Montag, 23. Oktober 2006
Vielerlei Kapitalismus
Im Rahmen einer interessanten Debatte http://che2001.blogger.de/stories/574233/ schrieb Rayson, dass eine in wesentlichen Teilen von einer autoritären Führung gelenkte Wirtschaft alles andere als kapitalistisch sei, in diesem Sinne sei der NS/Faschismus eigentlich kein politisches System innerhalb des Kapitalismus. Die von mir vorgetragene Definition des Kapitalismus als Marktwirtschaft mit Privateigentum an Produktionsmitteln und Mehrwertschöpfung als Produktionsziel wies er als zu unvollständig und zu speziell zurück, da auf jeden Fall der freie Markt und die von staatlichen Zwängen unkontrollierte Wirtschaft hinzugehörten. http://martinm.twoday.net/stories/2768707/#2770304


Ich habe darüber nachgedacht, mich ein wenig in der Geschichte umgesehen und bin zu dem Resultat gekommen, dass Kapitalismus dann wohl ein eher randständiges und nur in historischen Ausnahmesituationen auftretendes Phänomen sein dürfte, wenn man diese Definition eng auslegt und richtig ernst nimmt. In der ganzen Nachkriegszeit bis zum Auftreten von Reagan und Thatcher war der hoch regulierte keynesianische Wohlfahrtsstaat der Normalzustand der westlich-kapitalistischen Welt, eine Gesellschaftsformation, in der ich aufgewachsen bin und die mich prägte. Eine andere Kapitalismusdefinition vertritt mein Vater, der mittlerweile auf Diskussionsrunden wie die von Sabinsen von gestern Abend mit blankem Hass reagiert. Für ihn ist der Sinn und Zweck einer kapitalistischen Wirtschaft, ihre einzige Existenzberechtigung, die Finanzierung eines Sozialstaats, und darunter stellt sich mein Vater den Sozialstaat der 1970er Jahre vor, wo es noch selbstverständlich war, dass man für Zahnersatz und Brille absolut nichts dazuzahlte, Hausbesitzer Renovierungsarbeiten vom Staat bezuschusst bekamen und der Arbeitnehmer als Solcher alle 5 Jahre eine vom Staat bezahlte Kur machte, unabhängig davon, ober er krank war oder nicht. Für meinen Vater hat das politische System der Bundesrepublik Deutschland seit Verabschiedung der Hartz-Gesetze jede Existenzberechtigung und moralische Legitimität verloren. Dabei ist mein Vater nicht etwa ein linker Intellektueller, auch kein dem Kapitalismus besonders fernstehender Mensch, sondern ein pensionierter Bankdirektor, der seine politische Sozialisation in der Ära Adenauer/Ehrhardt/Kiesinger erhalten hat. Diese Ära zeichnet sich durch ein hohes Maß an Koporatismus aus. In Permanenz über Jahre tagende gemischte Kommissionen aus Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Regierung bzw. Krankenkassen, Ärztekammern und Regierung legten Löhne, Gehälter, Arbeitszeiten und Finanzierung des Gesundheitswesens fest, ohne dass es zu Arbeitskämpfen kam, die entscheidenden Beschlüsse fanden auch nicht in Tarifrunden und nicht im Parlament, sondern in den Kommissionen statt (Konzertierte Aktion). Ludwig Ehrhardt bezeichnete die soziale Marktwirtschaft mit ihrem hohen Organisationsgrad in Form mächtiger und die Sozialpolitik gestaltender Verbände selbstgefällig als die "Formierte Gesellschaft". Etwas, womit meine Eltern hautnah zu tun hatten, war die staatliche Zwangsverwaltung des Wohnungswesens, die bis 1965 bestand. Bedingt durch die Wohnraumverluste des Bombenkriegs besaßen die Wohnungsämter die Macht, jedem Hausbesitzer Mieter zuzuweisen. So wohnten meine Eltern als Besitzer eines mehrstöckigen Mietshauses in der eigenen Wohnung mit zwei anderen Familien zusammen, mit denen sie sich Küche, Bad und Toilette teilten. Sie bewohnten mit zwei Kindern innerhalb der eigenen Wohnung lediglich ein Zimmer. Mietern zu kündigen war nur bei schweren Verstößen möglich, in einem Fall reichte die Tatsache, dass ein Mieter einer Mitbewohnerin eine Bratpfanne über den Schädel gezogen hatte nicht aus, um ihn rauszuklagen. So gestaltete sich die dynamischste Wachstumsphase des deutschen Kapitalismus, das sog. Wirtschaftswunder, zugleich als eine Welt mit einer heute höchst sozialistisch anmutenden staatlichen Mangelverwaltung.Wenn wir über die Grenze schauen: Unter gaullistischer Ägide, also von 1958 bis 1972, wurden in Frankreich Mindestlöhne und Höchstpreise durch Präsidialdekrete geregelt.

Weiterhin: Wenn Kapitalismus an freie Märkte und das Fehlen staatlicher Regulierungen gebunden ist, dann hat er zu Zeiten von Adam Smith, David Ricardo und Karl Marx ebensowenig existiert wie Marxens Sozialismus. Konzepte wie "die unsichtbare Hand", "das freie Spiel der Kräfte" und der liberale "Nachtwächterstaat" waren ja keine Beschreibungen einer vorgefundenen Realität, sondern Idealbilder liberaler Philosophen. Die Staaten, in denen diese lebten, subventionierten sich selbst durch Schutzzölle, besaßen eine in verschiedener Hinsicht noch merkantilistische Wirtschaftsordnung und schufen sich in Form der Kolonien gerade gänzlich künstlich organisierte, auf die Bedürfnisse der imperialistischen Mächte und ihrer monopolistischen Kolonialhandelsgesellschaften hindesignten Märkte.

