Mittwoch, 27. Dezember 2006
Oh seltsam Ding oder Ritterspiele im Dorf
Vor noch relativ kurzer Zeit haben Blogger, die sich alle selber als links bezeichneten, gegenseitig verbal verprügelt für sachen, die eigentlich ohne Grundlage sind. Wenn ein Gemütsmensch, der sich hauptsächlich mit Agrarthemen beschäftigt und dessen Blog primär auch nur auf den Agrar- und Gentechhorizont ausgerichtet ist, als Chef einer Bande bezeichnet oder ein leider oft haltlos pöbelnder, aber im Grunde dies nur aus moralischer Empörung über soziales Unrecht tuender eher bauch-linker Blogger mit dem Hauptschlächter Stalins verglichen wird, und das ganze geschieht vor dem Hintergrund einer behaupteten Auseinandersetzung anarchistischer mit marxistischen Standpunkten, so passiert meine eigene politische Geschichte revue und ich muss sagen, diese sieht doch entschieden anders aus. Was meine Wahrnehmung der linken, d.h. primär autonomen Szene angeht, so ist diese geprägt von dem, was ich 1982-2000 im Städtedreieck Bremen/Oldenburg, Hamburg und Göttingen erlebt habe. Dort gab es weder besondere Kämpfe zwischen anarchistischen und marxistischen Linken noch eine grundsätzliche und unüberwindbare organisatorische Trennung zwischen diesen. In den meisten Politgruppen, die ich so kannte, war eher bunte Mischung angesagt. Enttäuschte Jusos, grüne Fundis, Anarchos, Radikalfeministinnen, Antiimps und Bauch-Linke ohne spezifisches theoretisches Selbstverständnis sowie politisierte Punks und Metalfreaks waren im Allgemeinen innerhalb ein und derselben politischen Gruppe aktiv. Mein eigenes Lager, das der Sozialrevolutionäre mit Autonomie- und Wildcat-Bezug war eh eine zu kleine intellktuelle Minderheit, als dass wir es zu eigenen Gruppen gebracht hätten, außer in Bremen, wo "Die Sozrevs" im Rudel auftraten.


Zwar gab es von Anarcho-Seite öfter Vorwürfe gegen marxistische Linke von wegen "Ihr macht doch wieder ein neues Kronstadt", aber das ging meist nicht über Frotzeleien hinaus, die nicht so richtig ernst gemeint waren, abgesehen von einer Fraktion, die ich einmal Jammer-Anarchos nennen möchte und sich dadurch auszeichneten, in den Marxisten schlimmere Feinde zu sehen als in den Herrschenden und sich aus den allgemeinen politischen Kampagnen heraushielten um eigentlich nur anarchistische Traditionspflege, aber kaum nach außen hin sichtbar politische Arbeit zu betreiben. Ich fand diese Leute eben so unangenehm wie die dogmatischen MLer, beides aber waren für die außerparlamentarische Linke in der beschriebenen region und zu der beschriebenen Zeit zahlenmäßig und organisatorisch bedeutungslose Kräfte.

Zweimal gab es mit ihnen allerdings Reibereien.

1984 erschien im Rahmen eines Libertären Plenums ein mit "Autonome, Antiimpis und wir" betitelter Text, indem Anarchos zur grundsätzlichen Entsolidarisierung von Autonomen und Antiimps aufgefordert wurden ("Schlagt die schwarzen Rebellen, wo ihr sie trefft!") und eine "Imperialismustheorie" vertreten wurde, die auch von Nationalrevolutionären hätte sein können. Autonome wurden als hirnlose Krawawallheinis mit Sympathien für die RZ dargestellt, Antiimps als ML-Intellektuelle mit einem so hohen Abstraktionsniveau, dass man ihnen nicht mehr folgen könne und im Übrigen RAF-Sympathisanten.

Wir verfassten ein mit "Keile für die Spaltungsteile" betiteltes Gegenpapier, in dem wir ausführten, Teile des Beitrags hätten das Niveau der HSV-Stadionpost (Autonome und Antiimps als Fanclubs von RZ und RAF), die verwendete platt-populistische Imperialismusdefinition könnten hingegen auch Nazis oder zumindest Nationalrevolutionäre unterschreiben, und es sei erschreckend, das Linke so etwas vertreten würden. Wir führten dann unsererseits Imperialismustheorien an, wie sie im wissenschaftlichen Diskurs wie auch den gerade stattgefundenen Internationalismustagen in Tübingen diskutiert worden waren, aber wie dumm - da hatten auch wir ein Abstraktionsniveau erreicht, dem unsere Gegenüber nicht mehr folgen konnten, und statt inhaltlich unser Gegenpapier zu diskutieren, warf man uns von nun an "Mackertum" vor.


Die zweite Auseinandersetzung, diesmal mit Antiimps, war hingegen richtig ärgerlich. Bei den Vorbereitungen zu Antikriegsdemos im Zusammenhang mit dem Zweiten Golfkrieg, also dem von 1991, sagten Antiimps "Wir solidarisieren uns mit Saddam." Aus unserer Richtung kam zunächst nur der Aufruf, wir wollten auf Antikriegsdemos keine Stalinisten sehen, dann jahrelange Auseinandersetzungen, die quer durch die Palästinagruppen gingen, mit denen Leute wie ich, die in der Kurdistan-Solidarität aktiv waren, grundsätzliche Probleme hatten. "Palästina, das Volk wird Dich befreien!" und "Gestern Juden, heute Kurden, Tod dem Faschisten Saddam!" waren nunmal nicht so locker miteinander kompatibel. Als Konsequenz wurde die Antifa Südkurdistan gebildet, die den Kampf gegen den Baathismus als Bestandteil des Antifaschismus begriff.

Am Ende siegte unsere Überzeugungsarbeit. Der Film "The road back to hell" von Kenan Makiya demonstrierte die Grausamkeit und den völkermörderischen Charakter des Saddam-Regimes so drastisch, das wir auch die hartgesottensten Antiimps von ihrer Saddam-Unterstützung abbrachten.
Das ist nun ein gutes Dutzend Jahre her. Gewisse Rülpser, die in den letzten Wochen und Monate durch die Bloggosphäre geisterten, kommen mir vor wie der Versuch, diese längst ausgetragenen Debatten auf Sandkasten-Niveau ("Der hat mir meine Förmchen puttgemacht!") zu wiederholen - oder wie ihre unfreiwillige Karikatur.

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solltest Du mich gemeint haben: ICH bin gegen alle Ditatoren! Denn ich bin der einzig libertäre Superanarchist in überhaupt Deutschland! ICH! Übrigebs wohne isch mit meine famiglia in Berline.

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Telegehim: Wenn wir die Spätfolgen des Wilheminismus, nämlich den in fast jeder deutschen Ritze steckenden Autoritarismus bekämpfen wollen, dann benötigen wir einen starken Anarchen!

;-)

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