Donnerstag, 25. Juni 2020
Medscape zum aktuellen Entwicklungsstand des COV2-Virus
Mehr als 100 Mutationen von SARS-CoV-2-Viren sind bekannt – diesen Effekt haben sie auf weitere Infektionen
Roland Fath

INTERESSENKONFLIKTE 25. Juni 2020
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Vom neuen Coronavirus SARS-CoV-2 sind bereits mehr als 100 mutierte Varianten bekannt. Mutationen helfen beim Nachverfolgen von Infektionsketten über Kontinente hinweg. Keine Evidenzen gibt es bisher dafür, dass Coronaviren im Verlauf der Pandemie schwächer oder pathogener geworden sind. Das berichten Experten bei einem beim virtuellen Press-Briefing des Science Media Center Germany [1].

Mutationen sichern das Überleben von SARS-CoV-2
Zum Hintergrund: Mutationen, eigentlich Fehler während der Reproduktion des Genoms, sind im positiven Sinne eine Lebensversicherung für die Spezies. Über Mutationen kann sich das Virus immer besser an den Wirt anpassen. „Es ist eine Evolution im Zeitraffer”, erklärt Dr. Andreas Bergthaler aus Wien. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Virale Pathogenese und antivirale Immunantworten am Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM), Wien, und Leiter des Projektes Mutationsdynamik von SARS-CoV-2 in Österreich.

In meinen Augen ist das Virus schon gut angepasst und muss nichts unternehmen. Prof. Dr. Friedemann Weber
RNA-Viren, zu denen SARS-CoV-2 gehört, mutierten ständig, das sei ganz normal, sagte der Experte. Manche Mutationen seien genetische Einbahnstraßen, bei anderen hänge es von den Rahmenbedingungen ab, ob das Virus dadurch eventuell einen Selektionsvorteil hat.

Eine effiziente Transmission von Mensch zu Mensch sei für das Überleben von SARS-CoV-2 besonders wichtig, bestätigt Prof. Dr. Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Gießen. Werde die Transmission zum Beispiel durch das Tragen von Masken erschwert, könne eine Abschwächung der Pathogenität ein Vorteil sein, weil dadurch das Virus mehr Chancen hat, längere Zeit unbemerkt zu bleiben.

Aktuell gibt es aber nach Einschätzung des Biologen für das Virus gar keinen Selektionsbedarf. „In meinen Augen ist das Virus schon gut angepasst und muss nichts unternehmen”, sagt Weber.

Mutation alle 2 Wochen
Seit dem Auftreten der ersten SARS-CoV-2-Fälle Ende des letzten Jahres haben Molekularmediziner weltweit Erstaunliches geleistet. Bereits in der ersten Januarhälfte 2020 wurde das Genom des Erregers entschlüsselt, und inzwischen wurden 40.000 bis 50.000 Genome von Coronaviren aus allen Teilen der Welt komplett sequenziert. Das berichtet Prof. Dr. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel.

Entlang der Infektionsketten mutiert das Virus im Schnitt alle zwei Wochen.Entlang der Infektionsketten mutiert das Virus im Schnitt alle zwei Wochen”, sagte Neher. Das sei ein Durchschnittswert, manchmal seien laut den Genomanalysen auch drei Mutationen auf einmal und dann sechs Wochen keine möglich.

Die meisten Mutationen haben nach bisherigen Einschätzungen keine funktionellen Auswirkungen. Sie beeinflussen weder die Transmission noch die Virulenz des Erregers. Prinzipiell sei dies aber nicht auszuschließen, so die Experten. „Die Pandemiedauer von rund sechs Monaten ist zu kurz, um Auswirkungen einer einzelnen Gensequenz zu verstehen”, sagte Bergthaler.

Bislang keine Veränderung der Pathogenität
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat kürzlich erklärt, dass es bisher keine Hinweise für eine veränderte Pathogenität von SARS-CoV-2 gebe und auch kein Risiko bestehe, dass die derzeit entwickelten Impfstoffe aufgrund von Mutationen rasch wieder unwirksam würden. Die Experten des SMC-Pressebriefings schlossen sich dieser Einschätzung an. „Das ist nicht meine primäre Sorge”, so Neher.

Eine Mutation mache in der Regel nicht gleich einen Impfstoff unwirksam, das gehe graduell und dauere ein paar Jahre. Viel wahrscheinlicher sind sogenannte Escape-Mutationen nach Angaben der Experten beim Einsatz sehr spezifisch wirkender Medikamente, die relativ schnell zu deren Unwirksamkeit führen könnten, etwa bei HIV.

Infektionsketten nachverfolgen
Den größten Nutzen bieten umfangreiche Daten aus Genomanalysen, um Infektionsketten zu verfolgen. Es gebe große Sicherheit, dass die Pandemie in Wuhan in China ihren Anfang genommen habe, sagt Neher.

Gleichzeitig sei der aktuelle SARS-CoV-2-Ausbruch in Peking vermutlich auf ein Wiedereinschleppen des Erregers aus Europa zurückzuführen. Im Genom der aktuell in Peking zirkulierenden Erreger wurde die D614G-Mutation nachgewiesen, die sich vor allem bei den in Europa verbreiteten Stämmen durchgesetzt hat.


„Die D614G-Mutation ist die bisher relevanteste“, erklärt Weber; sie habe den Erreger vermutlich stabiler gemacht. Chinesische Forscher berichten über erste Hinweise dafür, dass diese Mutation auch das Virus infektiöser mache. Ob auch die Pathogenität erhöht wird, ist unklar.

Im an der Universität Basel bereits seit einigen Jahren laufenden Forschungsprojekt „Nextstrain“ werden Stammbaum-Analysen von Virusgenomen, jetzt auch zu SARS-CoV-2, in Echtzeit interaktiv verfügbar gemacht. Dadurch werde die Diversität von Virusstämmen nachvollziehbar, berichtet Neher.

Das Projekt, in dem bisher auch Verläufe von Influenza-Epidemien untersucht worden seien, habe durch die Corona-Pandemie eine noch höhere Aufmerksamkeit bekommen. Nach den Daten zu weltweit zirkulierenden SARS-CoV-2-Varianten gebe es bisher keine eindeutigen Hinweise dafür, dass Erreger in Regionen mit hohen Fallzahlen, zum Beispiel Italien oder Großbritannien, infektiöser als in anderen Regionen seien, berichtete Neher.

Daten bestätigen allerdings die Einschätzungen, dass am Anfang der Pandemie in Europa viele SARS-CoV-2-Stämme aus Wintersport-Orten in andere Regionen weitergetragen wurden.

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