Mittwoch, 8. April 2020
Asylrecht in Zeiten von Corona: Presseerklärung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsvereins
Pressemitteilung Nr. 06/20 vom 8. April 2020
Sächsisches Landessozialgericht erkennt: Covid-19 erfordert höhere Leistungen für alleinstehende und alleinerziehende Geflüchtete

Seit dem 1. September 2019 gelten für Geflüchtete in Deutschland neue Regeln im Existenzsicherungsrecht. Seitdem werden u.a. Grundsicherungsleistungen für Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften nur zu 90 Prozent gewährt. Von ihnen könne erwartet werden, dass sie gemeinsam wirtschaften wie Ehepaare, heißt es in der empirisch nicht belegten Begründung zur Gesetzesänderung. Dagegen sind in Deutschland Eil- und Hauptsacheverfahren anhängig. Wegen der erheblichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Menschen in Sammelunterkünften werden zahlreiche weitere Eilanträge vor den Sozialgerichten gestellt.

Durch die Covid-19-Pandemie hat sich die Situation der Bewohner*innen von Sammelunterkünften dramatisch verändert. Sozialarbeiter*innen sind in vielen Sammelunterkünften aufgrund der Pandemie bereits abgezogen worden und/oder machen nur noch Telefonbetreuung. Viele Menschen in den Sammelunterkünften bleiben in ihren Zimmern. Ein gemeinsames Leben kann und soll auch nicht stattfinden. Dennoch ist die Gefahr für eine Ausbreitung der Pandemie in Sammelunterkünften weiterhin groß. Auch deshalb fordert u.a. pro asyl die Auflösung der Sammelunterkünfte und dezentrale Unterbringung der Geflüchteten (https://www.proasyl.de/news/covid-19-und-fluechtlingspolitik-was-deutschland-jetzt-machen-muss/).
Diesen Forderungen schließt sich der RAV an und fordert zudem das Ende jeglicher migrationspolitisch begründeter Sonderverfahren im Sozialrecht. RAV-Vorstandsmitglied Berenice Böhlo betont, »es muss endlich Schluss gemacht werden mit den Sonderverfahren im Sozialrecht. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar«.

»Bis zur Auflösung der Lager können und dürfen nun erst recht nicht angebliche Einspareffekte eine Kürzung der Regelleistung für Alleinstehende und Alleinerziehende begründen«, so der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der einige der Antragstellenden rechtlich vertritt. »Ziel weiterer Verfahren ist die Gewährung voller Regelleistungen. Es geht monatlich um bis zu 42 Euro bei den Ärmsten unserer Gesellschaft«, so RAV-Mitglied Adam weiter.

»Wenn die Sozialleistungsträger die Leistungen für Geflüchtete in Sammelunterkünften nicht selbstständig kurzfristig anheben, müssen die Sozialministerien der Länder dies vorgeben. Wenn auch dies nicht erfolgt, ist die Sozialgerichtsbarkeit gefragt. Das Sächsische Landessozialgericht hat insoweit mit Beschluss vom 23. März 2020 Handlungswillen gezeigt« erläutert RAV-Mitglied Rechtsanwalt Raik Höfler aus Leipzig, der den Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts erstritten hat.

»Die Folgen einer Pandemie dürfen sich nicht am Status von Menschen ausrichten. Daher ist mindestens die Aufnahme der Sozialschutz-Regelungen in das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) notwendig. Es verbietet sich, einzelne Regelungen zur Existenzsicherung von den Sozialschutz-Regelungen auszunehmen«, so der Berliner Rechtsanwalt Volker Gerloff für die ›AG Sozialrecht‹ im DAV.

RAV-Vorstandsmitglied Berenice Böhlo ergänzt: »Dass das ›Sozialschutz-Paket‹ (BT-Drucksache 19/18107, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/181/1918107.pdf) vom März 2020 anlässlich der Corona-Krise keinerlei Verweis auf das Asylbewerberleistungsgesetz enthält, ist ein menschenrechtlich fatales Signal der Bundesregierung«.

Der Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 23.03.2020 zu dem Az.: L 8 AY 4/20 B ER befindet sich in der Anlage zu dieser Mitteilung.

