Sonntag, 11. Oktober 2009
Was will der Neue Antiimperialismus?
Ich blogge hier nun seit 2003 und habe immer mal wieder darauf Bezug genommen, dass ich mich selber ins Lager des Neuen Antiimperialismus rechne. Was aber darunter zu verstehen ist fiel mir wohl schwer zu vermitteln, zumindest weisen Reaktionen von LeserInnen meines Blogs darauf hin, denen dann Gestalten wie Chavez einfallen, die sich sicherlich als Antiimperialisten bezeichnen würden, mit dem Neuen Antiimperialismus aber so viel zu tun haben wie Kim Wilde mit Corazon Aquino. Tatsächlich ist der Neue Antiimperialismus ja in starker Abgrenzung von dem entwickelt worden, was ansonsten unter Antiimperialismus firmierte, insbesondere von den Antiimps als Bewegung. Verlinkungen auf die Homepage der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus waren auch wenig hilfreich, da die Sprache der Materialien von vielen Leuten, die gewohnt sind, online zu lesen bereits kaum noch verstanden wird und man zudem Marx gelesen haben sollte, um die Materialien rein semantisch überhaupt zu begreifen. Da mir diese Thematiken aber äußerst wichtig sind, möchte ich einmal mit eigenen Worten darstellen, was der Ansatz des Neuen Antiimperialismus bedeutet, wie ich ihn persönlich interpretiere und was politisch und theoretisch daraus folgt.

Zunächst kann man sich dem Neuen Antiimperialismus von unterschiedlichen Zugangswegen her nähern. Einen wichtigen Aspekt bildet sein sozialhistorisches Paradigma, das in einer Metakritik der Marx´schen Theorie begründet liegt. Bei Marx wird davon ausgegangen, dass Revolutionen sich immer dann ereignen, wenn ihre historische Notwendigkeit gekommen ist. Gesellschaftliche Umstürze, die eine historische Formation durch eine andere ersetzen, wie den Feudalismus durch den Kapitalismus und die Klassenherrschaft des Adels durch die des Bürgertums – oder eben den Kapitalismus durch den Sozialismus oder die diesem vorausgehende Diktatur des Proletariats, die bei Marx im Gegensatz zu Denen, die sich später auf ihn beriefen noch nicht als reale Diktatur gedacht war, solche Umstürze also begriff Marx als die „Theorie, die die Massen ergreift“. Wenn sich die französische und die 1848er Revolution sich so also wunderbar als materialisierte Hegel´sche Theorie begreifen lässt, so sticht allerdings ins Auge, dass die Massen gar keine Theorie hatten. Die Mehrzahl Derer, die auf der Straße kämpften und das Ende des Regimes erzwangen gehörten nicht den Bildungsschichten an, viele waren Analphabeten. Umgekehrt ist die Vorstellung, in einer künftigen, den Kapitalismus überwindenden Revolution ergriffe die Theorie die Massen nur dann denkbar, wenn diese sozusagen pädagogisch zur Theorie geführt würden. Eine Kernfrage des Neuen Antiimperialismus, die zugleich eine Bruchlinie zum klassischen Marxismus darstellt, ist dann eben die, was Massen denn überhaupt zur Revolte treibt. Warum lehnt sich wann wer auf, und nach welchen Gesetzmäßigkeiten? Wenn sich die Zeitschrift „Autonomie“ früher mit Brotpreisaufständen in Mexiko und Ägypten beschäftigte und diese mit Hungerrevolten in Europa um 1830 verglich ging es genau darum: Die Beweggründe des Aufstands zu erforschen und ein allgemeines sozialhistorisches Modell zu entwickeln, wann die Unterschichten rebellieren. Verbunden war dieser Ansatz von allem Anfang an auch mit Alltagsgeschichte, da nur diese für in der Lage gehalten wird, proletarische Subjektivität zu erfassen. Und wenn ich mich auf diesem Blog z.B. mit dem Aufstand Ende 2008 in Griechenland beschäftige geschieht dies aus dem gleichen Grund. Es geht mir weder um Revolutionsromantik, noch um formalisierte internationale Solidarität nach dem Prinzip „Solidemos für Aufstände anderwo“ oder gar „wenn da Randale ist, muss hier auch welche sein“, sondern um die Frage nach den Ursachen, Motivationen und Perspektiven des Aufstands. Und ich bin auch so old fashioned, zu sagen, dass ich es für die Pflicht und Aufgabe der Linken halte, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen, jedenfalls wenn sie einen gesellschaftsverändernden Anspruch hat.

