Montag, 25. März 2013
Das Brett vorm Kopf zur Waffe machen oder wie Rassismus und Weißsein negiert werden
Dass der ganze Rechtsextremismus-Diskurs in Deutschland an der Sache vorbei geht, weil die Faschos als "Modernisierungsverlierer" oder irregeleitete Jugendliche im Mittelpunkt stehen, nicht aber die Opfer bzw. "Zielpersonen" des Nazipacks, das ist eigentlich seit Längerem bekannt, uneigentlich scheint es niemanden zu interessieren. Birgit Rommelspacher bringt auf den Punkt, dass eigentlich Rassismus das Thema sein muss und die Frage, wer warum rassistischem Hass ausgesetzt ist.


"Warum sich in Deutschland jedoch die Diskussion um die Ursachen des Rechtsextremismus hauptsächlich auf die Frage psychischer und sozialer Problemlagen konzentriert, kann damit zusammenhängen, daß es hier so gut wie keine Rassismusforschung gibt. Es wurde anfangs bereits darauf hingewiesen, daß hier in erster Linie oder nahezu ausschließlich Rechsextremismusforschung betrieben wird und der Rassismus weitgehend als Begriff und als Forschungsgegenstand ausgeblendet wird. Das hat eine Vielzahl von Gründen, u. a. sicherlich auch den, daß der Rassismusbegriff in einem engen Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus steht und deshalb ungern in einem heute alltäglichen Kontext benützt wird; zum anderen aber auch, weil in Deutschland die weltweit geführte Entkolonialisierungsdebatte bisher so gut wie nicht zur Kenntnis genommen worden ist. Das führt dazu, daß im Unterschied zur Rassismustheorie der Rechtsextremismus nicht ein eine Machttheorie eingeordnet und deshalb weitgehend als ein soziales oder psychologisches Krisenphänomen verstanden wird."
Birgit Rommelspacher, Anerkennung und Ausgrenzung, Deutschland als multikulturelle Gesellschaft, 2002

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ja, "Erklärungsversuche" bisher immer nur lächerlich und peinlich
ja, stimmt, kann es auch nicht mehr hören, die Arbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit als "Ursachen", heul, trän, flenn, die armen ostdeutschen Rechtsradikalen! Seit den NSU-Morden ja, so will es mir scheinen, nicht mehr so oft bemüht. Es mussten erst Menschen getötet, Familien zerstört werden, damit eine nicht völlig gehirnentleerte Diskussion stattfinden kann.

Die Ursachen müssen tiefer oder jedenfalls woanders liegen als wie in den peinlich-hilflosen öffentlich verlautbarten "offiziellen" Versuchen immer auf die Schnelle vermutet wird! Das musste doch jedem, der oder die halbwegs bei Verstand ist, unmittelbar aufleuchten und klar sein!

Ich weiß aus gesicherter Quelle, dass da Gelder unter der Decke des Anscheins des "anständigen" Mitbürgers an rechtsradikale Organisationen flossen. Die einen spendeten halt an Greenpeace, die anderen eben an die NPD.

Die albernen "Erklärungsversuche", dann immer in den Medien verbreitet, waren für jeden/jede mit einem vernünftigen Maß an gesundem Menschenverstand Ausgestattene/n immer nur und von Anfang an nur mehr lächerlich und peinlich.

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Was auch zu wenig beachtet wird, ist der Rechtsextremismus innerhalb staatlicher Behörden. Es gibt eine Reihe von Ausländerbehörden in Deutschland, da ist der Sicherheitsdienst fast ausschließlich mit Hardcore-Neonazis besetzt. Ein Informant aus Hamburg hat mir da allerhand hässliche Details gesteckt, zum Beispiel, was das für die tägliche Praxis bedeutet.

Von wegen Rechtsstaat.

Andererseits würde ich bei der Diskussion der Ursachen von Neonazismus soziale/familiäre Faktoren jetzt nicht pauschal "nur lächerlich und peinlich" bezeichnen. Es gibt ausgesprochen ernst zu nehmende Forschung in dieser Richtung, und ich halte es für keinen guten Diskussionsstil, wenn diese unter Hinweis auf CWS einfach weggewischt wird.

Allgemein bekannt ist es, dass gewalttätige Tätermilleus sehr häufig mit gewalttätigen oder stark zerrütteten Familienmilleus korrespondieren. Der Zusammenhang ist sogar ausgesprochen stark.

