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Montag, 4. Januar 2021
Verlängerung des harten Lockdowns recht wahrscheinlich
che2001, 17:58h
Die Infektionszahlen seien „weiter besorgniserregend hoch“, und die Auswirkungen der Feiertage seien noch unklar, so Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Heute beraten alle Kultusminister der Länder über das weitere Vorgehen.
Es gilt als wahrscheinlich, dass es bei Schulen noch keine Rückkehr zum Regelbetrieb geben wird. „Wir müssen volle Klassen bei diesem hohen Infektionsgeschehen vermeiden“, so Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Er plädiert bei Grundschülern für Wechselunterricht mit Abstandsregelungen und für Distanzunterricht bei höheren Jahrgängen.
Am kommenden Dienstag tauscht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder aus. Im Vorfeld zeichnet sich bereits ab, dass der harte Lockdown verlängert wird. Zunächst sollten alle Einschränkungen nur bis zum 10. Januar gelten.
Nun bestätigt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Im Zweifel solle der Lockdown länger gehen, damit er nachhaltiger wirkt. „Gerade die hohe Zahl der Patienten auf den Intensivstationen zeigt, dass es eine Überlastung des Gesundheitswesens weiterhin unbedingt zu vermeiden gilt“, so der Minister.
Spahn zu Mitarbeitern im Gesundheitswesen: „Gebot der Vernunft, sich impfen zu lassen“
Spahn forderte am Wochenende auch alle Ärzte und Pflegekräfte auf, sich impfen zu lassen: „Es ist ein Gebot der Vernunft und der Solidarität, dass diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sich ebenfalls impfen lassen, zu ihrem eigenen Schutz und dem Schutz der ihnen anvertrauten Patienten“, erklärte Spahn. Er reagierte damit auf Umfragen, nach denen Impfskepsis gegen die neuen Corona-Impfstoffe bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen verbreitet ist.
Spahn sagte, er setze dabei auf gute Argumente. Einen Impfzwang schließt er aus. Das wäre laut Dr. Johanna Wenckebach vom Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) juristisch ohnehin nicht möglich: „Der mit einer Impfung verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten ist dafür zu schwerwiegend.“
Verzögerte Impfung – eine Strategie bei knappen Ressourcen?
Aber selbst Impfwillige haben es schwer, denn noch gibt es zu wenige Impfstoffdosen. Von den Publikumsmedien wird zum Teil ein „Impfstoff-Desaster“ durch die Politik bemängelt. In Großbritannien ist neben dem BioNTech-Impfstoff inzwischen, wie berichtet, auch eine Vakzine von AstraZeneca und von der Universität Oxford zugelassen. Dort gilt die Empfehlung, zunächst möglichst vielen Menschen die 1. Impfdosis zu verabreichen, die schon einen gewissen Schutz bietet, und die 2. Dosis dann zeitverzögert zu applizieren.
Einige deutsche Experten sehen dies als gangbaren Weg auch bei uns. „Angesichts der aktuellen Impfstoffknappheit und der sehr hohen Infektions- und Hospitalisierungszahlen halte ich … eine Strategie, bei der möglichst viele Menschen frühzeitig geimpft werden, für effektiver, also ohne Impfstoffdosen für die 2. Impfung zurückzuhalten“, erklärt auch Prof. Dr. Leif-Erik Sander von der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Und weiter: „Die Inkaufnahme eines eventuell verlängerten Intervalls bis zur 2. Impfung ist zumindest für die mRNA-Impfstoffe – von BioNTech/Pfizer und Moderna – aus meiner Sicht unbedenklich, da die Impfungen in den Studien schon etwa 10 Tage nach der 1. Injektion einen sehr hohen Schutz gegen COVID-19 zeigten.“ Seiner Meinung nach könne man die Booster-Impfung problemlos etwas verzögern.
Doch es gibt auch andere Stimmen: „Wir sind an die Zulassungsvorgabe gebunden, und die sieht vor, dass die 2. Dosis nach 3 Wochen erfolgt“, gibt Prof. Dr. Peter Kremsner von der Eberhard Karls Universität Tübingen zu bedenken. Doch auch er sagt: „Grundsätzlich ist der britische Ansatz sehr sinnvoll. Wie bei anderen Impfungen kann man die 2. Dosis wahrscheinlich gut auch nach 2 bis 3 Monaten geben, da schon die 1. Dosis scheinbar eine hohe Wirksamkeit erzielt.“ Wie der Spiegel berichtet, will Gesundheitsminister Spahn nun prüfen lassen, ob diese Strategie auch in Deutschland möglich ist.