Die sozialhistorische Perspektive des Neuen Antiimperialismus wird dann noch einmal besonders aus dem Operaismus gespeist. Die Erfahrung von Streiks bei FIAT und Ford Anfang der 70er, die von MigrationsarbeiterInnen getragen wurden war die einer Feindschaft gegen die Arbeit an sich. Nicht gewerkschaftliche Forderungen nach Lohnerhöhungen oder neuen Tarifverträgen brachten die Leute auf die Palme, sondern die unmittelbare körperliche Erfahrung von Entfremdung in der Akkordarbeit bei Menschen, die aus ländlichen Milieus stammten, denen diese Art Arbeit fremd war. Eine Kernperspektive des Neuen Antiimperialismus ist daher gerade die Aufstandsbereitschaft von Menschen, die aus ihrem bisherigen Lebenszusammenhang herausgerissen wurden und auch der Gegensatz Subjektivität/Eigen-Sinn – Unterwerfung unter maschinenförmige Machtapparate oder formelhaft ausgedrückt der Gegensatz das Leben gegen die Maschine.

Dazu kommt dann noch eine feministische Perspektive bzw. Patriarchatskritik, die sich analog des Drei – zu – Eins – Widerspruchs darstellen lässt.
http://www.idverlag.com/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEins.html

Von diesen Voraussetzungen ausgehend, die für sich noch keinen Antiimperialismus ausmachen, sondern eine sozialrevolutionäre Perspektive innerhalb der Industriesoziologie, Geschichtswissenschaft und politischen Theorie folgte dann die Anwendung auf Armut und Konflikte im Weltmaßstab bzw. Entwicklungs- und Schwellenländern. Während der alte Antiimperialismus der ML-Linken auf Solidarität mit bestimmten sozialistischen Regimes wie Kuba oder Vietnam und bestimmten Befreiungsbewegungen wie der PLO oder PFLP sich bezog, ist die Perspektive des Neuen Antiimperialismus die der Solidarität der um das unmittelbare Existenzrecht kämpfenden Unterschichtsbewegungen, seien es nun landlose Bauern, die irgendwelche Estancias besetzen oder Bootsflüchtlinge, die versuchen, über das Mittelmeer von Afrika nach Europa zu kommen. Von daher wird auch klar, wo sich VertreterInnen des Neuen Antiimperialismus (die sich „Autonome“ nannten, bevor der Begriff sich als Generalbezeichnung für Schwarzvermummte oder Steinewerfer auf Demos einbürgerte, aber hey, wir sind das Original) politisch hauptsächlich engagieren, nämlich in der „Dritte Welt“ – Soliarbeit und der Unterstützung von Flüchtlingen.

Bezogen auf soziale Lagen und Konflikte im Trikont kommt dann eine Verbindung aus Kritischer Theorie, den Foucault´schen „Dispositiven der Macht“ und Dependenztheorie zur Anwendung. So wird Entwicklungspolitik analog der Dialektik der Aufklärung als Umschlagen des Fortschritts in die Barbarei begriffen – Grüne Revolution und Industrialisierung in Entwicklungsländern erzeugen neue Armut - und andersherum die Ausweitung der Kulturindustrie und z.B. Bereiche wie die Pornoindustrie in den Metropolen als Kolonialisierung emotionaler Bedürfnisse.

Und um mich selbst zu verorten, stehe ich zwischen der hier geschilderten Interpretation des Neuen Antiimperialismus und der Verbindung mit den Ansätzen von Baudrillard und Bourdieu.