(so weit ich weiß spielt in D-Schland der Faktor "soziale Unterprivilegierung" hingegen eine deutlich schwächere Rolle im Vergleich zu rechtsextremen Gruppen in GB)

Ich verstehe CWS eher als zusätzliche Perspektive und als solche finde ich CW-Ansätze sogar ganz außerordentlich hilfreich. Die bornierte deutsche Art, hier eine Ausschließlichkeit oder eine Art "neues Paradigma" zu formulieren, und darum andere/alternative/zusätzliche Erklärungsbeiträge zu ignorieren oder gar politisch zu bekämpfen, halte ich hingegen für ein echtes Problem.

Aus meiner Sicht zu wenig beachtet sind imho "die Gesetze der Horde" aka Gruppenprozesse, sowie die Möglichkeit von direktem Dialog, und zwar sowohl in Bezug auf die Verursachung rechtsradikalem Gedankenguts, als auch bezüglich der Bekämpfung von Rechtsextremismus.

Ich habe im Laufe meines Lebens jedenfalls schon eine Reihe von Neonazis bzw. Rechtsextremisten" langfristig (!) erfolgreich umgepolt bzw. aus ihren rechtsextremen Zusammenhängen gelöst, und reagiere da schon sehr reserviert, wenn mir irgendwelche weltanschaulichen Sektierer eine reichlich verengte Perspektive als allgemeingültig und ultimativ verkaufen wollen.

Im Übrigen, das zeigt auch das Beispiel Hessen, spielt es eine überraschend erhebliche Rolle, wie oft und wie stark sogenannte Volksparteien in ihren Wahlkämpfen mit Ressentiments und Ausländerfeindlichkeit als politische Waffe arbeiten. Roland Koch und sein bescheuerter Fraktionschef waren wirkmächtige Förderer von Rechtsextremismus und Menschenhass.

Und ich vergesse bis heute nicht, dass eine ziemlich mäßig bemittelte "Erforscherin der Deutschenfeindlichkeit" es zur Familienministerin gebracht hat.

Es gibt sicherlich einen Haufen Gründe, sich gründlich zu ärgern. Wenn (zutreffend) soziale Faktoren zu den Ursachen von gewalttätigem Rechtsextremismus gerechnet werden, bzw. in diesem Rahmen diskutiert werden, dann ist das für mich jedenfalls kein Ärgernis. Und klar, wer nur in sozialen Faktoren Ursachen erkennt, der zeigt, dass er sich mit derartigen Fragestellungen noch nicht sehr intensiv auseinander gesetzt hat.

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ja, sicherlich habe ich etwas übertrieben. soziale Faktoren wie Unterprivilegierung spielen eine Rolle, keine Frage. und so ist wohl auch das Feld zu charakterisieren, auf welchem Neonazis ihre Leute rekrutieren.

und ich glaube auch, dass die Beobachtung richtig ist, dass in D-Schland gerne alternative/zusätzliche Erklärungsarten gar nicht erst wahrgenommen werden. mein Eindruck nur: Perspektiv- und Arbeitslosigkeit immer überschnell zur Hand zur "Erklärung" funktioniert(e) allzuoft als Ausweichargument, um einem Problem, das womöglich in der Mitte unserer Gesellschaft auch anzusiedeln ist, schnell und bequem aus dem Wege zu gehen.

es sind irgendwie immer die anderen. und beim Verweis auf soziale Verhältnisse schwingt immer ein There-is-no-alternative-Fatalismus mit, das bringt der Kapitalismus eben so mit sich.

Birgit Rommelspachers Analyse scheint mir da sehr treffend und notwendige Perspektiven zu eröffnen. die Verengung der bisherigen "Erklärungsversuche" ist für mich dermaßen augenfällig und dem Problem ausweichend, dass selbst ich, der ich mich um politische Fragen so gut wie gar nicht kümmere, es bemerkte, wie schnell sich da gerne in die eigene Tasche gelogen wird.

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Ich hatte ja die Genese männlicher Jugendlicher zu Neonazis im Raum Göttingen konkret mitbekommen, und da sah das so aus: Bauernsöhne aus dem dörflichen Umland (teilweise Gummistiefel mit Mist dran statt Dr.Martens) und städtische Unterprivilegierte mit vom Szene-Mainstream abweichenden Musikgeschmack (Böhse Onkelz, bestimmte Arten von Metal), die sich gegen die städtische überwiegend mittelschichtige linksgerichtete punk-wave-und technoorientierte IGS-Jugend und die teils studentische teils dauerarbeitslose oder alternativjobgeprägte autonome Szene in Stellung brachte. Das war aber nicht nur ein Jugendtrip. Leute aus dem harten Kern der Göttinger Naziszene kämpften später als Söldner im Jugoslawienkrieg. Und mit diesem wiederum, zumindest, was die Belagerung von Sarajevo angeht hatte die Auseinandersetzung durchaus eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit: Die dumpfen Landeier gegen die weltoffenen Städter.

