Montag, 13. Juli 2020
Mortalität bei Covid 19 in westlichen Ländern scheinbar höher als in der Dritten Welt
Bei Primärinfektionen mit SARS-CoV-2 könnte die Sterblichkeit aufgrund von COVID-19 in westlichen Ländern deutlich höher sein als in Entwicklungsländern, beispielsweise in Mozambique. Die Kombination aus Alters- und Haushaltsstrukturen ist in der westlichen Welt vor allem in Südeuropa ungünstig, wo die Menschen durchschnittlich sehr alt werden und meist mit jüngeren Familiengenerationen zusammenwohnen, etwa in Italien, Griechenland und Portugal. Das berichten Forscher um Albert Esteve von der Universitat Autònoma de Barcelona in PNAS[1] .

Welche landestypischen Strategien schützen vor Infektionen?
Seit Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie fragen sich Forscher, welche Strategien des Infektionsschutzes schwere oder gar tödliche COVID-19-Verläufe in unterschiedlichen Ländern am effektivsten senken könnten. Esteve und Kollegen haben ein Modell entwickelt, um hier Aussagen zu treffen. Ihnen ging es sowohl um die direkte Sterblichkeit (die Sterblichkeit durch Primärinfektion) als auch um die indirekte Sterblichkeit (die Sterblichkeit nach Sekundärinfektion durch Haushaltsmitglieder) aufgrund von COVID-19.

Basis für die exemplarische Modellrechnungen waren Daten aus 81 Ländern der westlichen Welt, aus Afrika und Asien zu Altersstrukturen sowie zu Strukturen von Lebensgemeinschaften.

Höhere Sterblichkeit in westlichen Ländern
Esteves Vergleich von direkter und indirekter Sterblichkeit (Todesfälle/100.000 Einwohner) zwischen 81 Ländern basiert auf der theoretischen Annahme, dass jeweils 10% aller Menschen, welche in privaten Haushalten leben, infiziert werden. Die zu erwartende direkte und indirekte Sterblichkeit ist vom Alter sowie von der Zahl der miteinander lebenden Menschen abhängig. Die Risiken für schwere Verläufe sind bei alten Menschen höher, das Ansteckungsrisiko wiederum ist bei jüngeren Menschen erhöht.

Wären laut Annahme 10% infiziert, so läge die direkte Sterblichkeit in Portugal, Griechenland und Italien bei 110 bis 120/100.000 Menschen. Im Südsudan, in Sambia und Mozambique wären es 19 bis 23/100.000 Menschen. Die indirekte Sterblichkeit wäre wegen der Kombination aus einem hohen Durchschnittalter und vielen Mehrgenerationenhaushalten in den 3 südeuropäischen Ländern mit einer Rate von 100 bis 120/100.000 Menschen vergleichbar hoch wie die direkte, so dass jeweils circa 220 bis 240/100 000 Menschen in Italien, Griechenland und Portugal an COVID-19 sterben würden. Das wäre die höchste Rate unter allen 81 Ländern in der Studie.

In Mozambique zum Beispiel, einem der ärmsten Länder weltweit, läge die direkte Sterblichkeit bei zirka 20/100.000 und die indirekte bei circa 55/100.000, so dass bei einer Infektionsrate von 10% circa 75/100.000 Menschen sterben würden. In Bangladesch, das weltweit ebenfalls zu den ärmsten Ländern gehört, wären es jeweils 30/100.000 und 100/100.000, also insgesamt 130/100 000 für die direkte und indirekte Sterblichkeit zusammen.

Prävention an Altersgruppen orientieren
In Ländern mit einem hohen Anteil alter Menschen, die entweder allein oder mit anderen alten Menschen in Alten- und Pflegeheimen zusammenleben wie in Deutschland, ist eine Prävention der Infektion in der Altersgruppe 65+ die effektivste Maßnahme, um die Sterblichkeit zu senken. Bei der Kombination aus hohem Alter und vielen Mehrgenerationenhaushalten wie in Südeuropa würde der Schutz älterer Menschen vor Infektion die Raten der primären Todesfälle senken und vermutlich auch die Rate der Sekundärinfektionen.

In Ländern mit geringem Durchschnittsalter, aber vielen Mehrgenerationenhaushalten, beispielsweise in Mozambique oder Bangladesch, ist ein Fokus auf ältere Menschen weniger effektiv, da diese sich vermutlich auch über die jüngeren Haushaltsmitglieder anstecken werden.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.

