Sonntag, 11. Oktober 2009
Was will der Neue Antiimperialismus?
Ich blogge hier nun seit 2003 und habe immer mal wieder darauf Bezug genommen, dass ich mich selber ins Lager des Neuen Antiimperialismus rechne. Was aber darunter zu verstehen ist fiel mir wohl schwer zu vermitteln, zumindest weisen Reaktionen von LeserInnen meines Blogs darauf hin, denen dann Gestalten wie Chavez einfallen, die sich sicherlich als Antiimperialisten bezeichnen würden, mit dem Neuen Antiimperialismus aber so viel zu tun haben wie Kim Wilde mit Corazon Aquino. Tatsächlich ist der Neue Antiimperialismus ja in starker Abgrenzung von dem entwickelt worden, was ansonsten unter Antiimperialismus firmierte, insbesondere von den Antiimps als Bewegung. Verlinkungen auf die Homepage der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus waren auch wenig hilfreich, da die Sprache der Materialien von vielen Leuten, die gewohnt sind, online zu lesen bereits kaum noch verstanden wird und man zudem Marx gelesen haben sollte, um die Materialien rein semantisch überhaupt zu begreifen. Da mir diese Thematiken aber äußerst wichtig sind, möchte ich einmal mit eigenen Worten darstellen, was der Ansatz des Neuen Antiimperialismus bedeutet, wie ich ihn persönlich interpretiere und was politisch und theoretisch daraus folgt.

Zunächst kann man sich dem Neuen Antiimperialismus von unterschiedlichen Zugangswegen her nähern. Einen wichtigen Aspekt bildet sein sozialhistorisches Paradigma, das in einer Metakritik der Marx´schen Theorie begründet liegt. Bei Marx wird davon ausgegangen, dass Revolutionen sich immer dann ereignen, wenn ihre historische Notwendigkeit gekommen ist. Gesellschaftliche Umstürze, die eine historische Formation durch eine andere ersetzen, wie den Feudalismus durch den Kapitalismus und die Klassenherrschaft des Adels durch die des Bürgertums – oder eben den Kapitalismus durch den Sozialismus oder die diesem vorausgehende Diktatur des Proletariats, die bei Marx im Gegensatz zu Denen, die sich später auf ihn beriefen noch nicht als reale Diktatur gedacht war, solche Umstürze also begriff Marx als die „Theorie, die die Massen ergreift“. Wenn sich die französische und die 1848er Revolution sich so also wunderbar als materialisierte Hegel´sche Theorie begreifen lässt, so sticht allerdings ins Auge, dass die Massen gar keine Theorie hatten. Die Mehrzahl Derer, die auf der Straße kämpften und das Ende des Regimes erzwangen gehörten nicht den Bildungsschichten an, viele waren Analphabeten. Umgekehrt ist die Vorstellung, in einer künftigen, den Kapitalismus überwindenden Revolution ergriffe die Theorie die Massen nur dann denkbar, wenn diese sozusagen pädagogisch zur Theorie geführt würden. Eine Kernfrage des Neuen Antiimperialismus, die zugleich eine Bruchlinie zum klassischen Marxismus darstellt, ist dann eben die, was Massen denn überhaupt zur Revolte treibt. Warum lehnt sich wann wer auf, und nach welchen Gesetzmäßigkeiten? Wenn sich die Zeitschrift „Autonomie“ früher mit Brotpreisaufständen in Mexiko und Ägypten beschäftigte und diese mit Hungerrevolten in Europa um 1830 verglich ging es genau darum: Die Beweggründe des Aufstands zu erforschen und ein allgemeines sozialhistorisches Modell zu entwickeln, wann die Unterschichten rebellieren. Verbunden war dieser Ansatz von allem Anfang an auch mit Alltagsgeschichte, da nur diese für in der Lage gehalten wird, proletarische Subjektivität zu erfassen. Und wenn ich mich auf diesem Blog z.B. mit dem Aufstand Ende 2008 in Griechenland beschäftige geschieht dies aus dem gleichen Grund. Es geht mir weder um Revolutionsromantik, noch um formalisierte internationale Solidarität nach dem Prinzip „Solidemos für Aufstände anderwo“ oder gar „wenn da Randale ist, muss hier auch welche sein“, sondern um die Frage nach den Ursachen, Motivationen und Perspektiven des Aufstands. Und ich bin auch so old fashioned, zu sagen, dass ich es für die Pflicht und Aufgabe der Linken halte, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen, jedenfalls wenn sie einen gesellschaftsverändernden Anspruch hat.