Schließlich und endlich wäre etwa auch zu fragen, inwieweit gerade die heutigen USA, deren treibender Wirtschaftsfaktor ein zu 100% auf Staatsaufträge angewiesener und staatlich subventionierter Aerospace- und Rüstungssektor darstellt, ein typisches Beispiel für einen radikalen Liberalkapitalismus darstellen.

Ich würde viel eher sagen: Ob das aktuelle Deutschland, der norwegische und finnische "Volksheim"-Wohlfahrtsstaat, das anglo-amerikanische Modell, aber auch faschistische Diktatur oder der chinesische Sonderweg einer kapitalistischen Modernisierung unter formal kommunistischem Regime, dies alles sind Formen kapitalistischer Gesellschaften, nur eben mit jeweils unterschiedlichem Charakter.

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Einverstanden - ein in meinem Sinn definierter Kapitalismus ist mehr ein Ideal als eine Realität. Aber das dürfte auf alle politischen Vorstellungen zutreffen. Nichts fällt ja vom Himmel, sondern alles wird aus Vorhandenem. Deswegen ist für mich Politik auch, neben der Interessenvertretung, die pragmatische Umsetzung von Idealen - so verstehe ich auch deinen "altersweiseren" Ansatz: Nicht nachlassen im Anspruch, aber geduldiger und realistischer bei der Implementierung - statt Warten auf die Revolution, die mit einem Knall alles löst, lieber stetig und beharrlich einen kleinen Schritt nach dem anderen.

Aber ich finde das nur fair: Manche Linke machen es sich zu einfach bzw. sitzen vulgär-marxistischen Vorstellungen auf, wenn sie sich ihre Gegner aus dem "liberalen Lager" ausschließlich als Verteidiger gegenwärtiger Zustände vorstellen und diese Zustände dann zum "Kapitalismus" schlechthin erklären (wie auch viele Linke sich zu Recht dagegen wehren würden, mit der untergegangenen DDR identifiziert zu werden). Daraus entstehen dann so verwunderte Fragen wie in einer der oben verlinkten Diskussionen, warum man als Liberaler nicht einen Zustand begrüßt, in dem es einer bestimmten Gruppe von Menschen besonders gut geht. Diese Empfehlung kann ich nur allen politisch Engagierten von links bis rechts geben: Ihr habt mehr von der Diskussion, wenn ihr eure Gegner nicht mit den Abziehbildern verwechselt, die ihr euch als ihre Stellvertreter gebastelt habt.

Eine Reduktion von Kapitalismus auf Privateigentum (die "Schöpfung von Mehrwert" ist für mich eh nicht existent, aber vielleicht kann man das ja als "Wertmaximierung" übersetzen) hätte aus linker Sicht natürlich den Vorteil, offensichtlich wenig attraktive Regime wie das eines Pinochet oder eines Franco miteinzuschließen, so dass man hier den Esel meinend kräftig auf den Sack einschlagen kann. Aus meiner Sicht wäre dieser Begriff dann aber nicht geeignet, liberale Ideale abzubilden. Dann müssten wir vielleicht tatsächlich konsequent Marktwirtschaft oder wie Eucken Wettbewerbswirtschaft sagen, um die Unterschiede deutlich zu machen.

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Zur historischen Betrachtung vielleicht auch noch eine private Anekdote: Die Tochter meiner Liebsten beginnt jetzt ihr Studium in einer schwäbischen Universitätsstadt und hat ihr Quartier etwas außerhalb bezogen.

Dort gilt es als selbstverständlich, dass man sich bei entsprechenden Problemen einen "zuständigen" Elektriker von den Stadtwerken zuweisen lässt bzw. sich nur an "niedergelassene" (was auch immer das ist) Elektriker wendet. Und dass man sich seine Lampen nicht vorher kauft und dann vom Elektriker anbringen lässt, sondern diesem zusätzlich durch den Erwerb einer Lampe aus seinem Sortiment die Gelegenheit zu einem schönen Handelsgewinn gibt.

Das ist mehr mittelalterliches Zunftwesen als Kapitalismus.

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Was ich schön finde, ist, dass hier persönliche Erfahrungswelten und historische Betrachtungen munter zu interessanten Gesamtbildern kombiniert werden. Und auch, dass hier Leute gepflegt miteinander diskutieren, die sich früher mal in Freund-Feind-Frontstellungen gegenüberstanden. Nebenbei: Kaum, dass die von Che erwähnte Wohnraum-Zwangsbewirtschaftung abgeschafft war, kam es zu den ersten Spekulationsskandalen um Wohnflächen und als Klassen-Selbsthilfe dann zu Hausbesetzungen.

