalten, ihrem Umgang mit Kollegen usw. den lieben Tag treibt im drastischen Gegensatz zu dem steht, was sie wirklich glücklich mache würde hat nicht zum Inhalt, dass man selbst schon wisse, was einen denn wirklich glücklich mache. Man muss nicht im Akkord arbeiten, um zu wissen, dass Akkordarbeit unangenehm ist, und man muss nicht gesund sein, um eine Krankheit überwinden zu wollen. Meines Wissens haben Adorno und Horkheimer auch nirgendwo explizit gesagt, dass sie im Einzelnen wüssten, wie statt der vorhandenen falschen die richtige Gesellschaft und das ihr angemessene Verhalten konkret auszusehen hätten. Oder um es mit Rio Reiser auszudrücken: "Ich weiß nur eins, und da bin ich sicher, dieses Land ist es nicht!"

Und endlich betrachte ich die Horkdornosche Lehre weniger als eine in sich gemeißelte Totalität, sondern eher als Beschreibung einer Grundtendenz, nicht einer Absolutheit.

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@Che:

"Postmodern ist an dieser Gesellschaft, dass sie einer anderen Moderne angehört als jener Moderne, in der Horkdorno noch selber lebten. Zu den Merkmalen dieser anderen Moderne gehört, dass die Bindungsfähigkeit gewachsener sozialer Milieus erodiert ist, dass es private profitorientierte elektronische Medien gibt, die den Großteil der massenhaft konsumierten Medien darstellen und dass kulturelle Codes zunehmend durch diese Medien gesetzt werden, während diesen gegenüber in Relation z.B. die Bedeutung einer expliziten Erziehung zurückgeht."

Na, wenn so frisch, fröhlich, frei immer mal wieder neu erfindet, was einem bei der Verwendung von "postmodern" nun gerade in den Kram passt, ist die natürlich immer was zu Draufprügeln.

Bei denen vom ganz rechten Rand wird sie dann zu "Als-Ob-Welten", also im wesentlichen zu einer Spielart des Konstruktivismus, bei Harmut zur allseitigen Beliebigkeit irgendwelcher ego-betonten Schickeria-Vertreter, bei Zettel zum reinen Relativismus - nun also ein Merkmalsbündel, dem man ja zumindest in der Hinsicht noch etwas abgewinnen kann, dass "Code" und implizit "Dezentrierung" da auftaucht.

Horkdorno haben übrigens gerade angesichts "privatwirtschaftlicher Medien" eben in den USA - gab's da Staatsrundfunk? Weiß ich jetzt gar nicht ... - ihr Kulturindustrie-Kapitel geschrieben, und da ich Postmoderne in vielerlei Hinsicht als Selbstkritik der Moderne mit den Mitteln der ästhetischen Moderne mit dem Ziel der Dezentrierung von Mensch, Subjekt, Stimme, instrumenteller Vernunft, Mann, einer totalisierten Geschichtsschreibung als normativer Instanz, Heteronormativität usw. verstehen würde, haben das Horkdorno schon deutlichst vorbereitet. Das war keine "andere Moderne", in der die lebten, und Adorno wäre, wenn er dann nicht immer diesen Negativ-Hegelianismus heraus würgen würde, sogar im engeren Sinne ein postmoderner Denker.

Bin dann auch immer empfindlich hinsichtlich des "Erodieren sozialer Milieus", zucke da mittlerweile und kriege Pickel, wenn das jemand schreibt; zum einen reorganisieren sich da gerade einige, zum anderen bin ich darüber ganz froh, dass manche von denen erodierten. Wer mag schon Burschenschaften?

Wie ich übrigens auch froh bin über die Möglichkeit verfügbaren Wissens Dank der Entwicklung zur "Mediengesellschaft" und darüber, dass ich nicht ganztätig über den Acker laufen muss, um was zu fressen zu haben. Und finde das eher schlimm, wenn jener überwältigend große Teil der in der Landwirtschaft beschäftigten Weltbevölkerung diese Chance nicht erhält.

"Möglicherweise muss eine freiere Gesellschaft erst Menschen hervorbringen, die in der Lage sein werden, vollkommen ihren Bedürfnissen entsprechend zu leben, weil wir dazu noch nicht fähig sind."