Neue SARS-CoV-2-Variante: Was Forscher bislang wissen
Immer mehr Bedenken kommen auch auf, was die neuen Varianten des Coronavirus VOC 2020/12/01 (B.1.1.7) aus Großbritannien und 501.V2 aus Südafrika betrifft. Beide Mutationen sind mittlerweile noch in einigen anderen Ländern (auch in Deutschland) nachgewiesen worden.
Doch sprechen beide Varianten wohl auf die entwickelten Impfstoffe an – auch wenn sie wohl deutlich ansteckender geworden sind: „Selbst wenn eine Mutation vorhanden ist, verhindert dies nicht die Erkennung durch das Immunsystem“, sagt Prof. Dr. Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel. Einzelne Mutationen reichten nicht aus, um der komplexen Immunantwort zu entgehen. Prof. Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission, hofft, dass es bereits Anfang Januar explizite Daten dazu geben wird, inwieweit der BioNTech-Impfstoff auch gegen neue Varianten von SARS-CoV-2 schützt.
Relativ klar scheint zu sein, dass die mutierten Erreger höhere virulent sind. Auf Twitter veröffentlichte Prof. Dr. Nick Davies von der London School of Hygiene & Tropical Medicine erste Analysen. Demnach ist die britische Variante um mindestens 50% ansteckender, verglichen mit derzeit zirkulierenden Viren.
Und laut Einschätzungen des Imperial College London beträgt der Unterschied beim R-Wert immerhin 0,4 bis 0,7. Derzeit liegt die Reproduktionszahl in UK zwischen 1,4 und 1,8. Was den klinischen Verlauf angeht, hat die Mutation wohl keine Auswirkung. Die Gesundheitsbehörde Public Health England hat derzeit keine Hinweise, dass VOC 2020/12/01 zu einem schwereren klinischen Verlauf führt. Zu 501.V2 gibt es kaum Details.
Hypertonie eigenständiger Risikofaktor für schweres COVID-19
Bei welchen Personen die momentan zirkulierenden Varianten schweres COVID-19 auslösen, ist immer noch ein Thema in der Forschung. Wissenschaftler der Charité - Universitätsmedizin Berlin fanden jetzt heraus, dass die arterielle Hypertonie ein eigenständiger Risikofaktor ist – und es sich nicht, wie vermutet, nur um einen Effekt des höheren Alters handelt.
In ihre Analyse nahmen die Autoren klinische Daten von 144 Patienten mit COVID-19 auf. Hinzu kamen nasopharyngale Abstriche von insgesamt 48 Personen mit und ohne COVID-19. Dabei zeigten sich in Immunzellen von Personen mit COVID-19 und arterieller Hypertonie stärkere entzündliche Reaktionen als in Zellen von Patienten ohne Bluthochdruck. Klinisch war eine arterielle Hypertonie mit einer langsameren viralen Clearance und einer höheren Anfälligkeit für schwere Atemwegsinfektionen assoziiert.
Erhielten die Bluthochdruck-Patienten jedoch ACE-Hemmer und sprachen darauf an, ließ sich dadurch das Risiko für schwere COVID-19-Erkrankungen fast auf den Wert von Patienten ohne Bluthochdruck senken. Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) zeigten schwächere Effekte und beeinflussten vor allem die virale Clearance nicht.
Die Studie zeige den positiven Effekt einer medikamentöse Blutdrucktherapie, kommentiert Prof. Dr. Ulrich Wenzel vom UKE Hamburg. „Das unterstreicht, wie wichtig es ist, Bluthochdruck in den Griff zu bekommen.“ Wenzel und seine Kollegen bewerten dementsprechend während der SARS-CoV-2-Pandemie ACE-Hemmer als bessere Blutdrucktherapie, falls es individuell keine Kontraindikationen gibt.
