Dienstag, 10. November 2009
So gut hat Argentinien die Krise gemeistert!
Gefunden bei Kritik&Kunst:


http://www.stern.de/panorama/argentinien-hungernde-pluendern-lebensmittellager-1517867.html

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von den BIP Zahlen längst aufgeholt...
Che, das ist fast friendly fire. Hungeraufstände in den Nordost-Provinzen waren vermutlich während der gesamten argentinischen Geschichte möglich.

Hier die BIP-Zahlen.
http://www.indexmundi.com/de/argentinien/bruttoinlandsprodukt_(bip)_reale_wachstumsrate.html

Seit 2003 regiert da ein links-peronistisches Schlafzimmer (Ehepaar Kirchner).
Die verlieren allerdings zur Zeit in Wahlen, u.a. wg.
- eines wieder übler werdenden Kriminalitätsproblems,
- echt überzogene Machtkämpfe mit der ruralen Rechten, die durch übrigens hochverzollte Exporte für die Bimbes sorgen. Von der Kohle werden dann die bonarenser Piqueteros bei der Laune gehalten. Sie sind aber aus Gründen der Einnahme-Maximierung so ausgelegt, dass Soja als Anbau eindeutig übervorteilt wird (ok, das ist nur so halb friendly fire. Immerhin werden aber Sub-Proletarier aus dem Verelendungsgürtel um Buenos Aires unterstützt).
-ganz neue Arten der Inflationsstatistiken (Güter, die einen stark überdurchschnittlichen Preisanstieg verzeichnen, fliegen einfach aus dem Index).
- schmierige Geldkoffer aus Venezuela

Ich hab sie nie gemocht, aber die haben den IWF wirklich hart rangenommen. Der von mir geschätzte Economist prognostizierte seit 2004 jedes Jahr eine neue makroökonomische Krise. Ist aber nicht eingetreten.

Die sympathischeren Aktionen laufen zur Zeit im streikfreudigen Chile. Eine in einer Mall arbeitende Freundinn berichtete mir, dass sie letztens ihren Laden abgeschlossen hat und die Pacos (freundliche Polizisten) angefleht hat, dass die endlich die Mall räumen. Es waren so viele streikende Angestellte und Studenten in der Plattformen der 1. und 2. Etage, dass sie Angst hatte, dass der ganze definitiv ultrasolide Bau zusammenbricht.
(http://tinyurl.com/ygqsakf)
Der unabhängige Sozialist Marco Enrique Ominami hat angesichts eines tiefen Stimmungsumschwungs vielleicht wirklich eine Chance bei den Wahlen und damit eine echte und aus meiner Sicht begrüßenswerte Chance, den Versuch von Chile 5.0 zu starten.

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Mythos Südamerika
Saltoftheearth/Lemmy Caution, mal grundsätzlich: Die Perspektive, aus der die mehrheitliche westeuropäische Linke überwiegend Lateinamerika betrachtet, ist eine traditionell-revolutionäre, festgemacht an den Zeiten, als Che kämpfte (ich heiße nicht so, weil ich an ihn anknüpfen würde, sondern aus ganz eigenen biografischen Gründen, aber das dürfte klar sein) bis hin zu Nicaragua Sandinista, den ursprünglichen Tupamaros und der Pinochet-Diktatur. Das ist ein heute mythologisches Bild, das mit jetzigen Verhältnissen nichts mehr zu tun hat. Du beschäftigst Dich mit den tatsächlichen heutigen Verhältnissen dort aus einer empirischen Perspektive, die aber weitgehend eine Perspektive der dortigen Mittelschichten ist. Ich hingegen versuche, fern von allen Mythologisierungen eine klassenkämpferische Persperktive, die sich auch aus der Empirie speist dazu einzunehmen. Ja, so etwa würde ich das Spannungsfeld skizzieren.

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Mittelschichten, Che, ist in Südamerika und noch stärker im Cono Sur ein sehr, sehr dehnbarer Begriff, den du nicht mit europäischen Mittelschichten vergleichen kannst.
Ich kenn jemanden, der Ende der 90er Jahre den pin8 Freund Lavin gewählt hat und vor 2 Monaten seinen Job verloren hat, weil er unter großem persönlichen Einsatz, den ich gerade ihm nicht zugetraut habe, eine Gewerkschaft in den mittel-südlichen Provinzen mitgliedermässig stärken wollte. Egal. Wenn der keinen Job hat, repariert er schwarz Motorräder, macht sonstige Deals und verdient sogar mehr, zahlt aber halt nichts in die Rentenversicherung. Eigentlich ein neuer anti-Imp Heroe. Schade nur, dass er zu extrem unsolidarischen Ego-Aktionen neigt.

