Samstag, 18. März 2006
Elemente der Gegenaufklärung
Horkheimer und Adorno hatten in der "Dialektik der Aufklärung" ja nicht nur das Scheitern der Aufklärung, ihr Umschlagen in Mythologie und die Vollendung antiaufklärerischer Mythologie mit den Mitteln der Aufklärung im Nationalsozialismus untersucht, sondern es gibt dort ein besonderes Kapitel "Elemente des Antisemitismus", in dem die empirischen Studien an der US-Bevölkerung, ob diese auch faschismusempfänglich ist (was bejaht wird), wie sie in "Studien zum autoritären Charakter" erläutert wurden, in eine philosophische Synopse mit dem Scheitern der Aufklärung gestellt wurden. War damals der Faschismus die größte Gefahr für die Befreiung des Menschen (was bei den Kollegen Horkdorno ganz eindeutig soziale Revolution bedeutet, für die die Welt eigentlich historisch reif sein müsste, gäbe es nicht die Dialektik der Aufklärung), so stellt sich die Frage, wo derFeind heute steht. Anders gesprochen: Die heutigen Neonazis sind sicher ärgerlich und bekämpfenswert, sie werden aber nie zum Regime gelangen, sondern sind eher eine gesellschaftliche Subkultur, eine Gefahr für Leib und Leben für unteutonisch aussehende Menschen und ein kriminelles Milieu. In der islamischen Welt dürfte der religiöse Fundamentalismus etwa die Rolle spielen, wie vor einem dreiviertel Jahrhundert in Europa der Faschismus, wobei allerdings zwischen Integrismus (FIS), Islamofaschismus (Muslimbrüder, Hamas), schiitischem Chiliasmus (Hizbollah, Iran) und Djihadismus (Jamma Islamija, Djihad-Islami, Al Kaida) sowie Salafismus und Wahabismus deutlich unterschieden werden muss.

In Europa aber formulieren sich antiegalitäre, emanzipationsfeindliche Ideologien anders. Wenn sie erfolgreich sein wollen, trten sie nicht als Neonazis auf, wenn auch bisweilen im Bündnis mit diesen. Haider, die Pia Kjaersgaard, Berlusconi und Pim Fortuyn repräsentieren eine andere Art von Rechtsradikalismus. Seymour Martin Lipsets Terminus vom Extremismus der Mitte, den dieser, meiner Auffassung allerdings zu Unrecht, für die Nazis gebrauchte, hier passt er wie Arsch auf Eimer. Der neue europäische Rechtsradikalismus kann ohne Weiteres anerkennen, dass die Shoah das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts war (allerdings sagte auch schon Kühnen, er stehe in der SA-Tradition, die mit KZ-Morden nichts zu tun habe), gegen die Todesstrafe oder für alternative Wohnformen und liberale Abtreibungsregelung sein. Was die postneofaschistischen Rechtsextremisten aus zeichnet, ist WOHLSTANDSRASSISMUS.

Die Frontstellung verläuft bei diesen Leuten zwischen den europäischen Metropolen und den Einwanderern aus den Armutsregionen der Welt. Sie hassen Muslime, sie hassen (nicht immer) Schwarzafrikaner, sie hassen (fast immer) Asylbewerber, sie ziehen Law- and-Order-Politik vor und sind gegen allzuviele soziale Förderung gesellschaftlich Schwacher. Sind die traditionellen Naziglatzen auf eine vulgäre und unausgegorene Weise irgendwie auch Sozialpopulisten, sozusagen der Sozialismus der dummen Kerle, so sind die dynamischen neuen Euro-Rechten eher das Gegenteil. Ihr Sozialpopulismus beschränkt sich auf "Ausländer klauen Arbeitsplätze", ansonsten tendieren sie zum selbstgefälligen Besitzstandwahren der europäischen Mittelschicht. Die Lega Nord ist ja nichtmal nationalistisch, sie richtet sich gegen Sizilianer, Apulier und Kalabresen als die schmutzigen Armen aus dem Süden. Im Gegentum zu traditionellen Faschisten sind die neuen Euro-Rechten, wie sich gezeigt hat, in der Lage, Wahlen zu gewinnen.

