Montag, 26. November 2007
The look-away-society oder es ist ja wohl scheißegal, ob wer verreckt
Gefunden beim Pantoffelpunk und ein erschütterndes Zeitdokument

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Ich habe heute morgen darüber nachgedacht, als ich im Morgenmagazin sah, dass in Gelsenkirchen das Jugendamt alle jungen Eltern besucht, um sich zu informieren, wie die Verhältnisse so sind. Es sei denn, die Eltern würde die Jugendamtsmitarbeiter nicht einlassen. Ich habe mich gefragt, ob ich sie rein lassen würde. Ich denke nein. Ich habe keine Lust, dass staatliche Behörden in meinen Wohnräumen rumlaufen und sich Notizen machen. Sicherlich sind meine Wohnverhältnisse etc. nicht so wie in dem besagten Fall und in ähnlichen. Dennoch: Wie kann ich gegen Schäubles digitale Durchsuchungen sein, wenn ich zugleich das Jugendamt in meine Wohnung bitte? Oder: Wie kann ich zum Schutz von Kindern genau das als Regel fordern? Wie kann ich meinen Nachbarn verdammen, der mich beim Gewerbeamt anzeigt, aber selbst das Jugendamt verständigen wegen der Kinder drei Häuser weiter (Was ich tun würde)? Vermutlich einfach weil Kinder Schutz verdienen, mein Blockwart-Nachbar aber Abscheu. Ehrlich gesagt ist das für mich eine offene, moralische Frage.

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Müssen moralische Fragen immer einwandfrei ja/nein beantwortbar sein? Mir graust ja schon vor Leuten, die dies selbstverständlich so sehen bzw. zur allgemeingültigen Regel erklären.

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Nun, nennen wir es eine politische Frage. Ich will dass der Staat sich aus meinem Leben raushält. Aus anderen aber nicht. Problematisch ist doch, diese Attitüde, dass ich mich dann für reif/intelligent etc. halte und andere nicht? Muss ich diese Einmischung vielleicht dem Gemeinwohl halber über mich ergehen lassen?

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Es ist doch ein himmelweiter Unterschied, ob meine Telefonate abgehört und gespeichert und dazu benutzt werden, Verdachtsmomente gegen mich zu konstruieren, weil ich bspw. dem Staat gegenüber kritisch bin oder ob das Jugendamt Hausbesuche macht, um sich ein Bild von der gfährdung ggf. schutzloser Kinder zu machen.

Man kann, wenn man will, das offensichtlich vorhandene eigene Desinteresse an den Mitmenschen natürlich immer irgendwie politisch begründen und Widersprüche dort hineinreden, wo keine sind.

Deine Schwarz-Weiß-Malerei zwischen Blockwartmentalität (aktives Schnüffeln) und einem auf sozialem Miteinander beruhenden Interesse ist ebenso wenig hilfreich.

Und wenn ich meinen Kindern ausreichend körperliche und seelische Pflege zukommen lassen kann, bin ich in der Tat reifer als die, die Ihren Kindern beim Verrecken zusehen. Sorry: aber ich halte deine Auslassungen für konstruiert und blödsinnig.

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"Der Staat" ist ein Abstraktum, das als Figur hier gar nicht greift. "Der Staat ist keineswegs die Gesellschaft", wie Bakunin gesagt hat. Es geht um das Sich-Kümmern um andere bzw. das dieses eben nicht tun,unabhängig von der Frage, ob das nun Nachbarn, Jugendämter oder wer auch immer sind.

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Soo konstruiert
ist das Analogon nun auch wieder nicht. Hier wie dort steht doch die Erwartung im Raum, mehr staatliche oder kommunalbehördliche Schnüffelei bringe mehr Sicherheit - sei es für gefährdete Kinder oder gegen Terroristen.