Mir sehr empirisch bewußte punktuelle Wut hat nie Veränderung bewirkt. Die verpufft schnell. Die Unterschicht und untere Mittelschicht, besitzt von Kindesbeinen Nehmerqualitäten, die du und ich uns nicht vorstellen können. Daraus erwächst keine für politische Veränderung notwendige Solidarisierung einer höchst ungerechten Sozialstruktur, an der weder Sozialismus (Chile 1964 bis 1973), ultraliberale Marktwirtschaft mit diktatorischer Oppression (Chile 1973 bis 1989) oder liberale Marktwirtschaft mit dem vorsichtigen Herantasten an sozialen Reformen bei recht starkem Wachstum (Chile 1989 bis 2009) etwas schnell verändern konnte. Dabei hat sich natürlich im gesellschaftlichen Unterboden eine Menge geändert. Es gab und gibt soziale Mobilität, nur halt eben angesichts der höchst ungleichen Ausgangssituation nach wie vor zu wenig. Einen ultra-konfrontativen Kurs wie in den 70ern wird es im Cono Sur nicht geben.
Eine graduelle Verbesserung, die zeitweise in Richtung Ausgleich beschleunigt wird, aber nicht in linken Kopf-Ejakulationen den Endsieg sucht, hat eine Chance der Beschleunigung der Verbesserung, die im Vergleich zu 1989 durchaus stattgefunden hat. Die Ausgangsbasis verbessert sich zumindest dahingehend, dass die Regierungen manövrierbarer sind und auch linke Politiker wie Bachelet oder da Silva durchaus wirtschaftliche Erfolge zu verzeichnen haben.

Wer soll denn da revolutionäres Bewußtsein entwickeln. Die Fahrgastzahl-Lotterie-spielenden Collectivo Fahrer auf ihren Runden durch die Stadt? Die cumbia-radio höhrenden Hausdienerinn mit ihren 3 wechselnden Sexualpartnern und Schlafplatz im Raum der für deutsche Verhältnisse nicht mal mittelschichtigen Herrschaften und 2 problematischen Kindern bei der Oma hinter den 7 Bergen? Der Mapuche, der schlecht vorbereitet aus den elenden Verhältnissen in den Hügeln um Temuco in eine Stadt auswandert, um dort Bauarbeiter zu werden? Der von Entlassung bedrohte Fischfarmarbeiter an der Küste vor Puerto Montt, der seit 10 Jahren ein elendes Geld verdient, obwohl die Industrie geboomt hat? Die Verkäuferin bei Falabella mit Fußschmerzen wg. 10 Jahren hochhackigen Schuhen, weil Madonna setzt sich auch physischem Leid aus? Der Universtitäs-Dropout mit Drogenproblemen?
Ideen der nachhaltigen Entwicklung kann wohl nur in Verbindung mit der auch stets bedrohten Mittelschicht entstehen. Die aus den (btw. von 50% der kleinen besuchten) Privatschulen ausgehende Rebelion de los pingüinos erklärte sich ultra-explizit solidarisch mit der Verbesserung der Öffentlichen Schulen. Das machte den Politikern Beine.

Nur Chávez ist fatal. Das ist back to the worst of the 70ties. Das erzeugt nur Blasen. Die platzen. Bolivien ist verständlich, weils halt eine Frage der indianischen Souverität in einem armen und indianischen Land ist. Kann im Chaos enden, vorher wars aber auch nicht besser, was aber auch kein gutes Argument abgibt. Correa kommt aus der Oberschicht. Seine Bildungspolitik ist ok. Das Rumeiern mit der in Kolumbien nun wirklich verhaßten FARC mußte vielleicht sein, um seiner Bewegung Startkapital zu besorgen. Harmlos ists nicht und Propaganda wohl auch nicht. Les ohne Überzeugung der ihre phantasievollen Papers. Naja. Die Jungs haben in ihrer wohlbehüteten Jugend, umsorgt von Hausdienerinnen, mit Auslandsreisen und diversen Ferienhäusern, die Fähigkeit zum Träumen noch besser entwickeln können wie du und ich.

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Mein Mittelschichtsbegriff ist auch nicht so eng gefasst
Meine Eltern wohnten bis in die 60er als Besitzer eines mehrstöckigen Mietshauses zusammen mit zwei Kindern in einem Zimmer ihrer 80m²-Wohnung, da das Wohnungsamt ihnen noch zwei andere Familien in die eigene Wohnung zwangseingewiesen hatte. Die waren Mittelschicht, die meisten ihrer Mieter hingegen Arbeiterklasse, und unverheiratete Arbeiter wohnten damals nicht in Wohnungen, sondern im Werkswohnheim. In Kairo sind die Bewohner der Plattenbauwohnungen in den Neubauvierteln wie Nasr City (nach Kairoer Maßstäben ist das ein Viertel, es ist etwa so groß wie Hannover), die auch genauso ausgestattet sind wie Plattenbausiedlungen bei uns Richter, Hochschullehrer, Ärzte usw., als Mittelschicht gelten die Basaris in Stadtvierteln wie Ataba, die bei uns als verdreckte Slums wahrgenommen würden.


Also, solche Perspektiven habe ich da durchaus mitgedacht, mi caro.

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