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Die Frage, die ich bei vielen "Linken" vermisse ist:
Warum hat sich der Neoliberalismus soweit durchgesetzt?
Warum gelten Reagan und Thatcher in ihren Ländern als populär für eine Menge Leute?
Anfang der 80er Jahre befürchtete man Protektionismus von Entwicklungsländern als Haupthindernis von Handelsliberalisierungen. Heute ist es eher der Protektionismus von Europa und der USA. Warum ist das so?
Warum blieb die "neoliberale Agenda" (Privatisierung, Deregulierung, Vertrauen auf Markt, Abbau von Handelshemnissen) ein wichtiger Stützpfeiler in einigen Entwicklungsländern, selbst als sie sozialistische Regierungen bekamen (Chile, Brasilien)?
Wie kam es, dass sich so viele Wirtschaftstheoretiker und -Praktiker in den 70ern vom Keynesianismus abwendeten.
Starre Haltungen können nur durch Zweifel aufgeweicht werden. Natürlich ist einiges der "neoliberalen Agenda" zweifelhaft wie etwa diese explodierten Managergehälter. Aber die Position, dass der "Neoliberalismus" wie ein Unwetter über uns kam oder von plain evil gesteuert ist eben auch.

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@axel: auch in d läuft das neoliberale programm seit mindestens 24 jahren. nix unwetter.

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Nun, zunächst mal haben neoliberale Programme tatsächlich kurzfristig Entlastung gebracht. Wenn es etwa darum ging, die Staatsverschuldung durch díe Privatisierung (also den Verkauf) von Staatsbetrieben zu senken, war der Erfolg kurzfristig erstmal da. Die neoliberalen Programme nützten natürlich auch allen Investoren, Börsenspekulanten und Konjunkturrittern.
Es wurde regelrechte Gold Rushs ausgelöst, bei denen jeder glaubte, vom zu verteilenden Kuchen etwas abzubekommen.

Doch in the long run bedeuteten die Neuverteilungen durch Privatisierung von staatsbetrieben bei gleichzeitigen Kürzungen der Sozialausgaben vor allem eine Einkommensumverteilung von unten nach oben, die Reichen wurden reicher und die Armen ärmer, zugleich aber wurde in der Bevölkerung die oftmals illusionäre Hoffnung genährt, man könne zu denen gehören, die von den neoliberalen Umwälzungen profitieren und den sozialen Auftstieg schaffen. Nicht umsonst produzierte diese Zeit den Sozialtypus des Yuppies. Dann stellt sich die Frage, bei wem Thatcher und Reagun beliebt waren. Jedenfalls nicht beim American Indian´s Movemement, Women´s Lib, den Schwarzen in der Bronx, den englischen Bergarbeitern oder den working poor (Insgesamt Menschen, deren Wohlergehen mir weit mehr am Herzen liegt als das der Goldgräber; ich bewerte eine Gesellschaft danach, wie sie mit den Ärmsten und Schwächsten in ihr unmgeht). Überhaupt waren die Reaganomics eigerntlich keine rein neoliberale Maßnahme, den es wurde ungeheuer viel Geld in den militärisch-industriellen Komplex gepumpt. Man kürzte keine Ausgaben, sondern lenkte sie um, raus aus den sozialprogrammen, rein in die Rüstung, wo massenhaft Arbeitsplätze geschaffen wurden. Eigentlich war das eine Mischung aus Rotstiftpolitik und Militärkeynesianismus unter neokonservativen ideologischen Vorgaben. @Thatcher´s Beliebtheit: Da
denke ich zurück, wie die Beliebtheit dieser Dame auf dem Tiefpunkt war, Angelic Upstarts den Song "The Lady flew above the cooccoo`s nest" herausbrachte, als es zum Falkland-Krieg kam, die Royal Navy auslief und zehntausende Briten sich gröhlend in den Armen lagen. "Rule, Britannia, rule the waves!" Hätte sie sich nicht als siegreiche Heerführerin profiliert, wäre es Anfang der 80er mit Thatcher aus gewesen.

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@rayson: "Eine Reduktion von Kapitalismus auf Privateigentum (die "Schöpfung von Mehrwert" ist für mich eh nicht existent, aber vielleicht kann man das ja als "Wertmaximierung" übersetzen) hätte aus linker Sicht natürlich den Vorteil, offensichtlich wenig attraktive Regime wie das eines Pinochet oder eines Franco miteinzuschließen, so dass man hier den Esel meinend kräftig auf den Sack einschlagen kann. Aus meiner Sicht wäre dieser Begriff dann aber nicht geeignet, liberale Ideale abzubilden." - Nur ist es nunmal Fakt, dass Regime wie das von Franco oder Pinochet eingesetzt wurden, um soziale Revolutionen zu verhindern und bürgerliche Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten, des weiteren wird Faschismus in der Geschichtswissenschaft von nicht nur marxistischen Historikern, sondern mit weitem Konsens als eine Herrschaftsform angesehen, die der Aufrechterhaltung des Kapitalismus (im Sinne von politischer Vorherrschaft des Bürgertums bzw. Aufrechterhaltung des Privateigentums an Produktionsmitteln) diente. Dass dies nicht mit liberalen Prinzipien zu tun hat versteht sich von selbst, schließlich ist der Faschismus ebenso antiliberal, wie er antisozialistisch ist.