Im Übrigen kann ich Bandinis Gedankengang (der ja eine Frage aufwarf und keine letztgültige Antwort gab) durchaus nachvollziehen: Will ich in meinem wohlgepflegten Anderthalb-Akademiker-und-ein-wohlgeratenes-Kind-Haushalt wirklich einem kommunalen Kinderstubeninspizienten die Tür öffnen müssen? Und wie begründe ich in diesem Fall, dass der doch erst mal in den Apatschenblocks anfangen soll, nach dem Rechten zu sehen?

Gegen ein auf sozialem Miteinander beruhenden Interesse am Mitmenschen hat hier niemand argumentiert. Aber ich fand es richtig, dass Bandini auch die Schattenseiten solcher Interessen am Mitmenschen nicht völlig ausgespart hat. Die Grenzen verlaufen da nämlich durchaus fließend.

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Dann bin ich wahrscheinlich intellektuell einfach zu schlicht gestrickt oder/und zu emotional unterwegs. Für mich ist eine Metadiskussion in diesem Falle Kokolores.

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Der ewige Widerspruch zwischen theoretischer Begründung und gelebter Praxis.

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Naja,
emotionale Betroffenheit schön und gut, die ist mir als praktizierendem Papi ja auch nicht fremd. Wenn ich aber höre und lese, wie aufgehängt an diesem Fall nun wieder verstärkt Forderungen (zugegebenermaßen nicht hier) laut werden, behördliche Überwachungsprogramme zu starten oder zu intensivieren, dann finde ich die Metadiskussion darüber nicht per se unnötig.

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Zu dem zugegebenermaßen nicht hier:Dermaßen nicht hier, dass ich davon noch gar nichts bemerkt habe. Also lasst die Kirche im Dorfe!

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Anders herum gefragt: Was ist die Alternative zum Melden bei Polizei oder Jugendamt, wenn man einer Misshandlung gewahr wird? Augen und Ohren zu und einreden, man hätte es nicht gesehen? Umziehen?

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Ich kann das Melden
durchaus mit meinem Gewissen und meiner Weltsicht vereinbaren - und habe daher von dieser Möglichkeit auch schon mehr als einmal Gebrauch gemacht. Ich wüßte auch nicht, wo ich der Option "Ignorieren" das Wort geredet hätte.

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Es ist natürlich schwierig, eine Metadiskussion angesichts der realen Vorkommnisse anzustiften. Aber mich nervt dieser ewige Ruf nach dem Staat (dass es gesellschaftliche Verantwortung gibt, bestreite ich doch gar nicht, dass man es melden muss, ist für mich vollkommen klar und moralisch richtig, die Frage ist aber nach der Begründung). Schwarz-weiß war da auch nichts, aber um es deutlich zu machen, habe ich Beispiele/Gegensätze gewählt. Und dann wie Mark793 so richtig sagte: Ich habe Fragen gestellt, weil ich es schlicht nicht weiß und dazu gerne Meinungen hören würde. Dass ich dazu Ches Blog genutzt habe, bitte ich zu entschuldigen. Ich werde allerdings nicht um Entschuldigung bitten für einige Unterstellungen. Es geht nicht um Desinteresse oder um ein Ablehnen von Verantwortung, sondern um die Begründung. Sorry, aber ich glaube, dass eine solche Metadiskussion sehr nötig wäre, vielerorts.

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Ich sehe aber den Zusammenhang nicht, sorry meinerseits. Es geht doch bei der Aufstockung des Personals in den Jugendämtern nicht um eine flächendeckende Einmischung in das Leben einer Familie. Es geht um den Schutz von Kindern. Und um ein beherztes, konkretes Eingreifen bei Gefahr für Leib und Seele.

Ich kriege die Brücke zu "Schäubles digitalen Durchsuchungen" nicht, so leid es mir tut.

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Na ja, es geht darum, welchen Grad an Überwachung ich akzeptiere. Nämlich keine bzw. die geringstmögliche. Und ich finde es merkwürdig, auf die anderen zu zeigen, selbst aber das Jugendamt nicht in meiner Wohnung haben zu wollen. Nicht einmal (und ich hatte schon mal mit dem Jugendamt zu tun, auch deshalb). Weil ich mich ja als einer der Guten fühlen darf.

