Samstag, 21. Januar 2006
Che sagt, wie es ist: Das Wesen der Neocons
Nachdem seit Monaten heftig gestritten und gedisst wird, was das Treiben der Nockherberger und ihrer Freunde angeht, will ich mich der ganzen Angelegenheit noch einmal von einer systematischen und grundsätzlichen Seite nähern. Nicht unwesentlich dürfte die Rolle sein, die Maxeiner und Miersch hier spielen, und hier liegt wohl auch ein Schlüssel zum Verständnis des Ganzen. Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass beide aus einer öko-linksliberalen Ecke kommen (taz, natur, Chancen), aber heute bei der Welt publizieren und alle Merkmale von Renegatensyndrom zeigen - hierzu unten mehr. Für den Springer-Verlag gilt noch immer das Redaktionsstatut, das festlegt, dass z.B. über die USA und Israel positiv zu berichten sei, und dies kennzeichnet das Wesen der Springer-Presse, auch wenn nur vier Publikationen, nämlich Bild, Welt, Hamburger Abendblatt und BZ, dies richtig deutlich zum Ausdruck bringen: Es handelt sich nicht einfach um Presse mit einer allgemein konservativen Grundtendenz, wie etwa FAZ oder Rheinischer Merkur, sondern um einen programmatisch ausgerichteten ideologischen Propagandaapparat. In den 70er und 80er Jahren war die Ausrichtung, grob gesprochen, in allen innenpolitischen Angelegenheiten zwischen CSU und NPD, dabei aber immer proamerikanisch und proisraelisch. Dies ist alles kein Widerspruch, sondern gehört durchaus zusammen, wobei zwischen Ursache und Funktion zu trennen ist.

Zunächst hatte die Familie Springer liberale Ursprünge (DDP), und für Axel Springer stand in der schwärzesten Zeit des Kalten Krieges die Furcht vor der Sowjetunion im Vordergrund. Dreh- und Angelpunkt des Springer´schen Denkens war das Hochhalten "westlicher Werte" und die Unterstützung Israels. Dafür war sich die Springer-Presse nie zu schade, übelste nationalistische oder sozialchauvinistische Ressentiments zu bedienen oder bewusst zu mobilisieren, um sie in den Dienst der Sache zu stellen, also gegen Linke unter Benutzung der LTI zu polemisieren. Linke waren unordentlich, verlaust, stanken, waren faul, ähnliches galt in den 70ern für die Türken. Das Ausgrenzen politisch mißliebiger Personen oder ohnehin diskriminierter Gruppen geschah zum Zusammenschweißen der "westlichen Wertegemeinschaft", die wie die "Volksgemeinschaft" imaginiert wurde, nur unter demokratischen Vorzeichen und ohne Judenhass, ja, mit einem emphatischen Pro-Israelismus, der sonderbar unverbunden mit der innenpolitischen Entwicklung Israels blieb.

Dieses Angebot stieß auf eine Nachfrage, die sich aus eigenen Motiven speiste. Ich habe sie noch in den Ohren, die begeisterten Zustimmungen ehemaliger Wehrmachtssoldaten zu der Forschheit und perfekten Organisation israelischer Militärschläge. Da konnten preußische Militaristen sich in aller Öffentlichkeit für begeistern, ohne dass man als Nazi galt. Die Gleichung pro Israel, pro Bundeswehr, pro USA, gegen alles, was links, emanzipiert,homo, öko oder sonstwie renitent war, erlaubte es, als NS-Mitläufer nichts an der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Verhaltensweisen in Frage zu stellen und sich als guter Deutscher zu fühlen. Dieses Angebot der Springerpresse wurde massenhaft begeistert aufgegriffen und machte ihren Erfolg im Nachkriegsdeutschland aus.

