Dienstag, 15. März 2022
Vorher - Nachher, links geredet und rechts gelebt
Seit über 30 Jahren schlage ich mich mit der Tatsache herum, dass frühere GenossInnen die Seite wechseln oder zumindest sich von ihrer früheren Position aus betrachtet deutlich nach rechts entwickeln und dasskritische Diskussionen mit ihnen hierüber als weitgehend sinnlos sich erweisen.

Da ist der militante Antifa-Fighter, der später Tarnkappenbomber konstruierte oder der friedensbewegte Physiker, der dann an SDI forschte, ebenso wie die "Danger-Woman" genannte radikale Ausschluss-Feministin, die irgendwann ihre Foucault-Butler-und MEW-Bände auf den Müll beförderte und heute als Sub in einer BDSM-Beziehung mit ihrem früheren Psychotherapeuten auf Gomera lebt.

Oder die in Lack und Leder gekleidete Edelpunkerin aus dem JUZI, die in der Theorie Plündern gut fand und in der Praxis Ladendiebstähle beging.

Heute ist sie Firmenjuristin und damit beschäftigt, eiskalt als obsolet betrachtete MitarbeiterInnen loszuwerden.

Das sind die schillernden Gestalten. Weitaus weiter verbreitet sind die gefühligen Betroffenheitslinken, die heute auf ihren Lehrer- und Richterstellen sitzen und am knisternden Kaminfeuer romantisierend von früheren wilden Zeiten erzählen, aber eigentlich das System bis in die Haarspitzen affirmiert haben.

Detlef Hartmann hatte sich auf einer grundlegenden, makroökonomischen Ebene damit beschäftigt, wie Menschen so zugerichtet werden, sich dergestalt zu verhalten.

https://materialien.org/author/detlef-hartmann/

Ein anderes, relatriv neues Buch behandelt dieses Thema nun von einer anderen Perspektive her, nicht von der des Systems, die Menschen zur Anpassung treibt, sondern eher unter dem Aspekt, warum diese sich anpassen.

Michael Wengraf
Die rechte Revolution
Veränderte ein Masterplan die Welt?
Mangroven Verlag, Kassel, 2020

Hier eine Rezension, die ich bei jemandem gefunden habe, dem ich ansonsten wenig sinnvolle Einsichten zutraue:


"Die Antwort auf diese Frage wird im Grunde genommen schon im Titel gegeben und im Verlauf des Buches anhand der bekannten Entwicklung des Neoliberalismus begründet. Zwar kann man geteilter Meinung darüber sein, ob die von Michael Wengraf genannten Vordenker der neoliberalen Ideologie für die Ablösung des zumindest in Westeuropa hegemonialen Keynesianismus durch die neoliberale Variante des kapitalistischen Akkumulationsregimes unverzichtbar waren oder ob die Krise fordistischer Massenproduktion und -konsumption nicht so oder so einen die Verabsolutierung des Marktes betreibenden Paradigmenwechsel hervorgebracht hätte. Letzteres gesteht der Autor zu, folgt mit der These, daß neoliberale Ökonomen und Think Tanks für diese Weichenstellung verantwortlich waren, jedoch zugleich der, bei aller unterschiedlichen Gewichtung der maßgeblichen politischen Akteure und Kräfte, vertrauten Erzählung vom geschichtsbildenden Einfluß meist weißer männlicher Ideengeber.

