Mittwoch, 23. September 2009
Der Sprachgebrauch des Spiegel
genauer gesagt, der von Cordula Meyer in dem Artikel zu Mumia abu Jamal ist bezeichnend (was der der Trotzkisten, deren Mumia-Beitrag ich hier zitiert habe natürlich genauso ist, aber das wäre ein anderes Thema). Muss man eigentlich, um heute beim SPIEGEL erfolgreich schreiben zu können (ich schrieb da auch mal, aber das ist echt lange her und war auch nur kurz) dieses neoliberal/neocon-Neusprech draufhaben?


"Er eignet sich als Galionsfigur für Protestbewegungen gegen die Todesstrafe, gegen Rassismus, gegen Unrecht im US-Justizsystem, gegen Globalisierung, gegen alles, was Linke weltweit an Amerika hassen."

Wenn ich jetzt mal im Netbitch-Style eine logische Umkehrung anwende, bedeutet das also links=antiamerikanisch, und proamerikanisch sei es, für Todesstrafe, für die US-amerikanische Vergeltungsjustiz, für Globalisierung und Rassist zu sein. Für solches Phrasendenken dürfte in seriösen Medien eigentlich kein Platz sein, das ist Bild-Niveau. Vielleicht sollte sich der SPIEGEl hinsichtlich Journalistendeutsch mal an Dotcomtod orientieren, wo auf Phrasendenken noch regelmäßig die Drohung des Nörglers folgte, eigenhändig in den Häcksler gesteckt zu werden.

Weiter im Text: "Er gehörte zum Umfeld der Kultbewegung Move. Die Mitglieder dieser Schwarzenkommune propagierten die Revolution und das unbedingte Lebensrecht von Kakerlaken. Zum Schluss trugen die Sektierer dann Waffen." -- Aus der Tatsache, dass MOVE zeitweise mit den Positionen radikaler Tierrechtler liebäugelte, wird ein Satz konstruiert, der rein semantisch radikale Schwarze mit langen Rasta-Locken in die Nähe von Ungeziefer rückt. Na ja, und für Ungeziefer gab es ja schon immer die Gaskammer, nicht wahr?


Nicht auf der reinen Faktenebene, sondern in gewissen sprachlichen "Besonderheiten" liegt das Üble dieses Artikels, dessen Tendenz dann eben auf eine Befürwortung der Todesstrafe für Mumia hinausläuft, aber so geschickt formuliert, dass die Autorin direkt niemand festnageln kann. Und die eigentlichen Hammer-Aussagen kommen dann eben auf Metaebenen, da mit Assoziationen und nicht mit klaren Bekenntnissen zu dem Ungeheuerlichen gearbeitet wird, das da latent mitschwingt. Man kann diesem Kommentar nur zustimmen:

"Was also will nun die Dame Cordula Meyer mit ihrem Geschreibsel? Will sie uns damit vermitteln, daß man den einen Schwarzen ruhig noch vergasen/totspritzen/verbrennen kann, bevor man endlich mal wieder eine ernsthafte Diskussion über "Sinn und Nutzen" der Todesstrafe in einem "G8-Staat" anregen kann? Oder wie? Warum kein empörter Artikel über dieses Thema Todesstrafe insgesamt?
So kommt es für mich leider so rüber, wie oben schon erwähnt: Die Frau hat Recht auf ihre Rache, der Schwarze ist schuldig, bringt ihn um!"

Der Geist von Politcallyincorrect und Fakten&Fiktionen ist in der Brandstwiete angekommen.


http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,645083,00.html

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"Kultbewegung Move" ... klingt nach Übersetzung per Google-Tool

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Bekannte Töne
Die "Beweiserhebung" gegen Move generell, nicht gegen Mumia (mich dazu zu äußern, wäre die Beweislage zu kompliziert) erfolgte nach dem Motto "Und vier Monate später stand in Springers heißem Blatt,
das Georg-von-Rauch-Haus hat eine Bombenwerkstatt. Und die deutlichen Beweise sind zehn leere Flaschen Wein und zehn leere Flaschen können schnell zehn Mollies sein." Die "Abhilfe" erfolgte nach den Prinzipien des Vietnamkriegs: Helikopter schmeißt Bombe. Die NYT hat das brauchbar herausgestellt. Mir erscheint das Bemühen, Mumia nach all den Jahren immer noch hinrichten zu wollen als nachgeschobene Rechtfertigung für einen Staatsterrorismus, der die Provokation "ökolinke militante Schwarze" in nazistischer Manier ausradiert hat, um so weiterfahren zu können wie damals. In den Obama-USA wirkt das so absolut anachronistisch, als ob man in Deutschland das Attentat auf Rudi Dutschke, das Celler Loch und die Tötung der DemonstrantInnen Peter Müller, Klaus-Jürgen Rattay, Günther Sare, Erna Sielka und Conny Weßkamp im Nachhinein politisch rechtfertigen und begründen wollte. Indes: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Und eine Spiegel-Autorin besorgt den Job von Leuten, die sich von der NPD nur durch ihre Staatsbürgerschaft unterscheiden. Nein, halt: Die NPD hat zumindest unmittelbar nachweislich noch niemanden ermordet.