Die sozialhistorische Perspektive des Neuen Antiimperialismus wird dann noch einmal besonders aus dem Operaismus gespeist. Die Erfahrung von Streiks bei FIAT und Ford Anfang der 70er, die von MigrationsarbeiterInnen getragen wurden war die einer Feindschaft gegen die Arbeit an sich. Nicht gewerkschaftliche Forderungen nach Lohnerhöhungen oder neuen Tarifverträgen brachten die Leute auf die Palme, sondern die unmittelbare körperliche Erfahrung von Entfremdung in der Akkordarbeit bei Menschen, die aus ländlichen Milieus stammten, denen diese Art Arbeit fremd war. Eine Kernperspektive des Neuen Antiimperialismus ist daher gerade die Aufstandsbereitschaft von Menschen, die aus ihrem bisherigen Lebenszusammenhang herausgerissen wurden und auch der Gegensatz Subjektivität/Eigen-Sinn – Unterwerfung unter maschinenförmige Machtapparate oder formelhaft ausgedrückt der Gegensatz das Leben gegen die Maschine.

Dazu kommt dann noch eine feministische Perspektive bzw. Patriarchatskritik, die sich analog des Drei – zu – Eins – Widerspruchs darstellen lässt.
http://www.idverlag.com/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEins.html

Von diesen Voraussetzungen ausgehend, die für sich noch keinen Antiimperialismus ausmachen, sondern eine sozialrevolutionäre Perspektive innerhalb der Industriesoziologie, Geschichtswissenschaft und politischen Theorie folgte dann die Anwendung auf Armut und Konflikte im Weltmaßstab bzw. Entwicklungs- und Schwellenländern. Während der alte Antiimperialismus der ML-Linken auf Solidarität mit bestimmten sozialistischen Regimes wie Kuba oder Vietnam und bestimmten Befreiungsbewegungen wie der PLO oder PFLP sich bezog, ist die Perspektive des Neuen Antiimperialismus die der Solidarität der um das unmittelbare Existenzrecht kämpfenden Unterschichtsbewegungen, seien es nun landlose Bauern, die irgendwelche Estancias besetzen oder Bootsflüchtlinge, die versuchen, über das Mittelmeer von Afrika nach Europa zu kommen. Von daher wird auch klar, wo sich VertreterInnen des Neuen Antiimperialismus (die sich „Autonome“ nannten, bevor der Begriff sich als Generalbezeichnung für Schwarzvermummte oder Steinewerfer auf Demos einbürgerte, aber hey, wir sind das Original) politisch hauptsächlich engagieren, nämlich in der „Dritte Welt“ – Soliarbeit und der Unterstützung von Flüchtlingen.

Bezogen auf soziale Lagen und Konflikte im Trikont kommt dann eine Verbindung aus Kritischer Theorie, den Foucault´schen „Dispositiven der Macht“ und Dependenztheorie zur Anwendung. So wird Entwicklungspolitik analog der Dialektik der Aufklärung als Umschlagen des Fortschritts in die Barbarei begriffen – Grüne Revolution und Industrialisierung in Entwicklungsländern erzeugen neue Armut - und andersherum die Ausweitung der Kulturindustrie und z.B. Bereiche wie die Pornoindustrie in den Metropolen als Kolonialisierung emotionaler Bedürfnisse.

Und um mich selbst zu verorten, stehe ich zwischen der hier geschilderten Interpretation des Neuen Antiimperialismus und der Verbindung mit den Ansätzen von Baudrillard und Bourdieu.

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