Samstag, 24. Juli 2010
Tribal brutal
Tattoos und Piercings haben ja schon weiteste Verbreitung gefunden, zeitweise waren in meinem engeren Umfeld untätowierte und zugleich auch noch ungepiercte Leute fast schon eine Minderheit, und ich trage ja selbst auch meinen Körperschmuck mit mir herum. Allerdings bin ich der Meinung, dass hier eher Sparsamkeit bzw. Minimalismus ästhetisch ist, und wo ein Nasenclip und zwei markante Ohrringe adrett wirken, finde ich drei Lippenpiercings gleichzeitig nur noch daneben. So jemand wird von mir auch schonmal "Blechfresse" genannt. Respekt für die Unumkehrbarkeit seines Tuns und das Durchhaltevermögen, aber auch Unverständnis für sein Handeln erzeugte bei mir mal jemand, der sich brandmarken ließ. Die Frau, die ich kürzlich traf ging aber einen Schritt weiter: Eine ganze Metallkollektion im Gesicht, ein Tattoo auf der einen Schulter und auf der anderen ein Narbenmuster, das eine wellige rote Landschaft von Handtellergröße darstellte, offensichtlich mit einem Messer so in die Haut geschnitten, dass es möglichst langsam verheilt und so dekorative Ergebnisse erzielt. Gut, Ähnliches, nur sehr viel dezenter habe ich auch schon bei Stammesangehörigen im Sudan gesehen, wo es eine bestimmte rituelle Bedeutung hat, aber hierzulande?! Was soll das? Und was kommt als nächster Kick - die Amputation kleinerer Körperteile?

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Che, das ist in entsprechenden Kreisen fast schon ein alter Hut.

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Die Amputation oder die Messernarben? Und was sind das für Kreise?

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Kreise:
es scheint eine Subkultur zu geben, in der body modifications signifikanter Bestandteil der Identität sind.
Amputationen gehören da teilweise dazu. Wobei man jetzt der Vollständigkeit halber erwähnen sollte, dass nicht jeder, der ein Piercing oder auch mehrere hat, sich morgen ein Fingerglied amputieren lassen will.
Amputationen werden als kosmetische Sache gesehen, wie Tattos und Piercings auch.

Am gewöhnungsbedürftigsten finde ich da Penis-Spaltungen. Sorry an alle, die drauf stehen, aber... ??? von mir.

Wenn ich mich recht erinnere, werden dabei am häufigsten Fingergelenke amputiert.

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Was für Eigenschaften hat diese Subkultur denn sonst noch? So zwischen SM-Szene und LARPER/Reinacter oder beides zugleich (würde auf die Frau zutreffen, gibt es auch sehr viele hier) mit nem bißchen Punk-Einschlag?


Vermischtes hierzu:


http://autismuskritik.twoday.net/stories/1205759/



http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/184761



http://holzbronn.info/Allerlei/BODY-MODIFICATION-MACH-MIR-DIE-ELFE



http://www.vampyressa.homepage.eu/bodymod_83823710.html

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Mir sind die in der Volkskunde (heisst jetzt anders- Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, kurz "KA/EE") untergekommen. Da werden body mods zum Lebensstil.
Frag mich bitte nicht, was die in der Zeit machen, wo gerade nix modifiziert wird.
Das ich den entsprechenden Artikel gelesen habe ist aber mindestens 6 Jahre her, also echt ein alter Hut.

Reenacter sind da meines Wissens weniger dabei. Die, die ich persönlich kennengelernt habe, waren auch meist zu sehr dabei, ihre Kohle in handgewebte Schafwolle zu investieren. Auch ist ein handgeschmiedetes Sax nicht billig, und wenn du dir erst mal ein Langschwert kaufen willst wird es richtig teuer.
Ausserdem passt ein amputierter Finger zwar klasse zur Schlacht von Hastings, macht aber das fachgerechte Führen der Waffe schwierig.
Bei so einem ernsthaften Reenacter stösst alles, was ihn von der wiederzubelebenden Epoche trennt, eher auf Ablehnung.