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@rayson: Kapitalismus ist ja nicht beliebig definierbar; das was Dir da vorschwebt, ließe sich als Liberalkapitalismus bezeichnen, ich glaube, den Ausdruck gibt es sogar offiziell. Kapitalismus ist zuallererst ein Eigentumsverhältnis und eine Produktionsweise, die Marktwirtschaft ergibt sich daraus bzw. ist durch diese Faktoren determiniert. Schließlich heißt der Kurztitel der "Kritik der politischen Ökonomie" "Das Kapital" und nicht "Der Markt". Wenn Marktwirtschaft synonym für Kapitalismus verwendet wird, so deswegen, weil das Wort Kapitalismus für die meisten Leute einen negativen Klang hat (für Marx selber, obwohl dieser den Kapitalismus abschaffen wollte, gar nicht mal, da er den Kapitalismus als die höchstentwickelte und fortschrittlichste aller bestehenden Gesellschaften ansah), trotzdem ist beides keinesfalls das Gleiche. Das Kapitel bei Wikipedia macht das sehr schön klar.

http://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalismus


Der Kapitalismus hat den Liberalismus als politische Ideologie (von mir aus auch Weltanschauuung, Philosophie oder Geisteshaltung, für mich sind diese Begriffe austauschbar) hervorgebracht und dieser z.T. auch den Kapitalismus, beide hängen miteinander dem Ursprung nach zusammen. Inwieweit liberale Freiheitsideen auch in einem freiheitlichen Sozialismus verwirklicht werden könnten oder nicht, könnte allein die Zukunft zeigen, wenn solch eine Gesellschaft nämlich verwirklicht würde. In der Welt, wie wir sie kennen, ist der Liberalismus an den Kapitalismus gebunden. Das funktioniert aber nicht umgekehrt - kapitalistische Diktaturen gibt es sehr wohl. Es ist wie mit Literatur: Die Belletristik entwickelte sich in dem Bemühen, das Wahre, Schöne und Gute literarisch zum Ausdruck zu ringen, und es gibt Verlage und Autoren, die sich diesen Prinzipien, auch wenn es so altmodisch niemand mehr formulieren würde, verpflichtet fühlen. Daraus aber den Umkehrschluss zu ziehen, alles, was gedruckt wird, sei wahr, schön und gut geht gewaltig in die Nesseln.

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@workingclasshero

Dann nehmen wir doch mal gleich den ersten Satz des von dir empfohlenen Wikipedia-Artikels:

"Als Kapitalismus wird eine Wirtschaftsordnung verstanden, die sich durch Privateigentum an Produktionsmitteln sowie durch Produktion für einen den Preis bestimmenden Markt auszeichnet."

Da hast du aber interessante Dinge in deinem Begriff der "Produktionsweise" versteckt ;-)

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Um welchen Bart streiten uns wir hier eigentlich?

Zwischen "Als Kapitalismus wird eine Wirtschaftsordnung verstanden, die sich durch Privateigentum an Produktionsmitteln sowie durch Produktion für einen den Preis bestimmenden Markt auszeichnet." und "Kapitalismus ist zuallererst ein Eigentumsverhältnis und eine Produktionsweise, die Marktwirtschaft ergibt sich daraus bzw. ist durch diese Faktoren determiniert." sehe ich keinen Unterschied. Oder mal so aufgedröselt:

1) Die Produktionsmittel gehören Privatpersonen oder Kapitalgesellschaften und sind weder Eigentum der Gemeinschaft noch Privileg einer qua Geburtsrecht oder Religion abgeschotteten Kaste und können vererbt oder erworben werden.

2) Es gibt keine zwangsförmige Zuweisung von Arbeit, die Arbeitskraft ist eine Ware, die der Arbeiter feilbietet. Der Kapitalist verkauft die produzierten Waren, der arbeiter seine Arbeitskraft.

3) Über die Bezahlung der geleisteten Arbeit und den Gebrauchswert des produzierten Produktes hinaus behält der Kapitalis für sich einen Profit, den Mehrwert. Die Produktion von Mehrwert ist Ziel der kapitalistischen Produktion, nicht die Produktion von Gebrauchswerten.

4) Daraus ergibt sich, dass ein Produkt nicht einfach benutzt, sondern gewinnbringend gehandelt wird, das Produkt wird also zu einer Ware.

5) Die Tatsache, dass Waren gehandelt werden und unterschiedliche Produzenten einerseits miteinander wetteifern, andererseits ihrerseits Produkte benötigen, die sie nicht herstellen, generiert einen von Angebot und Nachfrage bestimmten Markt.

Da wäre dann anzumerken, dass es einen freien, unverzerrten und von staatlichem Handeln unberührten Markt gar nicht gibt; jedes wirtschaftspolitische Handeln einer Regierung beeinflusst diesen, abgesehen davon, dass die kapitalistischen Akteure ungleich viel Einfluß besitzen (General Electric und die 30-Leute-E-Installations-KG sind keine äquivalenten Wettbewerber, und die großen Kapitalgesellschaften handeln wie staatsähnliche Gebilde). Sowohl die staatliche Lenkung der Wirtschaft durch autoritäre Führungen als auch die Schaffung einer "Angebotsökonomie" durch monetaristische Ökonomen sind Regulationseingriffe in das Marktgeschehen von tiefgreifender Wirkung.


So klarer?

Ansonsten ab: "Der Kapitalismus hat den Liberalismus als politische Ideologie (von mir aus auch Weltanschauuung, Philosophie oder Geisteshaltung, für mich sind diese Begriffe austauschbar) hervorgebracht" weiterlesen.

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Von beeindruckender Klarheit, Held der Arbeiterklasse!

