Montag, 29. Mai 2006
Micha Brumlik spricht über die Linke
In der aktuellen konkret interviewt Herausgeber Gremliza den marxistischen jüdischen Pädagogen und Historiker Micha Brumlik zur heutigen Situation der Linken und seinen mometanen Einschätzungen von deren Lage. Sehr lesenswert, wie ich finde. Auszüge:

"Brumlik: Ich glaube, dass es eine deutsche Linke im klassischen Sinne überhaupt nicht mehr gibt. Es gibt einzelne Personen und einzelne Gruppierungen, die in einer mehr oder weniger radikalen Weise für sich reklamieren, links zu sein, aber als eine Bewegung mit einem bestimmten Ziel, die von einer identifizierbaren sozialen Gruppe getragen wird, gibt es DIE LINKE sicher nicht mehr. Ein denkbarer Kandidat wäre die Linksparte PDS gewesen. Aber wie diese Partei in Gestalt des Vorsitzenden Lafontaine immer wieder an rassistische Vorurteile appeliert oder wie sie jetzt ... ihre eigenen Europaabgeordneten fertiggemacht hat, weil die sich für die Menschenrechte in Kuba eingesetzt haben, lässt mich daran zweifeln, ob es sich bei ihr um eine linke Partei handelt, um eine, die sowohl für soziale Gerechtigkeit als auch für unverbrüchliche Menschen- und Freiheitsrechte eintritt.

Gremliza: Und was ist mit den Grünen, bei denen sie lange mitgemacht haben?

Brumlik: Die Grünen sind heute im besten Falle eine linksliberale Partei, von der man hoffen kann, dass sie sich noch für Bürger- und Menschenrechte einsetzt. Ich sehe aber mit Bestürzung, dass dort in wirtschaftspolitischer Hinsicht ein geradezu kleinbürgerlicher Neoliberalismus immer stärker um sich greift.
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Gremliza: Was ist Kommunismus, wenn man ihn einer solchen Partei allen Ernstes vorschlagen konnte?

Brumlik: Eine Wirtschaftsform, die auf jeden Fall die unmittelbaren Bedürfnisse des täglichen Bedarfs über Marktmechanismen bedient, die aber das Wirtschaften selbst politischen Imperativen unterwirft und nicht den anonymen Mächten des Marktes.

Gremliza: Und wie wäre zu dieser Wirtschaftsform zu kommen?

Brumlik: Nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts nur auf dem Weg konsensueller demokratischer Reformen. Revolutionen, das ist eine Lebenserfahrung, kein dogmatischer Satz, sind allesamt gescheitert oder haben, wenn sie erfolgreich waren, wie in China, enorm viel Blut gekostet, ohne am Ende das zu erreichen, was man sich vorgestellt hatte. Wenn man den Berichten trauen kann, herrscht in China heute lupenreiner Frühkapitalismus. Die Revolution dort war keine kommunistische, sondern eine nationale Modernisierungsrevolution.

Gremliza: Das erklärt auch, warum die deutschen Jünger Maos heute dort stehen, wo sie stehen.

Brumlik: Und wo sie immer gestanden haben.

Gremliza: An der Seite des deutschen Volkes.
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Brumlik: Und es kann gar kein Zweifel bestehen, dass die USA sowohl das Völkerrecht als auch - mit Guantanamo und den Folterknechten und - kellern von Abu Ghureib -die Menschenrechte in einer besonders krassen Weise gebrochen haben....

Gremliza: Wenn das in konkret erscheint, werden wir beide von einigen Eiferern des Antiamerikanismus und - weil das ja auf eins rauskomme - des Antisemitismus überführt.

Brumlik: Dass der klassische, der rechte Antiamerkanismus, der sich gegen <Negermusik> , Wall Street und die angeblich zersetzende moderne Kultur richtete, sehr viel mit dem Antisemitismus gemein hatte, kann ja doch nicht heißen, das jede Kritik an Politiken US-amerikanischer Regierungen antisemitisch ist. Es kommt etwas anderes hinzu: Der Antisemitismus hat wirklich unendliches Leid verursacht. Die USA hatten unter dem Antiamerkanismus, wenn wir einmal vom 11. September 2001 absehen, bisher Gott sei Dank vergleichsweise wenig zu leiden."