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Critical Whiteness beim Che
Sehr guter und auf den Punkt bringender Text, das hier. Wobei der durchaus aus einer CW-Perspektive formuliert wurde. Also scheinst Du dem doch nicht so ganz fernzustehen, oder?

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Ich finde Critical-Whiteness-Positionen durchaus sinnvoll, wie gerade in diesem Kontext. Was ich für falsch halte ist die Art und Weise, wie RS sie gebrauchen, nämlich einerseits essentialistisch und hypermoralisierend (wer sie nicht verwendet oder die Awareness, die wir haben nicht erreicht hat ist ein schlechterer Mensch) und sie andererseits instrumentalisiert, um die eigene Gruppe aufzuwerten. Wobei Beides ineinander fasst. Was gar nicht geht ist diese getrennt von Klassenverhältnissen oder Imperialismus zu behandeln. Und was einen früheren Blogfreund angeht, der vor über einem Jahr völlig abdrehte, ein Setzen ganz bestimmter Critical-Whiteness-Vorstellungen als Norm, nach der Andere sich zu richten hätten unter völliger Ignorierung anderer Debattenstände.

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ch möchte noch mal darauf hinweisen, was ich hier: http://che2001.blogger.de/stories/2194639/#2198285 schon geschrieben bzw. zitiert hatte.

Adolph Reed sagt: „Allzu häufig ist „Rassismus“ Subjekt von Sätzen, die eine bewusste Aktivität implizieren, oder wird als eigenständige „Kraft“ charakterisiert. … Als Basis für die Interpretation sozialer Phänomene und in Hinsicht auf politische Aktivitäten sind solche Abstraktionen aber nutzlos. Ihre Hauptfunktion ist, sich gut anzufühlen im Munde derer, die sie voller Selbstgerechtigkeit vorbringen. Menschen reproduzieren durch ihr Handeln rassifizierte Ungleichheiten, manchmal bewusst und manchmal nicht. Aber „Rassismus“ tut nicht mehr als der Osterhase. … Es ist wesentlich effektiver, Ungleichheit und Ungerechtigkeit direkt anzugehen und die Debatte, ob es sich dabei um Rassismus handelt oder nicht, beiseite zu lassen. … Im gegenwärtigen antirassistischen Diskurs geht es weit mehr darum, ob bestimmte Formen von Ungleichheit Rassismus genannt werden sollten, als darum, Schritte zu ihrer Bekämpfung zu entwickeln.“

Und genau das tut Frau Rommelspacher, sie fordert, den Blick von den realen Verhältnissen („psychische und soziale Problemlagen“) abzuwenden zugunsten von „Rassismusforschung“, logisch , ist ja auch ihr Arbeitsfeld und mehr Staatsknete kann man immer gebrauchen. Das der Begriff „Rassismus“ in Deutschland ungern benutzt würde ist Unsinn, im Gegenteil, jeder Mist wird als Rassismus gekennzeichnet, ohne das dieser Sprachgebrauch auch nur ansatzweise reflektiert würde.

Das ist genau die neoliberale Kacke die uns von der SPD bis zur reclaim society immer wieder präsentiert wird. Rassimus und Sexismus müssen bekämpft werden, da sie das perfekte Funktionieren des freien Marktes beeinträchtigen, und wenn es keinen Rassismus und keine Homophobie mehr gibt, leben wir in einer freien Gesellschaft. Dann sitzen in den Vorständen der Dax-Unternehmen genauso viele reiche Frauen und reiche Schwule (und reiche Farbige und was sonst noch) wie reiche heterosexuelle Männer, ohne das sich an der Einkommenverteilung in der Gesellschaft irgendwas ändern müsste.