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Jaja - unser Rayson hat diesmal zur Hälfte recht
Rayson hat im Grundsätzlichen ein gutes Argument, und ich glaube, dass das hier noch nicht so ganz gesehen wird. Gleichzeitig zeigt Rayson mal wieder, dass seine Fähigkeit zuzuhören und zu verstehen, ähem, ausbaufähig ist. Aber gut, gelegentliche Anfälle von Engstirnigkeit sind noch kein Grund, den Idiotenstab über ihn zu brechen, zumal, wenn er ein Argument einbrachte, das wirklich von Wert ist.

Welches? Na klar, das mit dem Markt.

Je stärker eine Wirtschaftsordnung durch Plan bestimmt wird, umso weniger kann man sie einen klassischen Kapitalismus nennen - jedenfalls vom Standpunkt liberaler Polittheorie aus.

Im Konkreten wirds dann für Rayson allerdings deutlich schwieriger, denn im deutschen Faschismus (jedenfalls vor Beginn der intensiven Kriegswirtschaft ab ca. 41/42) wurde schwerpunktmäßig marktwirtschaftlich, mit freien Preisen und sogar unter Stärkung des Privateigentums gewirtschaftet, wenn man einmal von der Enteignung von Juden absieht. Gleichzeitig wurde unter den Nazis die Monopolisierung der Wirtschaft verstärkt, es bildeten sich zahlreiche Verflechtungen, Kartelle und Syndikate (welche die Profitrate ansteigen ließen), dazu kam eine teils intensive wechselseitige Durchdringung zwischen Politik und Wirtschaft.

Aber immer noch mit Markt und Privateigentum.

Tja, was hätten wir dann? Richtig! Eine Spielart des Kapitalismus, nämlich - so würde ich es nennen - einen korporatistischen Kapitalismus.

Als Eucken-Kenner (?) wird Rayson sofort verstehen, erst recht, wenn er bedenkt, dass Adolf H himselfe das Privateigentum und das Marktwirtschaftsprinzip rühmte, letzteres übrigens ob seiner sozialen Auslesefunktion...

Alles klar?

P.S.
Es gibt in ideologischer Hinsicht kaum etwas Erstaunlicheres als einen Militarismus befürwortenden Wirtschaftslibertären, der anfallweise davon spricht, ein "Ordoliberaler" zu sein.

Denn: Ordoliberale kritisieren Minimalstaatlichkeitsideen, Sozialstaatsfeindlichkeit und ganz besonders den realen Kapitalismus, den sie bändigen und zivilisieren wollen. Ordo, sorry, steht für das komplette Gegenteil von dem, was Rayson ansonsten vertritt. Aber gut, ich schätze, dass ich mich für bestimmte Leute deutlich zu kompliziert ausgedrückt habe...

(lol)

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Zum Amusement: Die Traumdestination der sogenannten Liberalen, das Land "der" Freiheit, also die USA, hat heute eine höhere Staatsquote und einen deutlich höheren Staatsverbrauch als der deutsche Vorkriegsfaschismus...

Lieber Rayson: Wenn also dieser Faschismus keinen Kapitalismus repräsentiert, dann stellen die heutigen USA auch keinen Kapitalismus dar.

LOL

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"So klarer?"

Danke der Mühe, aber so ein ganz klein wenig kenne ich die marxistische Terminologie und Logik schon...
Halten wir also fest: Die Preisbildung auf Märkten scheint also tatsächlich konstitutives Merkmal zu sein.

"Unberührtheit" würde ich übrigens gar nicht mal voraussetzen. Es kommt schon im Detail darauf an, wer da wo und vor allem auch wie "eingreift". Dass es Unterschiede zwischen großen und kleinen Firmen gibt, könnte man, ohne dir zu nahe treten zu wollen, als ebenso trivial wie für diese Diskussion unmaßgeblich bezeichnen...

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Was Eucken wirklich sagte
Damit da kein falscher Eindruck entsteht:

1. Eucken zieht aus der Erfahrung, dass die Großkonzerne das ökonomische Rückgrat des NS-Staats wurden, den Schluss, dass diese Machtgebilde mit einer freien Gesellschaft unvereinbar sind.

Das ist eine fundamentale Kapitalismuskritik.
Als Zitat:
Es sind also nicht sogenannte Missbräuche wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen, sondern wirtschaftliche Macht selbst" (W. Eucken, "Konzernentflechtung und Kartellauflösung" – Gutachten des Comité d'Etudes Economiques, Freiburg 1947)
2. Euckens Machtanalyse zeigt, dass die "freie" Marktwirtschaft für die meisten Menschen gar nicht frei ist. Dadurch, dass unter dem Etikett "Freiheit des Marktes" Konzerne in fast allen Bereichen der Politik begünstigt werden, entstehen immer größere Machtkonzentrationen.

3. An die Stelle der Konsumentenentscheidung auf den Märkten und eines freien Zugangs von Anbietern auf ebendiesen Märkten ergibt sich bei einem Kapitalismus ohne Ordo eine unkontrollierbare Verflechtung von ökonomischer und staatlicher Herrschaft. Jede neue Machtkonzentration auf den Märkten, jeder Akkumulationsschritt (würden Marxisten sagen) führt nach Eucken dadurch einen weiteren Schritt in Richtung der Unfreiheit und in die bürokratisch-planwirtschaftichen Strukturen von Großunternehmen, bei denen sowohl die Interessen der Konsumenenten als auch der Arbeitnehmer zunehmend nachrangig werden.

Rayson, kannst Du noch folgen?