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irgend etwas widerstrebt mir, das paket der gegen freiheit, gleichheit und brüderlichkeit (anti-emanzipative - danke, endlich weg vom missverständlichen "liberal" -, anti-egalitäre und platt egoistische ideologien) gerichtete strömungen als "rechts" zu verorten. es gibt da welche, die sich für links halten, und auch nichts anderes tun, als dergleichen vorurteile zu reproduzieren.

gegenaufklärung trifft es schon besser. das ist es nämlich, darauf läuft es hinaus: den menschen in seiner selbstverschuldeten unmündigkeit zu belassen.

ausgehend von der überlegung, dass alles rigide auf unsicherheit zurückgeht, ist doch immer die frage, wer sieht seinen status bedroht.

oder platter, wohlstandsrassisten sind für die mittelschicht das, was die stiefelnazis für die unterschicht sind. wobei der wesentliche unterschied der ist, dass die unterschicht, mangels sprachlicher ausdrucksfähigkeit auf nonverbale argumentationsformen zurückgreifen muss. könnte man direkt als argument für das bloggen einsetzen, sowas ähnliches gabs schon mal, als seinerzeit zu gunsten der beat-musik in liverpool gesagt wurde, wenigstens hält das musikmachen die jungen leute von der strasse fern.

probleme sehe ich anderswo.

in neufünfland sind vier von fünf wahlberechtigten rassisten, denke ich mal, vielleicht kenne ich auch nur die falschen leute. ausländerfeinde, um genauer zu sein, und ausländer hat man immer zur hand. in letzter zeit sind das die aussiedler aus den gus-staaten. übrigens interessant, dass die früher rötesten socken jetzt die deutschesten deutschen sein wollen. wahrscheinlich haben die gemerkt, dass im westen seit 1945 eine abkehr vom deutschen-schweissfuss-mief stattgefunden. das ganze geht letzlich gegen den westen überhaupt. interessant hierbei auch, dass gerade im feuilleton der fatz die täterä, zumindest ihre kulturelle elite, sehr wohlwollend beurteilt wird, um es einmal so zu sagen. vermutlich ist der zusammenhang, dass sich am ende auch noch das gesellschaftsmodell der kpdsbz als deutsches projekt (oder sonderweg) erweist. so dass sich letztlich sowohl der ns-staat wie auch der kp-staat sich auf den deutschen idealismus zurückführen ließen? ob da die wurzel der gemeinsamkeiten liegt? schliesslich schätzten die nazis wie dei kpdsbz ihren fichte.

folge des mehrheitlichen rassismus in neufünfland: das heisst, dass der behend und eloquent vorgetragene antifaschismus leider ohne eigentliche grundlage ist. mehr noch, die politische klasse neufünflands, na ja, die müssten doch eigentlich merken, dass ihre wähler in wirklichkeit was ganz anderes wollen. tatsächlich merken die nichts, da geht es eher um posten. die frage ist nur, wann der zynismus der politischen klasse neufünflands die ausmasse des zynismus der kader am ende der ddr erreicht hat. der ist jetzt schon beachtlich, cdu-mandatsträger, die ihre kinder zur jugendweihe schicken, linkspartei-funktionäre, denen der dümmste spruch, nein, das offene kokettieren mit den befindlichkeiten der rassisten, eines lafontaine recht ist, solange er stimmen bringt.

andererseits ist der eventmässig betriebene antifaschismus genauso einfach wie folgenlos. vielleicht hätte jung von matt seine "du bist deutschland" kampagne etwas anders und zwar in diese richtung laufen lassen sollen: abbildungen von deutschen und von ausländern, warum nicht gleich die ganze familien, mit dem claim: ich bin deutschland.

war bloss mal so eine idee.


wo liegt die gefahr?

- im entstehen eines nationalbolschewismus, also in einem geschlossenen rassistischen weltbild auf grundlage eines nationalen sozialismus. ist bis jetzt noch kein volkstribun in erscheinung getreten. so einer könnte aber wirklich gefährlich werden. also aufpassen.

- im entstehen eines rassistischen bürgertums, das aus dem juste milieu heraus ganz offen für ausgrenzung und vorrechte plädiert. der kernpunkt liegt auf ganz offen, das wäre nämlich das neue. so als gegenantwort auf den multikulti der grünen, der eigentlich aus dem bewusstsein kommt, mit immigranten nicht in konkurrenz treten zu müssen.

aha, da also kommen die neoconnards her, hiwis und assis aus den nebenzimmern der lehrstühle in nrw. damit wäre dann die wissenschaft dort, wo sie vor hundert jahren schon war. stimmt allerdings nicht ganz, das damals waren antisemiten aus brotneid, heute sitzt der konkurrent anderswo.