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Gratismut, Gratisgut und Gesinnungsgratin
Zum Kommentar, dem "man" "nur zustimmen" kann:

.."Was also will nun die Dame Cordula Meyer mit ihrem Geschreibsel? Will sie uns damit vermitteln, daß man den einen Schwarzen ruhig noch vergasen/totspritzen/verbrennen kann .."

Woraus liest das der "Kommentator"? Liest man den Artikel in seiner Gänze, merkt man das der Kommentator uns sein Psychogramm sendet, inkl. seiner Neurosen und Zwangsvorstellungen, nichts mehr. Eine moderne Form von Alfred Tetzlaff, der nicht stets den Iwan unterm Sofa vermutet, sondern vielmehr sicher ist dass ein Rassist darunter kauert.

"... bevor man endlich mal wieder eine ernsthafte Diskussion über "Sinn und Nutzen" der Todesstrafe in einem "G8-Staat" anregen kann? ... "

Sag doch einfach "in den USA" statt "G8-Staat" lieber "Kommentator". Du meintest sicher nicht die Russkies damit. Die machen ihre Kritiker platt, daher ist man ja besser keiner. Und wenn wir es auf die G8 beschränken, das Todesstrafen-Diskutieren, müssen wir China (Todesstrafen-Weltmeister) und/oder zB Iran (Hanf-Fandango-Meisterschaften für Schwule etc.) ja nicht themtaisieren.

"... So kommt es für mich leider so rüber, wie oben schon erwähnt: Die Frau hat Recht auf ihre Rache, der Schwarze ist schuldig, bringt ihn um!" ... "

Des Psychogramms zweiter Teil, der "Kommentator" funkt uns: für mich kommt es so rüber, ich bilde mir das jetzt so ein, die dünnen, körperlosen Stimmen raunen es mir zu, deswegen rege ich mich ganz doll auf und kriege Schaum vorm Mund und Schweiss unter den Achseln.

Nicht der "Kommentator" ist überspannt, alle anderen sind voll die Faschos, oder so.


Und der "Kommentator", das ist so einer mit dessen "Meinung" Du Dich gemein machst?

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So richtig gemein mache ich mich nur mit meiner eigenen Meinung. Ich verstehe auch nicht, wieso der Kommentator G8-Staat und nicht Amerikanien sagt, vermute aber, dass die Formulierung etwas implizit moralisch-Appellatives beinhalten soll, so im Sinne von "die gehören gar nicht wirklich dazu, wenn sie immer noch die Todesstrafe haben". Ich bin ja gegen solche impliziten Sprachgebräuche und dafür, Dinge offen zu benennen und nicht durch die Hintertür, reagiere meistens ja auch sauer, wenn mir fälschlichereise unterstellt wird, ich täte dies. Allerdings spielen China und das Perserreich von Vornherein in einer anderen Liga, die sind nicht G8, und dass man in Russland politisch unbequeme Journalisten nicht mit falschen Mordprozessen mund- bzw. ganztot zu machen versucht, sondern durch bestellte Killer wäre dann nochmal ein anderes Thema. Wenn man sich umsieht, wie die US-Justiz und Polizei mit Angela Davis und Huey Newton umgesprungen ist und was COINTELPRO beinhaltete

http://de.wikipedia.org/wiki/COINTELPRO

erscheint es mir nicht aus der Luft gegriffen, dass Mumias Schuld konstruiert wurde. Und sorry, aber die Formulierungen und Wieselworte, die die Frau Meyer so gebraucht legen mir in der Tat nahe, dass die Hauptmotivation hinter dem Artikel die Absicht ist, die der besagte Kommentator zusammenfasst. Oder noch ein paar Happen billiger: Im Stile Mierschs und Maxeiners eine linke Ikone entheiligen und sich angesichts eines herbeihalluzinierten linken Mainstreams dabei unheimlich tapfer fühlen und für den eigene Gratismut selbst auf die Schulter klopfen - und noch nicht einmal merken, wenn sie damit vielleicht jemanden ins Grab schreibt. Und das in einem Blatt, das einmal, wenn auch selbst damals nicht zu Recht, als Maßstab für Qualitätsjournalismus in Deutschland galt.