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nichts gegen Kim Wilde ;-) ... btw., "Theorie als Praxis" hat vor kurzem eine historische Kritik an der "Autonomie Nr. 14" ins Netz gestellt: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/12/doku-das-reformistische-schaf-im-autonomen-wolfspelz-kritik-an-der-autonomie-nr-14/

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Scheint mir beim ersten Durchlesen, ähnlich wie schon 1990 bei den Autonomen Studis (Bolschewiki) eine typische "nichts begriffen"-Kritik zu sein. Wenn man z.B. Karl-Heinz Roths Erörterungen zur permanenten Neuzusammensetzung der Klasse gelesen hat erscheint die hier geäußerte Kritik des Klassenbegriffs als unfreiwillige Satire.

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Ich denke, die Theorie wird auch aus den Texten selbst verständlich, auch wenn man kein Marx-Experte ist. Sicher nicht in allen Details...
Hab grundsätzlich Probleme mit solchen Großen Theorien. Ebenfalls mit dem Ayn-Rand-Liberalismus gemäß dem Märkte immer effizient sind.
Als Kind, als wir zu unserer Oma, den Tanten, Cousins und Cousinen 100 km über die A1 fuhren, hab ich mir öfters die Fahrt als Autorennen vorgestellt, um mir die Fahrt interessanter zu machen. Als phantasiebegabter Mensch kann man halt die Elemente der äußeren Welt in einen eigenen Kontext stellen, so dass dies dann als Realität erscheint.

Deutlichst verbesserte Arbeits- und Sozialbedingungen in der westlichen Welt der 50er bis 80er Jahre - die bis heute nur sehr partiell wieder aufgehoben wurden- dienen der einfacheren Reproduktion der Arbeiterklasse.
Dann überlegt sich "die Kapitalistenklasse" (wer immer das ist), dass man besser die Arbeiter unterschiedlicher Länder gegeneinander ausspielt.
Mikrokredite ermöglichen den Kapitalisten selbst in die entlegensten Regionen vorzudringen.

Sicher liefert jede Theorie möglicherweise interessante Blickwinkel auf die Realität. Gleichzeitig verdeckt sie aber zahllose andere, um ein möglichst kohärenten Gesamtkonstrukt zu liefern.

Den Theoretikern fehlt jede Bescheidenheit bezüglich der Allgemeingültigkeit ihrer Analyse-Fähigkeit. Da ähneln sie den Ayn-Rand Liberalisten.

In der Menschheitsgeschichte gabs immer Gruppen, die dermassen in die Ecke gedrängt wurden, dass sie rebellierten. Die Idee des Sozialstaats bestand ja gerade darin, dies deutlich zu lindern. Im Vergleich zu uns wird in Schwellenländern die wirklich üblen Lebensumstände ins Alter verlegt. Etwa durch ein unzureichendes Gesundheitssystem. Im Alter rebellieren diese Leute dann nicht mehr.

Ich hab im Neuen Antiimperialismus noch keine Ordnungsvorstellungen für eine gerechtere Welt gesehen. Die Antwort besteht eher darin, dass früher alles besser war. Der Verstädterungsprozeß in Schwellen- und Entwicklungsländern ist aber aus meiner Sicht ein a) oft freiwilliger und b) unumkehrbarer Prozeß. Ist eine Person einmal verstädtert, geht sie nicht als Bauer aufs Feld zurück. Auch daran scheiterten viele Agrarreformen. Und etwa die brasilianische Bewegung der Landlosen ist gerade bei Klein- und Mittelbauern recht unbeliebt, da diese Leute nicht als wirkliche Bauern gelten sondern als unproduktiver herumziehender Zirkus mit angeschlossenem Bordell.
Ich hab den Eindruck, dass die Theorie interessanter ist als die Schwierigkeiten der Umsetzung.

Natürlich ist keiner gefeit von dem Phänomen, das man Nachrichten gefiltert wahrnimmt.

Raul Castro hat letztens gesagt, dass man kein Geld ausgeben kann, das man nicht vorher erwirtschaftet hat. "Feindschaft gegen Arbeit" macht die Kundenadquise sicher nicht einfacher.