Ja, so ungefähr hat sich die DDR legitimiert. Findet sich aber auch bei Roland Barthes oder Sartre. Ist für mich einfach säkularisierte Heilserwartung und Einfallstor für Umerziehungsfantasien.

Zum tibetanischen Buddhismus sach ich mal nix, finde den im konkreten Zusammenhang etwas sachfremd.

Dass Akkordarbeit Scheiße ist: Ja, klar. Aber darüber schreiben Horkdorno ja eher am Rande. Der Jazz-Aufsatz ist übrigens besser als sein Ruf, wenn man den mal liest, da ist dieses Allesvermengen im Kulturindustrie-Kapitel schon problematischer.

Inqusition: Für mich haben Horkdorno einfach in bestimmten Kreisen unglaublichen Gesinnungsterror verbreitet. Dieses auf alles, was man gar nicht kennt, immer schon eine Antwort haben, und wer nicht auf der Stelle zustimmt, dass alles nur ein nacktes Grauen ist, ist ein Faschist, und wer auch nur den Finger rührt jenseits der avantgardistischen Musikproduktion, macht mit und sich schuldig und schnüffelt an den Schloten von Auschwitz, das hat doch Nörgler neulich ganz passend am Beispiel Marcuse dargestellt.

Das ist durch all diese Sottisen, Abwatschungen und Diffamierungen anderer Positionen streckenweise Denkverhinderung - allerdings nur dann, wenn man nicht genauer hinliest, wie Adorno seine Art von Dialektik durchführt. Da sind gerade in der "Ästhetischen Theorie" unglaublich beeindruckende Partien, in der "Negativen Dialektik" geht's auch oft schief.

ABER DA GUCKT JA GAR KEINER MEHR GENAU HIN, man beschwört dann lieber das Virtuose und Ästhetische im Allgemeinen, anstatt das mal wirklich nachzuvollziehen, wie und warum der das macht.

Und das schlimmste ist, dass sie dadurch das Potenzial eigener Theorieansätze begraben haben. Habe gestern abend mal wieder einen Schnädelbach-Aufsatz zu Adornos nicht-existentem Begriff vonGeschichte gelesen, der teils ganz gut ist, aber weiter hinten dann wirklich erschütternd haarsträubend noch das, was sie zu Tausch und Markt schreiben, widerlegen will, ganz fürchterlich naiv - und so haben die eine ganze Intellektuellen-Generation in solche Reflexe geistig hinein gefoltert mit ihrem ja nur streckenweise manipulativen Mist, dass die schon aus Abgrenzungsbedürfnis gegen diesen Missbrauch bei gelegentlich völlig idiotischen Antworten landeten.

Habermas' "Faktzität und Geltung" wäre ohne deren Negativitäts-Terror doch gar nicht entstanden, aber um der Freiheit willen hat's ihn da hin getrieben - und dann ging's schief, weil er Rechtsrealität ignorierte.

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Im März 1983 war in der Welt ein Artikel unter der Überschrift "Karl Marx ist seit 100 Jahren tot" erschienen, in dem die polemische, unfaire und gemeine Art und Weise, wie Marx mit Proudhon, Bakunin und Lassalle umgegangen war, als Beleg für die Intoleranz und inhaltliche Falschheit der Marx´schen Theorie angeführt und die Ermordung Trotzkys als schon strukturell im damaligen Marx´ schen Verhalten angelegt betrachtet worden war, um am Schluss eine CDU-Weltsicht zu legitimieren. Schmälert aber das persönliche Verhalten von Marx, das ich auch für teilweise unter aller Kanone ansehe, tatsächlich den Wert seiner Theorie?

Wird die Kritik der reinen Vernunft dadurch hinfällig, dass Kant Rassist und als Privatmensch ein wunderlicher Zausel war?


Ist das in der Tat widerwärtige Verhalten gegenüber Marcuse oder die dogmatische und halsstarrige Art, mit Kritikern an der eigenen Theorie umzugehen ein stichhaltiges Argument gegen den analytischen Wert der Theorie an sich? Was spricht dagegen, diese Theorie so, wie ich sie sehe, nicht als Totalität und Quasi-Offenbarung zu betrachten, sondern als brauchbaren Ansatz unter vielen, der lediglich dem Denken eine Richtung aufzeigt, auch wenn ihre Begründer selber das ganz anders sahen?