4.
"Erster Grundsatz: Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktionen zu begrenzen."
Eucken ging also davon aus, dass sich im ungeregelten Kapitalismus automatisch und auf unakzeptable Weise Machtgruppen bilden. Die Aufgabe des Staats bestand nach Eucken darin, die Machtschwächeren zu stärken (heutzutage wären das die Arbeitnehmer...) und der Macht der Mächtigen entgegenzuwirken.

Dies neben der Orientierung an persönlicher Freiheit der Normalbürger übrigens auch, um die Funktionen der Wettbewerbswirtschaft zu stärken, denn im "reinen" Kapitalismus wird echter (und fairer) Wettbewerb zugunsten der ökonomischen Interessen von Großunternehmen und Mächtigen zunehmend ausgelöscht.

5. Eucken forderte eine grundlegende Revision sämtlicher für Wirtschaftsmacht und Wirtschaftsmächtige relevanten Rechtsgebiete: Patentrecht, Aktien- und Gesellschaftsrecht bis zur rechtlichen Realisierung von Verantwortung durch konsequente Haftung. Das gesamte Rechtssystem sollte umgestellt werden: Statt die Bildung von Machtkonzentrationen zu dulden, zu ermöglichen und sogar zu subventionieren, sollen sie im Gegenteil desubventioniert, benachteiligt und delegitimiert werden.

6. Über die Rechtsordnung hinaus machte Eucken dazu konkrete Vorschläge, wie er sich das vorgestellt hat, nämlich durch eine systematische Bevorzugung kleinerer und mittlerer Unternehmensgrößen (Klein- und Mittelbetriebe) in allen Bereichen der Wirtschaftspolitik (von der Steuerpolitik über den Zugang zu Ressourcen bis zur Verteilung öffentlicher Aufträge).

Rayson: Jetzt wäre es an der Zeit, dass Du mir für diese Aufklärung und zutreffende Darstellung ordoliberaler Prinzipien dankst, und auch, weil Du dazulernen durftest.

Und nein, "trivial" ist das nicht - zumal Du offenbar nicht den Hauch eines Schimmers hast, welche Bedeutung diese Fragen für Ordoliberale haben, z.B. in Hinblick auf den heutzutage sich in Gestalt globaler Konzerne verstärkenden Neofeudalismus.

Rayson: Du bist kein Ordoliberaler.

P.S.
Eucken sagte:
"Mehr oder weniger Staatstätigkeit, diese Frage geht am Wesentlichen vorbei. Es handelt sich nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitatives Problem"
Die gegenwärtige Durchdringung der Politik mit Konzern- und Wirtschaftsinteressen, bis hin in den Bereich der Sozialfürsorge, ist jedoch außerordentlich typisch für den angeblich liberalen Kapitalismus...

Und auch Dein libertäres Wolkenkuckucksheim wird nichts daran ändern, dass Kapitalismus, zumal in der von Dir gewünschten Form, recht schnell unfreiheitliche Züge entwickelt. Das liegt u.a. daran, dass Libertäre auf das Machtproblem lediglich utopische, und für die Realität völlig untaugliche Antworten zu geben in der Lage sind.

Ökonomischer Libertarismus ist lächerlich.

Dein Freund Jo@achim macht sich übrigens im Moment lächerlich, indem er in seinem Blog den Linksliberalismus wegzudefinieren versucht. Hilf ihm doch mal! Z.B. mit den eben gewonnenen Anregungen...

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Tja, wenn er argumentativ unterliegt, dann verkrümelt er sich. So isser halt. Ich hätt mich ja gefreut, wenn da ein paar substanzielle Gegenargumente gekommen wären, und nicht bloß diese dümmliche Behauptung, dass eine für Rayson unbequeme Gegenposition eine "marxistische Terminologie" darstelle.

Was übrigens grober Unfug ist, ggf. - was wir nicht hoffen wollen -, Zeichen bereits beginnender geistig-ideologischer Libertarimitis Umnachtung im Zeichen des (Andre) Lichtschlags.

Lass mal richtige Argumente von Dir hören, Rayson! Es ist nicht nur schön, dass hier jeder sehen kann, dass Du in Sachen Ordoliberalismus offenkundig nichts drauf hast. Nichts.

Und Du kannst auch nicht sonderlich gut begründen, dass es - Deiner Meinung nach - nur eine (Ideal)form des Kapitalismus gibt. Im Übrigen hat die reaktionäre gesellschaftliche Vision, die sich der liebe Rayson vorstellt, nichts, aber auch rein garnichts mit Euckens (gegenüber Wirtschaftsmacht feindlicher!) Wettbewerbsordnung zu tun. Oder könnte Rayson die zentralen Auffassungen von Eucken (siehe oben) tragen? Nö. Q.e.d.

Tja, Rayson, kommt da noch was von Dir? Oder sind Dir hier die Argumente ausgegangen? Siehste!

Es reicht halt nicht, lieber Rayson, ein paar Brocken Röpke gelesen zu haben, vermutlich und sehr typisch für Dich unvollständig, besonders dann, wenn man, sobald es argumentativ engt wird, keine Worte mehr findet.

Rayson ist kein Ordoliberaler.