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@"Ich hab im Neuen Antiimperialismus noch keine Ordnungsvorstellungen für eine gerechtere Welt gesehen. Die Antwort besteht eher darin, dass früher alles besser war."----- Die Bedeutung und Wirkung radikaler Gesellschaftskritik besteht eben nicht darin, Ordnungsvorstellungen zu entwicklen. Das früher irgendetwas besser gewesen sei, eben das behauptet der Neue Antiimperialismus ja in keiner Weise. Die These von der Subsistenz als Voraussetzung von sozialem Widerstand, die auch die Autonomen Studis/Bolschewiki und so, wie ich das lese auch die VerfasserInnen der von Entdinglichung verlinkten Kritik als Idyllisierung vormoderner patriarchaler Verhältnisse fehlinterpetieren meint etwas ganz Anderes. Es geht hier darum, dass einerseits wirtschaftliche Modernisierung mit Zerschlagung älterer Produktion/Reproduktionsstrukturen einhergeht. Im Zuge der jüngeren Wirtschaftsgeschichte ist ja der Blick auf das Gewaltförmige des Modernisierungsprozesses, das Marx noch klar im Auge hatte weitgehend verloren gegangen. Dann wird von den Materialien die Frage aufgeworfen, ob die Kämpfe von sich gegen die Zerstörung ihrer Subsistenzwirtschaftsstrukturen wehrenden Landarmen nicht grundsätzlich ein Bezugspunkt für linke Solidarität sein müssten, und schließlich wird das Vorhandensein von Rest-Subistenzstrukturen als notwendige Ressource angesehen, um sozialen Widerstand überhaupt leisten zu können. Fluchtpunkt ist hierbei aber immer die soziale Revolution oder der Widerstand gegen den Zugriff des Kapitals auf die Ressourcen der Unterschicht, nicht eine rückwärtsgewandte Bezogenheit auf überkommene Strukturen.

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@"Und etwa die brasilianische Bewegung der Landlosen ist gerade bei Klein- und Mittelbauern recht unbeliebt, da diese Leute nicht als wirkliche Bauern gelten sondern als unproduktiver herumziehender Zirkus mit angeschlossenem Bordell." ----- Ja, was die europäischen Mittelschichten so über Sinti und Roma denken ist auch nicht nett. Aber ich nehme als Linker doch keine rural middleclass-Perspektive ein, bewahre...

Dieser Blickwinkel kann es doch wirklich nicht sein.

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Alles ein wenig top down school of management, wenn du mich fragst. Für eine Revolution muß man die recht spezifischen Bedingungen in den irgendwie auch unterschiedlichen Gegenden der Erde betrachten. Sonst wären Lenin, Castro oder Mao unbekannt gestorben.

Der Grundtenor von D. Hartmann scheint mir zu sein, dass die Kapitalisten die Welt immer mehr durchdrängen. So empfind ich das jedenfalls. Dadurch kommt dieser "früher alles besser" Vorwurf zustande.
Möglicherweise entsteht dieser Vorwurf aus einem fehlenden Verständnis. Aber selbst dann... Seine Gesellschaftskritik beschreibt eigentlich Prozesse und die gehen in Richtung mehr Verfügbarkeit für "die Kapitalisten".
Das Gewaltförmige des Modernisierungsprozesses ist imnsho gerade NICHT aus der Wirtschaftswissenschaft verschwunden. Es war in der neoliberalen Epoche sogar mit "Austrian School" Schumpeter sehr, sehr präsent. Die smarteren Bolibananos (Ecuador) argumentieren in ihren Papers dagegen an. Da geb ich ihnen teilweise Recht.