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Pardon, Du hast einige Punkte für Dich, aber in der Gesamtheit liest sich das für mich so wie die Altlinken, die früher, in den 70ern und 80ern das Patriarchat als "Nebenwiderspruch" einordneten. Natürlich trifft es zu, dass das Sich-Beschäftigen mit Teilwidersprüchen nicht mehr die Klassenfrage stellt. Aber es ist auch wahr, dass sich nicht alle höchst unterschiedliche und höchst unterschiedlich erfahrbare Unterdrückungsverhältnisse unter "Gesamtunterdrückung" und den Kampf dagegen subsummieren lassen. "Genossen auf der Straße, Faschisten im Bett" nannten schon die italienischen Feministinnen der 70er ihre männlichen Mitstreiter. Und sexuelle Diskriminierung, Rassismus, Armut oder Opfer faschistischer Gewalt zu sein werden schon verschieden erlebt. Pleite sein fühlt sich anders an als verprügelt zu werden, keinen Pass haben ist etwas Anderes als wegen schwullesbischer Biografie sich diskriminiert zu fühlen, Hunger haben ist etwas Anderes als gefoltert worden zu sein und wegen der Hautfarbe schief angeguckt zu werden nicht mit Schikane am Arbeitsplatz identisch. Der Triple-Oppression-Ansatz, der bei Antirassismusgruppen im autonomen Spektrum Konsens ist oder das zumindest mal war spannt ein Kontinuum auf, das all diese Faktoren als Vektoren in einem komplexen Zusammenhang sieht. Und da ist dann Critical Whiteness eine von verschiedenen Komponenten.

Dass es Leute gibt, die nur noch in dieser Kategorie denken und die Gesamtkritik am Kapitalismus vermissen lassen - unbenommen. Das macht aber den Ansatz nicht platt.

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Rechtsextremismus != Rassismus
Es mag den Ungleichheitsforschern in ihren Elfenbeintürmen nicht bewusst sein, aber Rechtsextremismus geht über ihr Lieblingsthema Rassismus weit hinaus. Wenn wir die Opfer in den Mittelpunkt stellen, dann sind dies Antifaschisten genauso wie exponierte Juden und sicher auch Migranten.
Rechtsextremismus bezeichnet folglich etwas anderes als Rassismus. Dass sich die linksliberalen Rassismusexperten gerne auch zu diesem Thema in den Vordergrund schieben wollen, ist verständlich, aber noch kein Grund die Präzision und Schärfe der Begriffe zu opfern.

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Zu den Elfenbeintürmen gehören Asylbewerbersammelunterkünfte, die Küchenräume von Pizzabringdiensten und die Hinterhofbordelle deutscher Mittelstädte. Rassismus ist in der deutschen Debatte eher ein randständiges als ein zentrales Thema. Birgit Rommelspachers Ansätze würde ich auch mit "linksliberal" nicht treffend gekennzeichnet sehen. Natürlich richtet sich neofaschistische Gewalt gegen diverse Zielgruppen, nicht nur Antifas, MigrantInnen und Juden, sondern z.b. auch Behinderte (ich kann mich lebhaft daran erinnern, dass Misshandeln von RollstuhlfahrerInnen als "unwertes Leben" zu den spätabendliche Gewaltaktionen von Naziskins gehörte, die dann von unsereins auf die Fresse bekamen), Feministinnen, Punks oder Skater, dass aber Rassismus zentraler Bestandteil ihrer Ideologie ist kommt bei all den Betrachtungen, die vor allem die rechtsextremen TäterInnen als "Modernisierungsverlierer" betrachten viel zu kurz. Das bewegt sich halt zwischen Leggewiesierung und Heitmeyerei.

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Sorry, ich versteh das nicht. Was soll denn dieser Ominöse Rassismus eigentlich sein, der zwar das Handeln von Menschen bestimmt, aber angeblich nichts mit ihrer sozialen Situation, ihrer Bildung und ihrer Lebenserfahrung zu tun hat?

Für mich ist es ganz klar, dass es z.B. in Ostdeutschland besonders viele Rassisten und Neonazis gibt. Dort sind die Löhne niedriger, die Arbeitslosigkeit höher, und es gibt deutlich weniger Ausländer als im Westen. Die Chance, sie im Alltag persönlich kennen zu lernen und die Erfahrung zu machen, dass es Menschen sind wie man selber und keine fremdartigen Wesen vom anderen Stern, ist wesentlich geringer als etwa in einer Großstadt im Westen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Großteil der rassistischen Vorfälle verschwinden würde, wenn es gelänge, für gleichere Lebensumstände und bessere Bildung zu sorgen.

Wenn ich morgens in der Bahn die Schüler sehe, die miteinander quatschen und die Hausaufgaben durchgehen, weiße, schwarze, Asiaten, die alle das gleiche Deutsch sprechen, bin ich ziemlich optimistisch, dass das keine Rassisten werden.

Nur dadurch, dass man Menschen solche Erfahrungen verschafft, kann man Rassismus bekämpfen, denke ich.