Ich weiss nicht, ob du ihn auch kennst, aber einer meiner ehemaligen Genossen hat zeitweise in einem Freilichtmuseum gelebt. Die Gruppe lebte in ihrem Museumsdorf. Norwegen um 1200. Er ergriff schreiend das Weite, als der Landbesitzer starb und seine Witwe die Patronage übernahm, denn die Dame hatte eigenartige Vorstellungen von norwegischer Geschichte. Niemals habe sich dort das Christentum duchgesetzt, der Norweger (TM) ist stets seinen Göttern treu geblieben und von hier, vom hohen Norden aus, werden wir unser Volk wieder seinem Rechten Weg zuführen! WEnn es nur ein Thor-Tick gewesen wäre hätte man ja noch "ist schon klar" sagen können, aber dort erschien dann ziemlich bald ein sehr kurzhaariges Publikum zum Sonnenwendefeiern. Nachdem alle Versuche, sich darüber auseinanderzusetzen, scheiterten, gingen die Reenacter/Museumsleute.

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Ich weiß ja nicht, ob das bei mir in der Gegend nur ein Lokalphänomen ist. Aber hier laufen freakige Leute umher, die Elemente von Mittelalter-Look mit eindeutigen SM-Zeichen (Ring der O und so) und mit Punk- oder auch Hippie-Outfit verbinden, und in die Szenerie gehört die auch hinein. Nix mit Nazis, aber eine offensichtlich bizarre Subkultur.

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Nicht jeder Reenacter macht Mittelalter. Napoleonische Kriege sind auch beliebt. Im angelsächsischen Raum (nein, nicht die Gegend um Schleswig rum:) ) steht der Zweite Weltkrieg hoch im Kurs, in Südengland verwandeln sich im Sommer angeblich ganze Ortschaften 70 Jahre zurück. Da fahren wohl auch reihenweise Deutsche hin.

Den von die beschriebenen Stilmix kenne ich auch vom Sehen her, und LARPer (zwischen LARPern und Reenactoren herrscht zumindest in Gö so was wie ewige Feindschaft und die einzelnen LARPer sind sich auch nicht unbedingt grün) scheinen dafür besonders anfällig. Ich kenne Reenactoren, die wenn man "Mittelalter-Markt" sagt, kreischend das Weite suchen. "Wenn ich noch einen Freak mit spitzen Ohren treffe, hau ich das Dämonenzeugs weg!" ist eine Standartreaktion.

Die Frage, die ich mir bei eindeutigen Zeichen immer stelle ist: tragen die das, weil es angesagt ist, kennen sie die Symbolik dahinter und wenn ja, wollen sie sie einsetzen?
Es soll (früher mal) Zeiten gegeben haben, in denen ein Ohrring bei einem Mann eine eindeutige Aussage war. Heute ist das nicht mehr unbedingt so.

Nazis mit Tattoos habe ich gesehen ("Treue ist meine Ehre" einmal in Gothisch quer über die Brust), ich war nicht nahe genug dran, um mal nach Piercings zu suchen.

Im Bereich der Reenactoren ist rechte Symbolik anscheinend relativ verbreitet. Frag mal einen uns beiden bekannten SS-Spezialisten nach "Ulf Hednar", er hat die Details besser drauf als ich.

Dazu wäre mal interessant zu wissen, wie die Autonomen Nationalisten das halten.

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Ja, und ich Naivling denke bei Leuten, die den Ring der O tragen an praktizierende SadomasochistInnen;-)


Im Ernst, es gab mal eine Zeit, da bedeutete ein Nasenpiercing "Ich schnupfe Koks" und ein in das Ohrläppchen eingestanzter, allseits von Haut umgebener roter Stern "Ich bin Antiimp".


BTW: In Thüringen haben Ex-NVA-Grenztruppenleute ein Stück Mauer wieder aufgebaut, und begeisterte kanadische Reinacter kommen angereist, um unter Kalaschnikowfeuer mit Platzpatronen Flucht zu üben. Abends gibt es dann Essen aus der Gulaschkanone bei forschen Grenzerliedern.

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Na ja, das Outfit von Mittelalter-Freaks im Corvus-Corax-Style und bestimmten BDSMern ist bis auf bestimmte Details fast identisch, aber die Inhalte haben nix miteinander zu tun, und Grufties lassen sich ebenfalls oft von BDSMern kaum auseinanderhalten, und dann gibt es da noch ernsthafte Satanisten...