Für Springer war die Mischung höchst komfortabel: Man konnte das Attentat auf Rudi Dutschke herbeischreiben, aber die Rolle des verfolgten Juden einnehmen, als hinterher Springersche Zeitungswagen brannten. Man konnte sich für israelische Militärschläge begeistern, aber gegen die Ostverträge und Brandts Außenpolitik agitieren, obwohl dessen Kniefall vor dem Warschauer Ghetto die deutlichste Willensbekundung der deutschen Politik zur Aussöhnung mit den NS-OPfern war. Zwischen Ostverträgen und Historikerstreit nahm die Springerpresse immer eine Haltung ein, die mit Geschichtsrevisionismus und faschistoidem Ressentiment spielte, aber die Westbindung und die parlamentarische Demokratie nie in Frage stellte. Letztlich waren die schwarzbraunen Ideologeme nur Manövriermasse, Mittel zum Zweck in der battle of minds des Kalten Krieges.
Nach 1989 ebbte diese ins Altern geratene Ausrichtung allmählich ab, machte erst der Wedervereinigungsbegeisterung Platz, dann wurde man, als es in Deutschlabd zu offenen rassistischen Progromen kam, zwischenzeitig politisch korrekter und hielt sich etas zurück, um nach einem kurzen Intermezzo seit Mitte der 90er wieder unvermindert auf die Kacke zu hauen und zunehmend wirtschaftsliberale und monetaristische Positionen einzunehmen.
Da kommen nun Maxeiner und Miersch ins Spiel. In ihrem Buch "Die Zukunft und ihre Feinde" haben sie mit ihrer eigenen Ökopax-Vergangenheit gebrochen. Die Tatsache, dass sowohl Grüne als auch Linksradikale als auch Neonazis gegen Atomenergie sind, dass Attac und Rechtsradikale gegen Globalisierung protestieren etc., wird von ihnen polemisch aufgespießt. Anhand der Tatsache, dass der Kopf rund ist, damit die Gedanken die Richtung ändern können, könnte man da natürlich auch ganz andere Schlussfogerungen ziehenm, etwa die Frage azufwerfen, ob eine Rechts- Links-Einteilung des politischen Spektrums nicht viel zu eindimensional ist (die Französische Revolution kannte noch vorne und hinten und oben und unten, so teilten sich die Jakobiner in eine Berg- und eine Talpartei), aber nein: Mit typischem Renegatenhass wird alles außerhalb des juste millieu der Springerpresse und der friedmanliberalen Sicht auf das Wirtschaftsgeschehen lächerlich gemacht und zu Feinden des Fortschritts erklärt. Renegaten waren ja schon immer die wildesten Agitatoren, der einst gesamtdeutsch-neutralistische, trotzkistischen Ideen gegenüber aufgeschlossene romantische Sozialist Wolf Biermann ist heute ein verhärmter, verbiesterter Sozialistenhasser, der zum Islam übergetretene zypriotische Christ Horuk Pasha ließ im 16.Jahrhundert "Christenhunde" zu Schädelpyramiden verarbeiten, und heute bemüht sich ein einst sehr geschätzter rebellmarkt-Kommentator bei den Puppen mit Anti-rebellmarkt und Anti-Don-Alphonso-Rhetorik um Anerkennung.