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Rassistische Gewalt in guter deutscher Tradition
Eines ist in Deutschland immer sicher: Gewalt von links wird in Deutschland gnadenlos verfolgt, Gewalt von rechts verniedlicht. Während Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht brutal ermordet, viele Teilnehmer der Münchner Räterepublik und des Hamburger Hafenarbeiteraufstands sofort an die Wand gestellt und Gustav Landauer von Polizeibeamten zu Tode getrampelt wurde, kam Hitler mit ein paar Jahren Festungshaft davon und wurde vorzeitig entlassen, da das Gericht die Überzeugung gewonnen hatte, dass er sich gebessert habe und nie wieder etwas Böses anstellen wolle. Wahrscheinlich galt er auch als resozialisiert, weil er in der Festungshaft "Mein Kampf" geschrieben hatte.
Dieses Spiel setzt sich heute fort. So schreibt in der aktuellen konkret Stefan Frank, dem ich nur zustimmen kann (es dreht sich um Potsdam, die Stadt, wo Ermyas ins Koma geprügelt wurde): "So ist es nicht erstaunlich, dass die Staatsanwaltschaft, die gegen die Neonazis ... lediglich wegen Körperverletzung Anklage erhoben haben, gegen mehrere Linke, die einen bekannten Neonazi angegriffen und verletzt hatten (laut Presseberichten leicht, jedenfalls keineswegs lebensgefährlich), zunächst wegen gemeinschaftlichen Mordversuchs ermittelte. Eine der Beteiligten saß mehrere Monate lang in Untersuchungshaft und rechnet mit einer mehrjährigen Haftstrafe. Weil sie einem Jugend- und Kulturverein angehört, forderte der CDU-Politiker Sven Petke umgehend von der Stadt, diesem Verein jegliche Förderung zu entziehen. ... Offenbar ist man in Potsdam von der "Gewaltspirale" so besessen, dass der Wahn auch die Berichterstattung über den Fall Ermyas M. prägt: Könnte es nicht sein, dass das Opfer provoziert hat? Hatte er nicht schließlich zwei Promille Alkohol im Blut? Er hatte den Ermittlungen zufolge auf einer Feier unter anderem mehrere Rum-Cola getrunken, fanden die Sonderkommissionen mehrerer Tages- und Wochenzeitungen heraus. Es ist schon häufig darauf hingewiesen worden, dass die Ermordung von hochrangigen Bankern, Treuhand- oder Rüstungskonzernmanagern selbstverständlich in den Augen von Journalisten und Politikern etwas weitaus Gravierenderes darstellt als ein rassistischer Anschlag, weswegen Helmut Kohl 1993 unmöglich an der Trauerfeier für die in Solingen ermordete Familie Genc teinehmen konnte". (Anm.d.Verf.: Trotzdem titelte Focus damals "Großmütig will Kohl die Türken versöhnen") "Aber spaßeshalber kann man sich ja mal vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn jemand die Frage gestellt hätte: Haben Buback und Rohwedder nicht provoziert? Und müßte Stefan Aust die Geschichte der RAF neu schreiben, wenn man herausfände, dass Herrhausen Rum-Cola getrunken hätte? Die Tatsache, dass dem Opfer Blut abgenommen wurde, um es auf Alkohol zu überprüfen und das Ergebnis sogleich der Presse zu melden, zeigt nicht weniger deutlich, wes Geistes Kind die Freunde sind, bei denen die Welt diesen Monat zu Gast sein das Pech hat....Dass man andererseits aber auch ganz locker mit einem Naziimage umgehen kann, zeigt die Stadt Hoyerswerda, die auf ihrer Homepage selbstbewusst "das braune Gold der Lausitz" bewirbt."

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Hannover bezaubert?!
Schön war´s. Ein kleines, aber sehr interessiertes, sehr aufmerksames Publikum (wobei der Frau Nuuna Modeste und ich nun gar nicht gefielen, ich sehr überrascht und erfreut war, als kurz nach Veranstaltungsbeginn ein alter Freund noch herein kam, umso mehr bedauerte, dass Novesia nicht kommen konnte und generell das gemütliche Beisammensein nach der Lesung selber die ganze Angelegenheit erst rund machte), mit dem Kargah ein Veranstaltungszentrum, mit dem ich so manche Erinnerung verbinde und das praktische Vorteile miteinander kombiniert (Gemütlichkeit, tolle Lautsprecheranlage, lecker Essen, klasse Leute, die das Zentrum betreiben). Anmoderiert von strappato http://gesundheit.blogger.de/, gab es insgesamt jeweils drei Redebeiträge von Modeste, Don und mir in wechselnder Folge, schließlich noch zwei Zugaben von Modeste und mir. Der Zuspruch seitens der Leute, die noch zum Tischgespräch blieben war gut, und es wird wohl eine Fortsetzung geben.

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