Kontakt über die RAV-Geschäftsstelle kontakt@rav.de und telefonisch ab ca. 13h unter 030.41 72 35 55

Hintergrund:
Am 21.08.2019 ist das sog. ›Geordnete-Rückkehr-Gesetz‹ und am 01.09.2019 das ›Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes‹ in Kraft getreten. Beide Gesetze enthalten massive Leistungskürzungen insbesondere für Alleinstehende und Alleinerziehende in den Gemeinschaftsunterkünften.
Mit der Neuregelung im Asylbewerberleistungsgesetz wurden zwar endlich die Bedarfssätze angepasst (nachdem die letzte Erhöhung 2016 erfolgt ist und eine Fortschreibung durch die Behörden trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht durchgeführt wurde). Allerdings hat der Gesetzgeber eine neue Bedarfsstufe für Alleinstehende eingeführt, die noch nicht in einer eigenen Wohnung wohnen. Sie erhalten zukünftig genauso viel wie Ehegatten und damit nur etwa 90 Prozent der vollen Leistungen.
Laut dem Gesetzeszweck soll »der besonderen Bedarfslage von Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften« Rechnung getragen werden. Es sei davon auszugehen, so der Gesetzgeber, dass eine Gemeinschaftsunterbringung für die Bewohnerinnen und Bewohner solcher Unterkünfte Einspareffekte zur Folge hat, die denen in Paarhaushalten im Ergebnis vergleichbar seien.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) wird sich in den nächsten Tagen ebenfalls zur Lage von Geflüchteten in Sammelunterkünften aus migrations- und sozialrechtlicher Perspektive äußern. Wir bitten um Beachtung.

Diese Regelung wird von diversen deutschen Sozialgerichten in Eilverfahren bereits ohne die Auswirkungen des Covid-19-Virus für verfassungswidrig gehalten (vgl.: SG Landshut, Beschlüsse v. 24.10.2019 – S 11 AY 64/19 ER und v. 28.01.2020 – S 11 AY 3/20 ER; SG Hannover, Beschluss v. 20.12.2019 – S 53 AY 107/19 ER; SG Leipzig, Beschluss v. 08.01.2020 – S 10 AY 40/19; SG Darmstadt, Beschluss v. 14.01.2020 – S 17 SO 191/19 ER; SG Frankfurt/Main, Beschluss v. 14.01.2020 – S 30 AY 26/19 ER; SG Freiburg, Beschluss v. 20.01.2020 – S 7 AY 5235/19 ER; SG Frankfurt/Main, Beschluss v. 14.01.2020 – S 30 AY 26/19 ER; SG Leipzig, Beschluss v. 08.01.2020 – S 10 AY 40/19; SG Dresden, Beschluss v. 04.02.2020 – S 20 AY 86/19 ER; SG München, richterlicher Hinweis v. 31.01.2020 – S 42 AY 4/20 ER und Beschluss v. 10.02.2020 – S 42 AY 82/19 ER; LSG Sachsen, Beschluss v. 23.03.2020 – L 8 AY 4/20 B ER).

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Aus der Abteilung nichts ist so geschmacklos wie die Wirklichkeit: "Lasst sie ertrinken!"
Wegen Coronagefahr: Das Bundesinnenministerium
bittet in einem Schreiben private Seenotretter, ihre Arbeit im
Mittelmeer einzustellen:

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135258.corona-und-fluechtlinge-lasst-sie-ertrinken.html

Während dessen hat Italien seine Häfen als "unsichere Häfen" erklärt und
ein Dekret erlassen, dass Gerettete von NGO-Schiffen nicht anlegen
dürfen, auch nicht, wenn sie danach ausgeflogen werden.
Boote in Seenot werden nur noch innerhalb der Italienischen SAR Zone
gerettet, was bei Lampedusa etwa den Territorialen Gewässern entspricht.

https://www.ilfattoquotidiano.it/2020/04/08/coronavirus-decreto-firmato-da-4-ministri-italia-non-e-piu-un-porto-sicuro-migranti-da-portare-nei-paesi-delle-navi-che-li-soccorrono/5763499/

Malta hat sich dem ebenfalls angeschlossen:
Malta won't accept rescued migrants, NGO rescue ships told
https://timesofmalta.com/articles/view/no-more-migrant-sea-rescues-malta-tells-ngo-rescue-ships.784127

Während dessen erhält das Alarmphone weiterhin Anrufe von Menschen auf See:

SOS! Over 150 lives at risk! Will #Europe let them drown? In the night,
we were alerted by 2 boats in distress off #Libya, ~85 & ~70 people.
Contact to both was lost. Authorities were informed but don't react
adequately. Do not use #Covid19 as an excuse to let people die at sea!

https://mobile.twitter.com/alarm_phone/status/1247851223518269440

Die Libysche Küstenwache wartet derweil auf Schutzmasken bevor sie zur
Rettung ausfährt,
Infos zu einzelnen Interceptions gab es die Tage dennoch.

Andere Boote erreichten Lampedusa ohne Hilfe von außen:
https://twitter.com/alarm_phone/status/1247786693949673472
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