Samstag, 29. Oktober 2011
120 Tage von Sodom oder Du hast ja Filme am Laufen
Zu meinen liebsten Beschäftigungen gehört es, mit anderen Leuten zusammen anspruchsvolle Filme zu sehen und anschließend über diese zu diskutieren. Bei keinem waren die Gespräche so kontrovers und vielschichtig wie bei Pier Paolo Pasolinis "Saló" aka "Die 120 Tage von Sodom".

http://de.wikipedia.org/wiki/Die_120_Tage_von_Sodom_(Film)

Um es vorweg zu nehmen: Ich halte diese Film für ein Meisterwerk. Nicht nur als Umsetzung des Buchs von de Sade, sondern als Parabel auf den Faschismus, dessen Stützen der Gesellschaft in Form der Viererbande verkörpert sind, mit je Tätergruppe un terschiedlichen Vorlieben und Gewohnheiten (z.B. hält sich der Monsignore beim Vergewaltigen und Foltern eher zurück und übernimmt die Rolle des Voyeurs, ist aber trotzdem eine der treibenmden Kräfte, was sowohl der Rolle der katholischen Kirche im Faschismus als auch der der Priester bei der Inquistion entspricht.


Es gibt Leute, die mein Interesse an diesem Film teilen, teilweise zu Symbolik und Hintergründen der Charaktere viel mehr wussten als ich und mir mit ihrem Wissen und ihrer Beobachtungsgabe sehr auf die Sprünge halfen, andere schreckte die exzessive Gewalt und Dinge wie Scheiße fressen einfach nur ab.


Gar nicht diskutieren konnte man diesen Film mit dem Großteil meines engeren Szeneumfelds. In meiner letzten WG dachte ein Wohngenosse und damals enger Freund, es handele sich schlicht um einen Hardcoreporno, wobei er auch noch die 120 Tage und Fellinis Stadt der Frauen für ein und densdelben Film hielt. Als ich ihm Inhalte und Unterschiede erklärte war er entsetzt. Entsetzt darüber, dass ich diese beiden Filme gesehen hatte, denn für ihn war eisenhart klar, dass ein Linker sich so etwas nicht ansieht. Die Antipornohaltung mancher GenossInnen war analog der Einstellung, die ein Mensch des 14. Jahrhunderts zum Teufel gehabt hätte. Noch nicht einmal Brian de Palmas "Der Tod kommt zweimal" war in Szenekreisen sehbar, da nach Auffassung einiger Leute bereits die ersten 5 Minuten so voller Sexismus starrten, dass lautstark "abschalten!" verlangt wurde.


Völlig anders reagierten ein paar aus Indien stammende Kumpel auf die 120 Tage von Sodom: Die fanden ihn gut, nahmen ihn aber als gutgemachte Mischung aus Porno und Splatterfilm wahr. Dies waren neben den für sie im Mittelpunkt und Vordergrund stehenden Bollywood-Produktionen die Filmsorten, die sie am Meisten konsumierten, und die gesamte europäische Geschichte war ihnen völlig unbekannt, sie konnten auch mit dem Namen Mussolini nichts anfangen (Hand aufs Herz: wer weiß schon, was Jainas sind oder was die Yogacaras war?). Tja, es gehört halt ein bestimmter kultureller Kontext dazu, innerhalb dessen man einen Film schaut.

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linkes MELPA-Getue
Ich schätze, man(n)/frau muss zunächst bei den einschlägigen linken MELPAs eine Genehmigung erfragen. Es gibt tatsächlich Leute, die sich - in völliger Respektlosigkeit anderen gegenüber - für die ultimative ethische Instanz halten. deren gerichtsähnliche Entscheide (bzw.: Auffassungen) nicht hinterfragbar sind. Echt jetzt. So soll es beispielsweise Weiße geben, die zwar reaktionär und überaus klassizistisch agieren, aber zugleich sich ausgerechet als Großsprecher von multidiskriminierten Schwarzen gerieren, stets darauf sinnend, irgendwem irgendwelche "Verstöße" gegen irgendwelche Ismus-Regeln nachzuweisen, dabei Sachverhalte munter wie vernagelt verdrehen - und dann anschließend hochempört laut aufzuschreien, quasi als der inszenierte Ultrabeschützer, als MELPA ("most ethical leftist person alive").

So sinnlos so ein Treiben auch sein mag: Das gibt es. Politik zieht ja generell viele problematische Menschen an, die ihre individuellen Machtbedürfnisse ausleben - und zwar leider auch in linken Gefilden, wo es eher um Machtkritik und einen gleichrangigen Diskurs gehen sollte.

Es kann kein linker Mensch in Ruhe leben |
Wenn es dem linken Richter nicht gefällt |
Dein Irgendetwas-Ismus: "Sehr daneben!" |
Das ist die harte Währung, die hier zählt |

Konkreter gesagt: Wenn *du* so etwas ansiehst und diskutierst, dann ist das für so manchen Typen böse. Und zwar einfach, weil es so völlig geil ist für manche Leute, irgendetwas aus ihrem näheren Umfeld - trotz besserer Kenntnis - für böse zu erklären.*

Und die Moral von der Geschicht ist immer:
Wo es geht, da meide man die Spinner.


* Das ist es, was ich vor allem als einen Ausdruck von individuellen Machtbedürfnis sehe. Verblüffend viele linke Diskurse werde von solch Archlochgehabe zerstört. Nachtrag: Habe den Text abgeändert. Beim kritisierten Begriff "linkes Blockwartgetue" habe ich mich beim Schreiben auch unwohl gefühlt. MELPA finde ich treffender.

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