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Im Großen und Ganzen schlüssig. Hinsichtlich der Verortung von tatsächlichen und nur sogenannten Liberalen in diesem Koordinatensystem und denen, die sich für links halten und Vorurteile prodizieren schreibe ich noch etwas, das obige Posting ist nämlich der erste Beitrag einer Serie.

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Der letztentlich auf eine ausbalancierte Apartheid (die Differenz wird als chic angesehen) Multikulti der Grünen ist nebenbei gesagt so ziemlich das Gegenteil des Antirassismus der Autonomen, der auf Aufhebung der Ethnizität und Freiheit des Lebensstils von überkommenen Bindungen abzielt.

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"Der letztentlich auf eine ausbalancierte Apartheid (die Differenz wird als chic angesehen) Multikulti der Grünen"

sehr schön.

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Wen's interessiert: Im NDR laeuft heute um 23.45 eine Praunheim-Doku ueber schwule Faschos. Soweit ich Rosa kenne trau ich Ihm ohne weiteres zu das Thema ordentlich zu behandeln. Mal sehn wieviele von den Junx ich noch kenne ... lol


Was den ersten Absatz angeht hast du voll ins schwarze getroffen. Allerdings kann ich bei Haider, dem daenischen Abschaum, Berlusconi und dem Hollaender nicht wirklich erkennen, dass die ihre faschistische Gesinnung in irgend einer Form tarnen. Im Gegenteil finde ich, dass die Genannten ihre antidemokratische Haltung noch am offensten zur Schau stellen.
Wohlstandsrassismus klingt nicht schlecht, Klassenkampf haette es aber auch getan. Denn der Feind findet sich nicht in der saechsischen Schweiz, sonder in den Rheien der NLEPD (NeoLiberale EinheitsPartei Deutschlands) und der INSM und Konsorten.
Ob die sich Elite oder Herrenrasse nennen aendert nichts an dem Hass mit dem Sie alles was nur entfernt demokratisch sein koennte bekaempfen. Sicher definiert sich diese Herrenrasse nur bedingt ueber Abstammung. Im 3. Reich musste man seine arische Abstammung nachweisen. Heute funktioniert das ueber den Kontostand.
Geld ist meiner Meinung nach DER Schluesselfaktor und die Ursachen fuer die heutige "Wirtschafts"-Politik finden sich im Ende des 19ten jahrhundert in den USA. Trotz Revolutionen, Weltkriegen und Wirtschaftskrisen hat sich am Einfluss einer ganzen Rheie von Vermoegen wenig bis nichts geaendert.

Ich bezweifele dass Hitler gegen den Willen der Ruestungs-, also Metallindustrie Kanzler geworden waere. Aus den gleichen Vermoegen das Hitlers Aufstieg ermoeglichte werden heute mit dem gleichen Ziel insm, dbd, think tanks und Lobbyarbeit finanziert. Das Ziel koennte man 'Ende der Solidaritaet' nennen. zB habe ich bei der Diskussion um die Privatisierung staatlichen Eigentums das starke Gefuehl dass die erhofften Gewinne zwar gerne genommen werden, es fordergruendig aber darum geht die, wenn auch abstrakte, Moeglichkeit demokratischer Einflussnahme zu unterbinden. Auch der Rueckbau des Sozialstaats und das Wettern des Propagandaapparates gegen die Gewerkschafften scheint meiner Meinung nach eher prinzipieller Natur.

Um mal so richtig fies zu werden: Manchmal frage ich mich ob der Holocaust tatsaechlich seine Ursache in rassistischem Groessenwahn hatte, oder ob uns hier vorgefuehrt wurde wohin die Reise geht, wenn man "Neo"-"Liberale" Betriebswirtschaft auf die Spitze treibt.

Ob die Wurzel des Faschismuss tatsaechlich ende des 19ten Jahrhunderts im Norden der USA zu finden ist kann nicht wirklich sagen, obwohl mich das dumpfe Gefuehl beschleicht das dem so ist. Was ich aber mit bestimmtheit weiss ist, dass zu dieser Zeit, nach der Niederschlagung eines Streiks der zu einem "Case of very very bad publicity" wurde, der Klassenfeind das Schwert gegen die Feder tauschte und so Propaganda zur schaerfsten Waffe im Klassenkampf wurde. Teil dieses Propagandakrieges war die erfolgreiche Unterwanderung des US-Bildungswesens.

Rassismus im Osten ist ein sehr interessantes Thema, imo aber eine ganz andere Baustelle.

