Samstag, 18. Mai 2013
Eine kleine Zeitreise: Wir werden nicht nur älter, wir bleiben auch länger jung
Wenn ich zurückreise in die Zeit, als ich selber noch zur Grundschule ging und mir ansehe, wie Lebenserwartung und das Verhältnis zu Altern und Altsein damals aussah und wie sich das heute verhält kommen mir so einige Überlegungen. Es ist wohlfeil, den aktuellen Jugendkult nur schlecht zu finden und zu beklagen, dass diese Gesellschaft sich mit Alter, Altern und dem Tod nicht auseinandersetze außer in Form von Demographie-Alarmismus, aber das greift zu kurz und ist zu einseitig. Der Jugendkult hat auch seine guten Seiten. Ich kann mich lebhaft erinnern, was Alter damals bedeutete. Während die Lebenserwartung in Deutschland heute bei 79 Jahren bei Frauen und 78 bei Männern liegt waren das damals 69 und 67, wir werden also gut 10 Jahre älter. Nur gab es damals keine Leute mit 60 plus im Fitnessstudio, keine über 50 jährigen Jogger in den Parks und keine Ü30 Parties. Die mittlere und die ältere hoben sich schon rein optisch von der jüngeren Generation ab, un das auf eine Art und Weise, die mit Konventionen und eingeschränkten Möglichkeiten und nicht mit Freiheiten zu tun hatte. Frauen über 40, die in sexy Outfit, etwa tiefausgeschnittenem kleinen Schwarzem, Nylonstrümpfen und hohen Stiefeln umherliefen gab es nicht (außer im Rotlichtmilieu), noch nicht mal solche mit offen getragenen langen Haaren oder trendy Kurzhaarfrisuren. Die Frau ab 40 hatte asexuell und züchtig herumzulaufen. Hochgeschlossenes Kleid in langweiligen Farben wie schilfgrün, mausgrau oder beige, Kittelschürze und Dutt waren angesagt. Frauen über 40 trugen Omi-Look, und das drückte auch etwas aus: Sex hatte der gesellschaftlichen Konvention zufolge in dieser Altersgruppe passé zu sein, jedenfalls für Frauen. Meine Klassenlehrerin auf der Grundschule (die uns noch schlug) hatte mit Anfang 40 die Ausstrahlung einer über Sechzigjährigen heute. Leute im tatsächlichen Rentenalter bildeten dann eine Kategorie für sich. Sie trugen Kleidung, die sonst niemand trug. Rentner im Jogginganzug oder in Lederjacke wären undenkbar gewesen. Ebenso war es nicht üblich, dass generationenübergreifend große Volksmengen in öffentlichen Parks grillten. Es saß auch überhaupt niemand vor Restaurants oder Cafés draußen, als das Anfang der Achtziger aufkam sprach man von französischen Verhältnissen, die jetzt Einzug hielten. Nein, die Parks bevölkerten einerseits wir Kinder, die da rumtobten, Verstecken, Indianer oder Fußball spielten, und zum anderen die RentnerInnen, die auf Bänken saßen ähnlich wie die drei alten Korsen bei Asterix und zumeist dünne, verknitterte Mäntel trugen, die oft noch aus den Dreißigern stammten und denen Klaus Hoffmann in seinem Song "Die alten Weiberlein" ein Denkmal gesetzt hatte. Sportlich sein, sich öffentlich zu vergnügen, Up to date und hip sein, das schied für alte Leute grundsätzlich aus. 65 + bedeutete sichtbar getragene Hinfälligkeit. Und insofern hat es durchaus Vorteile, dass Leute im Alter von 30+, 40+ oder in der midlife crisis so etwas wie eine verlängerte Jugend leben. Den Generationen vor ihnen war das nicht möglich gewesen. Wenn ich da an eine Werbung denke mit einer joggenden Bankdirektorin im Hoodie und mir überlege, dass in meiner Kindheit auf dem Job nur ältere Männer in Nadelstreifen (und zwar auch in ihrer Freizeit) denkbar waren wird der Unterschied ziemlich deutlich. Dass dieses Sichselbstneuerfinden allerdings äußerlich bleibt und die Gesellschaft damals soziale Sicherheiten bot die heute schon nicht mehr vorstellbar sind ist die Kehrseite der Medaille.

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Es war wohl auch in den 60ern, meine ich, als die 'Lohntüte' allmählich durch die Überweisung aufs Girokonto ersetzt wurde, Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft als Sicherheit für Kredite einsetzen konnten. Aus dem VW Käfer wurde bald der VW Variant und daraus der Mercedes, wenn es mit der Karriere gut lief. Unter dem Armaturenbrett eine Halterung, an der ein Kofferradio hing und eine Mischung aus Schlagern und jener Beatmusik tönte, die man den tolerantesten Wohlstandsbürgern gerade noch zumuten konnte, wie Penny Lane von den Beatles oder Lady Madonna, was bei mir heute noch Deja Vus hervorrufen kann. Es war die Geburt der Konsumgesellschaft und gleichzeitig der Jugendkultur, hie die Tüchtigen, Schaffenden, dort die Gammler. Kein Lied veranschaulicht diese Zeitenwende in Deutschland so gut wie Freddy Quinns unsägliches "Wir!":
Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? WIR!
Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? WIR!
Ihr lungert herum in Parks und in Gassen,
wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? WIR! WIR! WIR!

Sinnlose Faulheit besteht heutzutage darin, einen Urlaub unter Palmen auf Kredit zu machen - wie die Zeiten sich doch ändern. Die gute alte Lohntüte war vielleicht doch gar nicht so schlecht...

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Danke für diese Schilderung, daran kann ich mich nicht erinnern - meine Erzählung bezieht sich auf die Anfangsphase der Ära Helmut Schmidt.

Btw: In meinem Elternhaus zahlen die MieterInnen bis heute die Miete in bar in eine Stahlkassette. Und ein Großteil der RentnerInnen die ich so kenne hat auf die Umstellung der hiesigen Sparkassenfiliale von persönlichem Service auf reine Automatendienste völlig hilflos reagiert. Die wickeln jetzt ihre Bankgeschäfte per Brief oder Boten (Kinder und Enkel) ab. Und Online-Banking ist schon für viele 50+ Leute die ich so kenne far out.

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Seltsam, da habe ich eine völlig andere Wahrnehmung. Gerade jetzt am Wochenende war ich immer wieder von alten Leuten umgeben, die sich ausdauernd über die Vor- und Nachteile ihrer smarten Telefone unterhielten. Mit alt meine ich 70 und mehr.

Einen habe ich angemotzt, dass hier Claudia Schiffer (oder wer auch immer) nackt vorbeilaufen könnte und er es vor lauter Telefonglotzerei nicht einmal mitkriegen würde.

An die Internetabstinenz der Rentner glaube ich nicht.

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Das hat vielleicht auch mit dem Bildungsstand der Rentner in meiner Umgebung zu tun. Volksschulabschluss, Handwerkslehre (ungefähr so zur Zeit des Koreakriegs, jedenfalls noch unter Adenauer), dann in die Werkstatt oder ans Band, zeitlebens keine Weiterbildung ist der Normalzustand. Selbst meine eine Schwester, die ist in den 50ern und Lehrerin, kann sich ans Internet nicht gewöhnen, Gleiches gilt für eine alte Freundin (Physiotherapeutin), bei der noch eine 4 vorne steht. Über das Medium email erreicht die niemand, weil die einfach keine liest, bzw. quartalsweise abruft.

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