Donnerstag, 1. November 2007
Associated Press zu Oury Jalloh
che2001, 11:11h
Dessau (AP) Der mysteriöse Feuertod eines Asylbewerbers in einer
Polizeizelle in Dessau ist auch nach 28 Verhandlungstagen vor dem
Landgericht der Stadt in Sachsen-Anhalt noch immer ungeklärt. Der
Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff hat inzwischen wegen widersprüchlicher
Zeugenaussagen weitere 17 Termine angesetzt. Ein Urteil wird nicht vor Ende
Februar nächsten Jahres erwartet.
Ursprünglich waren für das Verfahren, das am 27. März eröffnet wurde, nur
sechs Prozesstageeingeplant.
Angeklagt sind in dem Prozess vor der Sechsten Strafkammer des Landgerichts
Dessau zwei Polizisten. Der 23-jährige Oury Jalloh aus Sierra Leone starb
nach seiner Festnahme am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle an einem
Hitzeschock, nachdem der alkoholisierte und an Händen und Füßen gefesselte
Mann seine Matratze mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben soll.
Dem 46-jährigen Dienstgruppenleiter Andreas S. wirft die Staatsanwaltschaft
fahrlässige Tötung vor: Er habe das Signal des Zellen-Rauchmelders zwei Mal
ausgeschaltet und ignoriert. Jalloh starb sechs Minuten nach Ausbruch des
Feuers. Der Staatsanwaltschaft zufolge könnte er noch leben, wenn ihm gleich
nach Ertönen des ersten Signals geholfen worden wäre.
Der mitangeklagte 44-jährige Streifenpolizist Hans-Ulrich M., der bei der
Durchsuchung das Feuerzeug übersehen haben soll, muss sich wegen
Körperverletzung mit Todesfolge verantworten.
Inzwischen wurden in dem Prozess 34 Zeugen gehört, darunter 27 Polizisten.
Etliche verwickelten sich in Widersprüche. Sie hätten gemauert und
offensichtlich bewusst die Unwahrheit gesagt, kommentiert Marco Steckel von
der Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten in Dessau ihr
Verhalten. Steckel gehört zu den offiziellen Prozessbeobachtern und
informiert die Öffentlichkeit auch im Internet detailliert über das
Verfahren.
«Da ist ein Mensch verbrannt, und Zeugen versuchen, einem Kollegen durch
bewusste Falschaussagen einen Freispruch zu verschaffen», sagt Steckel.
Eine Polizistin beispielsweise habe vier verschiedene Aussagen gemacht, eine
noch am Abend des Todes von Jalloh, eine vor dem Ermittlungsrichter, eine
weitere im Beisein ihres Anwaltes und eine ganz andere schließlich vor
Gericht. «Und wir reden hier nicht von einer Putzfrau, sondern von einer
ausgebildeten Polizeibeamtin mit eigenen Erfahrungen bei der
Zeugenbefragung», argumentiert Steckel. Zudem fehlten wichtige Beweismittel,
darunter Fotos und Videoaufnahmen.
Zwtl: Richter empört: «Wir leben in keiner Bananenrepublik Dem Protokoll
zufolge riss Richter Steinhoff am zehnten Prozesstag endgültig der
Geduldsfaden: Zumindest einer der Zeugen müsse bewusst falsch ausgesagt
haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen.
«Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt», wandte sich der Richter
an den Angeklagten. «Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt, und wir
leben in keiner Bananenrepublik.» Der Richter kündigte an, notfalls jeden
Zeugen zehn Mal vorzuladen.
Mittlerweile steht fest, dass alle Beamten des Polizeireviers Dessau, die am
Todestag von Oury Jalloh Dienst hatten, als Zeugen vorgeladen werden, wie
Justizsprecher Frank Straube mitteilte. Das seien insgesamt rund 70
zusätzliche Zeugen. Der Jurist räumte einen «hohen logistischen Aufwand»
ein. Doch die Kammer wolle beweisen, dass sie über jeden Verdacht erhaben
sei.
Der Prozess steht auch im Blickpunkt einer internationalen Beobachtergruppe,
die der Dessauer Polizei Gewalt, Rassismus und organisierte
Verantwortungslosigkeit vorwirft. Das Gericht stehe vor der Wahl, den
Rassismus der Polizei zu verurteilen oder ihn zu unterstützen, erklärten die
Menschenrechtler, die unter anderem aus Großbritannien, Frankreich und
Afrika zum Prozessbeginn nach Dessau gereist waren.
