Dienstag, 30. Juni 2020
Wann lohnt es, auch Menschen ohne Symptome auf SARS-CoV-2 zu testen?
Eine einheitliche Strategie fehlt. Was Experten raten
Michael van den Heuvel

Weitergeleiteter Medscape-Newsletter

INTERESSENKONFLIKTE 29. Juni 2020
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Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) hat am Sonntag in München eine „Corona-Testoffensive" angekündigt: „Allen Bürgerinnen und Bürgern Bayerns wird … zeitnah angeboten, sich bei einem niedergelassenen Vertragsarzt auch ohne Symptome testen zu lassen." Damit ist Bayern das erste Bundesland, das künftig Tests für jedermann vorsieht.

Unter anderem auch nach den Vorgängen um den Schlachtbetrieb Tönnies in NRW fordern pünktlich zum Start der Sommerferien inzwischen auch mehrere Länder negative Tests vor der Einreise. Doch bislang fehlt für die Testung asymptomatischer Personen in Deutschland noch die gemeinsame Linie.

In seinem Lage- und Situationsbericht (Stand 24.06., 00:00 Uhr) erwähnt das Robert Koch-Institut (RKI) 6 Stadt- bzw. Landkreise mit 7-Tage-Inzidenzen über 25 Fälle pro 100.000 Einwohner:

Gütersloh, Warendorf und Hamm sind vom Ausbruch bei der Großschlachterei Tönnies betroffen. Mehr als 1.000 Mitarbeiter wurden positiv getestet.

In Göttingen ist eine Wohnanlage betroffen; hier gibt es laut RKI 100 Fälle.

Magdeburg musste mehrere Schulens schließen; Zahlen werden hier nicht genannt.

Und in Neukölln ist eine Glaubensgemeinschaft mit mehr als 100 Fällen betroffen.

Als 7-Tage R-Wert wird 1,17 (95%- Prädiktionsintervall: 1,08–1,25) angegeben. In Deutschland geht die Angst vor einer weiteren Corona-Welle um.

RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler stellt aber klar, die lokalen Ausbrüche seien noch nicht mit einer 2. Welle gleichzusetzen. Umso wichtiger wird es aber, Infizierte zu erkennen und zu isolieren. An der besten Strategie dafür scheiden sich aber die Geister.

Warum blieb der Ausbruch in Gütersloh lange unbemerkt?
Mit Blick auf Gütersloh kommentiert Prof. Dr. Gerd Antes von Cochrane Deutschland: „Wie ist es möglich, dass ein Infektionsgeschehen bis auf über 1.000 Infizierte laufen kann, ohne dass es rechtzeitig bemerkt wird? Dass hier Ämter und Behörden komplett versagt haben, steht wohl außer Zweifel.“


Antes moniert weiter: „Schlimmer ist jedoch das völlige Versagen bei der Entwicklung einer flächendeckenden Teststrategie, die solche Entwicklungen frühzeitig entdeckt.“ Eine solche Strategie müsse auch symptomfreie Komponenten haben, sprich Menschen ohne Beschwerden berücksichtigen, sagt er. Tests müsse man „intelligent“, etwa anhand eines bundesweiten Plans und an besonders sensiblen Orten, einsetzen.

Auf Nachfrage von Medscape ergänzt Antes: „Es ist methodisches Allgemeinwissen, für allgemeine Aussagen keine selbstselektionierten Kollektive zu nutzen. Genau das passiert, wenn Leute aus Risikogebieten kommen müssen, um einen Test zu erhalten.“ Noch schlimmer sei, wenn Tests sogar mit dem Einkommen verbunden würden, sprich wenn Personen, die Voraussetzungen für Untersuchungen nicht erfüllten, diese trotzdem erhielten, wenn sie dafür selbst die Kosten übernehmen.