Miersch und Maxeiner vertreten eine Mischung aus einer zugespitzten, pointierten Fassung der im eigenen Verlagshaus allmählich obsolet werdenden Springer-Ideologie der 70er und einer mit jungenhaftem Technikkult einhergehenden Begeisterung für forcierten Wirtschaftsliberalismus.
Dies korrespondiert und kulminiert mit anderen Ideologien, die sich auf linkreichen Webseiten sehr stark ergänzen und wie ein Netzwerk daherkommen.
Da wären zunächst mal die Libertären. Ihr Denken ist eine Verbindung aus dem Liberalismus Hayeks und dem Individualanarchismus Stirners, von dem man sich jeweils so viel nimmt, wie man gerade braucht. Hayek war ein Manchesterliberaler, dem die Politik der heutigen US-Neocons, denen es ja um den Sieg im War on Terror und um imperiale Durchdringung der Welt geht, entweder gegen den Strich gehen oder egal sein würde. Was für die, die sich heute auf ihn berufen, entscheidend ist, ist etwas ganz Anderes: Er sah den Nationalsozialismus als zwangsläufige Endstufe des Sozialismus und daher in der Sozialdemokratie bereits angelegt an Damit hat man ein Stemmeisen, um gegen jede Art von Sozialstaatlichkeit zu argumentieren. Aus dieserEcke kommt auch ein eigentümlicher Geschichtsrevisionismus, der im Prinzip besagt, hätte es keinen Arbeiterwiderstand gegen den Kapitalismus gegebebn und hätte man die Kapitalisten immer ungehemmt machen lassen, wären Wohlstand und Fortschritt heute weltweit weiter, als dies real der Fall ist. Mit dem Individualanarchismus Stirners hat man so viel gemein, dass man von einem allmählichen Absterben des Staates in einer von Gesetzen und Regulierungen weitgehend freien Gesellschaft ausgeht, aber gegen den bestehenden Staat zu kämpfen, um die freie Gesellschaft herbeizuführen, nein, so anarchistisch sind die Libertären auch wieder nicht: Ich weiß ja, wo einige Libertäre so herkommen (gescheiterte NE-VC-Geld-Verprasser, das Stichwort Schloss Elmau dürfte Eingeweihten noch was sagen), und kann gut nachvollziehen, wo dieses Denken herkommt. Wer dem anything-goes-Wirtschaftsliberalismus blind vertraut hat und die Erbarmungslosigkeit dieses Systems am eigenen Leib erfahren musste, der braucht halt eine eng gefasste Ideologie als Korsett, um im gleichen Fahrwasser weiterzuschwimmen. Wobei offensichtlich völlig ausgeblendet wird, dass in einer weitgehend gesetzlosen kapitalistischen Gesellschaft nicht die eigentümlich freien Citoyens, sondern ungehemmt agierende Konzerne mit Privatarmeen u.ä. die Souveräne wären. Aus dieser Richtung kommen denn auch so putzig-schwurbelige Ideen wie die Forderung nach der Todesstrafe für Mörder, da Knast Freiheitsberaubung ist und also nicht zur Freiheitsideologie passt. Die meisten Libertären sind eher in esoterischen Zirkeln als in eigentlich politischen Gruppen aktiv, wählen aber die FDP als aus ihrer Sicht politisch kleinstes Übel. Die Pro-westliche- und pro-israelische Ausrichtung war zumindest bisvor Kurzem bei diesen Leuten nicht so besonders stark ausgeprägt, im Gegensatz zu den Objektivisten, einer nochmal in zwei Fraktionen zerfallenden anarchokapitalistischen Sekte, die vom Ayn-Rand-Institute in den USA und dessen Konkurrenzgründung Objetivist Centre geleitet und mit ideologischem Rüstzeug versorgt wird. Diese Richtung gehört in den Bereich der politischen Splittergruppen, deren Führungsebene aber in auffälliger Nähe zur absoluten Elite der USA (z.B. Alan Greenspan) angesiedelt ist. Auf Webseiten wie
"Freunde der Offenen Gesellschaft"
findet sich dann auch mal ein alter CIA-Mann (Melvin J. Lasky) ein, oder Neonazis bzw. Neue Rechte aus dem Studienzentrum Weikersheim, als gemäßigter Flügel des Ganzen auch Julis und FDP-Rechte. Und mittendrin Hendryk M. Broder. Wahrlich eine bizarre Mischung aus Neokonservativen, schlichten Spinnern, vom Wahlergenbnis frustrierten Liberalen, Philosemiten, New-Economy-Verlierern und schwarbraunem Sumpf. Was sie eint, sind Begeisterung für Soziabbau, die Bush-Administration und ein projiziertes, in der politischen Realität so nicht vorhandenes Israelbild und ein gemeinsames Feindbild, der Islam.

Schlusswort zu Miersch und Maxeiner:

Wer seiner eigenen Sache untreu wird, kann nicht erwarten, dass ihn Andere achten (Albert Einstein).

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