Update 30. Dezember 2020
Mehr als 60.000 Bundesbürger bereits geimpft
Wieler: AHA-L-Regeln bleiben nach wie vor sehr wichtig
Chichutek: Nutzen überwiegt Risiken weit – jüngere Erwachsene etwas heftigere Nebenwirkungen
UK lässt Oxford/AstraZeneca-Vakzine zu, EMA-Zulassung im Januar „unwahrscheinlich“
In Großbritannien sollen möglichst viele zunächst die 1. Dosis erhalten
Studie: Re-Infektionsrisiko gering – unter 1.177 Seropositiven nur 2 Re-Infektionen
Das RKI meldet am 30. Dezember 2020 mit 1.129 einen neuen Höchstwert an Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 und bundesweit 22.459 Neuinfektionen. Die Zahlen hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Berlin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Prof. Dr. Lothar Wieler, dem Chef des RKI, und Prof. Dr. Klaus Chichutek, dem Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts, vorgestellt. Erstmals ist damit die Marke von 1.000 täglichen Sterbefällen an COVID-19 überschritten worden.
Mehr als 60.000 Bundesbürger bereits geimpft
„Diese Zahlen belegen, wie brutal dieses Virus immer noch zuschlägt“, sagte Spahn. „Die Zahlen zeigen auch, dass wir von einer Normalität noch sehr weit entfernt sind. Ich sehe daher nicht, wie wir in den Modus vor dem Lockdown zurückkehren können.“ Er bezeichnete den Impfstart als „gelungen“ – „Die größte Impfkampagne unserer Geschichte ist erfolgreich angelaufen“ – auch wenn es hier und da noch „ruckelt“. Mehr als 60.000 Bundesbürger seien bereits geimpft worden.
Es handle sich um einen „nationalen Kraftakt“. Spahn erwartet die Zulassung des 2. Impfstoffes, der mRNA-Vakzine des Unternehmens Moderna, für Anfang Januar. Dann erwarte er 1,5 bis 2 Millionen Impfstoffdosen zusätzlich. Der Impfstoff sei überall derzeit „knapp“; er bat um Geduld, bis sich die Situation in den kommenden Monaten entzerrt habe. Biontech werde demnächst eine weitere Betriebsstätte bei Marburg in Betrieb nehmen.
Wieler: AHA-L-Regeln bleiben nach wie vor sehr wichtig
RKI-Chef Wieler räumte ein, der Höchstwert bei den Sterbefällen am heutigen Tag sei möglicherweise auch durch verzögerte Meldungen über die Feiertage bedingt. Er mahnte nochmals die Bevölkerung, sich an die AHA-L-Regeln zu halten – und bei Anzeichen einer Erkältung mindestens 5 Tage zu Hause zu bleiben. Das Virus sei nach wie vor in Deutschland in allen Alters- und Risikopopulationen verbreitet – „auch junge Menschen können schwer erkranken“.
Immer mehr Kliniken seien an den Kapazitätsgrenzen. 5.600 Menschen würden derzeit in Deutschland intensivmedizinisch behandelt – auch dies sei ein neuer Höchststand. Die derzeitigen gemeldeten Infektionszahlen unterschätzten wahrscheinlich die tatsächliche Verbreitung, da über die Feiertage weniger getestet werde und einige Gesundheitsämter keine Fälle weiter meldeten.
Chichutek: Nutzen überwiegt Risiken weit – jüngere Erwachsene etwas heftigere Nebenwirkungen
PEI-Präsident Chichutek betonte, der Impfstoff zeige eine „ganz hervorragende Wirkung“ darin, COVID-19-Erkrankungen zu verhindern und sei dabei „sicher“. Er sei „gut verträglich“, der Nutzen überwiege die Risiken weit. Auch wenn es Einzelberichte zu anaphylaktischen Reaktionen auf den Impfstoff gebe, bestehe doch im Allgemeinen kein größeres Problem für Allergiker.
Chichutek verwies darauf, dass bereits nach der ersten Impfdosis ein „partieller“ Impfschutz bestehe, der komplette Schutz von 95% laut Studiendaten bestehe dann 2 Wochen nach der 2. Impfung.
Als Nebenwirkungen nannte er typische Impfreaktionen wie Druckschmerz, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Muskel- und Gliederschmerzen, zum Teil auch Fieber. Diese seien in der Regel moderat und vorübergehend – sie fielen bei jüngeren Erwachsenen, die oft stärker reagieren, zum Teil etwas heftiger aus als bei den alljährlichen Influenza-Impfungen.