Ein Umgang mit der Kritischen Theorie, der diese im Wortlaut und in Totalität interpretiert und sie nicht als begriffliches Instrumentarium betrachtet ist selber schon nicht mehr kritisch, sondern eher so etwas wie wortwörtliche Bibelinterpretation. Für mich sind Theoretiker Werkzeugmacher, keine Propheten.

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Problem ist ja, dass sich dieses Verhalten auf der Ebene der Theorie selbst reproduziert.

Und dass sie so angelegt ist, dass, wenn man sie wirklich ernst nehmen würde, gar keine Werkzeuge entnehmbar wären, ohne die Diagnostik der Unentrinnbarkeit zu sabottieren und so ins falsche Bewußtsein hinab zu sinken. mal ab von diesen Schnipseln wie dem "Eingedenken der Natur im Subjekt".

Sind aber trotzdem immer wieder tolle Aphorismen dabei, und wie gesagt: Teilweise, nicht durchgängig, ist die Denkpraxis Adornos selbst der Gehalt, gar nicht nur das, was er schreibt, und das wiederum läßt sich zwar nicht aus der DdA, aber aus der ND und ÄT (hähä) dann doch ableiten ...

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Na, dann bin ich Saboteur. Darin finde ich mich ohnehin sehr gut wieder. "Ins falsche Bewusstsein hinab sinken" ist im Übrigen ein Grund, wieso ich gerade gnostisches Denken oben anführte. Horkdorno wären genießbarer (oder anderen Theorieansätzen kompatibler) ohne diesen Manichäismus.

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Nachkorrektur
Der oben von mir verwendete Begriff der "postmodernen Mediengesellschaft" ist irreführend. Es müsste "postfordistisch" heißen.

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Satz der Identität und anderes
Momorulez hatte gefragt, wie der Satz der Identität Totalität sein könne. Dazu hier:

http://shiftingreality.wordpress.com/

_______________________

„Der Grund der Kritik ist das Individuum, und zwar jedes einzelne, konkrete Menschenwesen.“
Der Satz schrammt an einem Eisberg vorbei, auf dem steht: „Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Individuen. Weiterhin gute Fahrt, Ihre Maggie Thatcher.“

„Der Jazz-Aufsatz ist übrigens besser als sein Ruf“
Ich habe nichts gegen das Korrigieren einer fehlerhaften Auffassung, aber es irritieren doch diese harten Schwenks. Gerade noch stand dieser Aufsatz bei Momorulez gleich auf Platz 2 nach der „Ausstellung für entartete Kunst“.
Umgekehrt scheint Schnädelbach-Kritik nur zulässig, wenn sie von Momorulez kommt.

„... streckenweise Denkverhinderung - allerdings nur dann, wenn man nicht genauer hinliest, wie Adorno seine Art von Dialektik durchführt.“
Das könnte von mir sein.

"ABER DA GUCKT JA GAR KEINER MEHR GENAU HIN, man beschwört dann lieber das Virtuose und Ästhetische im Allgemeinen, anstatt das mal wirklich nachzuvollziehen, wie und warum der das macht. … Und das schlimmste ist, dass sie dadurch das Potenzial eigener Theorieansätze begraben haben.“
Das könnte auch von mir sein.

„Ziel der Dezentrierung von Mensch, Subjekt...“
Die „Dezentrierung des Subjekts“ betreibt das automatische, das die subjektlosen Subjekte um sich zentriert. Subjektlos sind sie darum, weil sie, herabgesunken zu heteronomen Momenten des automatischen Subjekts dessen bloße Funktionselemente sind.
Insoweit müssen wir uns um die Dezentrierung des Subjekts nicht mehr bemühen. Diese Arbeit hat uns die kapitalistische Zentrierungsinstanz bereits abgenommen. Ich jedenfalls sehe die Aufgabe der Kritik nicht im fordernden Nachvollzug dessen, was ohnehin ist.
Wer dezentriert werden möchte, ist es schon.

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"Der Satz schrammt an einem Eisberg vorbei, auf dem steht: „Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Individuen. Weiterhin gute Fahrt, Ihre Maggie Thatcher.“"

Nö. Auch wenn ich mir eine bessere Gesellschaft wünsche, dann doch nur, dass es jeder Einzelne darin besser und mehr Möglichkeiten habe. Ich bestreite doch nicht, dass sowas wie "Gesellschaft" auch auf den Einzelnen wirkt.

