Freitag, 3. April 2020
Die Corona-Krise und die Bürgerrechte
Unter dem Titel "Bleibt wachsam!" befasst sich in der Welt am Sonntag vom 29. 03. Susanne Gaschke mit der Verhältnismäßigkeit der Kontaktsperre und den verfassungsrechtlichen Konsequenzen. Zu diesem Themenkomplex hat sie mit namhaften VerfassungsrechtlerInnen telefoniert.

Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität äußert sich wie folgt: "Ich habe gar nichts gegen die Maßnahmen der Kontaktreduzierung. Aber das Infektionsschutzgesetz, das jetzt zur Grundlage des politischen Handelns gemacht wird, gibt die weitreichenden Einschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger einfach nicht her. Man kann auf dieser Grundlage nicht wochenlang ein ganzes Land zumachen. Auch Richter lesen Zeitung und sind anfällig für Stimmungen. Gegenwärtig kommt es mir so vor, als ob jede politische Debatte vermieden werden soll - Hauptsache, das Ergebnis stimmt."

Auch die Verfassungsrechtlerin Andrea Edenharter warnt vor unverhältnismäßigen Eingriffen, besonders bezogen auf die Situation in Bayern. Der Kieler Verfassungsrechtler Sebastian Graf von Kielmannsegg sagt: "Ich habe den Eindruck, dass da auch Dinge beschlossen wurden, die wir gar nicht mehr für die aktuelle Corona-Krise brauchen, sondern allenfalls für die nächste Epidemie", und der Göttinger Kirchen- und Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig warnt davor, "dass sich unser Gemeinwesen von einem demokratischen Rechtsstaat in kürzester Frist in einen faschistoid-hysterischen Hygienestaat" verwandelt.

Der ehemalige Präsident des Bundesverfasungsgerichts, Hans Jürgen Papier, resümmiert: "Notlagenmaßnahmen rechtfertigen nicht die Außerkraftsetzung von Freiheitsrechten zugunsten eines Obrigkeits- und Überwachungsstaates. Ausgangs- und Kontakbeschränkungen sind an sich schon schwerwiegende Grundrechtseingriffe. Sie mögen im Hinblick auf die gegenwärtige Gefährdung von Leib und Leben der Menschen noch verfassungsgemäß sein -aber sie müssen auf jeden Fall aufgehoben oder gelockert werden, sobald die Gefährdungslage es zulässt. Eine totale Ausgangssperre, die weder regional, zeitlich noch personell oder sachlich begrenzt ist würde definitiv das Verhältnismäßigkeitsgebot verletzen."

Der emeritierte Staatsrechtsprofessor Ulrich Battis argumentiert: "Wir sind trotz aller dramatisierenden Rhetorik nicht im Krieg, deshalb sollten Verfassungsänderungen oder Regelungen für Notfallparlamente auf keinen Fall übers Knie gebrochen werden" und kritisiert die Expertenherrschaft einiger weniger Virologen "die haben doch ihre Meinung zur Seuche schon dreimal geändert." Tatsächlich sagte Christian Drosten auf ZEIT Online: "Wenige Entscheidungen der letzten Tage waren rein evidenzbasiert - viele waren vor allem politisch." Und so kommt Battis zu der Schlussfolgerung: "Mit Blick auf unsere gesamte Demokratie müssen wir immer bedenken: Die Medizin darf nicht gefährlicher sein als die Krankheit."

vgl. auch hier:

https://www.welt.de/politik/deutschland/article206964441/Erosion-des-Rechtsstaats-Hans-Juergen-Papier-sieht-Grundrechte-bedroht.html


---- Dies würde ich auch außerhalb der Frage der demokratischen Legitimität der Notstandsmaßnahmen konzidieren. Es wird absurd, wenn aufgrund der Bereithaltung von Notfallbetten für Covid19-PatientInnen lebensnotwendige Herz-OPs und Chemotherapien nicht mehr stattfinden. Ein völliger Downturn der Wirtschaft ist langfristig nicht durchhaltbar, und spätestens dann wenn es aufgrund anhaltenden Lagerkollers und dauerhaft sinkender Einkommen zu einer exzessiven Zunahme häuslicher Gewalt, häufigen Suiziden und Plünderungen von Supermärkten inklusive Schusswaffengebrauch der Polizei kommt stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen ganz neu.

Den aktuellen Status halten wir ganz gut durch. Aber der point of no return könnte relativ bald ins Blickfeld rücken.

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