Mit den Subsistenzstrukturen als Alternative ist das halt so eine Sache. Mein Opa hat sich als kommunistischer Arbeiter in der Nazi-Zeit ein subventioniertes Haus am Deich bei Wilhelmshaven gekauft. Dieses hatte einen großen Garten. Er hat diesen Garten sehr geliebt. Bis in die frühen 60er hatten die sogar Ziegen. Kaninchen und Hühner gabs auch im Kind-Haushalt meiner Mutter. Mein Vater hatte ein Ruderboot, um als Jugendlicher recht regelmässig im Jadebusen zu angeln. Der Garten besaß einen Räucherofen.
Nur kann man diese Bedingungen des Deutschlands der Nachkriegszeit nicht unbedingt mit der Situation von Entwicklungsländern vergleichen. Dort sind Lebensmittel vergleichsweise günstiger. Die Lebensmittelpreise haben sich hier in den letzten 30 Jahren nicht stark erhöht. Sie sind in Entwicklungs-/Schwellenländern noch günstiger. Ausserdem gibts nicht unbedingt diese großen Grundstücke. In Südamerika tendiert man zu dieser Siedlungsbauweise, in der viele kleine Einfamilienhäuser auf kleine Grundstücke gesetzt werden. So spart man an Kosten für den Anschluß an die öffentlichen Versorgungsnetzwerke und am Transport. Im übrigen gibts in den meisten Entwicklungsländern weniger stabile Familienverhältnisse, heißt: mehr alleinerziehende Mütter. Die können einfach nicht nach einem 10-Stunden Arbeitstag, die Beschäftigung mit dem Kind und der möglicherweise kranken Eltern sich auch noch um Ackerbau & Viehzucht kümmern, um für den nächsten Streik vorzusorgen. Im übrigen GIBT es mehr Möglichkeiten sich mit allemöglichen Geschäften zu finanzieren. Die thailändische Frau eines befreundeten Holländers verdient etwa mit über Webshops vertriebene Häkelmuster für eine Art von Stofftieren 350$ im Monat. Das ist mehr als sie als Krankenschwester verdienen würde.
Oder in Chile kenn ich Frauen, die mit Parfüm, Schmuck oder selbstgebackenen Keksen handeln. Das funktioniert aber eigentlich nur wirklich, wenn sie mit einem Mann verheiratet ist, der für das geregelte Einkommen sorgt. Du brauchst nämlich zur Zeit ein Auto für die security während des Transports.

Und dann die demographische Entwicklung. Venezuela war Ende der 40er relativ entvölkert. Vielleicht 4 Mio Einwohner. Heute: 28 Mio. Der Sohn eines baltischen Einwanderers schrieb mal in so einem Oppo-Blog, dass sein Vater sagte, dass für einen Venezuelaner ein Mango Baum genügt. 2 Mango Bäume sind sogar noch besser, weil man dann eine Hängematte aufspannen kann. Heute gibts vielleicht nicht mehr genug Boden für einen Mango Baum pro Venezuelaner. Und dann erzeugt diese Welt da draussen Bedürfnisse. Die letzten Indianer leben im Amazonas hermetisch abgeriegelt vom Rest der Welt. Die das organisierenden Leute, wissen, was sie tun.

Ein Klein- und Mittelbauer lebt mit einem mindset, der sich über Generationen gebildet hat und sehr vermutlich zu seiner erfolgreichen Anpassung an seine Umwelt gehört. Ich bin Programmierer/Projektmanager/Consultant und meine Kunden finden manche meiner Aktivitäten auch verwunderlich. Oft sind das aber sinnvolle Anpassungen an die Produktivitätsbedingungen meiner ökonomischen Nische. Ich finds leichtfertig, Blickwinkel abzuurteilen. Z.B. sank nach den Landreformen der Allende-Regierung die Produktivität der Landwirtschaft dramatisch. Dies hat sicher etwas mit mindset zu tun.
Unsere arbeitsteilige Wirtschaft ist verflucht effizient. Sicher schafft sie auch Abhängigkeiten. Nur denke ich, dass du hier angesichts der nach wie vor wachsenen Weltbevölkerung, die Notwendigkeit der Effizienz unterschätzt. Wobei ein erfolgreiches System nicht nur von Effizienz sondern auch von Belastbarkeit (resilience) bestimmt wird. Aber das ist eine andere Geschichte.

