Freitag, 14. Mai 2010
Ulrike Heider sacht, wie es ist
Ich dachte gerade "was macht eigentlich Ulrike heute?" und tippte den Namen aus Langeweile bei Google ein, und dann stieß ich auf das hier:

http://www.isioma.net/sds03603.html


Würde keineswegs alldem zustimmen, aber es enthält viel Wahrheit. Und ist eine klatschende Ohrfeige ins Gesicht all derer, die immerzu behaupten, unsere Gesellschaft sei ein Ergebnis des Sieges der 68er, der tunlichst rückgängig gemacht werden sollte.

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Das müsste aber mal "tunlichst" fortgeschrieben werden. Das ist ja von heute so weit entfernt wie 68 vom Zeitpunkt, als diese Betrachtung verfasst wurde. Soooo lässt sich damit jedenfalls nicht allzuviel anfangen - außer dass es ein wichtiges und spannendes historisches Dokument ist.

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Ulrike Heider hatte 1988 ihr Buch "Sadomasochisten, Keusche und Romantiker. Vom Mythos Neuer Sinnlichkeit" als linksradikal-feministische Antwort auf Schwarzers PorNo-Kampagne und die Progagierung der so. "Neuen Sinnlichkeit" durch Wiener und Tempo geschrieben. Hier griff sie einerseits Schwarzer als lustfeindlich an, andererseits analysierte sie die Neue Sinnlichkeit mit ihren vielen Fetischismen als eine verdinglichte Art von Sexualität, die einherginge mit einer Verdinglichung von Menschen und sei genau deswegen bei eindeutig patriarchalen Männern, insbesondere Börsenyuppies so beliebt. Dabei stellte sie dann auch noch eine Querverbindung zu den Nouveau Philosophes und Baudrillard her, den sie als den Modephilosophen der Yuppies bezeichnete. Immerhin hatte sie empirisch gearbeitet, einschließlich Selbstversuch. Ich möchte nur bestreiten, dass das, was sie damals schrieb, über einen speziellen Frankfurter Zusammenhang und über den Zeitrahmen von 1988 hinaus verallgemeinerbar ist. Auch mit dem Fluchtpunkt, den sie da selber hat, wäre ich vorsichtig - scheint mir auf eine rationalen Erwägungen entsprechenden und zugleich grenzenlos lustvolle Sexualität hinauszulaufen, und das liest sich für mich wie so etwas ambivalent zwischen Normalisierung und utopischer Neuer Mensch. Wobei letzteres tatsächlich mal der Anspruch der "Sexuellen Revolution" gewesen war.

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Und um da weiterzumachen: Bei der Kurz-nach-68er-Generation scheint es ein starkes Bedürfnis gegeben zu haben, Sex und Politik so miteinander in Übereinkunft zu bringen, dass ein progressives Sexualverhalten dabei herauskommt. Vom Ansatz her nicht falsch, aber subjektive Bedürfnisse vernachlässigend oder postulierten politischen Positionen unterordnend. Hätte fast "Auweia!" geschrien, als Jutta Dithfurt im persönlichen Gespräch meinte, Fantasy-Rollenspiele seien mit linken Vorstellungen wegen ihres Mystizismus nicht vereinbar, mensch solle doch lieber rationale Formen der Freizeitgestaltung finden. Da ebnet rationalistische Theorie Empfindungsmöglichkeiten ein. Das Problem scheint auch Kritikaster zu haben.

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Das Problem ist, dass Ihr kein Problem habt. Ich verfolge das, was netbitch über sich schreibt schon seit Längerem und bin dann bald auch hier gelandet, aber ich sehe das halt durch meine Brille. Die Brille einer unbebrillten Frau Ende 20, die die Souveränität einer netbitch bewundert und die Offenheit Eurer Diskussionen toll findet, aber sowas nie erlebt hat. Frauen, die sich zu SM-Bedürfnissen bekennen, dabei links sind und weder Dominas noch Sklavinnen, Männer, die Patriarchatsdebatten führen und dabei ihre Schwächen veröffentlichen bis hin zu der Frage, ob sie denn überhaupt für Frauen attraktiv wären und das dann in einen politischen Zusammenhang stellen, wobei Ihr alle wohl altbewährte Politaktivisten seid und Euch ständig selber in Frage stellt. Wow! Sowas ist mir noch nicht untergekommen, weder im Web noch im echten Leben. Ich wäre viel zu schüchtern, um derartige Fragen zu diskutieren. Tut Ihr das im richtigen Leben auch? Ich vermute, ja. Faszinierend.