Vielleicht bräuchte es einen Wegweiser durch die Bizarrszene, so was Ähnliches wie das berühmte Handbuch "Per Anhalter durch die Galaxis".

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@netbitch:
Da sachste was. Ich dachte schon bei der Lektüre des Ausgangsbeitrags: "Der Weltraum - unendliche Weiten...".

Ich bin ja mal gespannt, ob wirs noch erleben, dass auch der Barock/Rokoko ein Revival erlebt und die entsprechenden Freaks dann mit Dreispitz, Allongeperücke und Schnallenschuhen rumstiefeln.

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Lustiger wäre es, wenn Togaträger laut "Orgien! Orgien! Wir wollen Orgien!" deklamieren.

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Ja,
man ordert dann in Auerochsfett gebratene Schweinskaldaunen - mit Honig. Aber das weißt Du ja.

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Otternasen, Nachtigallzungen, jeder nur ein Kreuz. Was aber machen wir mit Sethos, der einbalsamiert werden möchte?

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Lesefutter!
Ich empfehle das Buch:

"Body-Modification: Psychologische und medizinische Aspekte von Piercing, Tattoo, Selbstverletzung und anderen Körperveränderungen [Broschiert]"

von Erich Kästner, äh, Erich Kasten.

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Merkwürdig, an Dich dachte ich gerade!

Kannst Du kurz skizzieren, was da drinsteht bzw. in welche Richtung das geht? Gerade in Bezug auf die Erörterungen hier im Thread?

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Ich bezweifle, dass irgendjemand zwischen 800 und 1500 wie Corvus Corax rumgelaufen ist. Das mit der goldenen Körperfarbe war zwar stylish, aber so wenig Mittelalter wie Spitzohren.

Das mit dem fast identischen Outfit glaube ich jetzt einfach mal. Klingt einleuchtend, Dungeon-Optik und so.

Ich persönlich hoffe ja auch auf ein Rokoko-Revival. Männer auf Absätzen! Da kann jeder Togaträger einpacken was den Unterhaltungsfaktor angeht! Und die Jungs von Corvus Corax auch!

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@ Cassandra
"Nazis mit Tattoos habe ich gesehen ('Treue ist meine Ehre' einmal in Gothisch quer über die Brust)"

Vermutlich war's Fraktur, aber darauf soll es jetzt nicht ankommen.
"Treue ist meine Ehre" sagen bloß diese ehrvergessenen Weicheier, die sich vor dem Staatsanwalt in die Pampers machen.
Der wahrhaft Treue bleibt selbstverständlich bei "Meine Ehre heißt Treue"! Soviel Deutschtum muß sein.

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Nein, es war Gothisch. So nah war ich dann doch dran- nicht freiwillig, aber was soll's. Die Fraktur wurde im Übrigen während des NS als "jüdisch" empfunden und durch das "nordischere" Gothisch abgelöst neben dem als klar, modern und wissenschaftlich empfundenen Blockschriftsatz.

Die einzige Tätowierung, die in diesem Kontext angemessen ist, geht so in Richtung "AB +" und sitzt in der Achselhöhle. Aber das ist wahrscheinlich zu schmerzhaft für den deutschen Helden. Alles andere ist als völlig undeutsch abzulehnen.

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Der nächste Trend
der in diese Richtung geht wird imho Steampunk sein, bei den Angelsachsen ist das eh schon voll im Rennen. Lustig auch, dass die Basisliteratur dafür fast 30 Jahre alt ist und bisher niemanden animierte sich viktorianisch mit zusätzlichen mechanischen Gadgets zu verkleiden.

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Cassie, die präferierten Schriften änderten sich quer durch die Geschichte des 3. Reichs. Erst Gotisch, dann Hättenschweiler, später bestimmte Bastardfrakturen, Thannhäuser, es sollte sogar eine ultrabrutale neugotische Schrift namens "Tannenberg" eingeführt werden. Da hatte man aber so große Teile Europas erobert, dass man eine einfache Druckschrift brauchte, die von den Besetzten gelesen werden konnte, und sei es nur für Verbotsschilder, von denen die NS-Bürokratie unheimlich viele produzierte, und man kehrte schlagartig zur Antiqua zurück. Meine Eltern haben in der Schule auch noch neben lateinischer Schreibschrift "deutsch", d.h. Sütterlin gelernt.

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