"Ich habe nichts gegen das Korrigieren einer fehlerhaften Auffassung, aber es irritieren doch diese harten Schwenks."

Das ist kein harter Schwenk. Den Aufsatz habe ich vor gar nicht so langer Zeit eine Passage befürwortend zitiert (kannst "Rottweiler" als Suchbegriff bei mir eingeben) und immer wieder darauf hingewiesen, dass man da bedenken müsse, dass sich Adorno - wann ist der geschrieben? 1937? - da auf Dixieland und Swing bezogen habe, nicht auf Ornett Coleman. Da sind auch Beobachtungen drin über die Tradition, in der ein Louis Armstrong oder Cab Calloway stand, die schon was einfangen, was anderen zu der Zeit gar nicht aufgefallen ist, sich aber bis Eddie Murphy auswirkt.


"Umgekehrt scheint Schnädelbach-Kritik nur zulässig, wenn sie von Momorulez kommt."

Na ja, das kam damals aber auch in einer ziemlich anderen Tonalität von Dir ... ich bin dem Herrn Schnädelbach auf ewig dankbar für seine Vorlesungen und Seminare, aber das, was da zum Schluß des erwähnten Aufstzes kommt, das ist geradezu weltfremd. Was ja nicht bei all seinen Texten der Fall ist, so gar nicht.

Es würde bei all dem vielleicht auch helfen, wenn Du nicht immer in diesen dialektischen (falls das dialektische sind) Zuspitzungen denken würdest. Man kann doch auch mal Zwischentöne und Nuancen wahrnehmen.

Ansonsten freue ich mich natürlich über die beiden "Das könnte von mir sein", freue ich mich wirklich!

Zur "Dezentrierung": Da ging es zum einen um das, was auch das "identifzierende Denken" meint - lieber sich entziehen, als von monoma benannt zu werden und in die Klapse gewzungen zu werden.

Zum zweiten waren das ja zunächst erkenntnistheoretische Fragen und eine Kritik an Bewußtseinsleistungen und Subjekt als exklusive Basis dieser.

Deine Marx-Lektüre ist damit ja tatsächlich ohne weiteres kompatibel.

Na, und zum Dritten ging's auch gegen "Andro-, Euro- und Ethnozentrismus", bei Derrida auch gegen Logozentrismus, wie Du ja weißt. Das war ein antikolonialer Impuls, bei dem dann allerdings auch allerlei Merkwüdigkeiten heraus kamen.

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Ja, OK, gut.

Wenn "Dezentrierung" die Kritik zentrierter und zentrierender Herrschaft ist, dann bin ich ja selbst ein Dezentrierer. Ich zucke nur, wenn das Subjekt gleich mitdezentriert werden soll, weil die Kritik sich nicht selber macht; da bedarf es des Subjekts der Kritik.

Als Problem nicht von, sondern mit Adornos Texten (besonders ND & ÄT) geht auf deren hohe Verdichtung und mehr noch auf die resultathafte Darstellungsweise zurück. Adornos Texte sind nicht zu lang, sondern viel zu kurz: Er expliziert kaum seine Voraussetzungen.
Das fördert eine Miß-Rezeption, die mir wohlbekannt ist aus universitären wie außeruniversitären Veranstaltungen, die atmosphärisch an Religionsgemeinschaften erinnerten, bei denen die Gemeinde ganz ergriffen ist von der Heiligkeit der Texte, wobei das Nichtverstehen der Texte gerade deren Heiligkeit verbürgt. Solche Gemeinde ist attraktiv, da alle sich im Geheimnis wissen, distinkt gegen die Un(ein)geweihten. Hinzu kommt, dass, da keiner den Text versteht, alle zum Text etwas sagen können, und alles wird von allen anerkannt als sinntiefe Textexegese.

Adorno läßt sich gar nicht „interpretieren“, er ist ja selber schon die maximale Eskalationsstufe von Interpretation. Fruchtbarer ist es, ihn gleichsam rückwärts, nach seinen Voraussetzungen hin und von seinen Voraussetzungen her: der Tradition, zu lesen.

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