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http://lungsoftheearth.blogspot.com/2011/08/brazil-gives-up-on-land-reform.html

Interessanter Artikel über das Scheitern der Landreformen unter da Silva/Roussef in Brasilien.

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drei zu eins
hhhhmmmm, für die Diskussion um das drei zu eins von Viehmann bin ich zu jung, die habe ich nicht live wahr genommen. Aber stand das nicht genau für die Relativierung des Klassenstandpunktes? Ist das nicht eines der wichtigen Manifeste für die ismen? Und damit für den anti-ismus?

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Die Diskussion um das Drei zu Eins stand eigentlich eher schon am Ende der Diskussionen, aus denen heraus der Neue Antiimperialismus formuliert wurde. Er bedeutet in diesem Kontext aber keine Aufgabe des Klassenbegriffs - nicht Standpunkts, denn ein Standpunkt hat keine Ausdehnung;-) - sondern eine Neuformulierung: Die Klasse setzt sich anhand von Determinanten wie Stellung im Produktions/Reproduktionsprozess, Gender und Hautfarbe/Ethnie permanent neu zusammen. Es gibt damit nicht mehr die Arbeiterklasse im historischen Sinn, sondern ein multiethnisches, aber durch Ethnisierung sozialer Verhältnisse, und auch Heterosexismus u.a. diskriminiertes Proletariat, das sich sozial hochdynamisch ständig verändert, und zwar im Welmaßstab. Roth rechnet dem zum Beispiel ohne Weiteres auch prekarisierte neue Selbstständige zu.

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wobei die Rezeption in weiten Teilen der Szene damals (~ 1991) auf "3 zu 1" darin bestand, sich nicht mehr mit "Klasse" auseinandersetzen zu wollen, was Viehmann & seine MitdiskutantInnen so nicht intendiert hatten

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Ja, und auf der anderen Seite gab es damals den Reader "Metropolengedanken und Revolution" oder so ähnlich, der im Prinzip darauf hinauslief, nur die verarmten Massen des Trikont könnten eine Revolution machen. Das war dann Antiimp-Ideologie pur. Beide Pole sagen aber nichts über die Materialien, die Viehmann&Co-Debatte oder z.B. das Bremer Winterpapier aus, die das eben gerade nicht so formulierten.

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stimmt, viele haben sich damals aus den Texten gerade dasjenige herausgepickt, was ihnen gefiel bzw, womit mensch "theoretisch" begründen konnte, sich nicht mehr mit Menschen in der BRD im allgemeinen und mit den hiesigen Lohnabhängigen im besonderen zu befassen (ein gutes Stück kleinbürgerlicher/bildungsbürgerlicher Klassismus war da immer mit dabei) ... Ironie der Sache ist, dass manche damalige Antiimps und Antinationale in der Frage des revolutionären Subjekts ziemlich eng beieinander lagen ... ansonsten hat mir die Literaturliste in "Drei zu Eins" viele wertvolle Anregungen zum weiterlesen gegeben

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Ich habe in dieser Auseinandersetzung vor allem Frauen erlebt, die daraus messerscharf den Schluss zogen, Trikont, Klassenfrage und so weiter sei alles Revolutionsmachismo und nur noch die Frauenfrage sei interessant, und Männer, denen das alles "zu hart" war und die plötzlich bei Peter Glotz und Joschka Fischer landeten.

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Die Positionen der Materialien wurden übrigens fast immer aus der Perspektive der teilnehmenden Beobachtung ("militante Untersuchung") gewonnen. Vor dem Band über den Untergang der Sowjetunion hielten sich Redaktionsmitglieder monatelang in Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan auf und erlebten dort bürgerkriegsartige Unruhen (nach einem unerwünscht ausgegangenen Fußballspiel wurde eine Innenstadt in Schutt und Asche gelegt, bis die Panzer kamen usw., Dinge, über die westliche Medien nie berichteten), die Informationen zu Brasilien wurden im Kontakt zu brasilianischen Landlosen erstellt, den ja aber Saltoftheearth aufgrund seiner Südamerika-Middleclass-Perspektive nie suchen würde und die meisten Redaktionsmitglieder sind in der Flüchtlingssozialarbeit oder verwandten Themenfeldern beschäftigt, woher auch ihre Inhalte kommen.