UK lässt Oxford/AstraZeneca-Vakzine zu, EMA-Zulassung im Januar „unwahrscheinlich“
Als 1. Regulierungsbehörde weltweit hat die britische MHRA den gemeinsam von der Universität Oxford und AstraZeneca entwickelten COVID-19-Impfstoff zugelassen. Die Impfungen damit sollen am 4. Januar beginnen. Damit ist in Großbritannien nun neben der mRNA-Vakzine von Pfizer/Biontech ein 2. alternativer Impfstoff verfügbar. Die Oxford/AstraZeneca-Vakzine nutzt Schimpansen-Adenovirus-Vektoren.
Prof. Dr. Andrew Pollard, Direktor der Oxford Vaccine Group, sagte: „Die Einschätzung der (britischen) Aufsichtsbehörde, dass dies ein sicherer und wirksamer Impfstoff ist, ist ein Meilenstein und eine Bestätigung der enormen Anstrengungen.“ Dies sehen andere Zulassungsbehörden jedoch anders: Wie Reuters berichtet, hält die EMA eine EU-Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffes noch im Januar für „unwahrscheinlich“. Das Unternehmen habe bei der EMA die Zulassung noch nicht beantragt.
In Großbritannien sollen möglichst viele zunächst die 1. Dosis erhalten
In UK hat der Gemeinsame Ausschuss für Impfung und Immunisierung (JCVI) angekündigt, bei beiden nun verfügbaren Impfstoffen zunächst die Verabreichung der 1. Dosis zu priorisieren. Aufgrund der „vorliegenden Evidenz“ hält es der JCVI für besser, zunächst an möglichst viele Personen in den Risikogruppen die 1. Dosis zu verabreichen, anstatt die erforderlichen 2 Dosen in so kurzer Zeit wie möglich bereitzustellen. Es heißt jedoch: „Jeder erhält weiterhin seine zweite Dosis und dies innerhalb von 12 Wochen nach der ersten.“ Die 2. Dosis sei vor allem „wichtig für einen längerfristigen Schutz“.
Die Ergebnisse der Phase-3-Studie mit der Vakzine waren am 8. Dezember im Lancet veröffentlicht worden. Sie hatten für einige Irritationen gesorgt: Gepoolt hatte der Oxford-Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19, auch bekannt als AZD1222, einen 70,4%igen Schutz gegen SARS-CoV-2 gezeigt.
Gepoolt worden waren dabei die Daten aus 2 Gruppen: Bei Teilnehmern, die wie geplant 2 Standarddosen erhalten hatten, betrug die Wirksamkeit gegen COVID-19 nur 62,1%; dagegen lag sie bei Teilnehmern, die (wohl irrtümlich) eine 1. niedrigere Dosis gefolgt von der Standarddosis erhalten hatten, bei 90,0%. Welches Dosierungsschema nun für die Impfungen ab dem 4. Januar empfohlen wird, will die MHRA erst später bekannt geben.
Es gilt als wahrscheinlich, dass es bei Schulen noch keine Rückkehr zum Regelbetrieb geben wird. „Wir müssen volle Klassen bei diesem hohen Infektionsgeschehen vermeiden“, so Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Er plädiert bei Grundschülern für Wechselunterricht mit Abstandsregelungen und für Distanzunterricht bei höheren Jahrgängen.
Am kommenden Dienstag tauscht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder aus. Im Vorfeld zeichnet sich bereits ab, dass der harte Lockdown verlängert wird. Zunächst sollten alle Einschränkungen nur bis zum 10. Januar gelten.
Nun bestätigt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Im Zweifel solle der Lockdown länger gehen, damit er nachhaltiger wirkt. „Gerade die hohe Zahl der Patienten auf den Intensivstationen zeigt, dass es eine Überlastung des Gesundheitswesens weiterhin unbedingt zu vermeiden gilt“, so der Minister.
Spahn zu Mitarbeitern im Gesundheitswesen: „Gebot der Vernunft, sich impfen zu lassen“
Spahn forderte am Wochenende auch alle Ärzte und Pflegekräfte auf, sich impfen zu lassen: „Es ist ein Gebot der Vernunft und der Solidarität, dass diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sich ebenfalls impfen lassen, zu ihrem eigenen Schutz und dem Schutz der ihnen anvertrauten Patienten“, erklärte Spahn. Er reagierte damit auf Umfragen, nach denen Impfskepsis gegen die neuen Corona-Impfstoffe bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen verbreitet ist.
Spahn sagte, er setze dabei auf gute Argumente. Einen Impfzwang schließt er aus. Das wäre laut Dr. Johanna Wenckebach vom Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) juristisch ohnehin nicht möglich: „Der mit einer Impfung verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten ist dafür zu schwerwiegend.“
Verzögerte Impfung – eine Strategie bei knappen Ressourcen?