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Dann mal ganz klarer Klartext
Ich finde es ja schön, online mal von einer Frau bewundert zu werden, kommt viel zu selten vor. Schwester (ich darf Dich so anreden?), ich habe Probleme damit, dass ich als selbstbewusste Frau die bin, die ich bin und das nach außen vertrete. Männer irritiert das oder geilen sich daran auf, Frauen empfinden das als Konkurrenzverhalten. Die besagte Offenheit war in linken Gruppen mal normal, aber vor meiner Zeit, als ich sie selber einforderte schon nicht mehr. Ich bin eine toughe Marketingmanagerin, die trotz ihres Jobs (oder gerade deswegen) linksradikal eingestellt ist. Ich habe eine Beziehung mit einem Mann, der als Autoreparierer, Gelegenheitsjobber und Ab-und-Zu-Wissenschaftlicher-Mitarbeiter zwischen sämtlichen Stühlen schwebt und wohl konventionell in der sozialen Hierarchie unter mir anzusiedeln wäre. Und wir haben eine Beziehung ohne Tabus. Da gibt es kuschelige Zärtlichkeit wie auch SM. Und ich fühle mich da in jeder Beziehung mit mir im Reinen. Dass Che, der unglücklich in mich verknallt ist (Genossen habe ich auch diesen Genossen), Momo, der meine ausdrückliche und unverblümte Art schätzt und Nörgler, der ein alter Weggefährte von Dotcomtod ist meine Selbstdarstellung, die für mich höchst wichtig ist, befördern und unterstützen finde ich ganz groß. Vier vertreten ja auch ähnliche Grundsätze. Gegen Schüchternheit, gegen Mainstream, gegen Lustfeindlichkeit, gegen die Normalität.

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Ich habe ja selber in der linken Szene deren großenteils ätzend rigide Sexualmoral kennengelernt, auch bei ganz engen GenossInnen. Ich erinnere mich da noch an Positionen wie die, dass man entscheiden müsse, welche seiner sexuellen Fantasien man umsetzte und was nicht, und das wurde, gerade hinsichtlich von SM-Fantasien, als eine moralisch-ethische Verantwortungsfrage gesehen, und auch, welche Fantasien man als Fantasie bei sich zulasse und welche von Vornherein nicht. Das war im Grunde die auf materialistisch-antipatriarchale neue Füße gestellte Vorstellung von Sünde und Versuchung. Dass Linke keine Pornos sehen und nicht im Sexshop kaufen wurde als normativ gegeben und nicht verhandelbar angesehen. Also, der Kritikaster entspricht schon so ziemlich dem, was ich aus meiner Szene-Vergangenheit kenne.

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Uff, so war das? Da hast Du aber immer nur die offizielle Postkartenseite des Ganzen kennengelernt, scheint mir. Ich war ja nie Hauptaktivistin, sondern immer nur Mitläuferin, aber das kenne ich anders. Ganz anders.

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Und um mal an Ulrike Heider anzuknüpfen: Das war eben 1988. Es gab damals, so weit ich weiß, keine BDSM-Szene, die sich mit Schwulen- und Frauenlesbenszene solidarisierte und von der autoritär-patriarchalen Haltung eines de Sade abgrenzte, sondern dieser ganze Bereich wurde damals in der Öffentlichkeit sehr stark dem Rotlichtmilieu zugeordnet. Wiener und Tempo machten da in ihrer Propagierung von SM und Fetischismus auch keine Distanzierung in diese Richtung, zumal im Wiener Anzeigen kommerzieller Huren erschienen, als das in Zeitungen noch nicht üblich war. Insofern hatte Heider zu ihrer Zeit Recht.

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@Postkartenseite: Natürlich war das nur die "offizielle" Seite, dass es da im gelebten Leben z.T. rattenscharf abging ist mir klar, aber das wurde niemals thematisiert. Ich kann mich an Diskussionen in meiner damaligen Männergruppen erinnern, die auf Kuschelsoftiesex als einziger erlaubter Praxis hinausliefen sowie auf Selbstbestrafung. Sowas wie Dein mißlungener Saunaflirt wäre gar nicht möglich gewesen, denn es wurde vertreten, dass Heteros nur in Männersaunen gehen dürften, um die pure Möglichkeit eigener begehrlicher Blicke auf Frauen zu verhindern. Und dass ich in gemischte Saunen ging und die durchaus als Kontaktanbahnungsmöglichkeit betrachtete galt als sexistisch und politisch unkorrekt.

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Na ja Che, ich habe da ja auch schon eher unangenehme Erfahrungen gehabt.


http://netbitch1.twoday.net/stories/4546098/#4551202

Und dass Du ein Nichtdirektdraufgucker bist glaube ich auch nicht. Eher ein schwanzgesteuerter Wissenwoller. Was ich gar nicht schlimm finde, aber es gibt Situationen, in denen frau sowas nervt. Ich kenne sogar einen Fall, in dem eine Frau mit einem Tüpen ins Bett ging, weil sie ihn für seine zu eindringlichen Blicke (kicher, er wollte ja eindringen) anpisste, er sich errötet entschuldigte und sie das dann ultraerotisch fand - das Schwein zeigt Reue, fährt aber immer noch auf sie ab -geilomat! Aber deswegen gemischte Sauna verbieten zu wollen ist talibanesk.