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Dieser idealtypisch-liberale Kapitalismusbegriff, den Rayson da vertritt, ist sehr klassisch. Er hat den Bourgeois im Mittelpunkt, der zugleich Citoyen ist, d.h. einen unabhängigen Unternehmer (oder auch Freiberufler), der verantwortungsbewusst seine Aufgaben als Staatsbürger wahrnimmt. So etwas könnte dann funktionieren, wenn es keine allzu großen Unterschiede zwischen den Betriebsgrößen der Unternehmen gäbe und es sich tatsächlich um inhabergeführte Personengesellschaften handelte. In einer Welt der multinationalen Konzerne, der Hedgefonds und der Kannibalisierung von Firmen durch Risiko-Kreditderivate, bei denen mitunter Aktienkurse steigen, WEIL die Unternehmen schlecht geratet sind und daher Übernahmen erwartet werden, in einer solchen Welt, die nicht ganz unzutreffend, wenn auch sehr schlagwortartig als Casinokapitalismus bezeichnet wurde, da gelten andere Maßstäbe.
Schon dem Handeln eines Konzerns wie BASF wird man mit Adam Smith und Zeitgenossen nicht mehr gerecht.

Das klassische Welt- und Menschenbild des ursprünglichen Liberalismus stammt aus der Zeit zwischen der Französischen Revolution und 1848, also der mittleren Phase der Industriellen Revolution. Zwar gab es da auch schon staatsähnlich organisierte Mega-Konzerne wie die East India Company, aber für die Mehrzahl der aufgeklärten und politisch interessierten Bürger jener Zeit stand die eigene Lebenswelt im Vordergrund, und das war die der selbstständigen kleinen bis mittleren, manchmal auch großen, auf jeden Fall aber in Inhaberverantwortung den Betrieb führenden Unternehmer. Nach dem Zweiten Weltkrieg erkannten viele Liberale (und nicht nur die, man denke an das Ahlener Programm der CDU), dass der Kapitalismus in seiner aktuellen Form, mit Trusts, Kartellen, mit dem Staat verflochtenen Großkonzernen etc. eine Gefahr darstellte und ja tatsächlich in Deutschland auch den Nationalsozialismus hervorgebracht hatte. Ordoliberale zogen daraus die von Dr. Dean beschriebenen Konsequenzen. Andere, wie Hayek und Mises, wollten stattdessen zurück zu einem reinen, ursprünglichen Liberalismus und kehrten quasi zum Stand der Debatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Das ist ahistorisch und hat auf deutsche politische Diskurse auch kaum Einfluß gehabt, über die Mont Pelerin Society hingegen auf die im Anglo-amerikanischen Raum, auch wenn etwa die Chicago Boys nicht direkt von Mises und Hayek beeinflusst waren, zumindest nicht im Sinne von "Schüler". Anyway, mir scheint der Raysonsche Kaitalismusbegriff sehr viel mit diesen beiden Theoretikern zu tun zu haben, die ich für die politische Theoriebildung allerdings für so relevant halte wie Alfred Adler für die Psychologie: Historisch überholt.

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@Che

Nach einem Newton kamen auch Relativitätstheorie und Quantenphysik, und dennoch kann man mit seinen Modellen noch viel erklären. Ebensowenig wie die Welt ist auch die Wirtschaftswissenschaft und -praxis stehen geblieben, und ebenso wie in den Naturwissenschaften beeinflusst sich beides gegenseitig. Die heutige Welt ist erkennbar komplexer geworden und hat schon dadurch neue Mechanismen hinzugewonnen, aber man entdeckt überall wieder die alten Prinzipien.

"Hedge-Fonds" z.B. klingt fürchterlich neu, ist aber lediglich nichts weiter als Arbitrage in einem globalen Kapitalmarkt. Und dass Aktien sich nicht nach dem Ist-Zustand eines Unternehmens, sondern nach der Einschätzung von dessen Zukunft richten, ist so alt wie das Finanzierungsinstrument selbst.

Das hat alles interessante Folgen für das Management von Unternehmen, ist aber kein Anlass, deswegen das Ende des klassischen Liberalismus auszurufen. Im Gegenteil: Wir erleben das, was Hayek als Entdeckungsverfahren beschrieben hat. Hayek war übrigens eng mit wichtigen Ordoliberalen wie Eucken und Röpke verbunden, auch wenn diese letztlich im Detail jeweils andere Folgerungen zogen. Aus heutiger Sicht würde ich Hayek wegen der Nähe zur Institutionenökonomik sogar als im Ansatz moderner betrachten. Und natürlich praxisferner: Ordoliberale haben sehr handfest ihre Gestaltungschance ergriffen (es waren ja auch fähige Juristen darunter) - ihre Rezepte waren im Vergleich zu Hayek auch viel wirtschaftspolitischer, also auch kurzfristiger, angelegt.

Ich sehe im Gegensatz zu vielen anderen Liberalen und zu seiner manchmal geäußerten eigenen Meinung keinen fundamentalen Widerspruch zwischen Hayeks grundlegenden Erkenntnissen und einem Staat, der im ordoliberalen Sinn als Veranstalter von Wettbewerb auftritt. Ein Wettbewerb gewährleistender staatlicher Rahmen ist eine notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit des Entdeckungsverfahrens, aber wird er zu eng und vor allem zu diskretionär, würgt er dieses ab.

Lass uns also nicht das Betonen von bestimmten Prinzipien mit einer fixen Weltsicht verwechseln.

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Nun, sagen wir mal, Entschiedenheit des eigenen Standpunkts darf nicht in Borniertheit oder Intoleranz ausarten.