Alles andere ist für mich eben "linker Neoliberalsismus".

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Sehr interessant finde ich in diesem Zusammenhang diesen Vorfall: http://de.wikipedia.org/wiki/Henry_Louis_Gates#Cambridge_Police_Incident

Walter Benn Michaels schreibt dazu:

„Gates ist, wie einer seiner Harvard-Kollegen sagt, „ein berühmter, wichtiger und wohlhabender schwarzer Mann“, was Gates selber dadurch betont, dass er zu dem Polizisten, der ihn verhaftet, sagt: „Sie wissen nicht, mit wem sie sich einlassen:“ Aber trotz des Hinweises kennt dieser eine fundamentale Wahrheit über das neoliberale Amerika nicht, nämlich dass es nicht mehr ausreicht, vor reichen Weißen den Kotau zu machen, man muss ihn jetzt auch vor reichen Schwarzen machen…. Früher konnten die Cops alle Schwarzen und alle Farbigen genauso behandeln, wie sie arme Weiße auch immer behandelt hatten. Aber inzwischen haben wir Fortschritte gemacht, man muss sich wirklich Gedanken darüber machen, mit wem man sich einlässt. Man muss sicher gehen, dass Klassenzugehörigkeit nicht durch Rassenzugehörigkeit ausgelöscht wird.“

Im gleichen Artikel heißt es weiter:

„Das neoliberale Ideal ist eine Welt, in der reiche Leute aller Hautfarben und Geschlechter glücklich ihren Reichtum genießen, während die Ungerechtigkeiten, die nicht durch Diskriminierung, sondern durch Ausbeutung hervorgebracht werden (es gibt weniger Arme (7%) als Schwarze (9%) an der Harvard-Universität), diskret durch die Hintertür hinausgeschickt werden.“

Und an anderer Stelle:

„Mein Punkt ist nicht, dass Antirassismus und Antisexismus nicht gut sind, es geht mir vielmehr darum, dass sie gegenwärtig nichts mit linker Politik zu tun haben, und das sie, sofern sie als Ersatz dafür fungieren, schlecht sein können.“

http://www.lrb.co.uk/v31/n16/walter-benn-michaels/what-matters

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"Wenn ich morgens in der Bahn die Schüler sehe, die miteinander quatschen und die Hausaufgaben durchgehen, weiße, schwarze, Asiaten, die alle das gleiche Deutsch sprechen, bin ich ziemlich optimistisch, dass das keine Rassisten werden."

Exakt meine Erfahrung bzw Beobachtung in einem der Viertel, in denen angeblich die multikulturelle Gesellschaft ganz doll gescheitert sei.
Wenn die Nazis aufmarschieren, stehen die Kids auch so united dagegen, da wird gar nicht lange drüber nachgedacht. Deren Problem ist dass die herrschende Politik ihnen die Zukunft klaut. Das spricht sich auch langsam rum, glaube ich.

Es gibt zwei Fragen, die für Zuwandererkiddies wichtig sind:
Erstens: Hast Du einen EU-Pass? Gratulation, dass ist schon mal ein Sechser im Lotto.
Zweitens: Hast Du Kohle? Wenn ja, hast Du keine Probleme. Wenn nicht, Fick Dich. Du bist am Arsch, aber wenn Du gesund bist, kannst Du Dich wenigstens irgendwie verkaufen und durchschlagen.
Es geht NUR um diese beiden Fragen, der Rest ist pillepalle.

Übrigens: Begrifffe wie Critical Whiteness oder PoC kennt bis auf Teile der Blogosphäre und universitäre Gesprächskreise wirklich kein Mensch, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung und konfessioneller oder politischer Ausrichtung. Die Debatten darüber sind für linke Politik vermutlich so relevant wie ornithologische Fachkongresse oder die neusten Trends beim Briefmarkensammeln. Immerhin ist noch ein wenig Wirtschaftskrise …

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Das nehme ich nicht anders wahr, und das halte ich auch für keinen Widerspruch. Wir haben vor allem einen sehr starklichen behördlichen Rassismus, der wirkt sich in Sondergesetzen ebenso aus wie in Polizeigewalt. Und Du selbst kennst noch aus unserer Göttinger Zeit die Eichsfelder und Notheimer Schlägerglatzen. Ich denke, in verpieften Provinzkäffern ist deren Art Rassismus sehr viel verbreiteter als in multikulturellen Groß- und Unistädten. Mein Neffe hat mit seinen indischen, südkoreanischen und südamerikanischen KollegInnen über den Inhalt dieses Threads gesprochen, und die meinten, sie hätten kaum ein so wenig rassistisches und so cooles Land wie Deutschland erlebt, sie würden lediglich vermissen, dass Deutsche selbstironisch mit ihrem Deutschsein umgehen würden. In Brasilien z.B. würde feste Uhrzeit im Sinne von sine temporis hora alemao genannt;-)