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So, jetzt mache ich mal ein Fass auf. Ja, ich bin ein Augenmensch und Hingucker, und wenn Frauen sich durch meine Blicke belästigt fühlen tut mir das Leid. Ich kenne aus meinem weiblichen Bekanntenkreis Schilderungen in die Richtung, mitunter den Spaziergang in der Fußgängerzone wie einen Spießrutenlauf zu erleben aufgrund von Männerblicken, und das finde ich absolut scheiße. Einerseits. Und andererseits frage ich mich, was zum Teufel unterhalb der Ebene direkter Anmache oder gar körperlicher Belästigung eigentlich so schrecklich daran sein soll, optisch signalisiert zu bekommen, einen begehrenswerten Körper zu haben. So ein Blick kann doch auch als Kompliment wahrgenommen werden. Ich finde es ja schade, dass das Weibsvolk mir nicht auf den Hintern guckt, meinetwegen sollen sie sich auch die Lippen dabei lecken oder mir hinterherpfeifen - ich fände so etwas geil. Eines der erotischsten Techtel meines Lebens, das ist jetzt über 20 Jahre her, wurde dadurch eingeleitet, dass eine Genossin mir unvermittelt in der Kneipe an die Eier fasste. Ich wünschte mir, dass es mehr Frauen gäbe, die so drauf sind, leider werden das zunehmend immer weniger. Und dann finde ich auch seltsam, was da so an moralischen Wertvorstellungen mit Sexualverhalten verknüpft wird. Etwa die Nummer, dass ein Mann mit häufigen Seitensprüngen bzw. häufig wechselnden Beziehungen ein toller Hecht ist, eine Frau hingegen eine Schlampe. Also für mich ist Promiskuität bei einer Frau eher ein Grund für Hochachtung. Denn sie beweist Risikobereitschaft und Mut (das Risiko, sexuell belästigt oder gar vergewaltigt zu werden ist für Männer null, das sieht für eine Frau auf der freien Piste aber ganz anders aus), Experimentierfreudigkeit, funktionierende Triebe und maximale Ausnutzung der eigenen Möglichkeiten, also das genaue Gegenteil von einem neurotischen oder depressiven Verhalten. Die Geringschätzung, mit der die meisten heterosexuellen Männer "schlamperten" Frauen begegnen ist mir tatsächlich emotional nicht nachvollziehbar. Bei mir gibt es dann eher Bewunderung.

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Wow, ja, Chedermann, der neue Mann!
@Und andererseits frage ich mich, was zum Teufel unterhalb der Ebene direkter Anmache oder gar körperlicher Belästigung eigentlich so schrecklich daran sein soll, optisch signalisiert zu bekommen, einen begehrenswerten Körper zu haben.
Du müsstest wohl wirklich in einem weiblichen Körper leben, um das nachvollziehen zu können. Ich finde Deine Haltung ja toll, ohne Flax, bringen sonst kaum Heteromänner, aaaaaber Du stehst trotzdem auf der anderen Seite. Für mich bist Du ein Verbündeter im Männerlager, aber immer noch ein Mann. Vielleicht ist es ja der angeborene Schwachsinn des Weibes, dass wir diese Blicke nicht als Komplimente wahrnehmen ;-). Als wir uns das letzte Mal Face-to-Face unterhalten haben, hast Du mir achtmal auf die Titten geguckt, und ich habe siebenmal meine Weste zugezogen. Hätte ich auch lassen können, aber ich fand diese Blicke lästig oder: nicht themengemäß.Obwohl ich Dich mag. Es ist vielleicht ein echtes Drama, dass Männer Frauen ständig primär sexualisiert wahrnehmen, Frauen sich aber gar nicht trauen, Männer auch so wahrzunehmen oder zu äußern, dass sie das tun. Dieses beguckt werden, sich darüber ärgern, aber dem Tüpen nicht sagen "entschuldige mal, aber wie Du mich gerade angeguckt hast finde ich nicht so okay, könnteste Du das lassen", sondern sich bei der Freundin beschweren, dem Kerlinger gegenüber aber schweigen und leiden halte ich für völligen Blödsinn. Und um noch mal darauf zurückzukommen, wie Du dunnemals über mich herfielst: Das war männliche Dominanz pur, aber es war geil. So, Feminist der ersten Stunde, dann grüble mal!

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"Vielleicht ist es ja der angeborene Schwachsinn des Weibes, dass wir diese Blicke nicht als Komplimente wahrnehmen ;-)"

Lateinamerikanische Frauen sehen das in der Regel viel lockerer. Primatenverhalten schätzen sie natürlich auch nicht, aber wenn der Mann (egal ob 17 oder 70) NICHT auf den Prachthintern guckt, gilt das fast als Beleidigung :-)

Männer sind halt leider nur selten in der Lage, die Blicke von Frauen ebenfalls nur als schlichte Anerkennung von (sexueller) Attraktivität zu werten. Und während viele Frauen durchaus in der Lage sind, interessierte Blicke von Männern, die sie selbst nicht attraktiv finden, dennoch einfach als Kompliment zu werten, das gute Laune macht, kommen Männer mit sowas ganz schwer zurecht.

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