Samstag, 14. Januar 2006
Die Achse des Kruden
Um gleich an auch-einer, word2go und strappato anzuknüpfen, kommt hier der Versuch einer Teilintegration der bisherigen Beobachtungen. Um überhaupt erfassen zu können, was die neoconnerds sind, muss zunächst einmal umrissen werden, was Rechtsextremismus in den USA und Deutschland unterscheidet. Ob nun Neonazis (die nur in der zeitlichen Abfolge "neo" sind), Nationalrevolutionäre, Nationalbolschewisten, Nationalkonservative, Law-and-Order-Fanatiker (Reps und Schill-Partei, einige Freie Wählergemeinschaften), Stahlhelmflügel der CDU und Nationalliberale bei der FDP, die deutsche Rechte zeichnet sich durch einen starken Etatismus, ja Staatsautoritarismus aus. Die Unterschiede zwischen Faschisten und demokratischer Rechter bestehen darin, ob der autoritäre Staat den Charakter einer Diktatur annehmen soll oder noch im demokratischen Rahmen verwirklicht werden soll, einig sind sie sich darin, dass die preußischen Sekundärtugenden eine Verbindung mit der Staatsmacht eingehen sollen. Nichts anderes meinen Rechtskonservative, wenn sie davon reden, dass der Staat Werte vermitteln soll.

Die US-Rechte ist anders, nämlich dezentralistisch. Es gibt dort zwar auch Neonazis, aber die Masse der US-Rechten vertritt eher einen extremen Individualismus, man kann die US-Rechte durchaus als grass-roots-movement bezeichnen. Was gibt es dort an rechten Kräften? Da ist einmal der Ku-Klux-Klan, protestantisch-fundamentalistisch, rassistisch, mit Nazis sympathisierend, aber eigentlich
eher in der Tradition von Lynchjustiz, Femegericht, alttestamentarischen Rachevorstellungen und Glaubenskrieg stehend, extrem rückwärtsgewandt. Dann die moral majority, eine frömmelnde protestantische Massenbewegung, die Werte wie Treue, Frömmigkeit, Familie betont, bei Hinrichtungen Claqeuere organisiert, die vor dem Knast protestierende Bürgerrechtler bedrohen und "grill him , grill him!" skandieren und gerne auch Abtreiberinnen auf dem Stuhl sehen würden, Milizen, die Waffen sammeln, Schwarze jagen und am liebsten eine USA hätten, die zu keinem anderen Land der Welt Beziehungen unterhalten, und schließlich die neocons. Diese vertreten in etwa die gleichen Werte wie die moral majority, Positionen, die in Deutschland lediglich Spinner wie die Partei bibeltreuer Christen und irgendwelche Lebensschützer- oder Kreationistenvereine einnehmen, die aber im bible belt der USA Mainstream sind. Was sie von der moral majority unterscheidet, ist ein extremes Bekenntnis zum Marktliberalismus in der Tradition Milton Friedmans oder gar zum Anarchokapitalismus Ayn Rands (die eine passable Schriftstellerin gewesen sein mag, aber von Wirtschaft nichts verstand und wohl eher aufgrund ihrer Traumatisierung durch Oktoberrevolution und russischen Bürgerkrieg die vom Sowjetsozialismus denkbar extremst entfernte Position entwickelte) sowie die Tatsache, dass sie den nationalen Isolationismus der USA und die rassistische Fixierung auf die WASP nicht mitmachen, sondern im Gegenteil den Anspruch auf Weltgeltung erheben. Entwickelt wurden die Positionen der neocons teils im Umfeld der Heritage Foundation, einer privaten Institution, die ganz offiziell Privatleuten (meint: Wirtschaftsbossen) dienen soll, Einfluss auf die Außenpolitik zu nehmen und die geprägt ist durch klingende Namen wie Henry Kissinger, Graham Claytor jr., Caspar Weinberger, Zbigniew Brzezinski, Albert Wohlstetter, Samuel Huntington (der "Philosoph" kommt eigentlich aus CIA-nahen NATO-Stäben, er hat 1988 an einem Papier mit dem Titel "Differenzierte Abschreckung. Bericht der Kommission für eine Integrierte Langzeit-Strategie" mitgearbeitet) und Joshua Lederberg, teilweise aber auch von Leuten, die sich damals noch new right nannten und denen beispielsweise der Harvard-Professor Artur Jensen (das ist der mit den getürkten Zwillingsforschungen, die angeblich den Nachweis für die Erblichkeit von Intelligenz liefern) und die Genetiker Murray und Herrnstein (die anhand einer Glockenkurve der Intelligenzverteilung Minderintelligenz von Schwarzen nachweisen wollten) angehörten. Norman Podhoretz, Herausgeber der jüdischen Zeitschrift "Commentary", zählt ebenfalls zu den Vertretern dieser Richtung. Das ist vielleicht ganz entscheidend: Während die deutsche Rechte antisemitisch ist, spielen in der US-Rechten Juden eine nicht unerhebliche Rolle, genauer gesagt, ultrakonservative und militaristische Juden, deren projizierte Vorstellungen, was Israel alles an Militäraktionen durchführen soll, weit über alles, was in Israel je gedacht und getan wurde, hinausgehen. Mit Paul Wolfowitz und Richard Perle gelangten neocons in Regierungsverantwortung, und ich würde soweit gehen, zu sagen, dass der Irak-Krieg ihr Werk ist. Es handelt sich um eine Art von rechter Bewegung, die schon immer sehr staatsnah war, so entstanden einige ihrer rassistischen Behauptungen der verminderten Intelligenz von Schwarzen im Zusammenhang mit COINTELPRO.