Ähnliche Erfahrungen habe ich mit meinen türkischen KollegInnen auch gemacht. Das sind aber die Lebenserfahrungen von höher gebildeten Leuten in einem hochqualifizierten Jobumfeld. Arme Schwarze oder abschiebedrohte Roma etwa haben da eine ganz andere Erfahrung des deutschen Alltags.


Btw. dann gibt es natürlich noch subjektive Erfahrungsebenen, die nicht verallgemeinerbar sind. Noah Sow hatte in ihrem Buch Deutschland schwarzweiß und in ihrer Edutainmentatttacke das Schwarzen-durch-die-Haare-wuscheln von Weißen als übergriffiges, verächtliches und diskriminierendes Verhalten beschrieben, das die meisten Schwarzen hierzulande schon erlebt hätten. Hmm. Ich habe in nahöstlichen Ländern auch schon erlebt, dass mir Einheimische in die Haare oder auf die Haut fassten, weil sie wissen wollten, wie sich Europäer anfühlt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dies als übergriffig wahrzunehmen, sondern das war für mich einfach Neugier. Damit will ich Noahs Wahrnehmung nicht infragestellen, meine aber, dass subjektive Wahrnehmungen immer auch Interpretationsspielräume offen lassen. Ich hatte ja schonmal die Sache mit schwarzen Patienten in deutschen Arztpraxen erlebt, die es als rassistische Diskriminierung erlebten, dass Weiße, die nach ihnen gekommen waren vor ihnen drankamen. Vom unterschiedlichen Status von Privat- und Kassenpatienten wussten die nichts.


Nochmal BTW:


Dass ich soziale und antirassistische Kämpfe miteinander verbinden und gerade nicht trennen will, dafür steht seit jeher das politische Programm dieses Blogs.

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@Che: Ja, und vor allem über den Punkt mit dem Dörfern musste ich in den letzten Jahren öfter nachdenken.
Vieles von dem was abläuft kann man als Konflikt zwischen Provinz und Metropole sehen. Im Osten z.B. sind die Nazis aus den Städten weitestgehend verschwunden, zumindest im Gegensatz zu der Situation die wir vor 20 Jahren noch hatten.
Gleiches kannst Du auch in anderen Ländern beobachten, z.B. was die Islamisten angeht. Finde ich schon spannend. Ist aber natürlich auch nicht überall so.

Ich beobachte in den letzten ein, zwei Jahren übrigens mit Sympathie wie viele Schülerinnen und Schüler sich gegen Abschiebung ihrer Mitschüler stellen. Da ist mächtig was am laufen, ganz ohne Zutun der "üblichen Verdächtigen". Das, plus die Aktionen gegen Gentrifizierung, bringt noch ein bisschen Leben in die Bude, wenn es denn schon keinen nennenswerten Widerstand gegen die Austeritätspolitik und die deutsche Hegemonialpolitik gibt.

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Ein bosniakischer Bekannter hatte damals sogar unsere Auseinandersetzung mit den Faschos als strukturell dem Jugoslawien-Krieg ähnlich angesehen: Hier die Dumpfis vom Kaff gegen das multikulturelle Göttingen, da die Serben aus dem engen Gebirgstal gegen das multikulturelle Sarajewo und das ebenso multikulturelle Dubrovnik.

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@ Che!
"Btw. dann gibt es natürlich noch subjektive Erfahrungsebenen, die nicht verallgemeinerbar sind. Noah Sow hatte in ihrem Buch Deutschland schwarzweiß und in ihrer Edutainmentatttacke das Schwarzen-durch-die-Haare-wuscheln von Weißen als übergriffiges, verächtliches und diskriminierendes Verhalten beschrieben, das die meisten Schwarzen hierzulande schon erlebt hätten. Hmm. Ich habe in nahöstlichen Ländern auch schon erlebt, dass mir Einheimische in die Haare oder auf die Haut fassten, weil sie wissen wollten, wie sich Europäer anfühlt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dies als übergriffig wahrzunehmen, sondern das war für mich einfach Neugier."