Was schwule Glatzen, rechte schwule Glatzen und rechte Glatzen angeht koennt ich wahrscheinlich ein Buch schreiben. Nu hab' ich aber einen Tastatur-Burn-Out und wuensche deshalb erstmal einen schoenen Tag.

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Es gibt da ein gutes Buch von Götz Aly und Susanne Heim über die "Ökonomie der Endlösung", und die Autonomie-Redaktion (aus der Ecke kommen Heim und Aly ja auch) betrachtet den Holocaust/die Shoah als zum Einen konsequent vollendete kapitalistische Verwertung der menschlichen Arbeitskraft bis auf die Knochen, zum Anderen (insbesondere auch unter Einbeziehung der "Euthanasie") als Vernichtung überflüssiger Esser. Letztere wurde diesem Ansatz zufolge mit Kriegen wie z.B. dem ersten Golfkrieg 1980-88 fortgesetzt (Kriegführung, um die unruhige Jugend, die für den Irak wie den Iran ein politisches Unruhepotenzial und ein demografisches Problem darstellte zu vernichten).

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Dr. Dean sagt zu den Nachfolgern des Faschismus
Bei Götz Aly würden mich "gute Bücher" eher wundern. Als Materialsammler und Polemisierer schätze ich ihn. Und so lesbar er als Autor ist - als Historiker halte ich ihn für eine Pfeife, dem es an Urteilsvermögen gründlich mangelt.

Davon ab: Der alte Faschismus hatte (was Götz Aly übrigens bestreitet) eine deutliche Erhöhung der Profitraten zur Folge - den Schutz vor kommenden Sozialismus gab es sozusagen als Zugabe.

Der alte Faschismus findet seine gesellschaftsrelevanten Nachfolger m.E. nicht nur bei den Neuen Rechten, die es europaweit gibt, sondern auch in einer allgemeinen Geistesströmung, die man grob neoliberal-sozialdarwinistisch-kulturalistisch (NSK) nennen könnte.

Diese NSK-Postfaschisten kleiden sich mitunter mit dem Gewand eines scheinbaren Liberalismus (und zwar eines von unten nach oben umverteilenden darwinistischen Liberalismus), oder geben unmittelbar hochressiment die Rolle des "Islamkritikers", tröten kompetenzfrei von "wirtschaftlichen Notwendigkeiten" bzw. "Lohnkosten in Zeiten der Globalisierung". Oder aber sie tünchen sich als moderne Konservative.

Sie verbünden sich gerne mit Rüstungsprofiteuren (und nennen sich dann "transatlantisch") oder geben den großen "Europafreund", weil man auf diesem Weg die Bevölkerung prima ausräubern kann zu Gunsten weniger Wohlhabender.

Egal, in welchen Klamotten sie daherkommen; im Grunde genommen ist es das alte Lied: Der Kampf der Eliten gegen die Interessen der Bevölkerung.

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"Hitlers Volksstaat" ist ein gutes Buch. Es zeigt, daß die Mehrheit der Deutschen für Hitler war, weil sie davon profitierten. Es zeigt weiterhin, daß das "3. Reich" das Sozialstaatsversprechen mustergültig nicht nur hielt, sondern - durch permanentes draufsatteln von Sozialleistungen - sogar noch übererfüllte.

Weiterhin wird dadurch klar, was wir auch gegenwärtig erleben: Sozialstaatlichkeit wird damals wie heute nicht aus Menschenfreundlichkeit gemacht, sondern um die von den Herrschenden als ungesichert empfundene Loyalität der Beherrschten zu sichern. Darum findet seit dem Zusammenbruch der "sozialistischen" Ostsysteme Sozialabbau statt, und darum gab's unter Hitler viel Sozialstaat: Die Nummer, die er durchzog, war so schräg, daß man das Volk durch Vergünstigungen ruhig stellen mußte, und die Vergünstigungen hat man refinanziert durch Beraubung der Juden.

Nun versuchen die Neoconazis daraus dieses Argument zu zimmern: Wer gegen Soziallabbau ist; wer Hartz 4 als "Verelendung der Armen" (Wolfgang Pohrt) bezeichnet, befindet sich in Nazi-Nähe.

Aber ich bitte Dich, Doc: Das ist doch so durchschaubar wie eine frischgeputze Fensterscheibe. Da müssen wir doch nicht drauf reinfallen und Alys treffende Analyse andissen.

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Volle Zustimmung!

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