Vage Strategie der Regierung
Zum Hintergrund: Bereits am 17. Juni trafen sich Vertreter der Bundesregierung und der Länder. In einer Pressekonferenz erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Die Länder haben begrüßt, dass Testungen nach der neuen Verordnung des Bundesgesundheitsministers jetzt in weit breiterem Maßstab möglich sind, als dies bisher der Fall war.“

Im Beschluss wird die bekannte Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in einem Landkreis innerhalb von 7 Tagen bekräftigt. Weiter heißt es: „Testungen sind von entscheidender Bedeutung für die Eindämmung, Rückverfolgung und Unterbrechung von Corona-Infektionsketten und damit die Verhinderung unkontrollierter Ausbruchsgeschehen.“

Im Rahmen einer deutschlandweiten Strategie gelte es, gezielt Testungen in Einrichtungen mit vulnerablen Personengruppen zu ermöglichen und hierfür die Testkapazitäten auszubauen. „Symptomatische Verdachtsfälle werden dabei wie bisher prioritär getestet“, so Bund und Länder. „Dort, wo zum Beispiel in einer Kinderbetreuungseinrichtung oder einer Schule ein Fall auftritt, müssen umfassende Testungen in der Einrichtung auf Kosten der Krankenkassen erfolgen.“

Detaillierter äußern sich Bund und Länder nicht. Wie schon zu Beginn der Pandemie liegt die Verantwortung bei Landesregierungen und nachgelagert bei Gesundheitsämtern.

Das BMG delegiert die Verantwortung an Gesundheitsämter
Laut „Verordnung zum Anspruch auf bestimmte Testungen für den Nachweis des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) sollen symptomlose Personen stärker als zuvor getestet werden, falls zumindest ein Verdacht oder ein hohes Risiko besteht. Letztlich entscheidet der öffentliche Gesundheitsdienst darüber.

Spricht er sich für Untersuchungen aus, dabei geht es momentan nur um PCR-Tests, müssen gesetzliche Krankenkassen die Kosten übernehmen. Das gilt auch bei privat Versicherten und bei Personen ohne Versicherungsschutz.

Vorgaben für den ÖGD
Damit spielt das BMG den schwarzen Peter an die Gesundheitsämter weiter. Wissenschaftliche Grundlage ihrer Arbeit ist ein „Leitfaden für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zum Vorgehen bei Häufungen von COVID-19“ des RKI.

„Im Rahmen von Ausbrüchen ist es wichtig, dass auch asymptomatische Personen auf SARS-Cov-2 getestet werden“, so das RKI. Dies müsse je nach Situation auch sehr umfangreich erfolgen. Gerade in Alten- und Pflegeheimen oder in Krankenhäusern sei die Fallfindung von großer Bedeutung. „Daher sollen in solchen Situationen gezielt asymptomatische Personen getestet werden, bei denen die Fallfindung eine hohe Relevanz hat (inklusive medizinischen Personal und Personal in Alten- und Pflegeheimen sowie Personen im Bereich von Behinderteneinrichtungen).“ Auch hier bleiben die Formulierungen vage – es handelt sich nur um ein „Soll“.


Unterschiedliche Regelungen von Bundesland zu Bundesland
Auf Basis der BMG-Verordnung und der RKI-Empfehlung entwickeln manche Bundesländer jetzt eigene Verordnung. Ein Beispiel dafür ist Bayerns Ankündigung, alle Menschen im Freistaat testen zu wollen. Verdachtsfälle hätten aber Vorrang.

Wünschenswert wäre, einen Bundesrahmen über diese einzelnen Länderinitiativen zu setzen. Dr. Ute Teichert
Auch Baden-Württembergs Teststrategie bei symptomlosen Menschen geht deutlich über die RKI-Empfehlungen hinaus. „Im Rahmen von Ausbrüchen z.B. in Gemeinschaftsunterkünften oder Betrieben lassen sich Kontaktpersonen und die Intensität der Kontakte häufig nur schwer ermitteln“, schreibt die Landesregierung. Verschiedene aktuelle Ausbrüche hätten gezeigt, dass in solchen Szenarien ein hoher Anteil asymptomatischer Virusträger auftreten könne. „Durch breit angelegte Untersuchungen kann hier frühzeitig eine Isolierung von Virusträgern und Erkrankten erfolgen“, so die Vorgabe.

Einen ähnlichen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen lehnte Nordrhein-Westfalens Regierung Ende Mai allerdings ab. Bislang werden dort symptomlose Menschen nicht getestet, wobei es Gesundheitsämtern immer freigestellt ist, im Ernstfall weitere Maßnahmen zu ergreifen. Genau das ist im Gütersloher Raum ja geschehen.