Aber selbst Impfwillige haben es schwer, denn noch gibt es zu wenige Impfstoffdosen. Von den Publikumsmedien wird zum Teil ein „Impfstoff-Desaster“ durch die Politik bemängelt. In Großbritannien ist neben dem BioNTech-Impfstoff inzwischen, wie berichtet, auch eine Vakzine von AstraZeneca und von der Universität Oxford zugelassen. Dort gilt die Empfehlung, zunächst möglichst vielen Menschen die 1. Impfdosis zu verabreichen, die schon einen gewissen Schutz bietet, und die 2. Dosis dann zeitverzögert zu applizieren.
Einige deutsche Experten sehen dies als gangbaren Weg auch bei uns. „Angesichts der aktuellen Impfstoffknappheit und der sehr hohen Infektions- und Hospitalisierungszahlen halte ich … eine Strategie, bei der möglichst viele Menschen frühzeitig geimpft werden, für effektiver, also ohne Impfstoffdosen für die 2. Impfung zurückzuhalten“, erklärt auch Prof. Dr. Leif-Erik Sander von der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Und weiter: „Die Inkaufnahme eines eventuell verlängerten Intervalls bis zur 2. Impfung ist zumindest für die mRNA-Impfstoffe – von BioNTech/Pfizer und Moderna – aus meiner Sicht unbedenklich, da die Impfungen in den Studien schon etwa 10 Tage nach der 1. Injektion einen sehr hohen Schutz gegen COVID-19 zeigten.“ Seiner Meinung nach könne man die Booster-Impfung problemlos etwas verzögern.
Doch es gibt auch andere Stimmen: „Wir sind an die Zulassungsvorgabe gebunden, und die sieht vor, dass die 2. Dosis nach 3 Wochen erfolgt“, gibt Prof. Dr. Peter Kremsner von der Eberhard Karls Universität Tübingen zu bedenken. Doch auch er sagt: „Grundsätzlich ist der britische Ansatz sehr sinnvoll. Wie bei anderen Impfungen kann man die 2. Dosis wahrscheinlich gut auch nach 2 bis 3 Monaten geben, da schon die 1. Dosis scheinbar eine hohe Wirksamkeit erzielt.“ Wie der Spiegel berichtet, will Gesundheitsminister Spahn nun prüfen lassen, ob diese Strategie auch in Deutschland möglich ist.
Neue SARS-CoV-2-Variante: Was Forscher bislang wissen
Immer mehr Bedenken kommen auch auf, was die neuen Varianten des Coronavirus VOC 2020/12/01 (B.1.1.7) aus Großbritannien und 501.V2 aus Südafrika betrifft. Beide Mutationen sind mittlerweile noch in einigen anderen Ländern (auch in Deutschland) nachgewiesen worden.
Doch sprechen beide Varianten wohl auf die entwickelten Impfstoffe an – auch wenn sie wohl deutlich ansteckender geworden sind: „Selbst wenn eine Mutation vorhanden ist, verhindert dies nicht die Erkennung durch das Immunsystem“, sagt Prof. Dr. Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel. Einzelne Mutationen reichten nicht aus, um der komplexen Immunantwort zu entgehen. Prof. Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission, hofft, dass es bereits Anfang Januar explizite Daten dazu geben wird, inwieweit der BioNTech-Impfstoff auch gegen neue Varianten von SARS-CoV-2 schützt.
Relativ klar scheint zu sein, dass die mutierten Erreger höhere virulent sind. Auf Twitter veröffentlichte Prof. Dr. Nick Davies von der London School of Hygiene & Tropical Medicine erste Analysen. Demnach ist die britische Variante um mindestens 50% ansteckender, verglichen mit derzeit zirkulierenden Viren.
Und laut Einschätzungen des Imperial College London beträgt der Unterschied beim R-Wert immerhin 0,4 bis 0,7. Derzeit liegt die Reproduktionszahl in UK zwischen 1,4 und 1,8. Was den klinischen Verlauf angeht, hat die Mutation wohl keine Auswirkung. Die Gesundheitsbehörde Public Health England hat derzeit keine Hinweise, dass VOC 2020/12/01 zu einem schwereren klinischen Verlauf führt. Zu 501.V2 gibt es kaum Details.