Das wird mir auch öfter mal entgegengehalten und ich widerspreche:
Erstens, ist das was weißen Deutschen und das was kanakischen Deutschen passiert, oft nicht das gleiche, vergleichbar. Soweit waren wir doch schonmal?!
Die Frage "woher kommst Du" wird auch oft mit harmloser, weltoffener Neugier erklärt. Diese ist also kein Argument dafür, daß darunter nicht verquere Strukturen liegen.
Du erlebst es im Urlaub - in einer zeitlich begrenzten Situation, die Du Dir selbst ausgesucht hast. Sow beschreibt, was ihr an ihrem Lebensmittelpunkt geschieht.
Das Exotisieren von ach-so-fremdartigen Körperfeatures stelt doch eine gängige Form von Neokolonialismus dar. Steht also in einer heftigen Tradition. Daß Du im Urlaub Dich nicht als Opfer, sondern ganz entspannt mit einem exotisierenden Okzidentalismus (um die Struktur zu benennen) fühlst, spricht für mich dafür, daß sie auf Dich einfach nicht diese Wirkmacht entfalten kann wie umgekehrt! Und nicht dafür, daß Du und Sow individuell andere Wahrnehmungen habt. Aber ungefragtes Anfassen ist doch allein schon übergriffiig, ohne daß es noch zusätzlich exotistisch aufgeladen ist. Du willst doch sicher nicht sagen, daß sie das rein subjektiv empfindet?

Viel besser finde ich Dein Beispiel aus dem Wartezimmer, es macht deutlich, daß "Hautfarbe" auch einfach mal gar keine Rolle spielen kann, sondern andere Hierarchien. Mir ist es mehrmals passiert, daß ich Anmachversuche von Schwarzen ablehnte und sie dann zum Ausdruck brachten, daß ich das wohl aus rassistischen Gründen tue. Schade, aber nicht zu ändern.

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Ach du liebe Zeit
Genau nachdem ich das eben an Che gerichtet schrieb, stoplerte ich über einen weiteren aktuellen "Rassimus-Fail":

"Wenn ich als weiße Frau* mir dieses Zitat einer Schwarzen Frau* aneigne, es seinem Kontext enthebe und es benutze, reproduziere ich damit ein rassistisches Machtverhältnis." schreibt eine Frau auf ihrem Blog http://ten1000spoons.wordpress.com/2013/03/16/wer-darf-sprechen-zum-zweiten/
und hier wird das noch weiter diskutiert: https://serialmel.wordpress.com/2013/03/17/weisse-machen-sich-ne-welt/

**Angst und Schmerz und zurechtgewiesen werden durch Nadine Lantzsch**

Es erinnerte mich daran, daß ich Dich auch dafür kritisierte, die Erfahrungen einer schwarzen Frau nivelliert zu haben. Aber im Gegensatz zu deren Diskussion ist das eine solidarische Kritik. Ohne daß ich erwarte, daß Du Deinen Fail als weißer Mann als öffentliches in-den-Staub-werfen zelebrierst - und dich danach reiner denn je zu denen gesellen darfst, die es verstanden haben. Ohne daß wir darauf bestehen, daß wir uns so dermaßen radikal voneinander unterscheiden. Den Unterschied zwischen exotisiert zu werden oder nicht, habe ich Dir trotzdem versucht nahezubringen.

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Vielleicht wäre das schon zu ändern, wenn man endlich mal von dieser verdammten Fixierung auf die Hautfarbe wegkäme, zumal auf Seiten von Linken, die Rasse angeblich für eine soziale Konstruktion halten.

Der Kolonialismus der Europäer beruhte ja auch nicht auf ihrer weißen Hautfarbe, aber wenn man "Critical Whiteness" Texte liest, klingt es immer so.

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"wenn man endlich mal von dieser verdammten Fixierung auf die Hautfarbe wegkäme"
wer jetzt genau? Differenzierung und Intersektionalität ist das Stichwort. Das geht doch genau aus den genannten Beispielen hervor.

"zumal auf Seiten von Linken, die Rasse angeblich für eine soziale Konstruktion halten."
logisch ist sie das: konstruiert, nichtsdestotrotz wirkmächtig.
In einer Welt, die von fixen race Konstrukten durchzogen ist, kann ich mich ja auf den Kopf stellen und mit den Beinen strampeln, es hilft nichts. Du meinst doch nicht im Ernst, daß sie aufhören zu existieren, nur indem wir aufhören davon zu sprechen?

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Liebe Qwertzu,

ich nahm das ja auch als solidarische Kritik wahr und nicht als dieses merkwürdige Psychotheater, das anderswo gerade zelebriert wird.

