Samstag, 8. September 2007
Adornos Absage an den Historismus
Die in der deutschen Geschichtswissenschaft lange Zeit dominierende Historische Schule ist von zwei Paradigmen geprägt, die sie mit anderen Schulen in der Geschichtswissenschaft nicht gemeinsam hat: Dem Bestreben, keine Werturteile zu fällen und Geschichte möglichst objektiv beurteilen zu wollen, mit einem an die Naturwissenschaften angelehnten positivistischen Wertfreiheitsbegriff, und zum Anderen dem Bestreben, das Handeln historischer Entscheidungsträger psychologisch zu erklären, was eine gewisse Empathie zur Voraussetzung hat. Die Anwendung der Dithey´schen Hermeneutik auf Karl den Großen oder Cäsar stellt aus moderner Sicht kein Problem dar, da kann man sagen "völlig andere Zeit mit völlig anderen Wertvorstellungen". Die beiden Weltkriege stellten die hermeneutische Betrachtungsweise dann aber in eine derartige Rechtfertigungsnot, dass mit der Debatte um deutsche Schuld der Übergang von der Historischen Schule als dominante Richtung der Geschichtswissenschaft in Deutschland zur Historischen Sozialwissenschaft eingeleitet wurde. Dieser Prozess, der mit der Fischer-Kontroverse Anfang der 1960er um die deutsche Schuld am Ersten Weltkrieg begann, sollte sich über Jahrzehnte fortsetzen, da Alltags-Geschlechter- und Umweltgeschichte, kaum dass die Historische Sozialwissenschaft sich durchgesetzt hatte, dieser dieDeutungshoheit streitig machten bzw. das sozialhistorische Paradigma anders definierten. Dazu kam die noch junge Rezeption der Englischen wirtschafts/sozialhistorischen Schule (Hobsbwam/Mason) und der wissenschaftstheoretischen zwischen Weber, Lévy-Strauss und Foucault verorteten Französischen Mentalitätsgeschichte der Annales. Mitten in der Fischer-Kontoverse erteilte Adorno der historistischen Sichtweise eine schallende Ohrfeige, deren Deutlichkeit und Realitätsbezogenheit wenig zum Image Adornos als weltfremdem Grübler, der ein wenig vom Wiesengrund abgehoben sei passt. "Wogegen der durch seine Gesundheit erkrankte Menschenverstand am empfindlichsten sich sträubt, die ormacht eines Objektiven über die einzelnen Menschen, in ihrem Zusammenleben so wie in ihrem Bewusstsein, das lässt täglich kraß sich erfahren. Man verdrängt jene Vormacht als grundlose Spekulation, damit die Einzelnen die schmeichelhafte Täuschung, ihre mittlerweile standartisierten Vorstellungen wären die im doppelten Sinn unbedingte wahrheit, bewahren können vor dem Verdacht, es sei nicht so und sie lebten unterm Verhängnis. In einer Epoche, die das System des objektiven Idealismus so erleichtert abschüttelte wie die objektive Wertlehre der Ökonomie, sind Theoreme erst recht aktuell, mit denen ein Geist nichts anfangen zu können behauptet, der seine eigene Sekurität und die der Erkenntnis sucht im Vorhandenen als der wohlgeordneten Summe unmittelbarer Einzeltatsachen der gesellschaftlichen Institutionen oder der subjektiven Beschaffenheit ihrer Mitglieder. Der Hegelsche objektive und schließlich absolute Geist, das ohne Bewusstsein der Menschen sich durchsetzende Marxische Wertgesetz ist der ungegängelten Erfahrung evidenter als die aufbereiteten Fakten des positivistischen Wissenschaftsbetriebs, der heute ins naive vorwissenschaftliche Bewusstsein sich verlängert; nur gewöhnt dieser, zum höheren Ruhm von Objektivität der Erkenntnis, den Menschen die Erfahrung der realen Objektivität ab, der sie, auch in sich selbst, unterworfen sind... Wohl wäre es töricht, mit erkenntnistheoretischer Finesse wegzudisputieren, daß, wenn unterm Hitlerschen Faschismus bei einem Abweichenden um sechs Uhr morgens die Staatspolizei läutet, das unmittelbarer zu dem Individuum ist, dem es widerfährt, als die vorausgegangenen Machinationen der Macht und die Installierung der Parteiapparatur in allen Zweigen der Verwaltung.. Dennoch hängt das factum brutum des behördlichen Überfalls, mit dem der Faschismus dem Einzelnen auf den Leib rückt, von all jenen fürs Opfer entferntere und im Augenblick gleichgültigen Momenten ab. Bloß die armseligste Stoffhuberei könnte,unterm Titel wissenschaftlicher Akribie, dagegen sich blind machen, daß die Französische Revolution, so abrupt manche ihrer akte erfolgten, dem Gesamtzug der Emanzipation des Bürgertums sich einfügte. Sie wäre weder möglich gewesen noch gelungen, hätte es nicht 1789 die Schlüsselstellungen wirtschaftlicher Produktion bereits okkupier und de Feudalismus und seine absolutistische spitze, die zuzeiten mit dem bürgerlichen Interesse koaliert war, überflügelt...Wahrscheinlich waren alle bürgerlichen Revolutionen vorentschiden durch den historischen Aufschwung der Klasse und hatten eine Beimischung von Ostentation, die in der Kunst als klassizistisches Dekor nach außen drang. Gleichwohl hätte jener Zug an der historischen Bruchstelle kaum sich realisiert ohne die akute absolutistische Mißwirtschaft und die Finanzkrise, an der die physiokratischen reformer unter Ludwig XVI. scheiterten...Sogar die Zurückgebliebenheit der Produktivkräfte der einen Klasse ist nicht absolut sondern einzig relativ auf die Fortgeschrittenheit der anderen. Nicht zuletzt darum nähert nähert, wie bereits in Hegel und Marx, die Geschichtphilosophie ebenso der Geschichtsschreibung sich an, wie diese, als Einsicht von der der Faktizität verschleierte, aber diese bedingende Wesen, bloß noch als Philosophie möglich ist. Auch unter diesem Aspekt ist Dialektik keine wekltanschauliche Spielart, keine philosophische Position...Wie die Kitik der angeblich ersten philosophischen Begriffe zur Dialektik treibt, so wird sie von unten her gefordert." (Negative Dialektik, S. 293 ff.)