Dabei ist ihm in der Kritik der antidemokratischen, den Menschen auf die Ratio der Kapitalverwertung reduzierenden und alle Welt der Verwertbarkeit um jeden Preis unterwerfenden Stoßrichtung des Neoliberalismus ohne weiteres zuzustimmen. Dieser in der Mitte der Gesellschaft längst angekommene Konsens erfüllt in der Mehrfachkrise des Spätkapitalismus jedoch vor allem die Funktion eines Trostpflasters, läßt sich so doch die Aussicht auf eine Rückkehr zur vermeintlich besseren Epoche keynesianisch-sozialdemokratischer Gesellschaftsordnung aufrechterhalten. Für die Bewältigung der anstehenden Aufgabe, die globale Krise anwachsender Verarmung, umfassender Naturzerstörung und neofaschistischer Restauration einzudämmen, ist das perspektivische Wechselspiel zwischen Neoliberalismus und Keynesianismus wenig hilfreich."......
Es geht bei der Analyse des Neoliberalismus aus marxistischer Sicht gerade um die Aufhebung des Ideologischen, Ökonomischen oder Politischen als isoliertes, unvermittelt Unmittelbares. Gegenstand muß vielmehr deren gegenseitige Bezüglichkeit und Widersprüchlichkeit innerhalb des Ganzen der rechten Revolution sein. Diese wiederum ist als jener (neoliberale) Prozess zu verstehen, der "Totalität als 'Vermittlung' des Gegensätzlichen und sich scheinbar Ausschließenden zur Einheit möglich macht".

Die mit einem Zitat Leo Koflers geübte Kritik am ideellen Gültigkeitsanspruch und Absolutheitscharakter neoliberaler Doktrin sollte die Verhinderung der titelgebenden "rechten Revolution" eigentlich beflügeln, wenn Wengraf dem damit gemeinten Neoliberalismus nicht zugleich eine Überzeugungskraft zuwiese, über die er angesichts seiner rapide erodierenden materiellen Basis längst nicht mehr verfügt. Allein den SachwalterInnen neoliberaler Ideologie den Begriff der Revolution zuzugestehen und damit die Absicht ihrer rechtsradikalen Fußtruppen, gesellschaftlich hegemonial zu werden und politische Macht auch mit dem Mittel des Putsches zu erobern, als eine Form grundlegender Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse anzuerkennen, wertet deren Einfluß unnötig auf. .....

Nicht von ungefähr unterbleibt eine Analyse der Bedeutung der französischen Gelbwestenbewegung bei aller Fürsprache für "Unterschichten" und "Marginalisierte" (S. 109) und dem häufigen Verweis auf Eribon fast vollständig. Dabei haben gerade die Gilets Jaunes gezeigt, daß ArbeiterInnen allemal zu sozialem Widerstand in der Lage sind, der sich rechtspopulistischen Vereinnahmungsversuchen als auch der Korrumpierung durch mediale und politische Angebote gegenüber resistent zeigt. Die dezentrale Selbstorganisation der Bewegung, ihre Militanz und Unbestechlichkeit, ihre spontane Bündnisfähigkeit wie ihre Öffnung für emanzipatorische Ziele aller Art sind Beispiele für gelungenen sozialen Widerstand, der nicht umsonst mit der ganzen Brutalität staatlicher Repression zerschlagen wurde. Während die Vereinnahmungsversuche der Rassemblement National unter Marine Le Pen fruchtlos blieben, ist der angeblich demokratische Widerstand der sozial eher mittelständisch aufgestellten Querdenken-Bewegung in der Bundesrepublik so rechtsoffen wie ein Scheunentor. Jener Populismus, den Wengraf als Antithese zur globalistischen neoliberalen Linken wertschätzt, hat daran nicht geringen Anteil.

Im Grunde genommen bedient der Autor die alte Leier des Generalvorwurfes, die Neue Linke habe dem Neoliberalismus den Boden bereitet, indem ihre Intellektuellen 1968 damit begannen, "ihren Horizont - und damit gleich den der Gesellschaft - einfach in Richtung Gender, Gendergerechtigkeit, Feminismus, Multikulturalität und anderes mehr zu verschieben. Über den Antagonismus von Arbeit und Kapital schweigen sie seither verlässlich." (S. 109) Wen auch immer Wengraf damit meint und wie sehr dieser Vorwurf etwa auf einstmals linksalternative GrünenpolitikerInnen zutreffen mag, die von ihm favorisierte Methode, die politisch zweckdienliche Instrumentalisierung emanzipatorischer Ziele von scheinbar ideologiekritischer Warte zu verallgemeinern und zu diskreditieren, läuft auf die Bezichtigung hinaus, mit den Kämpfen gegen Patriarchat und Sexismus, gegen Rassismus und Kolonialismus werde so etwas wie Verrat an der Arbeiterklasse betrieben."


http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar729.html#seite2

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