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Ich habe zuerst
die Einlassungen hier gelesen und dann erst den ganzen Spiegel-Artikel. Auch wenn ich das mit dem Lebensrecht für Kakerlaken für extrem tendenziös halte (und einiges andere für sehr tendenziös), gewinne ich aus der Gesamtschau der Geschichte aber doch nicht den Eindruck, hier sollte eine linke antirassistische Ikone sozusagen auf den elektrischen Stuhl geschrieben werden.

Dahinter steckt eine spezielle Spiegel-Attitüde, sich von bestimmten Begeisterungen und vermeintlichen Hysterien weitestgehend zu distanzieren - und das auch auf die Gefahr hin, das sich das Ergebnis dann ziemlich zynisch liest. Das ist halt die hohe Kunst der Tendenzschreibe, die sich der Verfasser oder die Verfasserin ja auch schönreden kann unter Verweis auf das Diktum von Hajo Friedrichs, der gute Journalist mache sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.

Dass man dabei freilich Gefahr läuft, sich unwissentlich und unwillentlich die Sache einer ganz anderen gesellschaftspolitischen Strömung zu eigen zu machen, wird wahrscheinlich von den wenigsten Leuten beim Spiegel (ein paar kenne ich persönlich) wirklich bewusst reflektiert. Zum Teil wächst und gedeiht die spezielle leicht zynische Würze solcher Geschichten auch gar nicht unbedingt auf dem Mist des Verfassers, sondern erst so richtig im weiteren Verlauf der Redigier- und, ähem, "Qualitätssicherungsprozesse", wie ich das mal vorsichtig nennen will.

Wenn man sich ein bisschen mit Personen und Produktionsprozessen bei diesem Organ auskennt, kann man eigentlich den pauschalen Vorwurf nicht aufrechterhalten, da arbeiteten nur noch von der INSM oder dunkleren neoliberalen Mächten ferngesteuerte Orks. Das ist auch übelste Holzschnitt-Denke, sorry.

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Ich habe die "Soße", wie die spezielle SPIEGEL-Sprache heißt dortselbst gelernt und erlebt, wie von einem von mir verfassten Artikel am Ende ein Fünftel übrig war, alles andere war neuredigiert, insofern gebe ich Deinem Einwand Recht. Und wenn es Frau Meyer mit ihrem Text so erging wie mir mit Meinem hat sie mein Mitgefühl. Das ändert allerdings nichts daran, was die Wirkung beim Rezipienten angeht...

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Der Rezipient rezipiert ja auch nur,
was in seinen spezifischen Referenzrahmen reinpasst, von daher werden wir uns dem eigentlichen Gehalt der Geschichte allenfalls intersubjektiv annähern und trotzdem nicht gänzlich vermeiden können, in Projektionsfallen zu stolpern (was der Lebemann weiter oben m.E. nicht ganz zu Unrecht kritisiert).

Aber aus von Dir genannten Gründen (und weil ich ohnehin auch nie die ganz große investigative Leuchte war), habe ich es auch nie für erstrebenswert gehalten, im Spiegel zu veröffentlichen. Was nicht verhinderte, dass ich mal kulanterweise 500 DM Honorar bekam für eine Exklusivmeldung, die sie mir auf der Panorama-Seite fast 1:1 aus einem Fachblatt abgeschrieben hatten. Mal ab und zu für die "Zeit" geschrieben zu haben, war mir in jungen Jahren wichtig, meine Artikel im "Rheinischen Merkur" haben meine Mutter stolz gemacht, und für die "Wirtschaftswoche" habe ich in der ersten Hälfte der 90er auch gern geschrieben, aber der "Spiegel" war irgendwie ein anderes Planetensystem. Nicht meins.

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Wobei man ja sagen muss, dass in diesem Planetensystem schon ein paar ausgesprochen neo"liberale" Monde kreisen. Bei gewissen Autoren in der Online-Redaktion staunt man in Hinblick auf deren einseitige Tendenzschreibe sehr, dass diese für ein Nachrichten-Magazin arbeiten dürfen.

Das liest sich - wie gesagt bei einzelnen Autoren - deutlich weniger wie beim ehemaligen Sturmgeschütz der Demokratie und leider mehr wie bei "neoliberalen Beobachter"...

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Danke für diese Formulierungen! Und bei afroamerikanischen Linken oder Flüchtlingsgruppen in Teutschland kommt so etwas wie das oben Verlinkte noch einmal besonders an. Das ist dann nicht mehr eine interressante andere Meinung, sondern der Feind. Die politische Ausrichtung des SPIEGEL von vor 1989 findet man heute eher im Spektrum FR, taz bis Le Monde Diplomatique (deren Stammleser ich bin).

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