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Bei solchen Statistiken ist immer auch die Frage der Datenqualität. In Chile, von dem ich sehr viel mitbekomme, ist das mit den Sterblichkeitsstatistiken echt kompliziert. Erst scheinen definitiv Fälle unterschlagen worden zu sein. Nun gibt es eine zweite Sterblichkeitsstatistik mit + 30% Toten, die man kennen muss. Die John Hopkins Statistiken nutzen die nicht.
Dann gibt es selbst in dieser zweiten Statistik eine vermutlich hohe Dunkelziffer. Für Deutsche findet der Tod in 77% der Fällen in einer Klinik oder Pflegeheim statt. In Chile sind das 50%. Gerade im ländlichen Raum werden Covid 19 Opfer unentdeckt bleiben, da vermutlich kein Arzt das je genau untersuchen wird.
Das Phänomen der Alterung der Bevölkerung ist weniger auf Europa beschränkt, als viele denken werden. In Afrika sind die Geburtenraten nach wie vor vergleichsweise hoch, aber wer hätte gedacht, dass in Kolumbien die Fertilitätsrate pro Frau 1,82 beträgt oder in Vietnam 2,08. In Chile stieg das Durchschnittsalter der Bevölkerung von 26,9 in den 80ern auf 2017 35,8. Der Wert steigt stetig linear. In Deuschland liegt dieser Wert bei 45 Jahren.

Man darf auch die sekundären ökonomischen Wirkungen nicht außer Acht lassen.
Kupfer- und Sojapreis bleiben erstaunlich stabil, aber der Ölpreis liegt echt niedrig. Der verminderte Ferntourismus wird große Auswirkungen auf viele Standorte haben. Außerdem werden sich die für viele Länder ökonomisch signifikanten Privat-Überweisungen von ausgewanderten Verwandten/Bekannten vermindern. Ich kenne dafür nur ein spanisches und kein deutsches Wort: remesas.
In ohnehin weniger robusten Ökonomien können die Covid-19 bedingten Ausfälle katastrophale Folgen haben. Z.B. sag ich jetzt mal einfach eine Hyperinflation für Argentinien 11/2020 voraus. In den letzten Jahren führten unsichere ökonomische Bedingungen in der Weltwirtschaft oft zu einer Kapitalflucht aus Schwellen/Entwicklungsländern.

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In Lateinamerika wirkt die Covid 19 Krise wie ein Brennglas für viele grundsätzliche Probleme.
Wenn plötzlich viele Menschen von Hunger bedroht wird oder eine Hyperinflation am Horizont wartet, werden Themen in den Problemzonen Soziales, Renten, Gesundheit, Korruption halt noch stärker wahrgenommen.
In der Politik gibt es sowohl Anzeichen für eine kontraproduktive extreme Polarisierung wie auch eine größere Ernsthaftigkeit.
In Chile hat sich ein für mich seit 2011 beobachteter Trend weiter verstärkt: Die Systemkritik wird immer weiter professionalisiert. Lieferten 2011 ein paar versprengte Anarchisten den Hauptteil der Kritik, so wurden es immer mehr Soziologen, Karriere-Journalisten auf Abwegen, Ökonomen und das neueste jetzt: Software-Entwickler und Big Data Analysten mit amazon oder Safran S.A./Frankreich Festanstellung.
Gegen sowas kann man eigentlich nicht mehr ernsthaft andiskutieren: https://nbviewer.jupyter.org/gist/alonsosilvaallende/bdf44752597353f15fc5e57c27573909
Es belegt die deutlich höhere Sterblichkeit durch Covid 19 in Santiagos ärmeren Vierteln.
Darüber hinaus ist es instruktiv, falls man sich für Datenanalyse mit Python interessiert ;-)

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Danke, sehr informativ und interessant, wie fast alles von Dir!

@", falls man sich für Datenanalyse mit Python interessiert ;-) --- Da bin ich Oldschool, mit Python mache ich Rattenbekämpfung, für Mäuse reicht Kornnatter;-))

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Mein Arzt meinte übrigens, die hohe Überlebensrate in Ländern wie Mozambique hänge zum großen Teil damit zusammen dass die ein viel hochgepowerteres Immunsystem haben - trinken Milch frisch aus dem Euter, essen rohes Fleisch, waschen sich mit fauligem Wasser, das Kolibakterien und Streptokokken enthält.

Btw nachdem ich mich in Ägypten mit Cholera infiziert hatte war mein chronischer Durchfall für immer weg.

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