Samstag, 6. Oktober 2007
Vom Stil alter Häuser
Man sagt dem Historismus nach, ein Architekturstil zu sein, der reaktionär war, weil er Altes kopierte, in Furcht vor dem Neuen. Der Bruch, den der Jugendstil und die Sezession angeblich bedeuteten, erscheint im Angesicht der Moderne auch nicht gerade radikal. Und doch! Die Übergangsphase zwischen Historismus und Jugendstil finde ich zumindest gelungener als die gesamte postmoderne Architektur:


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das hat schon was...

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Sehe ich ganz genau so!
Zu einem ähnlichen Thema in Bezug auf Automobil-Design habe ich gerade bei Netbitch was gepostet.

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Wir werden unserem Bildungsauftrag also gerecht. Ich finde ganz toll, was Du da gepostet hast.

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Immerhin sollte jetzt niemand mehr annehmen, ich sei ein Feind der Moderne.

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Man sagt dem Historismus nach, ein Architekturstil zu sein, der reaktionär war, weil er Altes kopierte, in Furcht vor dem Neuen.

reaktionär war da nichts, wo man bahnhöfe wie kathedralen und bankgebäude wie paläste baute.

dem konservativen (der die zu seinen gunsten bestehende verhältnisse erhalten wollende) grundbesitzenden adel gefiel die ganze schose gar nicht: mit der eisenbahn wurde das ländliche proletariat auf einmal mobil (ja, wenn auch in der 4. klasse, aber man fuhr genauso schnell und an dasselbe ziel wie in der 1.) und nutzte die gelegenheit, vom land zu flüchten. mit den bänkern waren leute zu herren geworden, die beim vater noch zur hintertür hereinkamen, mit geneigtem kopf, die mütze in der hand und die der großvater noch mit hunden vom grundstück hetzte, wenn ihm danach war.

es sollte möglichst repräsentativ und sicher (sicherheit ist beim eisenbahnbetrieb und beim bankgeschäft wichtig, damals wie heute) aussehen, etwas besseres als ein dom oder ein schloss war nicht da, deshalb wurde das übernommen. es fehlte allenfalls an eigenen einfällen, zurück zum absolutismus oder gleich ins mittelalter wollte von den bauherren wie von den architekten keiner.

neu waren damals eisen-, später stahlkonstuktion und die verwendung von glas als baumaterial, was auch mit neuen technologien zusammenhing, die die qualität verbsserten und den preis senkten. wer nach köln kommt: die halle über den gleisen des hauptbahnhofs war zu seiner zeit das non plus ultra und der hauptbahnhof neben dem dom ein programm.

neu waren die warenhäuser, die grossen, die erstmals den luxus vor den augen der begüterten ausbreiteten. aber auch deren fassaden orientierten sich am vorbild palast. das innere war eher zweckmäßig im sinne des abverkaufs, neu der zentale lichthof, möglichst noch mit farbiger glakuppel. das neue wirtschaften setzte auf massenhaften absatz zu günstigen preisen (siehe zola, paradies der damen)

was aber war der jugendstil (ich bilde mir ein, auf keinem der bilder eine jugenstilvilla zu sehen, stattdessen auch hier rückgriffe auf schon bekanntes wie rundbogen, giebel, erker, turm, behauene steine an den mauerecken)? was war neu daran? die geschwungene, von pflanzen inspirierte formgebung, das ornamentale, das allenfalls etwas gefälliger wirkte, als die wuchtigen ornamente der zeitgenossen, die diese von vorbildern von der antike bis zur renaissance übernommen hatten? inwieweit war das echt, inwieweit war das nicht auch etwas, das etwas zu sein vorgab, was es in wirklichkeit nicht war, vulgo kitsch?

ich weiss es nicht. tatsächlich gefallen mir jugenstilbauten und jugendstilornamente, obwohl ich zu wissen glaube, dass es auf die form, die sich nach der funktion richtet, ankommt und zierrat dabei nichts verloren hat (hauptbahnhof stuttgart, beispielsweise).

das, obwohl ich, wie gesagt, den wohnungsbau des bauhaus für abwegig halte und herkömmliche formen bevorzuge. noch der bungaloh der fünfziger ist nichts als eine verirrung (erstens habe ich entweder ein flachdach oder ein dichtes dach, zweitens ist die ebenerdige raumanordnung platzverschwendung) und es wird sich bis ins dritte glied rächen, dass deutschland von einem kanzler regiert wurde, der so etwas bewohnt hat.

wer allerdings einmal prospekte zeitgenössichen gehobenen eigenheimbaus betrachtet - es gibt da eine schwarzwälder firma für eisenbahnmodellbau, die bieten das sogar massstäblich verkleinert an - der sehnt sich unwillkürlich sogar nach so einem bungaloh.

von da her: danke für die schönen aufnahmen.