Gegen die Aufstockung von Personal etc. habe ich nicht argumentiert, weil ich Dir da zustimme. Auch dass man als Mensch eingreifen sollte, entspricht meiner Meinung. Nur bitte keine staatlichen Regelungen.

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OK. Die Annäherung findet langsam statt, aber sie findet statt :-)

Wie stellst Du es Dir alternativ vor? Hilfen von Nachbar zu Nachbar?

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Es ist natürlich unklar definiert und möglicherweise genauso fehlerbehaftet: Aber von allen.

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Mehr Nachbarn als die kleine Jessica aus Hamburg kann man nicht haben. Sie wohnte in einem Hochhaus und ist im letzten Jahr jämmerlich krepiert.

Natürlich muss nachbarschaftliches (schulisches, sonstiges) Aufeinanderachtgeben die Basis sein, aber wenn das - wie in den meisten Fällen offensichtlich der Fall in dieser egoistischen Gesellschaft - nicht gegeben ist, muss es legitimierte und kontollierbare Instanzen geben, die einschreiten und sich dem Wohl des Kindes annehmen. Alles andere ist Barbarei.

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Die Frage ist aber auch,
braucht es dazu neue Instanzen oder neue Befugnisse für die bereits bestehenden Behördenstrukturen? Ohne die genannten Fälle jetzt en detail parat zu haben, bleiben mir da gewisse Zweifel. So lückenlos kann eine Jugendamt-Hausbesuchstruppe in sozialen Brennpunkten gar nicht überwachen, als dass sich solche Fälle gar nicht mehr wiederholen könnten. Es bleibt nun mal immer ein Restrisiko, daran ändert auch der Ruf nach mehr oder weitergehenden Behördenbefugnissen nicht viel. Wenn die Ämter die Möglichkeiten, die sie jetzt schon haben, ordentlich und zügig ausschöpfen würden, wäre schon viel gewonnen.

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Mit fallen da so Dinge ein wie die Sachbearbeiterin im Sozialamt, die Antragssteller mit einer halbleeren Sektflasche auf dem Tisch empfängt (echt erlebt). Für viele städtische Bedienstete sind das Sozialamt und die für ein Problemviertel zuständige Abteilung im Jugendamt "der Busch", wo man so schnell wie möglich wieder weg will. Bevor es ALG2 gab, waren die SachbearbeiterInnen auch dazu angehalten, AntragstellerInnen abzuwimmeln, weil weniger Geld vorhanden war als Bedürftige.

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@mark: Niemand ruft hier oder beim oben verlinkten Artikeln nach erweiterten Befugnissen. Die braucht es nicht. Viel mehr braucht es - neben einem generellen Intersse am Mitmenschen - motivierte Mitarbeiter in ausreichender Anzahl, so dass tatsächlich Hilfe angeboten werden kann und nicht nur Elend verwaltet wird.

@che: Und ich kenne zahlreiche Soz-Päds, die es lieben und brauchen, in solchen Brennpunkten zu arbeiten. Verwaltungsbeamte haben in Jugend- und Sozialämtern einfach nichts zu suchen, gefragt sind Menschen mit Willen zur Veränderung und die "dahin gehen, wos weh tut!" (Ernst Happel)

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@pantoffelpunk:Volle Zustimmung.Ich habe aber die Erfahrung gemacht,dass die engagierten Streetworker eher beim Diakonischen Werk, der Caritas, dem Paritätischen, gemeinnützigen Vereinen und Organisationen wie Oxfam (und selbst noch bei der Arbeitsagentur) zu finden sind, bei den Sozial- und Jugendämtern hingegen sehr viele Verwaltungsangestellte ohne Beamtenverhältnis und in der untersten Gehaltsklasse arbeiten , die das ein paar Monate machen, bevor sie ins nächste Amt wechseln.

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