Hypertonie eigenständiger Risikofaktor für schweres COVID-19
Bei welchen Personen die momentan zirkulierenden Varianten schweres COVID-19 auslösen, ist immer noch ein Thema in der Forschung. Wissenschaftler der Charité - Universitätsmedizin Berlin fanden jetzt heraus, dass die arterielle Hypertonie ein eigenständiger Risikofaktor ist – und es sich nicht, wie vermutet, nur um einen Effekt des höheren Alters handelt.
In ihre Analyse nahmen die Autoren klinische Daten von 144 Patienten mit COVID-19 auf. Hinzu kamen nasopharyngale Abstriche von insgesamt 48 Personen mit und ohne COVID-19. Dabei zeigten sich in Immunzellen von Personen mit COVID-19 und arterieller Hypertonie stärkere entzündliche Reaktionen als in Zellen von Patienten ohne Bluthochdruck. Klinisch war eine arterielle Hypertonie mit einer langsameren viralen Clearance und einer höheren Anfälligkeit für schwere Atemwegsinfektionen assoziiert.
Erhielten die Bluthochdruck-Patienten jedoch ACE-Hemmer und sprachen darauf an, ließ sich dadurch das Risiko für schwere COVID-19-Erkrankungen fast auf den Wert von Patienten ohne Bluthochdruck senken. Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) zeigten schwächere Effekte und beeinflussten vor allem die virale Clearance nicht.
Die Studie zeige den positiven Effekt einer medikamentöse Blutdrucktherapie, kommentiert Prof. Dr. Ulrich Wenzel vom UKE Hamburg. „Das unterstreicht, wie wichtig es ist, Bluthochdruck in den Griff zu bekommen.“ Wenzel und seine Kollegen bewerten dementsprechend während der SARS-CoV-2-Pandemie ACE-Hemmer als bessere Blutdrucktherapie, falls es individuell keine Kontraindikationen gibt.
Update 30. Dezember 2020
Mehr als 60.000 Bundesbürger bereits geimpft
Wieler: AHA-L-Regeln bleiben nach wie vor sehr wichtig
Chichutek: Nutzen überwiegt Risiken weit – jüngere Erwachsene etwas heftigere Nebenwirkungen
UK lässt Oxford/AstraZeneca-Vakzine zu, EMA-Zulassung im Januar „unwahrscheinlich“
In Großbritannien sollen möglichst viele zunächst die 1. Dosis erhalten
Studie: Re-Infektionsrisiko gering – unter 1.177 Seropositiven nur 2 Re-Infektionen
Das RKI meldet am 30. Dezember 2020 mit 1.129 einen neuen Höchstwert an Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 und bundesweit 22.459 Neuinfektionen. Die Zahlen hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Berlin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Prof. Dr. Lothar Wieler, dem Chef des RKI, und Prof. Dr. Klaus Chichutek, dem Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts, vorgestellt. Erstmals ist damit die Marke von 1.000 täglichen Sterbefällen an COVID-19 überschritten worden.
Mehr als 60.000 Bundesbürger bereits geimpft
„Diese Zahlen belegen, wie brutal dieses Virus immer noch zuschlägt“, sagte Spahn. „Die Zahlen zeigen auch, dass wir von einer Normalität noch sehr weit entfernt sind. Ich sehe daher nicht, wie wir in den Modus vor dem Lockdown zurückkehren können.“ Er bezeichnete den Impfstart als „gelungen“ – „Die größte Impfkampagne unserer Geschichte ist erfolgreich angelaufen“ – auch wenn es hier und da noch „ruckelt“. Mehr als 60.000 Bundesbürger seien bereits geimpft worden.
Es handle sich um einen „nationalen Kraftakt“. Spahn erwartet die Zulassung des 2. Impfstoffes, der mRNA-Vakzine des Unternehmens Moderna, für Anfang Januar. Dann erwarte er 1,5 bis 2 Millionen Impfstoffdosen zusätzlich. Der Impfstoff sei überall derzeit „knapp“; er bat um Geduld, bis sich die Situation in den kommenden Monaten entzerrt habe. Biontech werde demnächst eine weitere Betriebsstätte bei Marburg in Betrieb nehmen.