Hier bekommt der Begriff des Nichtidentischen eine konkrete, auf gesellschaftliche Verhältnisse bezogene Funktion, die weit enger fassbar ist als in der begriffsgeschichtlichen Herleitung bzw. Reflektion wie etwa hier: http://www.blogfrei.de/metalust/2007/09/heute_hier_morgen_da_lief_gera.html

Ist in der Hegel´schen Philosophie der Weltgeist als eine abstrakte Größe gesetzt, die sich im Schaffen des Menschen realisiert (Selbstverwirklichung in der Selbstverdinglichung), für die Junghegelianer also die Industrialisierung die Verwirklichung des Weltgeistes unter den konkreten Gegebenheiten eines bestimmten Zeitalters, womit die malochenden Arbeiter in der Industrie dann sozusagen eine individualisierte Form sind, in der der Weltgeist (moderner gesprochen: Die historische Haupttendenz einer Epoche) zu sich kommt, kritisierte Marx die heteronom, entfremdete Form, in der dies geschieht. Der vom Bürgertum als Arbeiter identifizierte, auf seine Rolle beschränkte Proletarier ist ebenso nichtselbsbestimmt wie der klassenbewusste Proletarier, der sich mit dieser Rolle identifiziert und auf seine Arbeit stolz ist, selbst wenn er um Partizipation und Verbesserung seiner Stellung kämpft. Das Nichtidentische wird hier bei Adorno zur Gegenposition: Keine Rolle mehr zu akzeptieren, die eigenen Wünsche, Ziele und Träume entgegen dem bisher historisch Gewordenen oder darüber hinaus zu realisieren, ist einerseits die radikalste mögliche Konsequenz, andererseits das Einzige, was als Gegenposition zu einer restlos dem Diktat der jeden Lebensbereich organisierenden Industriegesellschaft noch möglich ist. Hier, und nur hier, liegt bei Adorno ein utopischer Gehalt.

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Der Mutterwitz
Die Sprüche meiner Mutter sind ja besser als jede Comedy. Bei einem Anruf aus meinem Urlaub erwiderte sie auf "Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wieviele Apfelbäume es im Vinschgau gibt!" "Gut, dann stelle ich mir das nicht vor."

Als ich mal meinte, ich hoffte, dass sie mir noch möglichst lange erhalten bliebe, kam "jemand muss ja schließlich die Suppe kochen, wenn Du hier bist." Als ich daraufhin meinte, dass ich sie für einen der wertvollsten Menschen hielte, die ich kenne, kam als Antwort "Das geht mir natürlich runter wie Öl. Übrigens gibt es von Biskin da eine neues Olivenöl, das wäre was für Dich."


Und kürzlich erzählte ich, dass ich nur zweimal im Leben von einer Wespe gestochen wurde, einmal als Kind und einmal mit 30, da meinte sie "Dann wird die Wespe sich wohl gefreut haben, dich wiederzuerkennen."

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