Mittwoch, 14. Oktober 2009
Goldener Oktober
Mögen in den Wolken noch die Kuckucke ihre Heime der Ökonomie bauen, die Bäume jedenfalls verfärben sich, und die dieses Jahr erbrüteten Vögel trainieren für den Zug nach Süden. Es ist kühl und windig, aber wunderschön.


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Das Wolkenkuckucksheim als herrschendes Denkmodell. Ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu wirtschaftlicher Theorie und Empirie
Ehe mir dieser Kommentar drüben im Gewühl untergeht, mache ich doch mal einen eigenen Beitrag draus.

Momorulez zu Volkswirtschaftsdozenten: "Die sitzen an Universitäten und reiben sich in Gremien auf, das liegt eine staatskritische Haltung ja zunächst mal nahe – meine wirtschaftskritische Haltung verdankt sich ja auch Erfahrungen in der Realwirtschaft. Dann müssen sie sich auch noch ständig als Regierungs- und Behördenberater proifilieren, und aus dem Oszillieren zwischen diesen Polen entsteht dann eben ein bestimmter Theorietypus, der natürlich „weniger Staat“ dann als Lösung wittert ….
Die „Wissenschaftlichkeit“ wird zudem aus unsinnigen Formalsierungen zu gewinnen versucht, anstatt sich auf das Material wirklich einzulassen: Menschliche Handlungen Sind Bedürfnisse in ihrer Vieldimensionalität, die sich in sytemischen Prozessen aufreiben.“ —- Ich würde das, gerade meine Erfahrungen aus der realen Wirtschaft eingedenk, noch viel härter fassen: Die Vorstellungen der Volkswirtschaftler und Makroökonomen, wie eine Ökonomie funktioniere, sind Beschreibungen eines idealistischen So-Sein-Sollens. Realistisch und empirisch wäre eine Volkswirtschaft, wenn sie die illegalen Methoden der Gewinnmaximierung, die Schwarzarbeit, die schwarzen und grauen Märkte und die Delinquenz mit einbezöge. Zwischen Marketing, Fundraising, Korruption und Betrug GRUNDSÄTZLICH trennen zu wollen, ist in vielen Fällen schon eine ideologische Verzerrung von Prozessen, deren Akteure für sich diese Trennung nicht vornehmen, das Gleiche gilt für Auftragsvergabe und Erpressung (Deckelung von Subunternehmen, denen offen mit der Insolvenz gedroht wird, wenn sie einen Job nicht zu einem bestimmten Preis machen, z.B.). Der Konzern, der als wohltätiger Sponsor sozialer Projekte auftritt und sich dafür auf Charity-Galas und Pressekonferenzen feiern lässt, sich das Sponsern aber sponsern lässt durch 1 : 1 dem Spendenaufkommen entsprechende WKZs der Zulieferindustrie oder die linke Politgruppe, die einen Teil ihrer Projektgelder dadurch aufbringt, dass man durch Szenekneipen geht, um Dutzende Leute eine Teilnehmerliste für eine Bildungsmaßnahme ausfüllen zu lassen, die real nicht stattfindet, deren Kosten aber erstattet werden, beides ist das Normalste der Welt, ebenso wie Diebstahl und Sabotage am Arbeitsplatz. Ob bei VW nachts ganze Auspuffanlagen aus dem Werk getragen werden oder im Klinikum jeden Monat drei EKG-Geräte verschwinden, beides ist alltägliche Normalität, überall in der Industrie (zur Industrie gehören für mich auch Großkrankenhäuser). Die Akkordarbeiter, die einmal pro Schicht eine Unterlegscheibe in das Getriebe einer Maschine schmeißen, um sich so eine zusätzliche Pause zu verschaffen, handeln in dem guten Gewissen, dass das eigentlich ihr Recht sei als Widerstand gegen den Arbeitsdrill. Tatsächlich gibt es Industriesoziologen und Historiker, die diese Art von Eigen-Sinn unter „moralische Ökonomie“ subsummieren. How auch ever, eine Volkswirtschaft, die solche Faktoren nicht mitbedenkt erschafft Wolkenkuckucksheime, die an der Realwirtschaft vorbeikonstruiert sind.

Auf Wolkenkuckucksheime haben natürlich Liberale und Konservative oder Sozis kein Monopol. ich erinnere mich an eine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in den tiefsten Neunzigern, da erläuterte ein VWL-Prof und hochgelobter Alternativökonom, dass ein neuer Aufschwung durch ökologischen Umbau bevorstünde. Nach Anwerbestopp und Asylrechtsverschärfung spiele der Faktor Migration keine Rolle mehr, daher schrumpfe langfristig die Bevölkerung in Deutschland, gleichzeitig stünden mit dem Wegfall des Rüstungswettlaufs riesige freie Industriekapazitäten zur Verfügung – die „Friedensdividende“ – die zu einem Umbau unserer gesamten Ökonomie auf Basis ökologischer Technologien genutzt werden könnten. Ich hielt ihm anhand konkreter Zahlen unter die Nase, dass noch immer genauso viele MigrantInnen kommen würden wie bisher, nur eben illegal, und dass ohne die Schwarzarbeit illegalisierter MigrantInnen Gastronomie, Landwirtschaft und bestimmte Dienstleistungsgewerbe schon gar nicht mehr denkbar wären. Ebenso wies ich darauf hin, dass das Wettrüsten durch die garantierte Hochwertigkeit von Produkten mit garantierter Abnahme, garantiertem vorzeitigem Verschleiß und garantierten Preisen nicht nur für die Waffen- Werften- Luft- und Raumfahrt- und Fahrzeugindustrie, sondern auch für Stahl, Kohle, Werkzeug- und Maschinenbau, Forschung und Mikroelektronik Arbeitsplatzgarantien geschaffen hätte, die nach dem Rüstungswettlauf verloren wären. Gleichzeitig fiele mit der Ursache des Rüstungswettlaufs, nämlich der Systemkonkurrenz, auch der wichtigste Faktor weg, der das Kapital dazu bewegt hatte, soziale Garantien zu gewähren. Daher sei mit massivstem Sozialabbau und sozialer Entgarantierung zu rechnen.

Der hochgelobte Volkswirtschaftsprofessor musste zugeben, dass ich seinen Zahlen die empirische Grundlage entzogen hatte. Aber man weigerte sich, auf Basis meiner Argumente weiterzudiskutieren und wandte sich stattdessen wieder dem erwarteten „ökologischen Wirtschaftswunder“ zu. Man wollte nicht mehr mit mir spielen, aber weiterhin am Wolkenkuckucksheim bauen.

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