Wieler: AHA-L-Regeln bleiben nach wie vor sehr wichtig
RKI-Chef Wieler räumte ein, der Höchstwert bei den Sterbefällen am heutigen Tag sei möglicherweise auch durch verzögerte Meldungen über die Feiertage bedingt. Er mahnte nochmals die Bevölkerung, sich an die AHA-L-Regeln zu halten – und bei Anzeichen einer Erkältung mindestens 5 Tage zu Hause zu bleiben. Das Virus sei nach wie vor in Deutschland in allen Alters- und Risikopopulationen verbreitet – „auch junge Menschen können schwer erkranken“.
Immer mehr Kliniken seien an den Kapazitätsgrenzen. 5.600 Menschen würden derzeit in Deutschland intensivmedizinisch behandelt – auch dies sei ein neuer Höchststand. Die derzeitigen gemeldeten Infektionszahlen unterschätzten wahrscheinlich die tatsächliche Verbreitung, da über die Feiertage weniger getestet werde und einige Gesundheitsämter keine Fälle weiter meldeten.
Chichutek: Nutzen überwiegt Risiken weit – jüngere Erwachsene etwas heftigere Nebenwirkungen
PEI-Präsident Chichutek betonte, der Impfstoff zeige eine „ganz hervorragende Wirkung“ darin, COVID-19-Erkrankungen zu verhindern und sei dabei „sicher“. Er sei „gut verträglich“, der Nutzen überwiege die Risiken weit. Auch wenn es Einzelberichte zu anaphylaktischen Reaktionen auf den Impfstoff gebe, bestehe doch im Allgemeinen kein größeres Problem für Allergiker.
Chichutek verwies darauf, dass bereits nach der ersten Impfdosis ein „partieller“ Impfschutz bestehe, der komplette Schutz von 95% laut Studiendaten bestehe dann 2 Wochen nach der 2. Impfung.
Als Nebenwirkungen nannte er typische Impfreaktionen wie Druckschmerz, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Muskel- und Gliederschmerzen, zum Teil auch Fieber. Diese seien in der Regel moderat und vorübergehend – sie fielen bei jüngeren Erwachsenen, die oft stärker reagieren, zum Teil etwas heftiger aus als bei den alljährlichen Influenza-Impfungen.
UK lässt Oxford/AstraZeneca-Vakzine zu, EMA-Zulassung im Januar „unwahrscheinlich“
Als 1. Regulierungsbehörde weltweit hat die britische MHRA den gemeinsam von der Universität Oxford und AstraZeneca entwickelten COVID-19-Impfstoff zugelassen. Die Impfungen damit sollen am 4. Januar beginnen. Damit ist in Großbritannien nun neben der mRNA-Vakzine von Pfizer/Biontech ein 2. alternativer Impfstoff verfügbar. Die Oxford/AstraZeneca-Vakzine nutzt Schimpansen-Adenovirus-Vektoren.
Prof. Dr. Andrew Pollard, Direktor der Oxford Vaccine Group, sagte: „Die Einschätzung der (britischen) Aufsichtsbehörde, dass dies ein sicherer und wirksamer Impfstoff ist, ist ein Meilenstein und eine Bestätigung der enormen Anstrengungen.“ Dies sehen andere Zulassungsbehörden jedoch anders: Wie Reuters berichtet, hält die EMA eine EU-Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffes noch im Januar für „unwahrscheinlich“. Das Unternehmen habe bei der EMA die Zulassung noch nicht beantragt.
In Großbritannien sollen möglichst viele zunächst die 1. Dosis erhalten
In UK hat der Gemeinsame Ausschuss für Impfung und Immunisierung (JCVI) angekündigt, bei beiden nun verfügbaren Impfstoffen zunächst die Verabreichung der 1. Dosis zu priorisieren. Aufgrund der „vorliegenden Evidenz“ hält es der JCVI für besser, zunächst an möglichst viele Personen in den Risikogruppen die 1. Dosis zu verabreichen, anstatt die erforderlichen 2 Dosen in so kurzer Zeit wie möglich bereitzustellen. Es heißt jedoch: „Jeder erhält weiterhin seine zweite Dosis und dies innerhalb von 12 Wochen nach der ersten.“ Die 2. Dosis sei vor allem „wichtig für einen längerfristigen Schutz“.
Die Ergebnisse der Phase-3-Studie mit der Vakzine waren am 8. Dezember im Lancet veröffentlicht worden. Sie hatten für einige Irritationen gesorgt: Gepoolt hatte der Oxford-Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19, auch bekannt als AZD1222, einen 70,4%igen Schutz gegen SARS-CoV-2 gezeigt.