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@rayson: Es ist richtig, dass Hayek, Eucken und Röpke alles Marktwirtschaftler waren und phasenweise eng zusammenarbeiteten. Niemand dieser Herren war für eine Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft. Aber der Unterschied zwischen dem Vorhaben, durch Antitrust- und Antikartellgesetze und die systematische Bevorzugung von kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber der Großindustrie sowie umfangreichen staatlichen sozialen Leistungen den kapitalistischen Markt sozusagen bändigen und humanisieren zu wollen (Eucken) und der Vorstellung, Faschismus, Realsozialismus und Keynesianismus seien alles gleichermaßen freiheitsfeindliche Formen des Sozialismus, und daraus ein back to the roots, back to Adam Smith abzuleiten liegt doch weit auseinander. Hayek kritisierte die soziale Marktwirtschaft, zu deren Architekten der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lebende Eucken gehört hatte.
Dass man eng miteinander diskutierte und freundschaftliche Kontakte pflegte, steht auf einem anderen Blatt. Der Anarchist Erich Mühsam hatte auch zeitweise ein fast freundschaftliches Verhältnis zu Ernst Jünger. Sagt das irgendetwas über ihr Werk aus? Die Unterschiede zwischen den Ordoliberalen und Hayek sind ebenso groß, wie die zwischen Lenin und Luxemburg oder Marx und Bakunin.

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@workingclasshero

Zunächst mal ging die Nähe zwischen Hayek und den Ordoliberalen über persönliche Sympathie dann doch hinaus (im Gegensatz zum Verhältnis von Hayek und Keynes beispielsweise), aber es ist natürlich richtig, dass Hayek von der Idee der "sozialen Marktwirtschaft" nicht sonderlich begeistert war. Das war damals, als es wirklich noch um die Alternative "Zentralverwaltungswirtschaft oder Marktwirtschaft" ging, aber wohl noch ein eher akademisches Problem.

Wenn ich mir aber die Entwicklung anschaue, dann hatten Hayeks Bedenken durchaus ihre Berechtigung: Das Etikett wurde benutzt, um eine stetig wachsende Einmischung des Staates in die Wirtschaft zu rechtfertigen, die im Ergebnis zu einer auch von den Ordoliberalen abgelehnten Mischwirtschaft führte. Das, was wir heute unter "umfangreichen Sozialmaßnahmen" verstehen, stand nicht auf der Agenda eines Eucken oder Röpke. Und Sympathie für eine staatliche Bevorzugung bestimmter Unternehmensgrößen per se kann m.E. allenfalls Letzterem unterstellt werden.

Der Ordoliberalismus hat sich die nunmal schwierige Aufgabe gestellt, zwischen den Extremen einen Mittelweg einzunehmen, wobei Mitte aber eben nicht den genauen Mittelpunkt kennzeichnet. Die Übergänge sind fließend. Was eben noch Korrektiv zur Durchsetzung von Wettbewerb war, kann morgen bereits Wirtschaftslenkung sein. So, wie der freie Markt sich durch Kartell- und Monopolbildung selbst abschaffen kann, so kann er auch durch staatliche Regulierung abgeschafft werden. Das Problem besteht hier also für Marktwirtschaftler darin, dass man nicht vor lauter Lust an der Ordo den Liberalismus vergisst.

Diesen dann immer wieder in Erinnerung zu bringen, dafür ist aus meiner Sicht Hayek (der mit "zurück zu Smith" m.E. nur sehr dürftig zu charakterisieren ist) außerordentlich nützlich. Zumal man sich ja die Freiheit(!) nehmen kann, Grundideen von der individuellen Conclusio der sie vertretenden Protagonisten auch mal zu trennen. Ich kann Hayeks Ansatz des Marktes als Verfahren zur Aufdeckung von Wissen und seine Institutionenlehre für hilfreich halten, ohne deswegen überall mit dessen politischen Beurteilungen übereinzustimmen. Und ich kann damit die Idee der Ordoliberalen, dass Märkte und dass Wettbewerb im Grunde staatliche Veranstaltungen sind, kombinieren, ohne deswegen gleich voll und ganz alle konkreten wirtschaftspolitischen Ideen eines Eucken oder Röpke zu mögen (von selbsternannten "Weiterentwicklern" mal ganz zu schweigen). Es ist hier der Geist, der zählt, und nicht die Propheten.

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Man kann natürlich auch Hayeks Analysen zur Geld/Währungspolitik aufgrund ihres Erkenntniswerts schätzen, ohne überhaupt Wirtschaftsliberaler zu sein. Ein System sozialer Leistungen hat erstmal gar nichts mit dem Charakter einer Marktwirtschaft zu tun, Sozialabbau und Deregulierung werden zwar von beides betreibenden Regierungen ineins gesetzt, dies aber in erster Linie, weil sie Geld sparen wollen, vielleicht auch, weil sie IWF-Auflagen folgen, nicht, weil einer der hier genannten Philosophen dies empfohlen hätte. Ich würde allerdings die Wirtschafts- und Sozialpolitik Reagans, Thatchers, Özals und phasenweise auch die Konzepte von WF, Weltbank und GATT/WTO als planmäßig betriebenen Klassenkampf von oben bezeichnen, und auch attestieren, dass dies in der aktuellen deutschen Politik mit eine Rolle spielt. Aber wie gesagt: Dafür können die Theoretiker von dunnemals nichts.

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