http://www.mumia.de/doc/background/misc/cointelpro000.html

Obwohl es jüdische Köpfei innerhalb der new right gab, arbeitete diese wiederum mit ausgesprochen antisemitischen Neuen Rechten zusammen, wie Alain de Benoist und Jürgen Rieger.

Wenn heute deutsche Konservative und Liberale die Ideologie dieser neocons übernehmen, offenbart diese nicht nur Ahnungs- und Geschichtslosigkeit, sondern ist ein Generationenproblem. Ich würde es als Ausdruck der postsolidarischen Gesellschaft bezeichnen. Für meine Generation und mein Milieu war Solidarität noch eine Selbstverständlichkeit. Als Student/in wohnte man in einer WG mit gemeinsamer Haushaltskasse, für das Studium wurden Arbeitsgruppen organisiert, man lernte nie alleine und man ging auch nicht mit Ellenbogen durchs Studium. Diese Art und Weise, das eigene Leben zumindest während der Studienzeit zu organisieren, betraf durchaus nicht nur die linke Szene, sondern war bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern Mainstream. Wer diese Art selbstzbestimmter Kollektivität nicht mitmachte, lief Gefahr, als sozial inkompetent eingestuft zu werden. Im Gegensatz zum Berufsverbotsterror der 70er und frühen 80er Jahre und der heute oft verbreiteten Suche nach glatten HR-Profilen waren so zwischen 1985 und 1995 Leute mit sozialem Engagement in den Personalabteilungen sogar sehr gefragt, weil dies auf Idealismus und also hohe Leistungsbereitschaft schließen ließ. Platt gesagt: Wer sich bei Greenpeace engagiert hatte, verbesserte seine Chancen, bei IBM genommen zu werden.

OK, das alles gibt es heute nicht mehr. Das Studium wird zumeist und außerhalb von solchen Szenestädten wie Bremen und Göttingen nicht mehr als eine Lebensweise und eine Zeit kreativer Muße zur Ausformung der eigenen Persönlichkeit betrachtet, sondern als straight durchzuziehende Berufsausbildung. Formen selbstbestimmter Kollektivität, wie wir sie noch kannten, gehen verloren. In der Hinsicht haben ja szenesozialisierte Linke wie ich und Burschenschafter mehr miteinander gemein, als mit heutigen Karrierestudis. Aber die vermeintliche Karriere bleibt aus, eine erlernte Milieusolidarität gibt es ebensowenig wie eine Sozialisation durch eine Jugendsubkultur. So muss eben Ersatz gefunden werden, ob durch Communitybildung bei OpenBC oder prowestliche Heimatabende. In der Angst vor völliger Marginalisierung ist offensichtlich jedes Mittel recht. Wahrscheinlich werden die meisten Anhänger solcher neocon-Netzwerke ehrlichen Herzens überzeugte Konservative oer Liberale sein, die glauben, die neocon-Ideologie sei liberal-konservativ - und im Hintergrund sitzen Strippenzieher vom Schlag Armin Mohlers, denen es nur um eins geht: Herstellung von Diskurshegemonie:

http://www.im.nrw.de/sch/320.htm


Wenn man die hat, kann auch der Proisraelismus über Bord geworfen werden, muss aber nicht zwangsläufig, denn wie schon Adorno wusste: Der Jude ist austauschbar. In den USA war es früher der Neger, und heute wird der Muslim zum Feindbild aufgebaut.

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