Gepoolt worden waren dabei die Daten aus 2 Gruppen: Bei Teilnehmern, die wie geplant 2 Standarddosen erhalten hatten, betrug die Wirksamkeit gegen COVID-19 nur 62,1%; dagegen lag sie bei Teilnehmern, die (wohl irrtümlich) eine 1. niedrigere Dosis gefolgt von der Standarddosis erhalten hatten, bei 90,0%. Welches Dosierungsschema nun für die Impfungen ab dem 4. Januar empfohlen wird, will die MHRA erst später bekannt geben.
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Catfish on the table
che2001, 16:38h
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Keine Auslieferung von Julian Assange an die USA
che2001, 15:52h
Der WikiLeaks-Gründer Julian Assange soll nicht an die USA ausgeliefert werden. Das entschied ein Londoner Gericht soeben und lehnte damit den US-Auslieferungsantrag ab. Dem 49-Jährigen hätten in Amerika im Fall einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft gedroht. Die Richterin begründete ihre Entscheidung mit dem psychischen Gesundheitszustand Assanges und den Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in Isolationshaft das Leben nehmen werde. Eine Revision ist noch möglich.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hatte gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein am 30. Januar 2020 Asyl für Assange in Deutschland gefordert. Der Forderung schlossen sich im Februar 2020 viele weitere Menschenrechtsorganisationen an. Auch die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin setzte sich dafür ein, Assange notfalls Asyl in Deutschland zu gewähren.
Der gebürtige Australier Assange hatte über seine Enthüllungsplattform WikiLeaks Hunderttausende geheime Dokumente über Kriegsverbrechen veröffentlicht. US-Ermittlern und westlichen Sicherheitskreisen gilt Assange damit als Staatsfeind. Um einer Auslieferung zu entgehen, hatte sich Assange in die Botschaft Ecuadors geflüchtet und dort sieben Jahre gelebt, bevor ihm 2019 das Asyl entzogen wurde. Er wurde festgenommen und kam in ein Londoner Hochsicherheitsgefängnis.
Der Rechtsstreit dürfte jedoch weitergehen, denn gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden. Nach einer weiteren Instanz könnte das Verfahren vor den britischen Supreme Court gehen und schließlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beschäftigen.
Der Wikileaks-Gründer saß bereits seit rund eineinhalb Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten der britischen Hauptstadt in Einzelhaft, wo er nach Aussagen von Prof. Melzer, UN-Sonderberichterstatter über Folter, misshandelt wurde: „Er zeigt alle Symptome, die typisch sind für eine Person, die psychischer Folter ausgesetzt ist“, so Melzer. Er durfte nur sehr eingeschränkt Besuch empfangen, auch Telefonate nach draußen waren nicht unbegrenzt möglich.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hatte gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein am 30. Januar 2020 Asyl für Assange in Deutschland gefordert. Der Forderung schlossen sich im Februar 2020 viele weitere Menschenrechtsorganisationen an. Auch die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin setzte sich dafür ein, Assange notfalls Asyl in Deutschland zu gewähren.
Der gebürtige Australier Assange hatte über seine Enthüllungsplattform WikiLeaks Hunderttausende geheime Dokumente über Kriegsverbrechen veröffentlicht. US-Ermittlern und westlichen Sicherheitskreisen gilt Assange damit als Staatsfeind. Um einer Auslieferung zu entgehen, hatte sich Assange in die Botschaft Ecuadors geflüchtet und dort sieben Jahre gelebt, bevor ihm 2019 das Asyl entzogen wurde. Er wurde festgenommen und kam in ein Londoner Hochsicherheitsgefängnis.
Der Rechtsstreit dürfte jedoch weitergehen, denn gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden. Nach einer weiteren Instanz könnte das Verfahren vor den britischen Supreme Court gehen und schließlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beschäftigen.
Der Wikileaks-Gründer saß bereits seit rund eineinhalb Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten der britischen Hauptstadt in Einzelhaft, wo er nach Aussagen von Prof. Melzer, UN-Sonderberichterstatter über Folter, misshandelt wurde: „Er zeigt alle Symptome, die typisch sind für eine Person, die psychischer Folter ausgesetzt ist“, so Melzer. Er durfte nur sehr eingeschränkt Besuch empfangen, auch Telefonate nach draußen waren nicht unbegrenzt möglich.
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