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@Man sagt dem Historismus nach, ein Architekturstil zu sein, der reaktionär war, weil er Altes kopierte, in Furcht vor dem Neuen.
- Das ist teilweise eine ideologisch geprägte Auseinandersetzung unter Kunsthistorikern, bei der sozusagen die Klassische Moderne im Nachhinein als positive Norm gesetzt wird. Zum Anderen korrespondieren bestimmte Formen des Historismus aber auch mit politischer Reaktion, zum Bespiel das Neorokoko im Frankreich der Restaurationszeit. Psychologisch wird der Historismus mit der Sehnsucht von Adel und Bourgeoisie nach vertrauten Normen nach dem Zusammenbruch der Staatenwelt des Ancien Regime gedeutet und damit als dem Fortschrittsgedanken der Aufklärung entgegengerichtet. Ich stimme mit Dir überein, dass der Unterschied zwischen Historismus und den Blumengirlanden des Jugendstil aus heutiger Sicht so groß nicht ist - das wurde aber zur damaligen Zeit als epochemachender Bruch betrachtet, weswegen sich die österreichischen Jugendstil-Anhänger "Die Sezession" nannten. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, was für Skandale es um die Gemälde der Impressionisten gab, die auch in Frankreich als das angesehen wurden, was die Nazis später "entartete Kunst" nennen sollten.
Die gezeigte Villa kombiniert Elemente verschiedener historistischer Stile (Neoklassizismus, Neorenaissance, Neo-Tudorstil), die so eigentlich nicht zusammengehören. Dieser Mix ging dem Jugendstil unmittelbar voraus.
@Bungalow: Im Sinne von "wohnen auf einer Ebene" und damit Behinderten- und Altersgerecht machen die Dinger trotzdem Sinn.

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oh, da habe ich mich aber sehr missverständlich ausgedrückt.

eigentlich wollte ich eher darauf hinaus, dass sich der klassizismus mit den rückgriffen auf alles gute, schöne, von mir auch aus protzige, vor ihm sich deshalb so gut zur herrschaftarchitektur eignete, weil eben die kathedrale und der palast genau das verkörperte.

im deutschen reich war nicht der adel, sondern das grosse bürgertum, das dorthin wollte, wo der adel schon war, das neue. adel und grossbürgertum, das stimmt zumindest für deutschland so nicht ganz.
richtig ist, dass beide, mitsamt dem kleinen bürgertum sich scharf von den arbeitern distanzierten, denen gar nichts anderes übrig blieb, sich ihre eigene subkultur zu schaffen.

die neuheit des jugendstils habe ich nicht bestritten, sondern nur meine schwierigkeiten mit ihm geschildert: ja, es ist zum teil kitsch, aber mir gefällt er. ja, bauhaus ist die moderne, trotzdem gefällt mir der jugendstil immer noch.

das mit dem bungalow als optimum behinderten- und altersgerechten wohnens ist nicht schlecht. damit hätte die indische jagdhütte hierzulande noch eine grosse architektonische zukunft vor sich /das wäre was für den makler: sgb II-sichere und altengerechte bungalows).

was habe ich eigentlich gegen bungalows? vielleicht ist es einfach nur der neid der besitzlosen, ich halte diese bauweise, möglichst noch mit grossem grundstück aussenherum, weil, anders wirkt es gar nicht, letztlich für eine grosse raumverschwendung. wenn schon villa, dann richtig und klassizistisch, oder aber richtig jugendstilig.

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Kleine Anmerkung: Es gab in Deutschland Jahrzehnte lang Historismus, bevor es ein Reich gab, und, als besondere deutsche Variante, auch noch die sog. romantische Architektur (Fachwerk-Historismus mit Spielereien wie spiraligen Balken). Das deutsche Bürgertum strebte danach, Adel zu sein und kaufte sich nicht selten Adelstitel oder heiratete in Adelfamilien ein (Geldadel, Schlotbarone). In Frankreich bildete ein adliges Offizierskorps und Beamtentum, das kleinbürgerliche oder bäuerliche Wurzeln hatte und durch Adelung zu Amt und Würden gekommen war eine eigene, mächtige Schicht, die bonapartistische Elite Louis Napoleons. Am souveränsten war die Bourgeoisie in England und dem US-Norden, und auch das drückt sich in der Architektur aus: Die frühste Verwendung großflächiger Glashäuser und des Bungalow-Stils hier und neoklassizistische, aber "purifizierte", schnörkellose Villen da.

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Ach ja, und dann Gaudí, der Hundertwasser der Jahrhunderwende mit seiner gebauten Fantasy, das war natürlich das anarchistische Barcelona...

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