@"Aber ungefragtes Anfassen ist doch allein schon übergriffiig, ohne daß es noch zusätzlich exotistisch aufgeladen ist. Du willst doch sicher nicht sagen, daß sie das rein subjektiv empfindet?" ----- Nein, das will ich ganz gewiss nicht sagen, sondern dass die subjektiven Erfahrungswelten "schwarze Frau in Deutschland" und "weißer Mann in Ägypten/Sudan/Tunesien" überhaupt nicht aufeinander übertragbar oder verallgemeinerbar sind. Exotisiert wurden wir übrigens beide, nur in unterschiedlichen Settings. Das spielt sich ja auch nicht nur in postkolonialen Schwarzweiß-Kontexten ab: In China erlebten Freundinnen von mir, wie Kindern mit dem Finger auf sie zeigten und kreischten "Fremde Teufel, fremde Teufel", und die Alten bestätigten "fremde Teufel." Eine 1,80 große blonde blauäugige Freundin von mir war in Laos der Anlass dafür, den Dämonenbeschwörer zu holen.

Das soll keine hierarchisierenden Rassismen relativieren, wohl aber zum Ausdruck bringen, dass die Welt doch noch etwas komplexer ist. Und in den Debatten zwischen Mädchenmannschaft, Momorulez und Umfeld wird Komplexitätsreduktion mit der Stichsäge betrieben.


Ungefragtes Anfassen halte ich auch nicht in jedem Fall für übergriffig, es kommt drauf an, in welcher Situation und durch wen.

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subjektiv
" dass die subjektiven Erfahrungswelten "schwarze Frau in Deutschland" und "weißer Mann in Ägypten/Sudan/Tunesien" überhaupt nicht aufeinander übertragbar oder verallgemeinerbar sind.“

Sehe ich da etwas wichtiges nicht, oder wiederholst Du Deine Aussage, daß, was eine schwarze Frau in D. subjektiv erfährt, nicht verallgemeinerbar sei? Falls es so gemeint ist, stört mich das irgendwie. Wo ziehen wir die Grenze zwischen „naja den einen nervts und die andere halt nicht“ und alltäglichem Exotismus/Rassismus – wie gesagt, ist doch die Frage „woher kommst du“ auch übergriffig? Obwohl MmM (MenschenmitMigr.hint.) diese Frage oft völlig normal finden und selbst gern damit um sich werfen?

„Exotisiert wurden wir übrigens beide, nur in unterschiedlichen Settings. Das spielt sich ja auch nicht nur in postkolonialen Schwarzweiß-Kontexten ab“
Was ich behelfsmäßig als „exotisierenden Okzidentalismus“ bezeichnete, und damit ebenfalls als Struktur jenseits des rein subjetktiven Empfindens.
Natürlich wird vielfältig exotisiert. In Bollywood, also dem kommerziellen indischen Film, lassen sie gern weiße Frauen in den großen Choreographien tanzen, weil das der besondere Kick fürs Publikum ist. Und auch wieder eine sexistische Dimension mit sich bringt.
Daher klar, „dass die Welt doch noch etwas komplexer ist!“

„Ungefragtes Anfassen halte ich auch nicht in jedem Fall für übergriffig, es kommt drauf an, in welcher Situation und durch wen.“ Ja, ich präzisiere: durch unbekannte Personen!

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@"Sehe ich da etwas wichtiges nicht, oder wiederholst Du Deine Aussage, daß, was eine schwarze Frau in D. subjektiv erfährt, nicht verallgemeinerbar sei? " --- Ich wiederhole diese so nicht getroffene Aussage nicht, sondern meinte damit eher "nichts, was irgendjemand subjektiv erfährt, ist so umstandslos verallgemeinerbar", meine eigenen arabische-Welt-Erlebnisse ja auch nicht. Die Art und Weise, wie sich Frauen durch Männerblicke belästigt fühlen kann ich auch nicht nachvollziehen im Sinne von sich selber so fühlen, wohl aber micht nichtbelästigend verhalten. Die Angstgefühle, die Shoah-Überlebende beim Klang der deutschen Sprache empfinden sind völlig fremd für mich, abe darauf rücksicht nehmen kann ich. Ob es überhaupt verallgemeinerbare subjektive Wahrnehmungen gibt ist eine ganz eigene Frage(außer jetzt warm-kalt, Schmerzen und andere nicht von einem bestimmten Setting und eigenem Hintergrund abhängige Dinge).

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