„Wünschenswert wäre, einen Bundesrahmen über diese einzelnen Länderinitiativen zu setzen“, so Dr. Ute Teichert zu Medscape. Sie ist Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). „Man muss sich an der epidemiologischen Lage orientieren – Gütersloh unterscheidet sich momentan eben vom Rest der Republik“, erklärt Teichert. „Hier macht es Sinn, nicht nur Mitarbeiter von Tönnies, sondern auch die Bevölkerung zu testen.“ In einer Region mit wenigen Infizierten sei dies aber wenig zielführend.

Ein Test ist nicht mehr als eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt des Abstrichs – damit können sich Menschen auch in falscher Sicherheit befinden. Dr. Ute Teichert
Flächendeckende Untersuchungen sieht die Expertin kritisch: „Ein Test ist nicht mehr als eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt des Abstrichs – damit können sich Menschen auch in falscher Sicherheit befinden.“

Möglich seien aber regelmäßige Tests von Risikogruppen oder Einrichtungen, in denen gehäuft Ausbrüche auftreten würden, etwa bei Bewohnern eines Altenheims oder bei Mitarbeitern lebensmittelverarbeitender Betriebe. Dann könnten Infizierte isoliert werden. „Welche Strategie man vor Ort bei einem Ausbruch verfolgt, können Gesundheitsämter mit ihrer Fachexpertise am besten entscheiden“, sagt Teichert.

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Hier im Blog stand mal:
Wenn man die Situation abschätzen will, dann müßte man mit Hilfe des Drosten-Testes in regelmäßen Abständen eine zufällig ausgewählte repräsentative Gruppe von Bürgern testen. Ein solches Vorgehen hätte die Chance, für irgendeinen Zweck nützlich zu sein, obgleich man mit Drostens PCR-Test nicht bestimmen kann, in welchem Zustand sich der Proband befindet, ob er andere Leute ansteckt, ob er die Krankheit bereits überstanden hat etc.
und
Kritische Anmerkungen wie die Gerd Bosbachs, daß die in Tests einbezogenen Testgruppen nicht repräsentativ seien, weil sie nur Risikogruppen enthielten, daß Tests mit schwacher Spezifizität wie dieser Drosten-Test am Ende der Pest keine Aussagekraft mehr besitzen, diese Corona-Viren andauernd mutieren, und die Mutanten nicht alle pathogen sind, u.v.a. heißen bei ihm Verschwörungstheorien.
Glaube, das habe ich selbst geschrieben. Bosbach ist der hier:

https://www.nachdenkseiten.de/?p=59617

Der Schreiber kann sich in bestimmten Punkten natürlich irren. Der sieht aber auch, daß der offizielle Standpunkt sich seinem allmählich annähert. Insbesondere, was das Thema Messen, Rechnen und Zählen betrifft, auf dem Gerd Bosbach Experte ist. Das finde ich merkwürdig, so als ob die betreffenden Behörden noch nie statistische Erhebungen betrieben hätten.

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Es ist methodisches Allgemeinwissen, für allgemeine Aussagen keine selbstselektionierten Kollektive zu nutzen. Genau das passiert, wenn Leute aus Risikogebieten kommen müssen, um einen Test zu erhalten.
Dieses methodische Allgemeinwissen ruft Verschwörungsirre auf den Plan, so welche wie gelegentlich oder mich. Die wundern sich, warum die WHO genau ihre Richtlinien so festlegen, wie sie festgelegt wurden, und nicht so, wie es an und für sich für irgendeinen Zweck sinnvoll und richtig ist. Liegt wahrscheinlich daran, daß ich MINT und Bersarin und h.z. bloß Geisteswissenschaftler sind, die Richtlinien der WHO für das ausschlaggebende Argumente für die Arbeitsweise eines Augsburger Virenlabors halten.