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@"unproduktiver Wanderzirkus" ---- Menschen, die einer Bewegung angehören, die überhaupt nur dadurch zustande kam, weil man sie - überwiegend gewaltförmig - ihrer Produktionsmittel beraubt hat, vorzuwerfen, sie seien unproduktiv, ist so, als kritisiere man Arbeitslose dafür, dass sie kaum etwas zum Steueraufkommen beitrügen. Müsste man nicht eigentlich die Juden nach der Arisierung auch für ihren geringen Beitrag für die deutsche Volkswirtschaft kritisieren?

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Das ist ja wohl ein wenig polemisch. Eine wie die Bewegung der Landlosen agierende Bewegung hat ein politisches Anliegen. Um es durchzusetzen, müßten sie die Mehrheitsgesellschaft überzeugen. Genau das gelingt ihnen aber immer weniger.
Nun kann man der brasilianischen Gesellschaft Spießertum oder Faschismus vorwerfen...
Z.T. wird die Bewegung übrigens von Regierungsgeldern unterstützt.

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Ich bin insofern bei Netbitch, als dass eine Gesellschaft sich immer vor allem darüber bewerten lässt, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Der zuverlässigste Blick auf ein politisches System ergibt sich mir aus der Perspektive der Ausgegrenzten und wie sie Gesellschaft erleben. Also: Brasilien aus dem Blickwinkel der Landlosen, der Indios, der Faveleros, Deutschland aus dem der HartzIVer, der MigrantInnen, der Behinderten, der Schwulen und Lesben usw.

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verdammt, was willst du uns nun sagen, Che?

Willst du uns dazu überzeugen, deinem Standpunkt Tribut zu zollen oder gar unseren Standpunkt an deinen anzugleichen..?^^

edit:
Ich verstehe das ganze Geschreibsel nicht, nur ums Geschreibsel Willen?
Deswegen tue ich mir wahrscheinlich auch so schwer, nen eigenen Blog zu betreiben, weil ich kann nicht stundenlang altbackene geschichtliche Tatsachen & Interpretationen dieser wiederkauen, ohne daraufhin einen triftigen Aktions-Rahmen zur Verbesserung unserer momentanen gesellschaftlichen Lage anzufügen..!
Denn meines Erachtens nach werden Mißstände und Fehlentwicklungen schon viel zu häufig online "nur" angeprangert und zerpflügt. Aufwärts kann es mit unserer Gesellschaft nur gehen, wenn wir daraus auch die richtigen Schlüsse ziehen und nicht versuchen verwirrende Debatten oder durch makkabere Aktionen rasch gebrandmarkte Bewegungen zu entfachen / loszutreten. Vielmehr sollten wir libertären Blogger die "rechten" im Sinne von weiterführenden Impulse für die [R]evolution /Umstrukturierung unserer Gesellschaft setzen.

kleiner Tipp:
les mal "Anarchie" von Horst Stowasser ;)

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Stowasser gehörte mal zu meiner politischen Einstiegsliteratur. So vor ca. 27 Jahren. Wenn bestimmte Debatten für Dich verwirrend sind, sorry, ist das nicht mein Problem. Was ich hier veranstalte, ist gewissermaßen ein Blog-Begleitprogramm zu Debatten, Aktionen, Kampagnen, die im real life stattfinden und der Versuch, dies mit den Blog-Diskussionen zu verbinden.Man muss im Übrigen ja in die Materialien nur einmal hineinlesen (und sich vielleicht mal mit den BetreiberInnen der üblichen linken Buchläden mal ein wenig über die Hintergründe unterhalten), um so in etwa zu erfassen, was gemeint ist. Die Impulse, von denen Du sprichst zu setzen ist im Übrigen ja ein zentrales Anliegen der Materialien, daher ja auch der ganze Aufwand.

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auch zu meiner ... habe so ~ 1986 "Leben ohne Chef und Staat" in die finger bekommen und war begeistert

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