Das Aussageverhalten der Polizeibeamten habe bei vielen im Gerichtssaal
Entsetzen über deren Korpsgeist erzeugt, berichtet Steckel. Doch inzwischen
sei klar: «Der Rechtsstaat funktioniert doch.» Richter Steinhoff lade die
Zeugen so lange vor, bis der Tod von Oury Jalloh geklärt ist. Eine
Beweiserhebung ohne Ansehen der Person sei ein wichtiges Signal auch an die
Freunde des Opfers, die noch immer in und um Dessau leben.
www.prozessouryjalloh.de
Polizeizelle in Dessau ist auch nach 28 Verhandlungstagen vor dem
Landgericht der Stadt in Sachsen-Anhalt noch immer ungeklärt. Der
Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff hat inzwischen wegen widersprüchlicher
Zeugenaussagen weitere 17 Termine angesetzt. Ein Urteil wird nicht vor Ende
Februar nächsten Jahres erwartet.
Ursprünglich waren für das Verfahren, das am 27. März eröffnet wurde, nur
sechs Prozesstageeingeplant.
Angeklagt sind in dem Prozess vor der Sechsten Strafkammer des Landgerichts
Dessau zwei Polizisten. Der 23-jährige Oury Jalloh aus Sierra Leone starb
nach seiner Festnahme am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle an einem
Hitzeschock, nachdem der alkoholisierte und an Händen und Füßen gefesselte
Mann seine Matratze mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben soll.
Dem 46-jährigen Dienstgruppenleiter Andreas S. wirft die Staatsanwaltschaft
fahrlässige Tötung vor: Er habe das Signal des Zellen-Rauchmelders zwei Mal
ausgeschaltet und ignoriert. Jalloh starb sechs Minuten nach Ausbruch des
Feuers. Der Staatsanwaltschaft zufolge könnte er noch leben, wenn ihm gleich
nach Ertönen des ersten Signals geholfen worden wäre.
Der mitangeklagte 44-jährige Streifenpolizist Hans-Ulrich M., der bei der
Durchsuchung das Feuerzeug übersehen haben soll, muss sich wegen
Körperverletzung mit Todesfolge verantworten.
Inzwischen wurden in dem Prozess 34 Zeugen gehört, darunter 27 Polizisten.
Etliche verwickelten sich in Widersprüche. Sie hätten gemauert und
offensichtlich bewusst die Unwahrheit gesagt, kommentiert Marco Steckel von
der Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten in Dessau ihr
Verhalten. Steckel gehört zu den offiziellen Prozessbeobachtern und
informiert die Öffentlichkeit auch im Internet detailliert über das
Verfahren.
«Da ist ein Mensch verbrannt, und Zeugen versuchen, einem Kollegen durch
bewusste Falschaussagen einen Freispruch zu verschaffen», sagt Steckel.
Eine Polizistin beispielsweise habe vier verschiedene Aussagen gemacht, eine
noch am Abend des Todes von Jalloh, eine vor dem Ermittlungsrichter, eine
weitere im Beisein ihres Anwaltes und eine ganz andere schließlich vor
Gericht. «Und wir reden hier nicht von einer Putzfrau, sondern von einer
ausgebildeten Polizeibeamtin mit eigenen Erfahrungen bei der
Zeugenbefragung», argumentiert Steckel. Zudem fehlten wichtige Beweismittel,
darunter Fotos und Videoaufnahmen.
Zwtl: Richter empört: «Wir leben in keiner Bananenrepublik Dem Protokoll
zufolge riss Richter Steinhoff am zehnten Prozesstag endgültig der
Geduldsfaden: Zumindest einer der Zeugen müsse bewusst falsch ausgesagt
haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen.
«Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt», wandte sich der Richter
an den Angeklagten. «Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt, und wir
leben in keiner Bananenrepublik.» Der Richter kündigte an, notfalls jeden
Zeugen zehn Mal vorzuladen.
Mittlerweile steht fest, dass alle Beamten des Polizeireviers Dessau, die am
Todestag von Oury Jalloh Dienst hatten, als Zeugen vorgeladen werden, wie
Justizsprecher Frank Straube mitteilte. Das seien insgesamt rund 70
zusätzliche Zeugen. Der Jurist räumte einen «hohen logistischen Aufwand»
ein. Doch die Kammer wolle beweisen, dass sie über jeden Verdacht erhaben
sei.
Der Prozess steht auch im Blickpunkt einer internationalen Beobachtergruppe,
die der Dessauer Polizei Gewalt, Rassismus und organisierte
Verantwortungslosigkeit vorwirft. Das Gericht stehe vor der Wahl, den
Rassismus der Polizei zu verurteilen oder ihn zu unterstützen, erklärten die
Menschenrechtler, die unter anderem aus Großbritannien, Frankreich und
Afrika zum Prozessbeginn nach Dessau gereist waren.
Das Aussageverhalten der Polizeibeamten habe bei vielen im Gerichtssaal
Entsetzen über deren Korpsgeist erzeugt, berichtet Steckel. Doch inzwischen
sei klar: «Der Rechtsstaat funktioniert doch.» Richter Steinhoff lade die
Zeugen so lange vor, bis der Tod von Oury Jalloh geklärt ist. Eine
Beweiserhebung ohne Ansehen der Person sei ein wichtiges Signal auch an die
Freunde des Opfers, die noch immer in und um Dessau leben.
www.prozessouryjalloh.de
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