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Die Richtlinien der WHO bestimmen, dass Cov2-spezifische Testverfahren anzuwenden sind, wenn in einem bestimmten Gebiet noch kein Covid19 registriert wurde, und allgemeinere, weniger exakte Verfahren ausreichen, wenn die Gegend bereits durchseucht ist. So wie es aussieht hat das Augsburger Labor genau so gehandelt. Dennoch wissen wir nicht, wie die über 160 anderen deutschen Laboratorien gemessen haben, können also keine allgemeine Aussage über die Messgenauigkeit in Deutschland treffen. Im Unterschied zu Dir hat gelegentlich auch einen völlig anderen Test, bei dem auf Grippeviren gescreent wurde und kaum Corona gefunden wurde - diese war ja nicht Gegenstand der Untersuchung - als Nachweis dafür gewertet, dass der Cov2-Virus in Deutschland überhaupt nicht so verbreitet ist wie RKI und Johns Hopkins sagen. Dabei haben aber die Grippezähler zum Thema Covid19 auf die Webseite des RKI verwiesen und nicht etwa gesagt "Covid 19 ist gar nicht verbreitet". Gelegentlch unterstelle ich den Willen, Covid19 kleinreden und wenn nicht die Abstandsmaßnahmen so doch zumindest den Mundschutz abschaffen zu wollen, warum auch immer, aus Ideologie oder aus einer Denkstörung heraus. Dir unterstelle ich nichts dergleichen.


@" Liegt wahrscheinlich daran, daß ich MINT und Bersarin und h.z. bloß Geisteswissenschaftler sind" ---- Meines Wissens ist h.z. Informatiker. Und Geisteswissenschaftler Bersarin ist auch Sozialwissenschaftler, und die pauken Statistik bis zum Gehtnichtmehr.

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aha

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Dass schwere Fehler bei den Testverfahren stattgefunden haben und noch stattfinden steht außer Frage, aber dass dahinter eine staatlich gelenkte Manipulations- und Vertuschungsstrategie steckt zu behaupten halte ich für sehr gewagt.

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Habe gerade Trollbeiträge gelöscht
Und die Antworten darauf gleich mit weil das technisch nicht anders geht.

Nur fürs Protokoll: Mit der linksliberalen bis halblinken Szene habe ich nichts zu tun. Ich bin vielmehr ein Vertreter der extremen Linken, zumindest in der Theorie. Und mit McCarthie hat es ebenfalls nichts zu tun, wenn gegen in der Sache zum Teil falsche, vor allem aber in einem einerseits manipulativen Stil und andererseits in wahnhafter Unbeirrbarkeit vorgetragene Behauptungen argumentiert wird.


Ich kann nur einen Kenner der Thematik zitieren: "Diskussion tendenziell völlig sinnlos und der Typ
ist die personifizierte Zeitverschwendung.".

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Mit der linksliberalen bis halblinken Szene habe ich nichts zu tun. Ich bin vielmehr ein Vertreter der extremen Linken, zumindest in der Theorie.
Extreme Linke ist mir in der Regel zu gedankenlos. Außer Koschmieders Achte-Mai-Veranstaltung. Die sind radikale Linke, argumentieren aber differenzierter wie hier:

https://www.jungewelt.de/artikel/381330.rotlicht-gewaltmonopol.html

oder hier bezüglich des Kenjebsenismus:

https://www.jungewelt.de/artikel/380618.bill-gates-und-die-who-nur-ein-symptom.html

gegen Michael Moore hatten die auch Interessantes geschrieben. Finde ich aber nicht wieder.

Taleb muß man vorsichtig genießen. Der ist garantiert nicht links. Man muß aber gegenhalten können. Wer das aber versucht, der wird wahrscheinlich für halblinks oder linksliberal gehalten und fertiggemacht werden. Nicht von Taleb sondern von Extrem-Links.

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@"Extreme Linke ist mir in der Regel zu gedankenlos" --- was ich unter extrem links verstehe sind solche Theoriewelten wie die der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus, Wildcat, Grundrisse oder Prokla, und die gehören zum intellektuell anspruhsvollsten das es überhaupt gibt.


Die von Dir verlinkten Beiträge aus der Jungen Welt, denen ich durchaus zustimme, sind ja nun auch alles Andere als linksradikale Betrachtungen auf hohem theoretischen Niveau. Und auch nur links, nicht linksradikal. Wobei der Beitrag zur Gates-Stiftung und WHO wichtig, wertvoll und brilliant ist und ja auch in diesen Diskurs hinein passt, insofern herzlichen Dank dafür.

Taleb ist überhaupt kein politischer Theoretiker. Wenn Du mit Marx, Kropotkin, Freud, Reich, Adorno, Nietzsche, Weber, Senghaas, Wallerstein oder selbst Schumpeter argumentieren könntest gäbe es ja eine Ebene, aber so????

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